Grisocomodo
  Motor-Rad-Reisen

Nordkap 2012

Reminiszenz 1984


Prolog


Der Kühlergrill des Lkw‘s füllt die Fläche beider Rückspiegel. Der Scania fährt derart dicht auf, dass ich nicht einmal mehr das Nummernschild im Blickfeld des Spiegels erkennen kann. Als wäre dies der Dramatik nicht genug, wirkt die Anordnung der weißen Kühlerquerstreben vor dem roten Steinschlag-Schutzgitter wie der Schlund eines riesigen Hais.

Unter normalen Umständen hat selbst ein Scania Truck nicht wirklich eine Chance mich auf meiner Griso vor sich her zu treiben. Aber ich befinde mich in Norwegen etwa 100 Kilometer südlich des Polarkreises, die Straße schlängelt sich unübersichtlich in die Hochebene eines Fjells und vor mir schleicht ängstlich ein Wohnmobilist dahin.

Die nächste Linkskurve ist meine und engagiert ziehe ich innen an der überdachten, rollbaren Schlafcouch vorbei. In der Folge verzichte ich auf einige ansprechende Fotomotive. Garantiert würden die beiden Experten an mir vorbeiziehen und ich dürfte mich dann wieder hinten anstellen. Nein, ich genieße in dieser fantastischen Landschaft lieber den freien Blick vor dem Visier.



Es ist der 17. Juli 2012. Tante Grisolde hat etwas über 110.000 Kilometer auf dem Buckel und ich bin aktuell seit rund 2.000 Kilometern wieder unterwegs. Ich fühle mich bereits ganz schön weit nördlich, was ich zwar faktisch auch bin, aber trotzdem liegen noch über 1.100 Kilometer vor mir bis ich das Nordkap erreiche. (Und nach Hause geht es ja anschließend auch wieder.)


Wie alles begann

Sollte es so etwas wie eine genetische Reisedisposition geben, bin ich mit Sicherheit davon befallen. Als junger Pfadfinder war ich naturgemäß auch Mitglied beim Deutschen Jugendherbergswerk e.V.. Mit größter Faszination habe ich immer die regelmäßige Publikation studiert, ein kleines Heftchen, 11x18 cm im Format und etwa fünfzig Seiten stark. Der völlig un-anglo-amerikanische Titel war ebenso schlicht wie treffend : „unterwegs“, Berichte aus Fahrten- und Tagebüchern.


Eine Ausgabe aus der zweiten Hälfte der Siebzieger steht noch heute in meinem Regal. Der Bericht „Ein unternehmungslustiges Mädchen namens ANNA…“ traf damals sofort ins Herz. Die Schweizerin Anna Wenger hat mit ihrem Fahrrad in 5 Monaten 14.116 km zurückgelegt und dabei sowohl das Nordkap als auch Gibraltar und Tarifa angesteuert. Auf dem Titelbild des Berichtes hockt sie neben ihrem filigranen Rennrad vor einem Schild in der Sierra Nevada „Altitud 3.380 m SNM“. Auf der rechten Seite ist ihre Europakarte mit der beeindruckenden Route zu sehen.


Ohne direkt sagen zu können, was genau die Lektüre ausgelöst hat, formierte sich innerlich das Ziel, den nördlichen Teil dieser Reise selber mit dem Fahrrad zu absolvieren. Noch heute bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich den Bericht sehe. Es war definitiv einer der wahren magischen Momente des Lebens.


Ich war unglaublich glücklich als mir meine Eltern das erste Rennsportrad schenkten. Unermüdlich erforschte ich mit stetig wachsendem Radius die Umgebung. Im Alter von15 Jahren folgte die erste große eigenständige Tour. Mit einem Freund ging es per Fahrrad, Schlafsack und Zelt für drei Wochen rund durch die Niederlande.


Spätestens auf dieser Tour manifestierte sich die Gewissheit - ja es geht! Wenn man gut trainiert ist, genügend Zeit und Geld hat, kann man mit dem Fahrrad überall hinfahren. Und somit eben auch ans Nordkap. Mit diesem wahnsinnig innigen Freiheitsgefühl steuerte ich in den folgenden Jahren alle Aktivitäten auf die Realisierung dieses Traumes hin.



Am 09.06.1984 war es dann soweit. Just nach der letzten Abitur-Prüfung fiel der Startschuss. Bestanden hatte ich, soviel war klar und die Noten waren gut genug um keinen GAU befürchten zu müssen. Die offizielle Entlassung war mir völlig gleichgültig. Auf salbungsvolle Reden halbhohler Lehrkörper hatte ich eh keinen Bock. Umgehend habe ich mich in den Sattel geschwungen und zum Zeitpunkt der Abschlussfeier war ich längst auf dem Weg nach Norwegen.



Nach 4.049 km erreichte ich am 15.07.1984 das Nordkap. Trotz anderer atemraubender Touren war das in gewisser Hinsicht die Tour des Lebens, gerade auch vor dem Hintergrund des damals anstehenden neuen Lebensabschnittes und der damit verbundenen Träume und Vorstellungen für die Zukunft und dem eigenen Platz in der Welt… - Grund genug noch einmal dort hin zu fahren und vielleicht einiges Revue passieren zu lassen.




Wieder Richtung Norden

Im Juli 2012 richte ich den Lenker meiner Griso nach Norden. Das Zeitfenster beträgt leider keine drei Monate, wie es 1984 der Fall war. Aber dafür erfolgt der Antrieb vergleichsweise einfach, durch das Drehen des Gasgriffes. Eine feste Route habe ich (mal wieder) nicht geplant. Aber ich beabsichtige eine Kombination von "damaligen" und neuen Strecken zu fahren.


Von Süd nach Nord

Im Gegensatz zu 1984 starte ich nicht im Ruhrgebiet, sondern im nördlichen Schleswig-Holstein. Gemütlich cruise ich durch Jütland zum Fährhafen Hirtshals und freue mich wieder unterwegs zu sein. Die Überfahrt nach Kristiansand ist kurzweilig. Immer wieder ergeben sich interessante Gespräche mit anderen Passagieren. So schwärmt zum Beispiel Familienvater Michael von seiner XT 500 Nordkap Tour, Ende der achtziger Jahre.


Die Ironie der Überfahrt mit der Color Line „Schnell“fähre liegt darin, dass es im Hafen von Kristiansand eineinhalb Stunden dauert, bis sich die Bugklappe zum Öffnen überreden lässt. Vielleicht ist das der Tribut an den heutigen Freitag, den 13. Wenn es denn dabei bleibt, soll es mir recht sein.



Ich folge der Küstenlinie westwärts und steuere Kap Lindenes, den südlichsten Punkt Norwegens, an. Der Seeweg entlang der Küste hat für das gebirgige Norwegen schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Hier am Kap Lindenes traf der Küstenverkehr die Überseeverbindungen. Die Gewässer um das Kap sind berüchtigt für den starken Seegang, der entsteht, wenn Küstenströmungen von Ost auf Wellensysteme aus West treffen. 1656 wurde daher Norwegens erstes Leuchtfeuer auf Lindenes gezündet. 1725 kam ein zweites Feuer dazu, um Verwechslungen mit dem dänischen Leuchtfeuer in Skagen zu vermeiden. Man mag erahnen, wie leicht und sicher wir es heute durch die Genauigkeit der GPS-Navigation haben.



Ich folge meiner analogen Karte im Klarsichtdeckel des Tankrucks und halte mich möglichst dicht an der Küste. Belohnt werde ich mit kleinen Gebirgsstraßen, die direkt über dem Meer und den Fjorden entlangführen. Gerade die kleinen Straßen liefern eine große Kulisse. Das Kurvenfahren ist phantastisch, fast schon berauschend.



Ich fühle mich bereits wie auf einem anderen Kontinent. Dabei bin ich nur eineinhalb Tagesetappen von zu Hause entfernt. Weit vor Stavanger wird die Küste überraschender weise flach und weist sogar einen Dünengürtel auf.  



Stavanger ist die Ölstadt Norwegens. Imposante Schiffe und Arbeitsgeräte vermitteln einen kleinen Eindruck über die mitunter harte Arbeit auf See. Am Hafen befindet sich ein sehr informatives Museum zu diesem Thema. Mich zieht es weiter in die Berge. Dank moderner, bis zu 7,4 km langer, Tunnel komme ich rasch weiter nach Norden.



In den folgenden Tagen passiere ich die Hochebene der Hardanger Vidda, den Gletscher Jostedalsbreen, den wohl meist fotografiertesten Fjord der Welt, den Geiranger Fjord und den Atlantic Highway zwischen Molde und Kristiansund.




Die Erlebnisdichte auf diesem Reiseabschnitt wäre fast einen eigenen Bericht wert. In jedem Fall geht es immer sportlich zu. Ich mag und genieße den Kurvenswing der schmalen und fahrtechnisch anspruchsvollen Bergstraßen. Auch wenn es nicht ums Schnellfahren geht, so zaubert doch eine gut gefahrene Linie in einer Serpentinenkombination ein breites Grinsen unter den Helm. Die Witterung ist nicht weniger sportlich. Die Temperaturen liegen zwischen 4 und 10 Grad und der Regen sorgt dafür, dass es garantiert nicht staubt.



An der ein oder anderen Stelle werden Erinnerungen an meine Radtour von 1984 wach. Aber beim Fahren finde ich mich eindeutig in der Konzentration auf die Gegenwart wieder. Das ändert sich erst als ich in die Nähe von Geiranger komme. Damals wie heute fasziniert mich die raue hochalpine Umgebung und das Fahren durch die Schneelandschaft. Spätestens ab der Auffahrt zum Trollstigen bekomme ich dann die Vergangenheit und die Gegenwart zur Deckung und kann die Gedanken entsprechend durch die Parallelwelten schweifen lassen.


Trollstigen 1984


Trollstigen 2012   (oberhalb der Position von 1984)


Auch gegenwärtig herrscht der Eindruck einer kalten, dunklen und abgeschiedenen Passstraße vor, die ihre Bezeichnung völlig zu Recht trägt. Ein plötzlich auftauchender Troll wäre keineswegs verwunderlich. Vor achtundzwanzig Jahren bestand die Südseite des Trollstigens allerdings noch aus einer Naturstraße. Das war eine ganz andere Nummer. Die Nordseite wurde just zu dieser Zeit asphaltiert. 

Ich hätte damals echt heulen können. Während der Abfahrt lagerten sich frische, klebrige Teerklumpen an den verschiedensten Stellen des Rahmens ab. In Andalsnes besorgte ich mir eine Flasche Waschbenzin und habe den Nachmittag damit verbracht mein perlmuttweißes Rennrad wieder in einem würdigen Glanz erscheinen zu lassen. Unter dem Tretlagergehäuse ist noch heute der Schatten des frischen Teers von der Trollstigen Nordseite erkennbar.



Trotz des aktuellen Regens verbleibe ich einige Zeit unterhalb des Wasserfalls der Passstraße und lasse die Vergangenheit aufleben.


Über Andalsnes und Molde gelange ich zum Atlantic Highway. Nach all den bergigen und kurvigen Küstenstraßen finde ich diesen Streckenabschnitt allerdings nicht sonderlich bemerkenswert. Da liegen bereits weitaus aufregendere Strecken hinter mir. Etwas enttäuscht setze ich meinen Weg in Richtung Trondheim fort.


Nördlich von Trondheim bekommt die Landschaft eher einen leicht geschwungenen Mittelgebirgscharakter. Mit den alpinen Gebirgen nehmen auch die technisch anspruchsvollen Passagen ab. Das kommt mir gelegen, denn somit kann ich mich auch endlich unterwegs meinen Gedanken hingeben.


Polarkreis

Nach dem ich also nun rund 100 km südlich des Polarkreises Truck und Wohnmobil hinter mir gelassen habe, genieße ich die freie Sicht voraus und schwinge durch weite Kurven der noch weiteren Fjellkulisse nach Norden. Das ist meine Landschaft, hier fühle ich mich wohl. Frostrisse, Schlaglöcher oder wegbrechende Seitenränder buhlen zwar hin und wieder mit der Landschaft um Aufmerksamkeit, aber insgesamt empfinde ich es jedoch als äußerst entspanntes Fahren. Nichts drückt meine Stimmung besser aus als „Unterwegs zu Hause“ zu sein.


Der Reiserhythmus ist mir wieder so selbstverständlich geworden, dass ich die überschäumende Begeisterung einer älteren Dame aus Kiel über meine Reise fast verwirrend finde. Sie gehört zu zwei Rentnerpaaren aus Kiel, die mit ihren kompakten Wohnmobilen am Kap waren und nun auf Heimatkurs sind. Die gute Frau findet es unglaublich, dass ich alleine mit dem Motorrad so eine „abenteuerliche“ Fahrt wage.
Sie bietet mir heißen Tee an und schmiert einige Butterbrote für mich. Ich bin gerührt vor so viel Freundlichkeit und verwerfe den Gedanken der vollständigen Aufklärung darüber, dass so ein Motorradtrip heutzutage unvergleichlich weniger gewagt ist als vielleicht vor fünfzig Jahren.


Ich persönlich halte dagegen das italienische Paar, welches die Haltebucht ebenfalls für eine Pause nutzt, für weitaus abenteuerlicher. Sie sind mit dem neuen Ducati Multistrada Modell unterwegs. Ich weiß nicht ob ich mich mit soviel Elektronik und High-Tech an Bord so weit weg trauen würde. Aber offenbar scheint es ja zu funktionieren. Sie sind übrigens von der BMW GS zur Multistrada umgestiegen, weil die Kuh zahlreiche wiederkehrende Probleme mit der Elektronik hatte. Es scheint eben alles nur eine Frage des Standpunktes zu sein.


Die Straße durch das Saltfjellet steigt bis auf 630 Meter über dem Meer. Die weitläufige, raue nordische Landschaft ist grandios. Bei 66°33´Nord erreiche ich am späten Nachmittag den nördlichen Polarkreis. Natürlich handelt es sich nur um die imaginäre Linie. Aber es ist auch eine symbolische und Mut machende Linie auf dem Weg nach Norden.


1984 mit dem Rennrad war es ein extrem wichtiger Meilenstein. In dem Jahr war das Wetter sehr nass und kalt. Es bis hierher geschafft zu haben nährte das Gefühl, es auch bis zum Nordkap zu schaffen. Es ist schwer auszudrücken, wie wichtig diese Erfahrung war. Vielleicht kann dies auch nur verstehen, wer selber aus eigener Kraft dorthin pedaliert ist. Die Europakarte vor dem inneren Auge erschien es wie der fast erfüllte Traum, als sei das Überschreiten der Linie der geadelte Eintritt in den „richtigen“ Norden.



Aber es waren noch immer fast 1.100 km bis zum Nordkap. 1.100 km die mit kaum etwas zu vergleichen waren, was ich vorher in meinem Leben gefahren bin. Und trotz meiner jungen Jahre hatte ich durchaus schon etwas von Europa aus dem Fahrradsattel heraus gesehen. Besonders die völlig ungeschützten Strecken im baumlosen, hohen Fjell hatten echtes Verzweiflungspotenzial.  Wenn es stürmte, musste ich sogar bergab in die Pedale treten um überhaupt voran zu kommen…



2012 versuche ich dem Rummel am Kreis zu entgehen. Auch wenn unterwegs die Straßen wenig befahren sind, konzentrieren sich natürlich hier die Nordlandtouristen aufs Engste. Aber der Vorteil des Nordens ist nun einmal, dass es immer genug Platz gibt. Die meisten Menschen tummeln sich eh in der riesig anmutenden Verkaufshalle und an der neuen Polarkreis-Markierung. Ich bevorzuge meinen alten, gegenwärtig wenig beachteten, Meilenstein, setze mich anschließend etwas abseits ins Fjell und lasse die Gedanken fliegen. Wenn mich die Rennradtour zum Nordkap etwas gelehrt hat, dann ist es Ausdauer, Beharrlichkeit und der Glaube an ein Ziel.




Geschäftsmodell

Am Folgetag gelingt es mir noch so eben alles trocken einzusacken und auf mein Eisenpferd zu schnallen. Bis zum späten Nachmittag komme ich quasi nicht aus der Regenkombi heraus. Aber es könnte schlimmer sein, immerhin liegen die Temperaturen bei milden 10 Grad. Die Streckenführung ist das reinste Fjord-Fjell-Fluß-Spiel und das Fahren macht trotz des Wetters riesigen Spaß. Mein Timing ist leider nicht mit dem Fahrplan der Bodö-Lofoten-Fähre kompatibel. Dadurch ist es mir nicht möglich die Lofoten ganz vom Süden bis zum Festland zu befahren, wie ich es 1984 getan habe. Mit der etwas weiter nördlich verkehrenden Fähre gelingt es mir jedoch es eine Weile warm und trocken zu haben und dabei die Küste vom Meer aus  betrachten zu können. Ein kleiner Abstecher auf die Lofoten ist mir somit doch noch möglich.


Quasi als Ausgleich fasse ich Tromsö als Tagesziel ins Auge. Auf der Radtour hatte ich darauf verzichtet, da die Stadt nur über die 73 km lange Sackgasse E8 mit ambitioniertem Höhenprofil zu erreichen war. Mich zog es eben zum Kap.


Mit dem Motorrad ist die E8 dagegen ein echter Fahrgenuss. Die langgezogenen Kurven helfen nicht unbedingt die erlaubte Geschwindigkeit einzuhalten.  Auf dem Weg dorthin liefere ich mir dann auch zwangsläufig ein kleines Rennen mit einem Harley Fahrer. Seine Eigenbaumaschine ist so schwarz wie seine Kutte, die ihn als „Stroker“ Member auszeichnet. Der Sound seines Mopeds ist ebenso ohrenbetäubend, wie seine Fahrweise atemberaubend ist. Respektvoll muss ich ihn ziehen lassen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich mal von einer Harley abledern lassen muss. Ich blinke ihn noch mit der Lichthupe an und er hebt die Hand zum Gruß. Als ich ihn später zufällig in der Stadt treffe, grinsen wir uns breit an und halten einen kurzen Schnack.



Nach der verdienten Pause in Tromsö quere ich abermals die bekannte Brücke zurück aufs Festland und peile nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Der nahegelegene Campingplatz ist ganz und gar nicht nach meinem Geschmack. Ich müsste meine Griso abladen und alles über eine schmale Fußgängerbrücke auf eine Zeltinsel schaffen. Ne, ne unterwegs auf Tour bevorzuge ich es eindeutig neben meinem Moped zu schlafen.


Auf der weiteren Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit lande ich vor dem Vereinsheim einer aus Amerika stammenden Vereinigung engelsgleicher Motorradfahrer. Manche Geschäftsmodelle funktionieren offenbar erstaunlicherweise auch nördlich des Polarkreises, auch wenn dies so überhaupt nicht in die nordisch, romantisierte Welt der beige gekleideten Hurtigroutenrentner passt. Da ich jedenfalls nicht die Absicht hege dort nach einem Nachtquartier zu fragen, mache ich mich wieder auf den Weg und gelange doch noch auf den richtigen Weg.



Parallel mit einem Hurtigrouten-Dampfer „Midnatsol“ fahre ich nordwärts am Wasser längs. Auch dies ist zwar eine Sackgasse, aber zur Belohnung gibt es nach 25 km (die jeden Meter wert sind) einen Zeltplatz mit fünf Sterne Aussicht. Später sitze ich vor dem Zelt und schaue, mit mir und der Welt zufrieden, einfach auf das Wasser.  Ein alter Norweger trollt sich zu mir.



Er ist ein Guzzi-Veteran und kommt seit über dreißig Jahren an diesen Platz. Früher ist er mit seiner Guzzi angereist. Es wird ein angenehmer Männerabend. Zum Schluss gibt er mir noch einen wertvollen Tipp mit auf den Weg.



In Schwedisch Lappland ist der südliche Abschnitt einer 135 km langen Verbindungsstraße eine wilde Baustelle. Selbst für Autos sei die Passage nervig und für Motorräder äußerst beschwerlich, wie er mir berichtet. Dankbar markiere ich den Abschnitt in der Straßenkarte. In der Tat wäre ich von Norden kommend nach 109 km auf die Baustellenwüste gestoßen und hätte außer umzukehren keine Alternative gehabt.


Nordkap

Es ist Donnerstag und es regnet. Somit ist es wenigstens kein Start in ein verregnetes Wochenende. Der morgendliche Blick auf die Karte eröffnet mir doch noch eine Möglichkeit von Tromsö aus nicht die komplette E8 zurückfahren zu müssen. Eine Landstraße schlängelt sich, unterbrochen durch zwei Fjorde,  auf der Nordseite der Halbinsel entlang. Mittels zweier Fähren (warm und trocken) gelange ich zur E6 zurück. Die Landschaft ist rau und ganz nach meinem Geschmack. Das Wetter ist allerdings nicht weniger rau. Immerhin bereitet die Strecke in Richtung Alta fahrerisch Vergnügen.



Während einer Fotopause kommt ein junger französischer Solo-Radler von Süden des Weges. Mit anerkennender Geste grüße ich ihn bereits aus der Ferne. Er kommt dann direkt auf mich zu. Der arme Kerl sieht ziemlich fertig aus. Der Regen, die Kälte und vor allem der starke Wind scheinen ihn auszuzehren. Pascal ist zudem auch einfach froh sich jemandem mitteilen zu können. (Wenn er wüsste wie gut ich sein Empfinden nachvollziehen kann.)


Sein Englisch ist nicht unbedingt formidabel und wir weichen auf mein nicht gerade superbes Französisch aus. Immerhin gelingt uns eine Konversation unter Landstraßenreisenden. Ich mache ihm Mut, dass das Kap nun zum Greifen nahe ist und er ein Leben lang von dieser Erfahrung zehren wird. Zum Schluss überlasse ich ihm meine Vorräte an Schoko- und Energieriegeln. Für ihn sind sie wichtiger als für mich. Pascal freut sich sehr darüber und wir setzen unsere Wege fort.


Lange hängen meine Gedanken dieser Begegnung nach. Es sind auch immer wieder die zufälligen Begegnungen der Landstraße mit der unausgesprochenen Übereinstimmung der Sicht der Dinge, die diese Art des Reisens so wertvoll machen. Und die wahren Könige der Landstraße bleiben meines Erachtens eben doch die Radler.


Im Folgenden wird es zwar nicht wärmer aber immerhin trockener. In Alta fülle ich das Benzinfass der Griso und entledige mich der Regenpelle. Ich brauche mich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass soeben eine Guzzi auf den Tankstellenhof gefahren kommt. Natürlich begrüßen wir uns sofort und kommen ins Gespräch.
Es ist Donnerstag und heute beginnt das Guzzi-Treffen bei der Gargia Fjellstue, 25 km südöstlich von Alta. Selbstverständlich habe ich das auf dem Schirm und die Teilnahme ist Teil meiner Planung. Das Treffen erstreckt sich über das Wochenende und soll mit einer gemeinschaftlichen Fahrt ans Kap (Sonntag 24:00) enden.


Während die andere Guzzi-Fahrer zur Fjellstue startet, schlürfe ich einen zweiten Kaffee und überdenke meine Planung. Es ist sicherlich ein tolles Ereignis mit vielleicht zwanzig oder dreißig Guzzis zum Nordkap zu donnern. Aber ist es das was ich wirklich will ? Nein ! Ich möchte am Kap Ruhe und Zeit für mich haben. Zudem ist es trocken und die Sicht ist hervorragend. Laut der Tankstellen-Tageszeitungen verheißen die nächsten Tage kein gutes Wetter (armer Pascal). Angesichts der Tatsache, dass ich 1984 auf der kompletten Insel Mageroya bis zum Nordkap derart dichten Nebel hatte, dass es unmöglich war von der berühmten Weltkugel hinunter zum Meer zu sehen, steht mein spontaner Entschluss fest. Auf zum Nordkap !


Mich trennen noch 250 km vom Ziel. Mit dem kernigen V2-Triebwerk der Griso ist das selbst bei widrigen Verhältnissen kein nennenswertes Problem (solange man rechtzeitig den Tank füllt). Für die Radler, denen ich begegne, kann es das Härteste sein, was sie bisher im Fahrradsattel erlebt haben. Das Alta-Fjell kann dabei nahezu unüberwindlich erscheinen. Nördlich von Alta schwingt sich die E6 in die Hohebene. Bereits bei der Auffahrt ist der auflebende Nordostwind deutlich zu spüren. Nach dem Passieren der Baumgrenze weht der Nordost gnadenlos über das weite Fjell. Die Strecke verläuft exakt gegenan. Die Temperatur unterschreitet die fünf Grad Marke. Es herrscht eine urzeitliche Stimmung in dem sturmumtosten Land.


Ich überprüfe den Sitz des geschlossenen Jackenreissverschlusses um ja keine kalte Luft hinein zu lassen, dichte alles um den Hals ab und klemme mich so klein es geht hinter den mächtigen Tankrucksack. Es ist saukalt und irgendwie infernalisch. Aber es ist unheimlich gut und intensiv. Ich liebe es eben das Leben etwas intensiver zu spüren.


Nach rund 100 km auf dem Fjell folgt die Abfahrt runter nach Russeness. Das bringt aber nicht die erhoffte Erleichterung. Von nun an folgt die Straße direkt dem Westufer des Porsangen-Fjordes. Die Luft wird nicht nur kälter, sondern auch feuchter. Manchmal spritzt die Gischt des aufgewühlten Fjordes bis auf die Fahrbahn. Ein windschiefes Schild weist auf die Starkwindgefahr der nächsten 73 km hin. Willkommen am Nordpolarmeer, denke ich mir.


Von Russenes nach Norden 1984. 


Der Himmel ist durchgehend bewölkt und es herrscht eine schaurige Dämmerungsstimmung. Die heutige Etappe ist lang und ich verliere fast das Zeitgefühl. Aber das ist im Grunde nun auch egal. Der Tank ist ausreichend gefüllt und das Ziel ist nicht mehr fern. Im Zweifelsfall wird es eh kaum dunkel. Ich folge der schlängeligen Fjorduferstraße und so manches mal ergreift mich eine harte Böe. Direkt am Meer entlang zu fahren finde ich immer faszinierend. Aber das hier vermittelt fast das Gefühl „auf“ dem Meer unterwegs zu sein.


1984 endete die Uferstraße an einer kleinen Fährstation und mit einem kleinen Fährschiff ging es auf die Insel Mageroya, an dessen Nordspitze das begehrte Kap liegt. Von einer Möglichkeit sich aufzuwärmen abgesehen, hatte es irgendwie Stil, sich der Insel gewissermaßen respektvoll über den Seeweg zu nähern.


Fähre nach Mageroya 1984


2012 lande ich vor dem Schlund eines modernen Tunnelbauwerkes. Auch hier ist deutlich spürbar, wie stark die norwegische Wirtschaft und der Staat von der Öl- und Gasförderung profitieren. Ohne Zweifel hat der Tunnel eine weitaus höhere Beförderungskapazität, aber er wirkt in diesem kargen Naturraum irgendwie deplatziert. Und damit erreiche ich auch den Tiefpunkt der Reise. Bis auf 232 Meter unter den Meeresspiegel fällt die Tunnelröhre ab, um den Meeresarm zu unterqueren. Wenn ich mich richtig erinnere, geht das einher mit Gefällewerten von 8 bis 10 Prozent. Mein einziger Gedanke ist – die armen Radfahrer. Das muss wahrlich die Hölle sein, bloß dass es nicht so heiß ist. Ein Radfahrer wird einige Zeit benötigen um die Tunnelkilometer zu bewältigen. Durch die Motorfahrzeuge wird es in dem Bauwerk laut wie in einer Industriehalle. Da empfiehlt sich vielleicht für Radler die Mitnahme von Gehörschutzstöpseln aus dem Bereich der Arbeitssicherheit.


Mich spuckt der Tunnel relativ rasch am Nordschlund aus. Von nun an befahre ich im quasi Neuland. Auf der Radtour war es nebelig, wie man es sich kaum vorstellen kann. Von der gesamten Insel habe ich weder auf der Hin-, noch auf der Rücktour auch nur einen Quadratmeter Landschaft zu Gesicht bekommen.


Nun lasse ich mich von meiner Griso über die sportlichen Straßen tragen. Vor Aufregung und Faszination bemerke ich gar nicht, dass die Temperatur weiter fällt. Die zum Fahren erforderliche Konzentration trägt bestimmt noch dazu bei. Der starke Wind wird zunehmend stürmisch und ich möchte mit den Pneus gerne auf dem schmalen Asphaltband bleiben. Ich staune über die immensen, wirklich steilen Steigungen, die sich vor mir auftürmen. Mit dem Rennrad war ich damals im völligen Whiteout unterwegs und habe von all dem wenig mitbekommen, abgesehen davon, dass es endlos bergauf ging.


Erst mit dem Ausklappen des Seitenständers und dem Abstellen der Griso lässt die konzentrierte Anspannung nach und mir wird bewusst, dass ich die ganze Zeit bei drei Grad Celsius mit den dünnen Sommerhandschuhen und lediglich einem dünnen Merinowollpulli unter der Lederkombi gefahren bin. Daher krame ich mir als erstes wollene Verstärkung aus den Packtaschen hervor. (Scheinbar gewöhnt man sich wohl an die Umgebungstemperaturen. Jedenfalls bin ich noch nie unterwegs oder in der Folge erkältet gewesen.)


Tja nun bin ich zum zweiten Mal am Ziel meines damaligen großen Traumes. Natürlich ist es nicht vergleichbar, aber das war auch nicht beabsichtigt. Während ich vor achtundzwanzig Jahren gewissermaßen by fair means ans Kap gekommen bin, war es nun ein Leichtes hierher zu gelangen. Und dennoch ich bin sehr froh das Ziel noch einmal angesteuert zu haben. Herausgelöst aus dem Alltagsgewusel ermöglicht mir die Reise eine intensive Reflektion über die damaligen Lebensträume und über das Leben wie es verlaufen ist. Zwangsläufig stolpere ich auch über Entwicklungen, die völlig in die Hose gegangen sind. Aber das gibt auch neuen Raum für verbliebene oder neu entstehende Träume.


Die Radler sind auch heute noch die wahren Könige der Landstraße


Ich bleibe noch einen Moment an der Weltkugel auf der Klippe bevor ich einkehre. Glücklicherweise ist die Tageszeit vorangeschritten und die Menge an vorhandenen Menschen hält sich in engen Grenzen. Der bombastische Nordkap-Neubau für die Abfertigung der Nordlandfahrer wirkt auf mich übertrieben, aber rein geschäftlich betrachtet ist die Dimensionierung sicherlich passend für die Stoßzeiten ausgelegt. Und ganz ehrlich, nach der heutigen Langstrecke genieße ich es im Warmen zu sitzen, eine Tasse heißen Kakaos in den Händen zu halten und zufrieden aus dem riesigen Panoramafenster zu schauen.


Nach einer guten Stunde breche ich wieder auf. Der Wetterbericht behält Recht. Der kalte Wind dreht auf Nordwest und Regen setzt ein. Es würde mich nicht wirklich wundern, wenn es anfangen würde zu schneien. Ich fahre zurück in den Süden der Insel und errichte im dicken Regen mein Zelt. Als ich im Schlafsack liegend noch für ein paar Notizen zu meinem Tagebuch greife, ist es bereits nach 22:00. Was für ein fulminanter Tag.

Das wohl nördlichste Guzzi-Treffen der Welt

Es regnet die ganze Nacht und auch am folgenden Morgen. Routiniert packe ich rasch meine sieben Sachen zusammen und schnalle alles aufs Motorrad. Bevor ich mich wieder untertägig fortbewege, drehe ich noch eine kleine Runde durch Honningsvag und muss schmunzeln, als ich die offenbar noch immer existierende Schrauberbude des „American Car Club Nordkapp“ entdecke. Der Laden sieht genau so verwaist aus wie 1984 und ich frage mich ernsthaft, was hinter den Toren wirklich passieren mag. Vielleicht wird dort einfach nur illegal Hochprozentiges gebrannt, um den Winter zu überleben.


Der Tunnel zurück zum Festland bietet den Vorteil für ein paar Kilometer nicht dem Regen ausgesetzt zu sein. Um zum Guzzi-Treffen zu gelangen, fahre ich die gleiche Strecke bis Alta zurück. Eine Variationsmöglichkeit gibt es nicht. Am Ausgang des Tunnels warnt wieder so ein windschiefes Schild vor den Widrigkeiten.



Bevor ich die Küstenlinie des Porsangen Fjordes in Richtung Fjell verlasse, lege ich einen strategischen Tank- und Kaffeestop in Russenes ein. Seitens der Kunden ist dieser Anlaufpunkt mit seiner Mischung aus Tante Emma Laden, Apotheke, Post, Werkstatt, Bistro und Gemeindezentrum vielleicht eine der interessantesten Tankstellen Europas. Hier kommen sie alle längs, hier kehren sie alle ein. In der Zeitspanne zweier Tassen Kaffees lerne ich eine Gruppe französischer Radler, den Südafrikaner Lodie de Jager sowie eine Gruppe russischer Motorradfahrer kennen.


Lodie hat mehrmals den afrikanischen Kontinent per Motorrad durchquert und ist nun auf seiner Kawasaki KLR 650 irgendwie über Sibirien ans Nordkap gefahren. Wir unterhalten uns und entdecken die gemeinsame Grundeinstellung hinsichtlich technisch einfacher und zuverlässiger Motorräder. Jodie ist von meiner Guzzi mit ihrer hohen Laufleistung ganz angetan.


In diesem Zusammenhang schmunzeln wir über den weitverbreiteten BMW GS Technik Overkill. So kommt es dann, dass ich mit meiner (wirklich guten) neon gelben BMW Regenkombi für ein Foto posieren muss. Auf der Kombi steht in fetten schwarzen Lettern „BMW Motorrad“. Noch vor der Reise habe ich mit einem Edding Filzstift BMW durchgestrichen und GUZZI darüber geschrieben, was Lodie auf’s Höchste amüsiert.
Während wir über derartig tiefgreifende und weltbewegende Themen philosophieren, hält eine Gruppe mit nagelneuen Honda Copper- und Tourer-Modellen ein. Ich weiß gar nicht mehr was mich im ersten Augenblick mehr verwundert. Die Kennzeichen mit dem Länderkürzel „RUS“ oder die Tatsache, dass sie überhaupt kein Gepäck dabei haben. Zwei heran rauschende großkalibrige, schwarze Geländewagen mit verdunkelten Scheiben lösen beide Fragen auf einem Schlag.



Trotz der divergierenden Grundeinstellung zum Motorradreisen kommen wir schnell ins Gespräch. Sie führen sich sehr extrovertiert und laut auf. Nach eigener Auskunft sind sie Bisinees Meen aus Murmansk, die sich einen kleinen Spaß gönnen. Jodie grinst mich leicht kopfschüttelnd an.


Im Laufe der Reise treffe ich weitere Russen. Und sogar auf russische Guzzisti. Ein California Fahrer aus St.Petersburg berichtet von mittlerweile sechs Guzzis in der Stadt. Sogar eine 1100er Griso gehört dazu. Ersatzteile besorgen sie sich aus dem nahen Helsinki. Ja die Welt verändert sich eben und am besten fährt man raus in die Welt um die Veränderungen zu spüren und zu erleben.


Scheinbar keine große Veränderung in ihrer Position haben die drei jungen Frauen erreicht, denen ich auf der Rücktour über das Alta-Fjell begegne. Sie sind mir bereits gestern aufgefallen als ich sie überholt habe. Nun kämpfen sie sich unter denkbar schlechten Bedingungen nach Norden. Und sie tun das mit einem Lächeln. Sie fahren zum Teil nebeneinander, erzählen und lachen. Ich habe auf dieser Tour nun bereits einiges erlebt. Aber diese Lebensfreude und den Optimismus der drei jungen Frauen zu sehen, zählt zu den ganz starken Momenten dieser Reise.


Mich zieht es nun zum Guzzi Treffen auf der Gargia Fjellstue, in der Nähe von Alta. Da sich auf der Weltkugel in dieser geografischen Breite vergleichsweise wenig Landflächen und vor allem noch weniger befahrbare Straßen befinden, dürfte es sich wohl um das nördlichste Guzzi Treffen der Welt handeln. Es sei denn, es gibt noch ein Treffen in der Mitte Grönlands oder in Point Barrow, Alaska.


Das Wetter macht der nördlichen Lage jedenfalls alle Ehre. Bei vier Grad Celsius und Regen gelange ich über schmale Gebirgsstraßen zur Fjellstue. Es ist Freitag Mittag und noch ist nicht wirklich viel los. Bislang haben sich nur eine Handvoll Guzzisti eingefunden und alles kommt etwas schleppend in Gang. Ich finde es schade, dass die Fjellstue nicht zugänglich ist. Somit sind wir dazu verbannt unter leichten Baummarkt Pavillons, die kaum dem Wind standhalten, zusammenzurücken. Wie gesagt, es herrschen vier Grad vor.


Die Stimmung insgesamt ist Guzzi typisch familiär. Für mich gestaltet es sich allerdings etwas zäh, da nicht so viele Englisch sprechen, wie ich es von anderen Treffen in Skandinavien gewohnt bin. Immerhin ist dennoch festzustellen, dass man gemeinsame Bekannte in der europäischen Guzzi Szene hat. Das ist immer eine tolle Erfahrung.
Bei den Mopeds schiele ich zu den wunderbar großen und trotzdem gut aussehenden Koffer einer Norge hin. Eine auf Cafe-Racer umgebaute 850er Griso dokumentiere ich umfassend per Digicam. Der absolute Star im Fahrzeugpark ist jedoch die 850er Eldorado von Tom. Alleine der Sound spricht Bände. Noch mehr Episoden kann Tom von seinem Moped berichten. Die Maschine hat zwei Vorbesitzer, einen Sammler und eine amerikanische Film Company. Seine SFPD (San Francisco Police Department) –Guzzi war Akteurin in nicht weniger als vier großen Hollywoodstreifen, u.a. „Canonball“ und „Dirty Harry“ mit Clint Eastwood.

Stephan Schneider, der Autor des Werkes "Moto Guzzi California, Die Touring Legende aus Italien" hat übrigens auf dieser Homepage begeistert dieses Foto entdeckt und angefragt, ob er eine Kopie der Fotodatei erhalten könnte, um das Foto im Buch zu veröffentlichen, was dann auch so geschehen ist....smile.


Nach Stunden über Stunden unter diesen Plastik Pavillons werden wir von dem Fjellstue Betreiber in das große Lappen Rundzelt zum Barbecue eingelassen. Das ist eine große Erlösung. Allerdings funktioniert die Steuerung der Luftzirkulation nicht richtig und wir alle nehmen den Räucherzustand des Grillgutes an. Da es aber warm und trocken ist, wird das als Kollateralschaden hingenommen. Obwohl eine Dose Bier 60 (in Worten sechzig) Norwegische Kronen kostet, wird es ein sehr schöner ausgelassener Abend. Mit zunehmendem Bierpegel fließen bei einigen die englischen Worte deutlich flüssiger als am Nachmittag. Es wird eine lange Nacht.



Das erste was ich am folgenden Morgen, noch bevor ich die Augen öffne, wahrnehme, ist der auf das Zeltdach prasselnde Regen. Mir gelingt das Kunststück einen Blick auf meine Armbanduhr zu werfen, ohne den Arm aus dem kuschelig warmen Schlafsack zu nehmen. Das Frühstück kann zum Glück in der Fjellstue (und nicht im Freien) eingenommen werden. Und bis dahin gibt es nur einen akzeptablen Aufenthaltsort, den Schlafsack.


Ich sinniere vor mich hin. Es ist Samstag, ich befinde mich quasi seit 3.600 km auf der exponierten Westseite des Skandenrückens und es regnet dauerhaft. Für den Tag ist eine kleine Ausfahrt angesetzt und abends wird es wieder eine Party geben, wobei es ja bereits gestern ganz nett war. Mich trennen vielleicht sechzig oder siebzig Kilometer von dem Scheitel des sich über ganz Norwegen erstreckenden Skanden Gebirgszuges. Jetzt sitze ich voll im Bereich des Steigungsregens der Nordwestluftmassen und diese Situation soll noch ein paar Tage anhalten. Auf der Ostseite des Gebirges hätte ich die Chance auf trockenes Wetter in der Finnmark. Nun müssen die Arme doch aus dem Schlafsack heraus, damit ich die Straßenkarte studieren kann.


Ein Frühstück und einige herzliche Verabschiedungen später sitze ich im Sattel und fahre auf der „93“ durch einen tollen Canyon gen Südosten.



Die Rechnung geht auf und die Finnmark empfängt mich mit trockenem Wetter und aufreißender Bewölkung. Nach den äußerst abwechslungsreichen Kilometern der norwegischen Fjordküste ist die flache weite Finnmark sehr gewöhnungsbedürftig. Es dauert eine Weile bis ich mich auf die Landschaft einlassen kann. Erinnerungen an 1984 kommen auf. Ich hatte damals mit dem Gedanken gespielt möglichst nah an der russischen Grenze entlang zu fahren. Aber wenn man gewohnt ist hinter jeder Kurve eine neue aufregende Perspektive zu erleben, ist es unglaublich monoton durch das schier endlose subpolare Lappland zu radeln.



Auch nach Stunden stellt sich nicht das Gefühl ein, wirklich weiter gekommen zu sein. Daher änderte ich damals die Route und schlug die Richtung zum Botnischen Meerbusen ein, um mal wieder Wasser und Küste zu sehen.


Moto Guzzi meets Harley Davidson

Diese Überlegung schwebt mir auch auf dieser Reise im Kopf herum. Ich fange an die entspannt zu fahrenden raumgreifenden Straßen zu genießen. Solange man ein Auge auf die Rentiere hat, lassen sich stressfrei zügige Geschwindigkeiten realisieren. Ursprünglich wollte ich Finnland nur auf einem schmalen Streifen durchqueren um auf der schwedischen Seite den Weg zum Meerbusen etwas abzukürzen. Aufgrund der wertvollen Information über die Baustelle halte ich mich allerdings deutlich östlicher und fahre viel länger durch Finnland als gedacht.


In Skandinavien ist die Zahlungsweise mit dem guten Namen und Plastikgeld weit verbreitet. Ohne Kreditkarte kann es sogar in manchen Regionen problematisch sein, überhaupt einen Tropfen Benzin in den Tank zu bekommen. Der vierundzwanzig Stunden rund um die Uhr Kassen-Service ist vor allem eine Errungenschaft westlicher Ballungsgebiete. Hier in der Peripherie der Peripherie sieht die Sache etwas anders aus. In Ergänzung zur Plastikkarte führe ich zur Sicherheit neben Euro noch norwegische und schwedische Kronen mit. Nun bin ich länger in Finnland unterwegs als es mir meine verbleibende Tankfüllung erlauben würde.


Finnland ist ja überhaupt ein wenig anders und mindestens etwas speziell. Im direkten Vergleich mit dem reichen Norwegen wirkt alles ein wenig sozialistisch angehaucht. Die Orte, die Häuser, die Supermärkte und irgendwie auch das Erscheinungsbild der Menschen. Zudem wird 95 Oktan Treibstoff nur als E-10 Verschnitt, den meine Bella überhaupt nicht mag, angeboten. Also läuft es auf den guten 98er Tropfen hinaus. Nachdem ich auch bei der zweiten Tankstelle aufgrund des Hinweises „Finish credit cards only“ unverrichteter Dinge (mit leicht erhöhtem Halsdurchmesser) weiterfahre, male ich mir einen Plan B aus. Denn wie auch immer, ich benötige demnächst Benzin für mein Eisenpferd.


Natürlich heißt es auch an der dritten Tankstelle „Finish credit cards only“. Der festen Überzeugung folgend, dass harte Euro in Teilen der Welt bereits beliebter sein müssten als schlüpfrige Dollar, gehe ich davon aus, dass ich, wenn auch zu einem miesen Kurs, an der Stelle von finnischen Sesterzen auch „deutsche“ Euronen auf den Tresen legen kann. Um den Verhandlungseinstieg zu erleichtern habe ich vor zuerst vollzutanken und dann das Valutaproblem offen zu legen. Während ich den Tankrucksack abnehme, will ich an Hand des Benzinpreises (der ja mittlerweile fast überall gleich hoch ist) schnell mal versuchen zu überschlagen wie den der Kurs aussehen müsste.


Wahrscheinlich schaue ich ziemlich dämlich aus, als ich grübele, warum hier die Benzinpreise denen in den Euro-Ländern so stark ähneln. Nicht wenig irritiert erkundige ich mich bei einen italienischen Roller- Päarchen, die von Imola aus auf dem Weg zum Nordkap sind, wie es sich hier mit der Währungsfrage verhält. Ihrerseits nicht weniger irritiert, deuten sie mir vorsichtig an, dass dies hier Europa ist (200 km nördlich des Polarkreises !) und man mit Euro bezahlen kann.


Ich versuche nicht im Boden zu versinken und bedanke mich artig für die Auskunft. Wahrscheinlich hat mich lediglich der Guzzi-Italo-Sympathie-Bonus davor bewahrt ausgelacht zu werden. Das besorge ich dann selber, aber nur innerlich, um nicht im Nachhinein Zweifel an der Ernsthaftigkeit meiner Frage aufkommen zu lassen. Reichlich entspannter wegen der gelösten Liquiditätsfrage gönne ich mir eine Pause und führe auch meinem Körper Brennstoff in Form von Kohlehydraten zu.


Bei 15 °C in der Sonne sitzend studiere ich dabei die Straßenkarte und die sms Eingänge meines Mobiltelefons. Karin, eine ganz liebe Bekannte von mir, ist mit ihrer 1200er Harley auf dem Weg nach Norden. Sie hat einen Teil ihrer Kindheit an der schwedischen Ostküste verbracht und beabsichtigt dort Leute zu besuchen. Wir hatten mal ganz grob überlegt, ob wir uns nicht dort irgendwo treffen könnten. Nachdem ich seit ein paar Tagen ihre Route verfolge, ist mir klar, dass Karin sich nicht damit zufrieden gibt nur bis Umea zu fahren. Ich komme ins Schmunzeln. So wie ich Karin kenne, wird sie bestimmt zum Nordkap durchfahren. Da Karin im schwedischen Landesinneren unterwegs ist, lasse ich das Meer Meer sein und ändere spontan meine Route ins bergige Inland. Die Birkenzählerei habe ich eh satt, denn irgendwann gehen einem schlichtweg die Zahlen aus.


Wir verabreden uns für den nächsten Vormittag in Jokkmokk zum Kaffee. Das Ganze ist wunderbar abgefahren und ein stellvertretendes Symbol für die Freiheit dieser Art des Reisens.


Zur Feier des Tages steht am folgenden Morgen eine Dusche (leider gletscherwasserkalt) und eine frische Rasur an. Ich genieße den Swing durch die Berge und freue mich auf das „Rendezvous“. Da ich zuerst in Jokkmokk eintreffe halte ich Ausschau nach einer geeigneten Location, die sich mangels Wahlmöglichkeit schnell findet und sende die Standortdaten per sms weiter.
Karin ist in meinen Augen eine heiße Harley Pilotin. Und ich darf das so schreiben, denn ich bin schon im Taunus mit meiner Guzzi in ihrem Windschatten unterwegs gewesen und sage anerkennend : Chapeau !!!


Und so kommt es, dass wir uns anstatt im Taunus oder in Schleswig-Holstein am nördlichen Polarkreis zum Kaffee treffen. Wunderbare Welt auf zwei Rädern. Das "Hallo" ist großartig und wir freuen uns wie die Welpen.



Im Schlepptau hat sie drei Typen, mit denen sie seit einer Jugendherbergsbegegnung vor ein paar Tagen zusammen fährt. Die Burschen fahren Reiseenduros mit entsprechenden Federwegen. Hans-Petter ist auf einer Guzzi Stelvio unterwegs. Thor fährt eine Aprilia mit dem passenden Modellbeszeichung "Capo Nord". Und John von der britischen Insel fährt "selbstverständlich" eine englische Triumph Tiger. Hans-Petter ist Präsident des norwegischen Guzzi Clubs und wir sind uns bereits 2008 auf dem Herbsttreffen im Hodalen begegnet. Schön wie familiär die Guzzi-Welt manchmal ist.



Karin fährt einen flotten Speed und hat so gesehen keine Probleme mit den Jungs mitzuhalten. Aber mit dem Federweg einer Sportster Nightster ist es eben nicht sonderlich weit her. Bei den ausgeprägten, harten Bodenwellen der hiesigen Landstraßen hat Karin bei den Jungs schnell den Spitznamen „Jumping Jack Flash“ weg. Die vier ziehen zusammen weiter nach Norden. Irgendwo will eines Morgens die Aprilia nicht anspringen und es ist eine zeitraubende Demontage erforderlich. Karin bleibt aber mit ihrer Nightster auf Kurs. Später auf der Rückreise entschließt sie sich von Norrköping (Schweden) bis zum Taunus in einem Rutsch (von 09:00 bis 07:00 am Folgetag) durchzufahren und kommt nach rund 1.500 km wohlbehalten zu Hause an. Ich weiß, dass ich diesbezüglich sehr eigen bin und eher wenige Harley Fahrer als Motorradfahrer akzeptiere, aber Karin steht bei den wahren Harley Fahrern für mich ganz oben.



Nordische Acht

Nach dem Käffchen am Polarkreis stehe ich vor der Frage des weiteren Routenverlaufes. Zur Auswahl steht das eher bergige schwedische Inland oder die Westküste des Botnischen Meerbusens. Beide Regionen kenne ich nicht, was die Auswahl nicht einfacher macht. Rein vom Fahrspaß her betrachtet bevorzuge ich das Bergland, andererseits habe ich meinen Masterplan, der vollständigen  Bereisung der europäischen Kontinentalküstenlinie, im Sinn. Daher entschließe ich mich zu einem Kompromiss. Von Jokkmokk geht es zunächst an den Botnischen Meerbusen. Der Küstenlinie folge ich bis südlich der Höga Küste, um dann nach Westen über Östersund wieder nach Trondheim zu fahren. Diese Streckenwahl erweist sich als reizvoll und abwechslungsreich. Auch rückblickend bin ich sehr zufrieden damit. Mit dieser Variante umgehe ich zudem die schwedische Südostküste, die bereits als Rückreiseroute aus dem Baltikum für den Sommer 2013 vorgesehen ist.


Rund 200 km nach dem Start in Jokkmokk erreiche ich den Botnischen Meerbusen. Aber von Wasser ist weit breit keine Spur. Die Küste ist flach, steinig und daher schlecht schiffbar. Daher gibt es kaum Häfen und überhaupt wenig Siedlungen am Wasser. Da ich mir aber nun mal in den Kopf gesetzt habe die Küste zu bereisen, verlasse ich mit der Griso die Asphaltbänder der Landstraßen und begebe mich bei der Suche nach dem Meer auf Naturstraßen. Etwa 140 km lege ich auf diese Art zurück und werde mit wunderschönen einsamen Buchten belohnt. Ich stoße dabei lediglich auf vereinzelte Wochenendhäuser.



Nicht nur fahrerisch, auch orientierungsmäßig ist dabei eine gewisse Aufmerksamkeit gefordert. Es gibt nur eine rudimentäre Richtungsbeschilderung. Bei den Naturstraßen sind mir Schotterstrecken am liebsten. Sand und Lehm lassen sich zwar im trockenen Zustand relativ gut befahren, aber bei Regen, zum Beispiel bei einer schweren Gewitterfront mit Starkregen, wie es mir passiert, wird die Angelegenheit schnell ambitioniert. 120er und 180er Straßenreifen sind da schlichtweg am Ende ihrer Möglichkeiten. So komme ich einmal in die Situation entweder 17 km risikoreich weiter zu fahren oder 3 km umzukehren. Vor der Umkehr ist jedoch eine Wende zu absolvieren, die ihrerseits nicht ganz einfach ist. Aber alles geht gut und auch diese Entscheidung erweist sich als richtig, wie mir Einheimische später berichten. Die Weiterfahrt wäre sehr kapriziös geworden.



Die Weiterfahrt an der Küste ist bis auf die Höga Küste nicht sonderlich aufregend. Die Verkehrsdichte bezeugt die Hauptverkehrsachsenfunktion. Und direkt an die Küste kommt man eh nur über kleine Stichstraßen. Daher freue ich mich wieder auf die Berge, als ich nach Westen in Richtung Östersund abbiege. Die an einem schönen See gelegene Universitätsstadt gefällt mir außerordentlich gut. Die jungen Leute bringen Leben und Flair in die Stadt. Soviel Urbanität bin ich gar nicht mehr gewohnt. Die Lage der Stadt ist wirklich genial. Im Sommer segelt alles von Jollen bis zu seegehenden Yachten auf dem See und im Winter liegen die Pisten und Loipen direkt vor der Haustür. Allerdings können die Winter hier richtig kalt werden. Erst vor wenigen Jahren fiel die Temperatur unter minus vierzig Grad, wodurch sich Eisenbahnschienen und Weichen deformiert haben.



Ich suche die Jugendherberge auf und gebe den Schlüssel ab, den Hans-Petter, der Stelvio Fahrer aus dem Jumping Jack Flash Team versehentlich mitgenommen hatte. Bei bestem Wetter fahre ich durch die Berge und gönne mir auf einer Sonnenterrasse im Nobelskiort Are einen richtig leckeren Kaffee. Bis Trondheim sind es keine 200 km.



Von Trondheim aus donnert die Griso weiter über das Dovre Fjell und dann im alpinen Südnorwegen über mir bislang unbekannte Strecken.


Der mediteran anmutenden Südostküste folgend gelange ich zu pittoresken Häfen wie zum Beispiel Risor und beende meine nordische Runde in dem Fährhafen Kristiansand.





Damit erhält die Gesamtroute gewissermaßen die Form einer Acht (mit der Taille bei Trondheim).  


rote Route - Radtour 1984 (mit Start und Ziel am Nordrand des Ruhrgebietes)

blaue Route - Griso Tour 2012


Wie es endet

Anna Wenger, die Schweizer Radlerin, schließt ihren Bericht mit den Worten : „Ich bin um ein Erlebnis reicher, aber auch um einen Traum, den ich nun erlebt habe, ärmer geworden.“


Es endet niemals

…solange aus erlebten Träumen neue Träume entstehen. Bei mir ist das meistens auf dem Rückweg der Fall…


Epilog

Wenige Wochen vor der Tour stieß ich via world wide web bei einem Düsseldorfer KTM-Händler auf eine 850er Breva mit jungfreulichen 5.300 km auf der Uhr. Mit dem großen 23 Liter Tank und dem originalen Guzzi Koffersystem (groß, gutaussehend, ohne hässliche Träger) und vor allem mit dem 850er Motor ist sie für mich ein ideales Tourenmotorrad.


Knapp 500 km zwischen meinem Wohnsitz und dem Standort des KTM-Händlers sind nicht mal eben um die Ecke. Da die Arbeit in der Phase vor Tour leider viel zu viel Zeit gefressen hat, habe ich mir die Maschine weder angeschaut, noch bin ich in näheren Kontakt mit dem Händler gekommen.


Direkt vor Antritt des Rückweges der Reise, nämlich direkt vom Nordkap, habe ich dem KTM-Händler dann eine Ansichtskarte gesendet und meine Kaufentscheidung mitgeteilt. Als ich später zu Hause eintraf, hatte mir Christopher Pabst bereits einem netten Brief geschrieben und die Breva für mich reserviert. Die gesamte Kaufabwicklung war dann äußerst unkonventionell, entgegenkommend und auf viel Vertrauen gebaut. Ein schönes Gefühl, dass es noch immer Motorradenthusiasten gibt, bei denen das Wort zählt.


Und somit wurde quasi auf der Rückreise die motomobile Grundlage für die Realisierung von neuen Träumen geschaffen…


Antworten

Antworten auf Fragen, die sich der Leser möglicherweise stellen mag.

Gedanken – ich schreibe häufig von Gedanken zwischen den Welten von 1984 und 2012 ohne diese jedoch weiter auszuführen. Man mag es mir verzeihen, aber sie erscheinen mir zu persönlich, um sie im world wide web kursieren zu lassen.


Reserverad – Auf manchen Fotos von 1984 ist ein Reserverad bei meinem Gepäck zu sehen. Es entsprach keineswegs meiner Planung ein Reserverad für mein Rennrad mitzuführen. Die Ursache dafür ergab sich auf einer Passabfahrt in Südnorwegen. Mit etwa 60-70 km/h erwischte ich eine Bodensenke, die zu einer derart heftigen Kompression führte, dass die Hinterradfelge einen satten Riss bekam. Zu reparieren war da nix mehr. Ich konnte zum Glück ein zwar simples aber passendes Ersatz-Laufrad auftreiben. Erst in Trondheim war es mir möglich die Qualitätsnabe des havarierten Hinterrades mit einer neuen adäquaten Felge einzuspeichen. Damit war das Ersatzlaufrad im Grunde überflüssig. Aber da ich es ja nun mal bezahlt hatte und es letzendlich nicht sonderlich viel mehr an Gewicht bedeutete, wollte ich es auch nicht einfach in Trondheim stehen lassen. Ich habe es übrigens bis nach Hause mitgeführt. Es sorgte sogar für einen besonderen Charme. Bei Plattfüßen konnte ich unterwegs einfach lässig das Rad austauschen und abends in aller Ruhe vor dem Zelt flicken.


Die Tour 2012 in Zahlen

Strecke 2012 : 6.824 km
(Strecke 1984 : 7.296 km)

Davon Untertage (Tunnel) ca 150 km (höchstes Tunnelgefälle 10 %)
Bis zur zweiten Polarkreisquerung auf dem Rückweg waren es mehr Tunnelkilometer als Sonnenbrillenkilometer.


Naturstraßen ca 140 km
Benzinverbrauch : Wer will das denn wirklich wissen ?  :)


Höchster Punkt  1.389 Meter über dem Meer
Tiefster Punkt       232 Meter unter dem Meer


Max Temperatur 29 °C
Min Temperatur     3°C


Regen lässt sich im Norden weder vermeiden, noch  ignorieren. Man kann Glück haben und eine außergewöhnlich trockene Reisezeit erwischen. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings so gering, dass man planerisch nicht darauf setzen kann.


Andere Erfahrungen - In der Betriebskantine kam ich mal in den Zwang, den dramatischen Ausführungen eines entfernten Kollegen (der mich nicht als Guzzifahrer kennt) folgen zu müssen, warum es viel zu gefährlich und im Grunde unmöglich sei bei Regen Motorrad zu fahren, geschweige denn zu reisen…


Meine Erfahrungen sind die folgenden - Die Stiefel müssen schlichtweg kompromisslos DICHT sein, ebenso die Handschuhe. Die neumodische xtrafit-Technik ist super, weil das Innenfutter beim An- und Ausziehen nicht mehr verrutschen kann.


Nach wie vor bevorzuge ich auch auf Touren in Feuchtgebiete meine Lederkombi. Aber selbstverständlich nur in Verbindung mit einer super guten Regenkombi. Meine BMW-Regenpelle ist so funktional, dass ich zum An- und Ausziehen nicht einmal die Handschuhe ausziehen muss. Auch nach einer ganztägigen Regenfahrt ziehe ich das Ding abends aus und bin darunter komplett trocken. Bei einer Textilkombi hat man dann das Geraffel mit einer von außen komplett nassen Garnitur, die man kaum im Zelt unterbringt. Über Dochteffekte zieht die Nässe dann auch noch gerne die Ärmel hoch. Die Regenkombi knuddele ich im Zweifelsfall in die Ecke und schlüpfe morgens wieder rein.

Das Zelt muss ebenfalls kompromisslos dicht und windfest sein. Ich bevorzuge mein Tunnelzelt, da die Apside wunderbar viel Stau- und Lebensraum bietet. Das Innenzelt kann separat in das Außenzelt eingehängt werden und lässt sich daher stets trocken verstauen.


Und in jedem Fall sei ein den klimatischen Verhältnissen entsprechender Schlafsack im wahrsten Sinne des Wortes wärmstens empfohlen.

1984


2012

Mit diesen Voraussetzungen ist Motorradreisen im Regen überhaupt kein Problem.
Also meiner Erfahrung nach…smile.

Nachtrag: Beim Betrachten der Fotos von 1984 staune ich selber über die Gepäckmenge. ..smile.. Aber irgendwie hat man das damals so gemacht. Mit der heutigen high tech Bekleidung und alpiner Leichtausrüstung reise ich heute mit deutlich weniger als der Hälfte des Gepäcks. Bereits bei der Canada Durchquerung 1985 gelang mir eine deutliche Reduzierung.


Text und Fotos Andreas Thier 1984, 2012