Grisocomodo
  Motor-Rad-Reisen

Cagiva Elefant 750


High Noon am Kai

Was bisher geschah. – Gedacht war sie als robustes Arbeitseisenpferd für den täglichen Einsatz. Ihre wahren Qualitäten zeigte sie weniger als Quarterhorse, denn als Pony Express Pferdchen im zügigen Galopp. Die Rede ist von meiner Cagiva Elefant, Baujahr 1996. Bis 3.500 u/min ist sie eher rumpelig und rau. Ab 4.000 u/min beginnt sie sich wohl zu fühlen und über 5.000 u/min fliegt sie im gestreckten Galopp dahin, dass es eine wahre Freude ist. Ihr Metier sind Feldwege und geschwungene Landstraßen. Winterliches Stop and Go mag der 750er Ducati-Motor gar nicht. Aus dem Grunde soll sie von ihrem norddeutschen Winterdasein erlöst werden. Ihr sei ein edleres Freizeitbike Dasein unter anderen Elefanten in Dänemark gegönnt.


Per, sein Ducati fahrender Freund und ich stehen neben dem stolzen Pferdchen im Carport. Pers Augen leuchten. Sein Freund ist angesichts des Allgemeinzustands wohlwollend gestimmt. Der Funke scheint übergesprungen zu sein. Ich bin nicht nur froh, dass der Verkauf wohl klar gehen sollte, sondern ich bin auch zufrieden, dass die Cagiva in gute, kundige Hände kommt. Immerhin hat sie mich, wenn auch mit der ein oder anderen notwendigen extra Streicheleinheit, auf den letzten 2.000 Kilometern durch den zähen Winter gebracht. Was nun zum entscheidenden Erfolg fehlt ist die Probefahrt.



Es ist Sonntag Mittag. Das Wetter ist kalt aber klar, die Straßen sind trocken und auf der Anliegerstraße ist kein Verkehr.  Die Bedingungen könnten kaum besser sein. Wenn da nicht dieser Hochseeschlepper wäre. Der Hochseeschlepper ? – Ja ! Das monströse Schiff liegt vertäut am Tiessenkai, höchstens fünfunddreißig Meter von uns entfernt. An Deck stehen zwei Matrosen, die genüsslich ihre Zigaretten rauchen. Auf dem Außenaufgang zur Brücke befindet sich der Kapitän, vertieft in ein Gespräch mit zwei Uniformierten von der Wasserschutzpolizei. Einer der maritimen Ordnungshüter beobachtet unser Treiben auffallend unauffällig.



Wir zögern und trödeln ungeduldig vor uns hin. Alle brennen auf die Probefahrt. Und wie es scheint, eben auch unser Zuschauer.   Unser kleines aber wesentliches Problem besteht drin, dass Per in der Aufregung seinen Helm in Dänemark vergessen hat und mein Helm zu klein für ihn ist. Die Spannung ist kaum auszuhalten. Daher starte ich schon einmal den Motor. Während er warm läuft erläutere ich die besonderen Eigenschaften und Vorzüge des 750er Ducati-Triebwerkes. (Zudem ist ein warmer Motor ja dem Ergebnis der Probefahrt zuträglich.) Die Spannung steigt weiter, auch bei den Uniformierten. Mittlerweile haben beide ein Auge auf uns. Wir begraben jegliche Hoffnung, dass sie demnächst von dannen ziehen.

Die folgenden Minuten sind das reinste High Noon am Tiessenkai. Wir beobachten sie, sie beobachten uns. Wir tun lässig, sie sind lässig, wohl wissend, dass die Zeit auf ihrer Seite ist. Die Cagiva ist betriebswarm und wir stellen das Gedankenspiel an, wofür sich wohl die Wasserschutzpolizei alles zuständig fühlt… Und „Go“. Per startet zu einer kleinen Runde auf der Anliegerstraße, ohne Helm. Wir sind schneller, aber der Arm des Gesetzes ist länger. Per ist noch nicht ganz zurück, da kommt bereits ein Ordnungshüter an Land und auf uns zu.


Ich deute Per an, er möge die Cagiva rückwärts ins Carport schieben, was er auch befolgt. Der zweite Kollege kommt dazu und nun zu fünft besprechen wir die Lage. Wir zeigen uns höchstgradig einsichtig und ich gebe kleinlaut die Besonderheit der Situation zu bedenken. Die Beiden sind verständig, beharren aber dennoch auf den grundsätzlichen Ernst der Lage, womit sie natürlich ohne jeden Zweifel im Recht sind. Wir schnacken noch eine Weile ganz nett und mit einem Augenzwinkern sowie einem Ticket von fünfzehn Euro entlassen sie uns. Die beiden Beamten machen sich auf den Weg (ohne zu kontrollieren, ob auf dem Kennzeichen alle vorgeschriebenen Plaketten vorhanden sind….).



Text und Fotos Andreas Thier 03/2009