Grisocomodo
  Motor-Rad-Reisen

Tour zwischen den Meeren

Und eine der großen klassischen Alpenrouten.


Der Regen tropft von der Nase auf das Oberrohr. Obwohl ich im Sattel bereits etwas nach hinten gerutscht bin, um den Beinen bessere Hebelverhältnisse für die Bergauffahrt zu ermöglichen, justiere ich angesichts der beeindruckenden Rampe vor mir noch etwas nach.


Auf dem Weg zum Col de La Madeleine


180 Höhenmeter liegen hinter mir. Von wegen ‚Gute Nacht Marie‘ – ‚Bon jour Madeleine‘ ist das Motto des Tages. Madeleine ist der Name des Passes, auf dessen Nordrampe ich mich im kalten Regen aufwärts arbeite. Hier ist definitiv nicht der Weg das Ziel. Das Ziel ist konkret, heißt Passhöhe und liegt noch rund 1.400 Höhenmeter über mir.



Unvermeidbar muss ich mich dazu zunächst mit dieser kurzen aber durchaus fiesen Rampe aufgebrochenen Asphaltes auseinandersetzen, die etwa bei Kilometer 3 lauert. Bei 10% Steigung wird einem klar, dass man wirklich seriös in den Bergen unterwegs ist. Bei 12% geht man auf der Suche nach Entbehrlichem im Kopf die Ausrüstungsliste durch, egal wie wenig man mitgenommen hat. Und ab 15% schieben sich vergangene Jugendsünden ins Bewusstsein, auch die, welche man lieber lebenslang ausblenden möchte. Ich habe Glück. Es sind nur 14%.


Col de la Madeleine – Das lässt vielen Radsportlern die Herzen höher schlagen. Der Pass gehört nicht zu den höchsten Pässen der Tour de France, aber er ist einer der meist frequentierten. Zuletzt nahm ihn das Profi-Peloton 2013 unter die Räder. Dabei gehört der Pass nicht einmal zur Kategorie der Zweitausender. Wenngleich ein Schild mit der Angabe 2.000 m auf der Passhöhe steht, ist er mit amtlichen 1.993 Metern vermessen. Aber das ist letztendlich auch egal. Was zählt sind in erster Linie die zu überwindenden Höhenmeter. Und das sind über 1.500, egal von welcher Seite aus betrachtet. Zudem haben beide Varianten Steigungen jenseits der 10% zu bieten. Grund genug für den Veranstalter der Tour de France den Pass in die hors catégorie aufzunehmen, in die erste Liga der Passstraßen.

Auf der Passhöhe


Falls sich der geneigte Leser fragen mag, warum ich überhaupt den Col de la Madeleine hinauf radel? - Die Antwort ist simpel. Weil es am Izoard schneit.

Von Norden setzt sich eine deutliche Wetterverschlechterung durch und lässt neben den fetten Regentropfen auch die Temperaturen fallen. Laut Tageszeitung fällt die Schneefallgrenze von 2.700 auf 2.500 m, Tendenz weiter fallend auf 2.200 m. Ich suche die Gendarmerie auf, wo mir dies leider bestätigt wird.

Damit wird der Col de l’Iseran mit seinen 2.764 Höhenmetern zur Sackgasse. Zu deutlich erinnere ich mich noch an die Osterferien 1982. Über das Rhonetal und entlang der Côte d’Azur lief es derart gut, dass bis zum Ende der Ferien noch Zeit für eine Runde auf Korsika blieb. Zusammen mit zwei anderen Burschen, die ich im Hafen von Nizza aufgegabelt hatte, verfolgte ich das Ziel unbedingt den höchsten Pass Korsikas zu fahren. Was wir dann auch taten. Die letzten rund 300 Höhenmeter legten wir bei Schneefall zurück. Während wir uns auf der Passhöhe wie die Helden fühlten, waren wir auf der Abfahrt mit guten fünf Zentimeter Schnee auf der Straße und bepackten Fahrrädern unterm Hintern eher die Deppen. Es ging alles gut, aber es war heikel.

Da ich also überhaupt keine Lust hatte eine 500 Höhenmeter Rutschpartie am l’Iseran hinzulegen, wich ich auf den Madeleine aus. Bei rund 200 Höhenmetern unter der Schneefallgrenze und 3°C Lufttemperatur ist es dann auch völlig Schnuppe, ob ein Pass 1.993 oder 2.000 m hoch ist. Es ist einfach nur KALT.


Aber was treibe ich hier überhaupt ?

Seitdem ich 2012 mit der Moto Guzzi zum Nordkap gefahren bin, ließ mich die Erinnerung an die eigene Nordkap Radtour 1984 nicht mehr los. Es entwickelte sich wieder das Verlangen, das Rennrad nicht nur für Sportzwecke, sondern auch zum Reisen einzusetzen.

In Schleswig-Holstein sind Touren zwischen den Meeren äußerst beliebt. Auch bei mir. Allerdings eher für’s Training. Zum Touren liegen mir Nord- und Ostsee doch etwas arg nahe zusammen. Dennoch schwebt mir (als Küstenliebhaber) irgendwie eine Radtour geografischer Dimension zwischen irgendwelchen Meeren vor.

Da der gute alte Diercke Schulatlas und ein Stechzirkel für mich stets probate Mittel zur Grobplanung von Touren sind, ist das Vorgehen klar. Zunächst entgleitet der Zirkelschlag zum phantastischen Wünsch-Dir-was-Radius. Der zweite Versuch erfolgt mit dem realen Urlaubstage-Radius. Das mag jetzt ernüchternd klingen, muss es aber nicht zwangsläufig sein. Denn entscheidend ist letztendlich was die Beine so hergeben.
Auf früheren Langtouren habe ich (im Flachland) mit rund 1.000 Kilometern pro Woche kalkuliert und bin damit stets gut gefahren. Somit sollte sich ein 2.100 Kilometer-Zirkelschlag bis zum warmen, mittleren Meer in Urlaubs-Radtour-Realität umsetzen lassen.

Die Route


Dennoch bleibt es fast bis zum Schluss spannend. Meine geplante Route führt eben nicht hauptsächlich durch flaches Land. (Schließlich kommt man auch mit nur einer Passquerung ans Mittelmeer.) Vor meinem Vorderrad liegt die komplette Nord-Süd-Durchfahrung Deutschlands, gefolgt von etwas Voralpengeplänkel und dann die Route des Grandes Alpes. Eben jener fantastischen Strecke von Thonon les Bains am Genfer See nach Menton am Mittelmeer. Siebzehn Passstraßen, darunter große Namen wie Col de Galibier oder Col d‘Izoard sind auf dieser Route in Form von etwa 14.000 Höhenmetern zu bewältigen. Natürlich gibt es einen einfacheren Weg über die Alpen, aber möglicherweise keinen schöneren.

In jedem Fall geht es durchs Hochgebirge und in jedem Fall muss ich ab Mitte August mit jeglicher Art von schlechtem Wetter rechnen. Erst wenn der Bereich des Mittelmeerklimas erreicht ist, kann ich hinsichtlich möglicher und unmöglicher Passquerungen sicher sein und ‚entspannt‘ die letzten paar tausend Höhenmeter angehen.


Der Start erfolgt angesichts der abenteuerlichen Aussichten völlig unkapriziös. Fahrrad aus dem Schuppen holen, Gepäcktaschen anhängen, Lenkertasche einklicken, Haustür abschließen und losfahren.

Mit mir reist eine Ausrüstung von rund 13,5 Kilogramm (plus Lenkertasche 1,5 kg). Sie sollte nahezu alle Situationen abdecken. Darin enthalten ist neben dem Eigengewicht der Taschen unter anderem ein Daunenschlafsack (650 gr), eine Schlafmatte (450 gr) sowie ein Zelt (mit Zubehör 1.800 gr – da ist noch Optimierungspotential). Zwar plane ich entlang des Weges feste Unterkünfte aufzusuchen, aber ich möchte die Freiheit und Flexibilität haben, auch dann gut und trocken schlafen zu können, wenn sich keine feste (freie) Unterkunft auftreiben lässt. Ebenfalls an Bord ist eine Garnitur ziviler Bekleidung (Hemd, lange Hose und Nicht-Radschuhe).

Die Ausrüstung - inklusiver ziviler Kleidung und Schlafsack, Zelt und Isomatte


Wie herrlich es ist, einfach so von zu Hause aus loszufahren, hinaus in die Welt, mit ungeheuer gelassener Leichtigkeit. Der erste Tag bringt den Vorteil überhaupt nicht auf die Karte schauen zu müssen. Mein erstes ‚geographisches Zwischenziel‘ auf dem Weg nach Süden ist die Elbe. Und in klassischer Manier erfolgt die Querung mit einem Fährschiff zwischen Glückstadt und Wischhafen. Nach insgesamt 150 Kilometern bei Temperaturen über 30°C und permanentem Starkwind aus Südost, also von vorne links, beende ich den Tag in einem Niedersächsischen Dorfhotel, welches die besten Zeiten wohl in den Siebzigern erlebt hat. Für 30,- Euro inklusive (radlerfreundlichem) Frühstück geht es mit Bad und WC auf dem Gang völlig in Ordnung. Nicht nur in Ordnung, sondern absolut großartig sind Matjes und Bratkartoffeln, welche mir abends von der betagten Dame des Hauses serviert werden. So klingt der erste Tag des Unterwegsseins mit der gelassenen Selbstverständlichkeit aus, mit der er auch begonnen hat.


Die ersten 1.000 Kilometer sind für mich in gewisser Weise der Lackmustest, ob die Tour in der geplanten Weise realisierbar ist. Und ich habe die Chance etwas Zeit herauszufahren, um die Berge mit etwas Reservezeit angehen zu können.
Am zweiten Tag kommt zum ersten Mal eine Straßenkarte zum Einsatz. Meine komplette Navigation basiert auf analogen Verfahren und Datenträgern. Bis auf eine Übersichtskarte weisen meine Karten einen Maßstab von 1:200.000 auf. 

Die Route führt in der Regel über Landstraßen. Nur wo es unvermeidlich ist, werden höherrangige Straßen mit einbezogen. Markiert ist die Route schlichtweg vorab per Textmarker in den Karten. Somit verliere ich die Hauptrichtung trotz der diversen Kartenblätter nicht aus den Augen. Ich halte mich keineswegs sklavisch an die markierte Wegführung. Sie ist in erster Linie eine gute Orientierung.

Die Taktik meiner zügigen Deutschlanddurchquerung basiert auf der Umfahrung der Mittelgebirge. Somit peile ich die Flusstäler von Weser, Fulda, Kinzig und Rhein an, um den Nordrand der Alpen zu erreichen. Die Strecke wird dadurch zwar etwas länger, aber sie lässt sich nicht nur mit weniger Zeitaufwand bereisen, sondern sie ist auch landschaftlich ausgesprochen reizvoll. Und sie ist hervorragend radspezifisch ausgebaut sowie beschildert, wie sich im Laufe der Tour angenehmerweise herausstellt.
Von der Elbe kommend strebe ich zunächst dem Wesertal entgegen. 

Auf dem Weg dorthin lerne ich die niedersächsische Landschaft mit den pittoresken Fachwerkdörfern schätzen, verfluche aber zugleich die miserablen Radwege. Die Qualität lässt völlig zu wünschen übrig. Immer wieder erfordern schwere Baumwurzelaufbrüche ein Runterbremsen auf Schrittgeschwindigkeit und anschließendes Antreten. Ich überschlage im Kopf, dass diese Aktionen gute 30 Kilometer am Tag kosten. Leider sind die Autofahrer zu intolerant und zu aggressiv, als dass ich es dauerhaft auf den Straßen mit ihnen aufnehmen möchte.


Ohne weitere Worte


Sehr versöhnlich stimmt mich dann die Café Pause in Zeven. Die nette junge Dame wird das Prädikat ‚netteste Bedienung‘ bis zum Ende der Reise behalten. Sie bietet mir von sich aus an meine Fahrradflaschen mit Wasser zu füllen und bringt mir ein extra Glas für meinen Trinkjoghurt, welcher etwas verstohlen, halb durch die Straßenkarte verdeckt, auf dem Stuhl neben mir lagert. Stolz zeigt sie mir neben dem Café ihr neues Hollandrad, mit dem sie jeden Tag zehn Kilometer von zu Hause zum Café fährt. Wie schön, dass Radfahren wieder ‚in‘ ist. Und wie schön, dass sich die guten alten Hollandräder einer Renaissance erfreuen dürfen.


Als Radler darf man das (mit den Kalorien).


Westlich von Verden erreiche ich nicht nur das Wesertal, sondern auch den Weserradweg. Die Beschilderung ist hervorragend und die Qualität der Wege wird schlagartig besser. Wie angenehm leicht es doch ist unterwegs zu sein. Die Temperaturen sind hochsommerlich, der Wind weht aus Südwest, also von vorne rechts. Natürlich kommt der Wind immer von vorne. Aber heute ist er zum Glück nur mäßig stark. Am Ende des zweiten Tages befinde ich mich rund 300 km südlich meines Heims und bin sehr zufrieden. Es rollt gut und es kommt mir vor, als läge der gewöhnliche Alltag bereits viel länger hinter mir. Das Empfinden wechselt in den Unterwegssein-Modus. Ein gutes Zeichen. Es fühlt sich gut an.


Weser


Im Folgenden ziehe ich weiter Weser aufwärts. Anfangs sind mir Landschaften und Wege von einer Frühjahrstour mit der besten Radlpartnerin der Welt bekannt. Mit wohligen Gedanken drifte ich das Wesertal hinauf. Mit den bewaldeten Hängen, dem insgesamt schmaler werdenden Flusstal und einer direkt am Wasser verlaufenden Wegführung, gefällt mir die Oberweser noch besser als der untere Abschnitt. Dank der hervorragenden Beschilderung fällt die Orientierung leicht.




Zu meiner Ausrüstung gehört auch ein Schloss. Ein Zahlenschloss, ganz schlau, damit der der Schlüssel nicht verloren gehen kann. Und zwar ein richtig modernes Zahlenschloss. Mit widerstandsfähigem, kaum zu knackenden Drahtgeflecht und verstellbarer Zahlenkombination. Dumm nur, wenn sich die Zahlenkombination ebenso unbeabsichtigt, wie unbemerkt und vor allem unbekannt verstellt. Natürlich BEVOR das Schloss verschlossen wird. Zum Glück steckt mein Rad nicht just in jenem Moment in der Drahtschlinge. Das wäre sehr dumm gewesen. Dass ich mein Rad nicht mehr ab- und anschließen kann, ist vor diesem Hintergrund leicht zu verkraften. Ich fordere mein Glück mit ein paar mehr oder weniger zufälligen Kombinationen heraus. Aber die Drahtschlinge bleibt verschlossen.


Ein Radgeschäft längs des Weges führt genau diesen Schlosstyp im Sortiment. Bevor ich ein halbes Vermögen für ein neues Schloss ausgebe, gehe ich der wagen Hoffnung nach und frage, ob es womöglich einen Händlertrick zur Schlossöffnung gäbe. Gibt es natürlich nicht und mir bleibt nur der Biss in den sauren Apfel der neuerlichen Investition. Sehr förmlich aber sicherlich innerlich hochgradig amüsiert, fragt mich die Verkäuferin, ob ich das alte Schloss mitnehmen möchte, für lange, einsame Knobelabende auf meiner Reise. Ich sage ihr, dass ich damals diese Zauberwürfel auch schon doof fand und verneine. Wir müssen beide lachen und ich verlasse das Geschäft mit der neuen Errungenschaft. Seitdem überprüfe ich vor jedem Verschließen die eingestellte Kombination. (Es würde wirklich wertvolle Zeit kosten, das Schloss mit angeschlossenem Rad knacken zu müssen.)

Radweg am Ufer der Fulda


Im malerischen Hannoverisch Münden schwenke ich ins nicht minder schöne Fuldatal. Immer scharf am Flusslauf fahrend, gelingt es mir Kassel einigermaßen rechts liegen zu lassen. Das Fuldatal ist nahezu wildromantisch und der Fuldaradweg sorgt für Entflechtung vom Autoverkehr. Die Qualität des Weges ist größtenteils bestens. Nur für kurze Abschnitte sind mal Wald- oder Schotterstrecken zu befahren. Außerhalb des Fuldatals ist sofort mit nennenswerten Steigungen zu rechnen. Immerhin erreichen die umliegenden Hügel Höhen von über 500 Metern. Aufregend ist die Querung der Fulda mit einer von Hand zu bedienenden Hänge-Seilfähre. Der Korb bietet Platz für etwa sechs Fußgänger.


Selbstfahrer-Fähre


Dörfer und Städte, wie zum Beispiel Melsungen, weisen im Kern zumeist eine mittelalterliche Struktur auf und bestehen aus hervorragend erhaltene Fachwerkhäuser. Ein echter Augenschmaus.

Fachwerk-Kunst


Südlich von Fulda schwenke ich nach Südwest in Richtung Kinzigtal. Fast finde ich es schade den gut erschlossenen Fuldaradweg verlassen zu müssen. Umso angenehmer überrascht es mich, auch in diesem Flusstal wieder einen ausgeflaggten Radwanderweg vorzufinden. Er führt mich auf bewährte Weise bis an den Großraum Frankfurt heran. Diesen gilt es aber nun auf möglichst geschickte und effiziente Weise zu umfahren. Auf rund fünfzig Kilometern Ballungsgebiet Peripherie lauern nun völlig unentspannte Autofahrer. Ich setze sogar freiwillig meinen Radhelm auf, dessen eigentlicher Schwerpunkteinsatz auf Passabfahrten liegt.

Obwohl es mir einigermaßen gelingt, mich südlich von Hanau und Offenbach in Richtung Darmstadt durchzuschlängeln, ist der Verkehr erheblich und gefährlich. Eine derartige Verkehrsdichte bin ich gar nicht mehr gewohnt. Hier wird mir noch einmal sehr bewusst, auf welch wunderbaren Strecken ich während der vergangenen 750 km unterwegs war.
Im wahrsten Sinne des Wortes heilfroh erreiche ich bei Gernsheim den Rhein und gönne mir eine ausgiebige Pause. Entspannt in der Sonne sitzend genieße ich das bunte Treiben am Fähranleger und studiere die Straßenkarte. Das letzte Flusstal zum Flachlandradeln ist erreicht. Danach geht es richtig zur Sache. Dann zählen weniger die Distanzkilometer, als vielmehr jeder einzelne Höhenmeter.

Rhein Querung

Doch zunächst verwöhnt mich das großzügige Rheintal mit seiner landschaftlichen Schönheit, wunderbaren Radstrecken und mit nahezu topfebener Topographie. Da ich mir die gute Stimmung keineswegs mit Großstadtverkehr vermiesen will, fahre ich in großem Bogen um den Raum Mannheim/Ludwigshafen, schnuppere etwas Weinstraßenluft und folge meiner Nasenspitze in Richtung Süden. Sowohl die Zahl der Radreisenden, als auch die Zahl der Radsportler nimmt deutlich zu, was irgendwie die Atmosphäre des Radtourens abrundet.

Am Ende des siebten Tages gönne ich mir ein besonders opulentes Mahl. Ich bin in Kehl am Rhein und habe in einer Woche 1.060 Kilometer zurückgelegt. ‚Na also, es geht doch noch‘…grinse ich innerlich, bin höchst zufrieden und lasse die vergangene Woche Revue passieren. Es läuft so geschmiert wie früher. Allerdings mit dem Unterschied, dass ich unterwegs manchmal zum Kartenstudium die Lesebrille herauskramen muss...
Meine körperliche Verfassung ist offensichtlich gut. Ich habe im Schnitt etwas über 150 Kilometer pro Tag zurückgelegt, ohne dass ich irgendwie hätte hetzen müssen. Im Gegenteil, morgens habe ich stets das Frühstück zelebriert und bin erst zwischen 0830 und 0900 gestartet. Und in der Regel hatte ich zum späten Nachmittag bereits ein Quartier ausfindig gemacht. (Ich fahre zwar ohne jegliche Navigations- oder Kilometerzählelektronik, aber den Statistikern unter den Lesern sein versichert, dass der Schnitt zwischen 23 und 25 km/h lag.)

Mich begleitet bisher großes Wetterglück. Bis auf einen Vormittag und zwei Halbstundenschauer war es trocken und hochsommerlich warm.
Völlig verzückt bin ich über die tolle Radwanderinfrastruktur, die mir vorher überhaupt nicht bewusst war. Fernab des Hauptverkehrs gelingt es das Industrieland Deutschland der Länge nach zu durchqueren und wunderbare Landschaften zu durchstreifen.
Und natürlich sind es auch immer wieder die Menschen, die eine solche Tour so erlebenswert machen. Wie zum Beispiel die über achtzigjährige Dame, die mich ansprach, als ich in einem kleinen Dorf mein Rad an ihre Vorgartenmauer lehnte, um mir nach einem Regenschauer die Überschuhe auszuziehen. (Das einzige, was ich beim Radfahren nicht ausstehen kann sind nasse Füße.) Sie kam gemütlich aus dem Haus gewackelt und fragte ob ich Hilfe benötigte. Wahrscheinlich war sie etwas irritiert darüber, was ein nasser Radler auf einem Fuß hüpfend veranstaltet, während er sich irgendwie mit den Händen am anderen Fuß zu schaffen macht. Ich klärte sie auf, was ihrerseits zu Erleichterung führte. Da ich ihr Kaffeeangebot dankend ausschlug, konnte sie den jungen Mann (smile) jedoch nicht ohne ein paar Kekse fahren lassen. Während ich ihren Gehweg vollkrümelte, kamen wir ins Schnacken und entdeckten, dass ihre früheren Familienurlaube an der Ostsee in einem nur wenige Kilometer von meinem Heim entfernten Ort stattfanden. Wie schön klein die Welt doch manchmal ist.

Große Welt fand dagegen am Rande eines Supermarktparkplatzes in der Nähe von Kassel statt. Fünf Frauen meines Alters saßen auf dem Plastikmobiliar eines Bäckereiverkaufswagens und ließen es sich in dem etwas speziellen Ambiente bei Kaffe und Kuchen gutgehen. Schon bei meiner Ankunft musterten sie mich regelrecht. Und ich schwöre, sie haben mir die ganze Zeit auf den Hintern geguckt (und getuschelt), während ich mein Gepäck klarierte und Lebensmittel verstaute. Eine fasste sich ein Herz und sprach mich mit unübersehbarem Augenklimpern an und fragte nach dem ‚Woher‘ und ‚Wohin‘. Zugegebener Weise kokettierte ich mit der Situation und äußerte vielsagend wenig ‚…von der Ostsee ans Mittelmeer…‘, worauf sich die anderen ermutigt fühlten auch mit mir uns Gespräch zu kommen, was wiederum Missfallen bei der Erstfragenden auslöste. Bevor die Situation aus dem Ruder laufen konnte flüchtete ich mit der Bemerkung es sei ja noch ein langer Weg.

Hier scheinen ja flotte Feger zu wohnen.


Alpenvorgeplänkel zum Beginn der zweiten Woche. Ich nehme etwas die Beine hoch und gönne mir eine Halbetappe (na ja genau genommen eine Dreivierteletappe). Es ist der letzte flache Tag vor dem Mittelmeer. Im Oberrheintal der Sonne entgegen rollend, wird dies, eingerahmt durch Vogesen, Schwarzwald und voraus die Alpen, mit Nachdruck deutlich. Von drei Seiten von Bergen umgeben, wächst die Ahnung was mir bevorsteht.

Die ersten Berge in Sicht


Doch vorher gilt es noch einen Dollpunkt zu meistern. Basel. Basel gehört nicht unbedingt zu den Traumzielen meiner Tour. Daher suche ich nach einer effektiven Vermeidungsstrategie. Westlich an Basel vorbei fahrend würde ich im Jura landen. Landschaftlich zwar sehr schön, aber mit diversen kleinen Pässen zeitraubend. Die östliche Route ist topographisch sehr viel vorteilhafter, führt mich allerdings möglicherweise zu nah an Hauptverkehrsachsen. Ich riskiere die Ostroute. 

Mit Weil am Rhein, nur wenige Kilometer von Basel entfernt, habe ich einen idealen Ausgangspunkt. Zudem ist Sonntag und mich trägt die Hoffnung, Basel ohne schweres Verkehrsgewusel tangieren zu können. Letztendlich fahre ich sogar mitten durch das Baseler Zentrum und es herrscht fast kein Verkehr. Ich stoße sogar auf ein schönes Altstadtviertel und auf eine noch viel bessere Radwanderwegbeschilderung als in Deutschland. Ich bin begeistert. Und beflügelt.


Vorbildliches Basel


Zügig geht es dem ersten Pass meiner Reise entgegen. Rund 550 zu bewältigende Höhenmetern entsprechen etwa einem ‚halben‘ Alpenpass. Also eine gute Möglichkeit zur ‚Akklimatisation‘. Es läuft ausgesprochen gut, ich freue mich kindisch über die erste Serpentine der Tour und gelange unspektakulär auf den 734 Meter hohen Pass Oberer Hauenstein. Damit überquere ich den östlichen Ausläufer des Juras und fahre hinab ins Aaretal. Die Aare führt mich in die Ebene von Bielersee und Lac du Neuchatel. Ich halte mich südlich der Seen und genieße das Radeln zwischen Juragebirge und den Alpen. Die Landschaft ist lieblich und ich erfreue mich an dem Blick auf das Wasser.

Seit dem Start im Norden Deutschlands bin ich bei Temperaturen um 30°C unterwegs, was mich nicht weiter stört. Aber nun wird es unerträglich schwül. Regenschwangere, düstere Wolken verheißen zudem nichts Gutes. Ich nächtige zwischen den beiden Seen und freue mich auf entspannte 80 Kilometer bis zum Genfer See, zum Einstieg in die Route des Grandes Alpes. Lediglich ein Höhenrücken mit nicht ganz 200 Höhenmetern gilt es zu überwinden. Eine Kleinigkeit.

Dunkle Wolken


Von wegen. Ich starte morgens in dichtem Regen und kämpfe mich gegen einen ungehörigen Starkwind voran. Entspannt ist definitiv anders. Aber jetzt kann mich nichts mehr aufhalten. Ich will zum Ausgangspunkt des Höhepunktes der Tour. Erst kurz vor Lausanne am Nordufer des Genfer Sees setzt der Regen aus. Mit nassen Füssen (bäh) rolle ich durch die Stadt in ausgeprägter Hanglage. Dabei werde ich Zeuge einer Polizeiaktion. Drei mit Velos bewaffnete Polizisten setzen einen zu Fuß Flüchtenden fest. Und zwar derart schneidig und gekonnt, dass es wie einstudiert aussieht. Es handelt sich jedoch nicht um Filmaufnahmen. Respekt! - Ich erreiche den Fähranleger und gönne mir ein Käffchen mit Ausblick auf den imposanten See mit Alpenkulisse.
Ein guter Kaffee ist immer versöhnlich. Dennoch kreisen meine Gedanken um den heutigen Tag. Auch wenn man stark ist, ist man nicht unverwundbar.

Kaffee Pause


Ungünstige Wetterverhältnisse können jede noch so leichte Etappe schwer werden lassen. Ich mag mir kaum vorstellen, was sie wohl mit schweren Etappen anstellen? Die Schnellfähre bringt mich in etwa 1 1/2 Stunden auf die Südseite des Sees, direkt zum Nobelferienort Thonon les Bains.


Von der Nord- auf die Südseite des Genfer Sees


Am Start angekommen....smile.



Nach der Nacht in einem komfortablen Hotel und einem radgerechten Frühstück beginnt der Ritt auf der Route des Grandes Alpes. Ein großer Traum wird zu einem großen Ziel. Und der Termin ist jetzt.  Von nun an geht es entweder bergauf oder bergab. Die Zeit der Ebenen ist endgültig vorbei. Auf den  vor mir liegenden rund 700 Kilometern gilt es die folgenden Pässe zu meistern.


• Col des Gets (1172 m)
• Col de la Colombière (1618 m)
• Col des Aravis (1487 m)
• Col des Saises (1650 m)
• Cormet de Roselend (1967 m)
• Col de l'Iseran (2764 m)
• Col du Télégraph (1566 m)
• Col du Galibier (2642 m)
• Col du Lautaret (2058 m)
• Col d'Izoard (2360 m)
• Col de Vars (2109 m)
• Col de la Cayolle (2326 m)
• Col de Valberg (1673 m)
• Col de la Couillole (1678 m)
• Col Saint-Martin (1500 m)
• Col de Turini (1607 m)
• Col de Castillon (706 m)


Nach dem gestrigen Wetterwarnschuss verfolge ich die Wetterentwicklung noch aufmerksamer als ohnehin schon. Heute lacht mich allerdings erst einmal die Sonne an. Und mit Sonne im Herzen pedaliere ich dem ersten Pass der ‚Route‘ entgegen und dem ersten Pass des Tages.

Während der gesamten Tour verzichte ich auf minutiöse Vorplanung der Tagesetappen. So auch hier. Zu situativ sind die entscheidenden Faktoren, als dass sie sich im Vorfeld bestimmen ließen. Und dies gilt insbesondere für die Bergetappen. Meine Grobplanung findet jeweils am Vorabend statt und die Feinplanung während der Mittagspause des betreffenden Tages. So stelle ich einerseits sicher, die wichtigen und aktuellen Entscheidungsfaktoren zu berücksichtigen und andererseits das Optimum aus den Tagen herauszuholen.

Meine Beine sind gut und ich kurbel die 802 Höhenmeter zum  Col des Gets  derart locker weg, dass ich selber fast ein wenig überrascht bin. Les Gets bildet zusammen mit Morzine und Avoriaz eine Drehscheibe für den Wintersport. Wie ich Laufe der Reise feststellen werde, sind die Franzosen äußerst kreativ und aktiv, um die Orte auch im Sommer attraktiven Sportangeboten zu vermarkten. Durch die Nähe zum Genfer See und zu Genf steppt hier voll der Bär. Das bunte Treiben hält mich jedoch nicht vom Genuss meines ersten Pass-Kaffees ab. Und wie der schmeckt.

Da noch ziemlich viel Tag übrig ist, rolle ich rasant zu Tal und nehme mir vor den 1.618 Meter hohen  Col del la Colombière  wegzuknabbern. Von der absoluten Höhe mag der Pass unspektakulär klingen, aber entscheidend ist natürlich letztendlich der zu bewältigende Höhenunterschied. Und das sind in diesem Fall satte 1.132 Meter. Bei der Tour de France gehört der Pass zur ersten Kategorie. Mehr als zwanzig Mal hat ihn das Peleton überquert. Die etwa 17,5 km lange Nordseite gilt als die schwierigere Auffahrt. Der Bursche hat es definitiv in sich. Der Start ist moderat. Zwischen km 3 und 5 sind im Schnitt 8% Steigung zu bewältigen.

Praktische Informationstafeln


Das Gepäck macht sich allmählich bemerkbar. Dann wird etwas flacher. Bei langsamer Fahrt verschnaufen und Beine lockern. Zum Ende hin scheint die Straße (gefühlt parabelförmig) immer steiler zu werden.

Km 10-13   8% / -km 14  7% / -km 15  9% / -km 16  10% / -km 17,5  11%

Überglücklich stehe ich am Nachmittag auf der Passhöhe. Es ist noch immer warm und nach dem Auswringen meins Sportunterhemdes bleibt auf der Straße eine Pfütze zurück. An meinem ersten Tag auf der Route des Grandes Alpes habe ich bisher 70 km und 1.934 Höhenmeter zurückgelegt. Das wirklich Gute, ich fühle mich weder muskulär noch sonst wie erschöpft. Alles ist gut. Der Masterplan mit der rund 1.400 km langen Einrollphase zum Startpunkt der ‚Route‘ scheint vollends aufzugehen. Ich bin sehr zufrieden. Ich düse noch fünf Kilometer auf der Abfahrt hinab und steige in einem kleinen Hotel ab.
Der Schein des Vortages trügt. Noch bevor ich am Morgen die Augen öffne, höre ich die Sturzbäche des Regens vom Dach laufen. Oh, oh… Es bedarf keiner großen strategischen Überlegungen, um einen Pausentag auszurufen. 

Mit einer extra Portion Muße genieße ich ein ausgiebiges Frühstück. Die Wetterprognose der Tageszeitung hat meinen Entschluss längst bestätigt. Nach elf Tagen im Sattel ist ein Pausentag ebenso wohltuend wie nützlich. Radzeug waschen, Kartenstudium, noch einen Kaffe und noch mehr entspannen. Wie herrlich. Weniger entspannend sind jedoch die Wetteraussichten. Morgen soll es zwar moderat sein, aber tendenziell wird das Wetter kälter und nasser. Die Schneefallgrenze tendiert gegen 2.300 m. Ich stelle mir die Frage, wie lange das Wetter anhalten wird. Vor mir liegen noch drei ‚strategische‘ Pässe, die den Zugang zum Mittelmeer verwehren könnten. Der I’Iseran 2.764 m hoch, der Galibier 2.645 m hoch und der Izoard mit 2.360 m Höhe.

Pausen-, Schreib- und Planungstag


Ich verbringe den Nachmittag mit Routentüftelei und Kartenpräparation. Da die Schriftgröße ebenso kleinteilig detailiert ist, wie das ansonsten hervorragend inhaltsstarke Layout der Michelin Karten, schreibe ich die wichtigen Höhenangaben in für mich (ohne Brille) lesbaren Zahlen in die Karten. Der nächste Tag beginnt nicht gerade verheißungsvoll. Aber immerhin ist es nur Nieselregen, der sich aus den Wolken löst und kein Starkregen.



Als Radler auf Tour freue ich mich auch über die kleinen Dinge des Lebens. Dennoch ist die zunächst anstehende Abfahrt unangenehm. Es ist unheimlich kalt und die Muskulatur hat keine Chance auf Betriebstemperatur zu kommen. Gefühlt erreiche ich La Clusaz als Eiszapfen.


Auf zum nächsten Pass


Erst auf der handigen Anfahrt zum  Col des Aravis  werden die Lebensgeister wieder erweckt. 450 m weiter oben auf der Passhöhe bin ich dann auch wieder rundum aufgeheizt. Natürlich wird es auf der folgenden Abfahrt wieder empfindlich kalt. Die 730 Höhenmeter zum Col des Saisies fordern deutlich mehr Einsatz. Es ist kälter und härter. Wenigstens ist es trocken.

Ich bin in guter Gesellschaft unterwegs und treffe zahlreiche Radler. Rennradler, Tourenradler und Renntourer mit leichtem Gepäck, die zumeist ebenfalls auf der Route des Grandes Alpes unterwegs sind. Auf dem  Col des Saisies  steht passender Weise ein alte Kapelle mit der Inschrift ‘SAINTE ANNE PROTEGEZ LES VOYAGEURS‘.


Das können wir gut gebrauchen. Wir Radler der ‚Route‘ stehen mit aktuellen Wetterinformationen und Straßenkarten in der Hand zusammen und beratschlagen die Situation. Die Schneefallgrenze soll weiter auf 2.200 m sinken. Wir befinden uns direkt vor einer wichtigen Schlüsselstelle. Spätestens am Fuße der folgenden Abfahrt gilt es zu entscheiden, ob man das Massif de la Vanoise östlich oder westlich umfährt. Östlich steuert man auf den l’Iseran zu, also geradewegs in den Schnee. Dabei ist unklar, wie lange die Sackgassen-Situation anhalten und der l’Iseran wieder passierbar wird. Westlich erlaubt der Madeleine eine offizielle Variante der Route des Grandes Alpes einzuschlagen und die Tour unmittelbar fortzusetzen.

Wettervorhersage einer aktuellen Anzeige in einem Ort.

Tendency for Friday 15th:
Mostly cloudly with showers possible (rain/snow limit: 2.200 m).
Cool weather.


Somit machen sich die Radler tröpfchenweise in Richtung Madeleine auf. Über die nächsten Tage treffen wir uns immer mal irgendwo wieder. Ein schönes Gefühl. Es ist ein bisschen wie ‚unterwegs zu Hause‘ zu sein.

Bevor es bei mir weiter geht, wende ich mich noch einmal der Kapelle zu. Obwohl ich als rationaler und aufgeklärter moderner Mensch so was von ungläubig bin, trete ich nachdenklich ein. Vielleicht wird man doch etwas wunderlich, wenn man derart den Naturgewalten ausgesetzt ist. Jedenfalls gehe ich in mich und nehme ich den Moment der Stille an. Und ich entzünde zwei Kerzen. (Was ich in der Form wohl noch nie in meinem Leben getan habe.) Es kann ja nicht schaden. Und wenn es nicht schadet, nützt es ja vielleicht. (Anmerkung : Mit dem Stand von Januar 2015 muss ich sagen, es scheint zu nützen...)


Danach versuche ich dem Einstieg zum Madeleine möglichst nahe zu kommen, um für den nächsten Tag eine gute Ausgangsbasis einnehmen zu können. Über Albertville gelange ich ins Isère Tal und fahre einem der größten Wintersportgebiete der Alpen entgegen. Die Steigung ist kaum spürbar. Allerdings bekomme ich zu spüren, dass dieses Tal in erster Linie eine Zubringerfunktion für die Ferienorte hat. Bis auf die Verkehrsadern ist es nahezu frei von Infrastruktur. So bin ich äußerst froh, nach zwei Pässen und 105 Kilometern eine passable Unterkunft zu finden, die zudem nur vier Kilometer vom Einstieg zum Madeleine entfernt ist.

Morgens bin ich für gerade diese vier Einrollkilometer mehr als dankbar. Aus dem Isère Tal führt der Weg auf den ersten vier Kilometern über durchschnittliche Steigungen von 8%, 8%, 9% und 8%. Und wie bereits beschrieben ist das Ganze mit steilen Rampen gespickt.


Dennoch entschädigt der  Col de la Madeleine  für die Anstrengung. Er hat alles, was einen ‚richtigen‘ Pass ausmacht. Er ist irgendwie authentisch. Schmale Straße, unten dichte Wälder, dann vereinzelte Almen und alpine Landschaft um die Passhöhe. Wenig besiedelt, wenig befahren und ganz viel Ausstrahlung mit all den großen Namen des Profipelotons, die auf die Straße gepinselt sind. Ein großartiges Erlebnis.


Am Col de la Madeleine






Die letzten zehn der insgesamt fünfundzwanzig Kilometer fahre ich regenfrei. Trotz der Kälte eine echte Wohltat. Beim Erreichen der Passhöhe atme ich tief durch. Ein gutes Gefühl macht sich breit. Es ist gut diesen Klassiker geschafft zu haben und es ist gut ein strategisch wichtiges Stück weiter gekommen zu sein. Bevor ich mich auf die kurvenreiche und spannende Abfahrt konzentriere, widme ich im Hospiz meine ganze Aufmerksamkeit einem Kaffee mitsamt äußerst schmackhaftem Kuchen. Just mit dem Start der Abfahrt setzt wieder Regen ein. Als Radreisender hat man es auch nicht immer einfach. Aber nach dem heutigen Tag kann mich das nicht wirklich schocken.

Immerhin erreiche ich das französische Radsportmekka St. Jean de Maurienne im Sonnenschein und finde ad hoc eine durchschnittliche Unterkunft mit überdurchschnittlich gutem Essen. Das ist auch gut so, denn am nächsten Tag steht die Königsetappe an. Seit drei Fahrtagen bin ich nun auf der ‚Route‘ unterwegs. Obwohl ich mit dem Fortschritt sehr zufrieden bin, muss ich zugeben, dass mich der Blick auf die Übersichtskarte dennoch beeindruckt. Da lauern noch einige tausend Höhenmeter.

Karte und Streckenprofil

2.261 davon erwarten mich gleich nach dem Frühstück. Die Königsetappe ist schon rein zahlentechnisch imposant. Bis zur Passhöhe des Galibiers sind es fast 50 Kilometer. Etwa auf der Hälfte der Strecke stellt sich mir zunächst der  Col du Télégraph  in den Weg. Bis dahin sind die ersten 1.016 Höhenmeter fällig. Nach einer kurzen Abfahrt über 160 Höhenmeter warten die nächsten 1.245 bis zum Scheitelpunkt des Galibiers. Der ist gleichzeitig auch ein Wendepunkt im Tourverlauf. Mit der Passage des 2.642 m hohen Galibiers werde ich vom dem Damoklesschwert nicht passierbarer verschneiter Pässe befreit sein. Das ist eine zusätzliche Motivation.


Wieder im Sonnenschein


Die Sonne begleitet mich auf dem Weg in die Höhe. Ich achte auf meinen Rhythmus und lege ihn für einen langen Bergtag aus. Natürlich braucht es eine gute physische Vorbereitung. Aber die alleine ist noch keine Garantie. Man muss schon gut in sich hineinhorchen können und das Tempo/den Kraftaufwand wohl dosieren.

Zur Mittagszeit liegt der Télégraph bereits hinter mir und ich gönne mir in dem netten Örtchen Valloire eine Pause zur Kohlehydratzufuhr. Es wimmelt quasi vor Radfahrern und so treffe ich auch bekannte Gesichter aus der Runde am Aravis wieder.
Heißsporne (ohne Gepäck) können die Auffahrt zum  Col du Galibier  mit einer öffentlichen Zeitnahme absolvieren. Vielleicht beim nächsten Mal, schmunzel ich in mich hinein. Frankreich ist eben eine große Radsportnation.


Der Galibier ist wahrhaftig einer der Großen. Vor mir liegen 25 Kilometer karger, alpiner Landschaft. Immer wieder wirkt es herausfordern und bedrohlich zugleich, wenn ich weit über mir kleine, bunte Radfahrameisen steile Rampen hochkriechen sehe. Das erzeugt noch mehr Gänsehaut, als es die sinkende Temperatur und der äußerst scharfe Wind eh schon tun. Das hier ist großes Kino.


Am Galibier













Die zweite Hälfte der Passstraße hat es wirklich in sich. Ich bin froh mir die Kräfte richtig eingeteilt zu haben. Nach einer absolut faszinierenden Auffahrt stehe ich am frühen Nachmittag in 2.642 m Höhe auf dem Col de Galibiers. Obwohl es im starken Wind bitterkalt ist, genieße ich den Augenblick ausgiebig. Eine großartige Fahrt auf einen großen Pass. Mir fällt die Last unberechenbarer Wetterkapriolen von der Schulter. Gewissermaßen folgt jetzt die Kür, auch wenn noch neun Pässe vor mir liegen.

Zu mindestens der nächste Pass ist "geschenkt". Der 2.058 m hohe  Col du Lautaret  liegt nämlich quasi auf der Abfahrt des Galibiers und kostet keinen Höhenmeter extra. Ich finde das habe ich mir auch verdient und gönne mir eine ausgiebige windgeschützte Pause in herrlich wärmender Sonne.



Auf dem anschließenden Weg in Richtung Briancon versuche ich in dem belebten Ferienort La Salle-les-Alpes ein Quartier zu suchen. Ich reise gerne mit geringem Organisationsgrad und einem absoluten Minimum an telekommunikativer Technik (Kabeln und Ladegeräten). Somit gebe ich dem Zufall eine Chance und räume mir die Freiheit situativer Entscheidungen ein. Es wäre ein leichtes per Smartphone und www mittags eine sichere Unterkunft für abends zu buchen. Ich riskiere dagegen lieber die Unsicherheit und entscheide vor Ort. Niemals wäre ich sonst im "Chalet des Touristes" von Marie Noelle und Vincent gelandet.

Charmant, stilvoll und authentisch ist diese kleine familiäre Unterkunft. Vincent war als Bergführer im Himalaya aktiv und Marie Noelle hat Nepal bereist. Einen regulären Restaurantbetrieb gibt es (zum Glück) nicht und so zaubert mir Marie Noelle ein Essen aus der eigenen Küche. Und das ist der Hammer. Eine Forelle aus einem nahe gelegen Gebirgsbach, heimische Kräuter sowie Salatzutaten und einen Dessert, der in einem regulären Hotel als Familienportion durchgegangen wäre.

Merci Marie Noelle

Wir sitzen noch zusammen und plaudern aus dem Leben. Das ist Reisen. Was für ein Tag. Später gesellt sich noch ein Leipziger Rentnerpaar hinzu. Sie bereisen die ‚Route‘ per Auto und berichten von Schneesturm am l’Iseran und geschlossener Passhöhe am Galibier. Sie querten den Galibier heute vormittag und waren gezwungen auf den schmalen Einwegtunnel unterhalb der Passhöhe auszuweichen, da der Pass wegen Vereisung geschlossen war. Puh…‘alles richtig gemacht‘ geht es mit durch den Kopf und total zufrieden sinke ich später in die Daunen meines Nepal-Zimmers.


Sie haben ihr Ziel erreicht

Natürlich ist das Ziel noch lange nicht erreicht, wie der abendliche Blick in die Übersichtskarte verrät. Aber ich bin angesichts des lockenden mediterran geprägten Wetters und meiner deutlichen Annäherung ans Mittelmeer locker beschwingt.
Diese Stimmung nehme ich mit auf den Anstieg zum  Col d’Izoard.  Der Aufstieg fällt mir leicht. Insgesamt ist der Izoard recht handig. Lediglich am Anfang des letzten Drittels ist er vorübergehend etwas bissiger. Dort führen aufregende Serpentinen durch eine alpine Felslandschaft.

Am Izoard






Die Abfahrt führt durch die trockenen und bizarren Felstrümmer der Casse Deserte. Obwohl der Izoard nicht extrem ist, belegen zahlreiche Mythen seine Bedeutung bei der Tour de France. Daher finden sich hier in der Casse Deserte zwei Gedenktafeln für Fausto Coppi und Louison Bobet. Obwohl Italiener, wird Coppi auch heute noch von französischen Radsportfans verehrt, was in Frankreich nicht gerade vielen ausländischen Radsportstars vergönnt ist.



Durch einen tief eingeschnittenen Canyon versuche ich zu Tal zu rauschen. Allerdings weht mir ein derart starker Gegenwind entgegen, dass ich nicht von dem kleinen auf’s große Kettenblatt schalten kann. Und das bergab. Nach dem knackigen gestrigen Tag gönne ich mir recht früh ein Quartier und einen völlig entspannten Nachmittag mit einem Spaziergang durch den Ort und die nähere Umgebung.



Welche Wonne morgens aufzustehen und sich des guten Wetters sicher zu sein. Ein Paradies für den Radreisenden. Ich starte ohne festes Tagesziel, lasse es einfach rollen und schaue wie weit ich gelange. Die 1.100 Höhenmeter des  Col de Vars  (2.109 m) sind unspektakulär. Lediglich zum Ende hin, verlangt er etwas mehr Einsatz. Weniger Einsatz aber eine spektakuläre Landschaft bietet der  Col de la Cayolle  (2.326 m). die fast 1.200 Höhenmeter verteilen sich über einen langen Weg und sind keineswegs beschwerlich. Dafür fahre ich durch eine märchenhafte Landschaft von Schluchten. Die Straße ist nicht breiter als ein asphaltierter Wirtschaftsweg in Schleswig-Holstein. Ich lasse mich völlig von der Szenerie verzaubern.






Insgesamt hat sich die Landschaft nun stark gewandelt. Die saftig grüne Westalpenlandschaft liegt hinter mir und es wird immer trockener. Ferner nimmt die Bevölkerungsdichte ab und der Tourismus ist längst nicht mehr so präsent. Daher achte ich penibel darauf die Bidons (Fahrradflaschen) immer rechtzeitig zu füllen.

Die Täler sind oft sehr stark V-förmig in den Fels erodiert. In den Flussbetten zeugen massive Gesteinsblöcke von der Kraft des Wassers zur Zeit der Schneeschmelze. Abschnittsweise ist das fast etwas unheimlich und auch wirklich einsam.  Mit einiger Straßenbaukunst ist manchmal im Tal noch so eben eine Trasse untergebracht worden. Mehr aber auch nicht. Besiedlungsfähig sind die Täler nur eingeschränkt. Ortschaften liegen daher eher halbhoch an Hängen oder gleich auf den Sätteln von Pässen.


Nach 100 km und 2.300 Höhenmetern lande ich in einem kleinen alten Garnisonsdorf. Da es bis zum Abendessen noch Zeit ist, erstehe ich in der Dorfbackstube einen Kanten frischen Brotes, den ich während des Rundganges durch das Dorf auch direkt wegfuttere. Kaum zu glauben wie schmackhaft einfaches Brot sein kann. Ich genieße die Abgeschiedenheit und Ruhe dieses Dorfes in den französischen Alpes Maritimes.

Noch trennen mich zwar fünf Pässe von Menton, dem Endpunkt der Route des Grandes Alpes am Mittelmeer, aber so wie es läuft, werden es definitiv nicht mehr viele Fahrtage werden. Die Vorstellung von Côte D’Azur Trubel erscheint mir hier ebenso weit weg wie der Mond.

Ohne besondere Eile starte ich in den nächsten Tag. Das erste Ziel ist  Valberg, ein überschaubarer Ferienort direkt auf der Passhöhe. Der Einstieg ist sportiv, aber ansonsten ist die Strecken angenehm zu fahren. Nach einer kurzen Abfahrt geht es noch einmal rund 240 m bergauf und ich stehe auf dem  Col de la Couillole. Zwar habe ich bereits 1.100 Höhenmeter auf der Uhr, aber es ist noch viel zu früh, um den Tag zu beenden. Also ab die Post ins Tal. Der einzige Ort ist rumpelig zwischen Straße und Berghang gepresst und es gibt weder ein festes Quartier, noch einen Campingplatz.
Also versuche ich weiterhin mein Glück und folge dem Fluss talabwärts. Und eben dieses Tal ist eines der vorher beschriebenen. Unwirtlich, öde und unbesiedelt. Auf 450 m Höhe stoße ich auf den Abzweig zum Col St. Martin.


Entweder schlafe ich hier im Stehen oder ich versuche es im nächsten Ort am Berg auf 997 m Höhe. In La Boline wäre wohl was zu machen gewesen. Da es jedoch noch immer gut rollt, setze ich meinen Weg fort. Nach insgesamt 90 km und 2.200 Höhenmetern erreiche nach der Passabfahrt St.Martin-Vesubie. Ein hübscher Ort, der glücklicherweise über einen Campingplatz verfügt. Wegen eines Musikfestivals sind alle Unterkünfte belegt. Während ich im kuscheligen Schlafsack so dahin dämmere, staune ich selbst darüber, wie gut sich mein Körper auf die Anforderungen einstellt und es mir trotz des Gepäcks ermöglicht, relativ lange Strecken und beachtliche Höhenunterschiede in diesem Terrain zurückzulegen. Von wohligen Gefühlen umwoben schlummer ich mit dem Rauschen des Flusses ein.

"Nur 70 Kilometer bis Menton!" , geht es mir beim morgendlichen Erwachen durch den Kopf. Auch wenn noch ein veritabler und ein halber Pass dazwischen liegt, ist klar, dass ich das auf einer Backe absitzen kann. Vorher gilt es jedoch bei noch anhaltender Feuchte der Nacht den molligen Schlafsack zu verlassen und in die nicht minder feuchte Radbekleidung zu steigen. Der Salzgehalt in den Klamotten ist derart hoch, dass sie unter diesen Umständen keines falls trocken sein können. Der letzte Waschtag liegt ja auch bereits sieben Tage zurück. Egal, dann werden die Sachen eben mit Körperwärme trocken gefahren. Das Anziehen bleibt  unangenehm und erinnert an frühere Touren, auf denen ich keine Alternative zum Zelten hatte. 'Also ein echtes Retro-Gefühl. Und das ist ja voll angesagt', grinse ich innerlich vor mich hin.

Der  Col de Turini  ist mit einem guten Kilometer Höhenunterschied ein würdiger Abschluss. Er ist schmal, wenig befahren und kunstvoll an den Berg geflanscht. Eine Kurve folgt der nächsten. Hinter jeder Biegung gibt es eine neue fantastische Aussicht.


Ich bin fast betrunken vor Kurven und taufe den Pass für mich ‚Col de Curvini‘. Die Abfahrt ist nicht weniger spannend und verlangt viel Aufmerksamkeit für die richtigen Bremspunkte. Das Asphaltband ist ausgesprochen schmal und verzeiht kaum ein Verlassen der idealen Linie. Die Straßenbegrenzungseinrichtungen befinden sich, so überhaupt vorhanden, in der offenbar bewährten Höhe von höchstens 30 Zentimetern.








Die final zu erklimmenden 360 Meter zum Scheitel des  Col de Castillon  (706 m) fallen nicht mehr ins Gewicht. Überhaupt führt der Castillon angesicht der atemberaubenden Pässe der letzten 700 Kilometer ein totales Schattendasein. Nur die sich ebenfalls in dieser Höhe befindlichen Nieselregewolken erinnern daran, dass ich mich noch immer in den Bergen befinde.



Der letzte Pass der Route des Grandes Alps

Dadurch kommt hinsichtlich des Wetters am Mittelmeer eine gewisse Skepsis auf. Ich begebe mich auf die flotte Abfahrt ans Meer. Das Wetter ändert sich erst auf den letzten fünf Kilometern. Und zwar schlagartig. Und ebenso plötzlich stehe ich am blauen Mittelmeer, im gleißenden Sonnenlicht.



Eine Tour mit vielen Facetten,

vom Mare Balticum bis ans Mare Mediterranean.
Eine Tour zwischen den Meeren.

 

 




Leichtes Leben an der Küste

Nach 16½ Fahrtagen, 2.020 Kilometern und etwa 14.000 Höhenmetern habe ich das Mittelmeer erreicht. Mir stehen nun noch vier ganze Tage zur Verfügung, bevor mich tags darauf ein Flieger wieder in den Norden katapultieren wird.


Verglichen mit der Beschaulichkeit der Berge ist das hier natürlich schon ein kleiner Kulturschock. Aber ich lasse es langsam angehen und gewöhne mich schnell an die neue Umgebung. Ich habe es aus alter Erinnerung heraus schlimmer erwartet und bin letztendlich sogar angenehm überrascht, dass es doch gar nicht so schlimm hektisch zugeht.

Vielleicht ist dies ein wenig das Geheimnis der Côte d'Azur. Trotz Luxus, Pomp und Schick, fühlt sich alles völlig lässig und ungezwungen an. Ich könnte es hier wohl länger aushalten.

Menton

Für zwei Nächte bleibe ich für neun Euro auf dem gemütlichen Campingplatz in Menton. Die Straße dort hinauf ist derart steil und eng, dass Wohnwagen und –mobile keine Chance haben den Platz zu erreichen. Somit treffen sich dort ausschließlich ‚Camper‘, die in Zelten schlafen. In dem zugehörigen Freiluftbistro sitze ich abends über den Dächern von Menton mit anderen Zweiradreisenden bei gutem Wein zusammen. Motorradreisende aus Deutschland berichten mir, dass dort seit Tagen sintflutartig regnet. Es lebe die Côte d'Azur.


Ausblick von der Camping Gastronomie

Intensiver komme ich mit einem jüngeren Amerikaner ins Gepräch, der nach seinem Universitäts-Studium nun per Fahrrad etwas Europa studieren will. Lange philosophieren wir bei noch mehr gutem Wein über die Welt, das Leben und die Zukunft.
Nach einem absolut faulen Tag in Menton packe ich die Satteltaschen und rolle gemütlich an der Küste entlang. Über Monaco und Cap Ferrrat gelange ich nach Nizza, wo ich vorab für drei Nächte ein Hotel gebucht habe. Dies liegt strategisch optimiert zwischen Flughafen, zu Fuß Entfernung zum Strand und Erreichbarkeit des Fahrradgeschäftes, wo ich den online bestellten Transportsack für das Rad abholen werde.


Alter Stadthafen Nizza


Ich genieße die verbleibende Zeit und tingele mit dem Rad an der Küste zwischen Cap Ferrat und dem Cap d’Antibes entlang. Ein Abstecher ins Hinterland zum In-Treff der Rennradler schlechthin, dem Cafe du Cycliste, ist leider erfolglos, da der Betreiber derzeit im Urlaub ist. Wie schade, denn die Rampe dort hinauf verzeichnete die meisten Steigungsprozente der gesamten Tour.


Es ist ideal die Küste mit dem Rad zu erkunden. Ich komme überall hin, bin flexibel und kann anhalten wo es mir beliebt. Dadurch gibt es für mich ganz viel zu entdecken. Vor allem auch die beschaulichen ruhigen Buchten und Küstenabschnitte, die im krassen Gegensatz zum dem bunten Treiben an den bewirtschafteten Stränden stehen.
Verschwenderische Blumenpracht, die ihr Pendant in der Architektur findet, Trubel, Luxus, Schickeria, kosmopolitischer Jet-Set und Überbleibsel der Belle Epoque finden sich ebenso wie ruhige Buchten an den Caps (die öffentlich zugänglich bleiben), Nebenerwerbsfischer, mehr oder weniger erfolgreiche Lebenskünstler, überhaupt interessante Menschen, auf Starrgang spezialisierte Fahrradhändler und vieles mehr, was sich herrlich bei dem ein oder anderen Kaffee beobachten lässt

Einige von vielen Impressionen








Man beachte den Hund auf der linken Gepäckträgerseite






Und dass ein sehr ordentlich gebauter Latte Macchiato im Yachthafen von Monaco dann auch schon für 3,50 Euro zu haben ist, erstaunt mich fast ein wenig.




Noch erstaunlicher sind die enormen Motor- und Segelyachten. Sie werden ausnahmslos von professionellen Crews gefahren. Ich bleibe auf dem roten Teppich vor einer unglaublich langen und schnittigen Segelyacht stehen. Der Zutritt zur Gangway wird von einem breitschultrigen Crewmitglied mit (Telefon-)Knopf im Ohr bewacht. Ich komme mit ihm ins Gespräch und er merkt mir offenbar das Erstaunen über die Yacht an. Er holt etwas aus und stellt mir nicht ohne ein gehöriges Maß Angeberei das außerordentliche Potenzial der Yacht vor. Mit ihr könne man überall hin segeln… - Ich höre interessiert zu und gebe ihm anschließend zu bedenken, dass mein Fahrrad auch überall hinführe. Und zwar dahin wo ICH hin will. Er schaut mich zunächst ernst an, muss dann aber schmunzeln, verdreht die Augen und gibt schließlich zu – Ja das stimmt…


UND ER HAT RECHT.

Vive la liberté.





Epilog

drei

zwei

eins

weg

Und ab in den Flieger nach Hamburg.



Text und Fotos Andreas Thier 08/2014