Grisocomodo
  Motor-Rad-Reisen

Troll Tour 2008

"Like gaerne som oss..."


Wie es so kommt…

Okay ich gebe zu, dass ich zu der Spezie von Menschen gehöre, die aus welchen Gründen auch immer, bei Zeitschriften und Magazinen immer von hinten anfangen zu blättern. Bei der neuen Motalia (Juli 2008) war das anders. Nicht, dass die letzten Seiten uninteressant gewesen wären.   Nein. Aber die Titelseite mit der neuen Moto Guzzi Reiseenduro Stelvio lag im Neugier Ranking ganz klar vorne.


Als Motorradreisender, will ich natürlich unbedingt mehr über das neue Guzzi Reise Schiff (ab Seite vier) wissen. Mit schwindender Euphorie und ohne überspringenden Funken beende ich den Artikel. Wenn der Fahrbericht zutrifft, woran ich nicht im Geringsten zweifele, stellt sich mir ernsthaft die Frage, was die Stelvio für mich (On Road Fahrer) besser kann als die 1200er Breva mit ihren 100 Nm bei 5800 U/min und 85 Prozent des maximalen Drehmoments im Bereich von 2300 bis 4300 U/min. 

Desweiteren unterstreicht der 23 Liter Tank der Breva die Tourentauglichkeit deutlich (Stelvio 18 l). Andererseits  liebe ich eh meine kleine 850er Griso. Wenn auch wahrscheinlich technisch nicht korrekt, sehe ich sie in gewisser Weise als Fortsetzung der 850er Motoren aus den Achtzigern. Mit einem guten Kompromiss aus Durchzug und Drehvermögen läuft sie bei höheren Drehzahlen erstaunlich ruhig und ist zudem genügsam in ihrem Verlangen nach dem kostbaren Brennstoff. Auf einer über 6.600 Kilometer langen Tour begnügte sie sich im Durchschnitt mit 5.0 l/100 km.


Wo ich nun schon im vorderen Teil der Motalia unterwegs bin, bleibe ich auch dabei. Der folgende Beitrag ‚ Enduros aus Mandello del Lario‘ verweist auf die Enduroversuche von Guzzi.  Anschließend blättere ich ziellos durch den Veranstaltungskalender. Unten links auf Seite achtzehn bleibt das Auge bei ‚Röros‘ hängen. In der Nähe findet ein Treffen des Norsk Moto Guzzi Klubb statt.  Röros dieses wunderbare alte Bergwerksstädtchen der Hedmark in Norwegen. So plötzlich wie der Urknall steht sie im Raum, die Idee vom Besuch des Treffens , und füllt sich mit Materie.


Überhaupt, spätestens seit Guiseppe Guzzi Ende der 1920er Jahre die GT , zwecks Nachweis der Tauglichkeit der neu konstruierten Hinterradfederung,  zum Nordkap getrieben hat, ist die Verbindung von Moto Guzzi und Norge gegeben. Und nicht zufällig wurde die Bezeichnung für den verkleideten Reisetourer gewählt…


Ich brauche keine Straßenkarte um zu überschlagen wie weit es von Kiel nach Tolga bei Röros ist. Ich verfüge über einen passablen Überblick über die Geographie des schmalen, herben Landes im Norden Europas. Weitestgehend über Land und mit der Kattegat Querung zwischen Frederikshavn und Göteborg sollten es etwa 1200 Kilometer sein. 1200 Kilometer klingen nach entspannt machbaren drei Tagen Fahrzeit, jeweils für die Hin- und Rückfahrt. Also sechs Tage, die in den Norden Europas führen. Das Treffen findet etwa 150 Kilometer südlich von Trondheim statt. Und es ist ein Herbsttreffen! 

In genau der Region bin ich vor Jahren, ebenfalls Anfang September, während einer Wanderung vom Rondane Gebirge ins Österdalen von einem Schneesturm überrascht worden, der in kürzester Zeit mehr als dreißig Zentimeter Schnee bescherte.  Die Durchschnittstemperaturen liegen zu der Jahreszeit näher an fünf als an zehn Grad Celsius und Nachtfröste sind nicht ungewöhnlich. Die norwegischen Guzzi Fahrer stört das mit Sicherheit kaum. Die Norweger sind mir als harte Sportsleute bekannt.


Was sind das wohl für Typen, die in Norwegen Moto Guzzi  fahren?  In unterschiedlichsten Situationen ergaben sich zahlreiche interessante Begegnungen mit Norwegern.  Mit norwegischen Motorradfahrern habe jedoch ich bisher noch nie zu tun gehabt. Zweifelsohne bietet Norwegen mit dem Gebirge und der Fjordküste landschaftlich grandiose Strecken. Aber Norwegen bedeutet eben auch hohe Niederschläge und lange dunkle Winter. Die Frage beschäftigt mich immer mehr und ich beschließe der Sache definitiv auf den Grund zu gehen. Ich will herausfinden, was es in diesem Land, in dem auf je zwei der 120.000 zugelassenen Motorräder ein Motorschlitten (Snowscooter) kommt, mit den Guzzi Fahrern auf sich hat.


Wie es weitergeht…

Dank des Internets ist die Ausschreibung des Treffens schnell gefunden und gedruckt. Bei einer genüsslichen Tasse Tee studiere ich die Zeilen…. ‚Ankomst til Hodalen Fjellstue….kl 17.00 Fredag 5. september‘. Datum und Uhrzeit erschließen sich ohne tiefgreifende Norwegisch Kenntnisse. Dass das Treffen auf einer Fjellstue stattfindet erregt aber meine Aufmerksamkeit. Fjellstue bedeutet so viel wie Berghütte. Und die liegen in der Regel nicht im Tal. Blitzlichtartig gehen mir viele zu Fuß erreichte Fjellstues durch den Kopf. Nicht eine hätte ich mit einem Motorrad ansteuern wollen. Aufgeregt überfliege ich die Zeilen nach weiteren Informationen. Da steht es : ‚Hodalen er ei lita fjellbygd, 800 moh…‘


Mich beschleicht ein leicht mulmiges Gefühl. Ich sehe mich ‚On Road Fahrer‘ bereits mit meiner straßenbereiften Griso als ‚Off Roader‘ über derbe Schotterwege zu der besagten Gebirgshütte ins Fjell fahren. Von der noch heikleren Abfahrt und möglichen Wintereinbrüchen mal ganz zu schweigen. Unwillkürlich kommt mir diese Guzzi mit den Skiauslegern aus dem Museum in Mandello in den Sinn. Und dabei habe ich mit Martin, einem britischen Besucher, noch geunkt, dass so etwas ‚in Zeiten von ‚Global Warming‘ ja wohl kaum mehr angesagt sei. Ich grinse vor mich hin, denke an die humorvollen Momente mit Martin und der Mut kehrt langsam zurück.


Exponat im Moto Guzzi Museum Mandello del Lario


'Cicogna' (Storch) auf der Basis der 'Alce' (Elch), gebaut 1939-1945.
Das Experiment mit den Skiauslegern zielte auf eine Lieferung an das finnische Heer.


Was sonst noch so zu beachten ist…

Es darf nicht vergessen werden, dass die Route durch tiefstes schwedisches und norwegisches Troll Land führt. Im Gegensatz zu den mit gutmütigen Elfen und Feen vergleichbaren isländischen Trollen, besitzen die norwegischen Trolle mit ihrem schadenbringendem Wesen, ein weniger positives Image. Zum Trost sollen die schwedischen Vertreter weniger boshaft, sondern ‚nur‘ geheimnisvoll und unzuverlässig sein.

Trollbegegnung der harmlosen Art


Trolle sollen verstärkt nachtaktiv sein. Nach Auskunft eines astronomischen Almanachs lugt die Sonne an dem Wochenende zwischen 06:00 und 19:30 über den Horizont. Das sollte für genügend Fahrzeit zur trollfreien Zeit reichen. Trotzdem sorge ich entsprechend vor. Den Technik-Stör-Troll will ich mit der kurz zuvor ausgeführten 20.000 km Inspektion überlisten und der Ausrutsch-Troll soll mit den neuerdings montierten Sturzbügeln besänftigt werden.


Die Sturzbügel von Agostini fügen sich gut ins Design der Griso ein.


Da ich dem Arbeits-Troll noch ein paar freie Tage abringen kann, steht einer erlebnisreichen Woche nichts mehr im Weg.


Wie es dann losgeht…

Vor mir liegt der knapp vierhundertdreißig Kilometer lange erste Abschnitt zur Fähre nach Fredrikshavn. Noch nicht ganz eine Stunde unterwegs, drängen mich sehr, sehr dunkle aufziehende Wolken zu dem Entschluss die Regenpelle anzuziehen. Die Großwetterlage ist nicht gerade rosig und ich befürchte ernsthaft, dass ich das Ding frühestens in einer Woche auf dem Rückweg wieder ablegen kann. Die verbleibende Fahrt nach Fredrikshavn weist dann alle Attribute auf, die eine Regenfahrt so mit sich bringt und die wir Motorradfahrer so lieben.  Immerhin hellt es just für einen längeren Moment auf, als ich auf das Boarding warte. Man freut sich ja schon über Kleinigkeiten.


An Bord verhole ich mich umgehend in die Lounge mit Ausblick über den Bug und genieße einen warmen  Kaffee. Trostlos klatschen dicke Regentropfen an die Scheibe und das Bugradar dreht monoton seine Runden. So eine ‚Sehhilfe‘ könnte man als Mopedfahrer im Sprühnebel auch manchmal gebrauchen, geht es mir durch den Kopf.

Schären vor Göteborg


Die ersten Schären unterbrechen die Eintönigkeit des grauen Meeres und die Umrisse von Göteborg kommen in Sicht. Im Regen verlasse ich die Stadt und peile den 25 km nordwärts gelegenen Campingplatz in Kungälv an. Freudig überrascht stelle ich fest, dass sich die Rezeption in der neben dem Platz liegenden Jugendherberge befindet. Mir geht innerlich die Sonne auf. Keine Frage wo ich heute übernachte.


Direkt gegenüber liegt die Festung Bohus. Nach ritterburglichen Maßstäben erscheint sie ausgesprochen klein. Dennoch war Bohus fästning von großer strategischer Bedeutung bei der Sicherung der norwegischen Grenze gegen Schweden.  König Hakan V. Magnussen ließ die Festung 1308 zur Beherrschung des Grenzflusses Göta anlegen. Bohus war seinerzeit eine der stärksten Befestigungen Skandinaviens. Vierzehnmal wurde sie im Laufe der Zeit belagert, ohne jemals eingenommen worden zu sein.  Mit dem Frieden von Roskilde (1658) verlor sie an Bedeutung. Der Göta Älv war nicht länger Grenzfluß und Bohus gelang in schwedischen Besitz. Als Schweden 1789 in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, hätte man der Festung fast doch noch den Garaus gemacht. Die Bürger von Kungälv erhielten das Recht, die Festung als Steinbruch zu nutzen…
Vor mir liegen noch etwa 750 Kilometer und für den folgenden Tag ist Dauerregen angesagt. Allerdings habe ich auch noch zwei Tage Zeit um zum Guzzi Treffen zu gelangen.


Um so überraschter bin ich, als ich am nächsten Tag vom Bett aus durch das Fenster blauen Himmel erspähe. Ungläubig reibe ich mir die Augen, aber es bleibt dabei. Und schon hüpfe ich aus der Koje. Ohne die lästige Regenhaut starte ich in Richtung Vänernsee und bin regelrecht verzückt von der Sonne. Im Südwesten lässt sich aber bereits eine Wolkenfront erahnen. Ich genieße die Fahrt durch die landwirtschaftlich ertragreiche Gegend. Die Motivation für den geplanten Besuch im SAAB Museum in Trollhättan sinkt gewaltig. Was sind schon ein paar alte Autos gegen Mopedfahren bei Sonnenschein. Ich befürchte schlichtweg, dass mich während der Besichtigung die Wolken einholen und ich anschließend im Regen weiter fahren dürfte.


Erst in Karlstad lege ich eine kleine Pause ein. Säge- und Papierwerke stellen neben den maschinenbauenden Zulieferfirmen eine wichtige Erwerbsquelle für die knapp sechzigtausend Einwohner dar. Durch die Lage am Vänernsee hat Karlstad einen der größten Binnenhäfen Schwedens. Ein wichtiger Arbeitgeber ist auch Löfbergs Lila, eine Kaffeerösterei. Während ich noch an einem entsprechenden Heißgetränk schlürfe, hat mich das Wetter dann doch eingeholt. Mit mäßiger Begeisterung zwänge ich mich wieder in meine Regenhaut und kämpfe mit den suboptimalen Details des Anzuges. Ich will mich nicht beschweren. Immerhin hatte ich einen trockenen Vormittag.


Die ‚62‘ führt nordwärts und die Landschaft wandelt sich vollends in eine reine Waldregion. Schlagartig nimmt die Besiedlungsdichte ab und die Straßen werden deutlich schmaler. Sollte es jemals eine Weltmeisterschaft für teilweise Fahrbahndeckenreparatur geben, hätten die Schweden gute Aussichten auf einen der vorderen Plätze. Warum die komplette Decke erneuern, wenn man auch nur Spurrillen flicken kann? Letztendlich sieht es aber schlimmer aus, als es sich fahren lässt.
In früheren Zeiten waren weite Gebiete Värmlands derart dünn besiedelt, dass keine Repräsentanten an der Königswahl beteiligt waren und sich neue Könige auch nicht vor Ort bestätigen ließen, wie es in anderen Landesteilen üblich war. Mir kommt die Menschenleere entgegen, da sie auch eine geringe Verkehrsdichte bedeutet.  Ich genieße das einsame Fahren. Mit dem harzigen Duft der feuchten Wälder in der Nase cruise ich gen Norden. Der Regen macht mir nichts mehr aus. Ich fühle mich im Norden angekommen.


Aber was ist denn nun mit den norwegischen (oder mindestens nordischen (bin ja noch in Schweden)) Guzzifahrern ? Auf mehr als achthundert Kilometern war höchstens ein Dutzend Mopedfahrer zu sehen. Die Fraktionen teilen sich je zur Hälfte in japanische Feinmechanik und amerikanisches Heavy Metal. Unwiderstehlich beschleicht mich der Gedanke, dass das Treffen nur mit einer Hand voll Leuten stattfinden könnte.
Am späten Nachmittag erreiche ich das etwas verschlafen wirkende Malung in der Provinz Dalarna. Die 7.000 Einwohner zählende Gemeinde gilt als Zentrum der schwedischen Lederindustrie. Neben etlichen kleineren Lederbekleidungsgeschäften stoße ich auch auf zwei Motorradbekleidungshersteller. Aha, denke ich mir, es gibt sie also doch, die Motorradfahrer des Nordens. Halvarssons stellt qualitativ hochwertige Produkte her, die zum Teil von europäischen Polizeikräften eingesetzt werden. Jernbergs fertigt in der Manufaktur individuell gestaltbare Kombis für Renn- und Tourenfahrer.


Der kommende Tag ist der Freitag, an dem das Treffen des Norsk Moto Guzzi Klubb startet. Meine Spannung steigt immer mehr. Ich will niemanden langweilen und erwähne daher nur am Rande, dass  ich wieder mal im Regen starte. Durch den Westteil Dalarnas geht es in Richtung Norwegen. Dalarna bedeutet ‚die Täler‘. Die Landschaft ist waldreich und hügelig. Neben der Holzindustrie ist der Tourismus von Bedeutung. Der idyllische Siljan See und die im westlichen Fjell gelegenen Wintersportorte Are und Idre sind touristische Anziehungspunkte. In der Nähe vom Idre Fjäll werden von Samen Rentiere gezüchtet. Das samische Dorf Idre sameby ist das südlichste Samendorf in Schweden. Erstmals erwähnt wird Dalarna 1177 in der Sverresaga. Später gilt es lange als heidnisches Land. Im 16. Jahrhundert sieht sich Gustav I. Wasa dazu gezwungen vor den Dänen Reißaus zu nehmen. Er flüchtet nach Dalarna und kann die traditionell aufrührerische Bevölkerung zum Kampf gegen die Besatzer mobilisieren. Mit den Recken aus Dalarna gelingt ihm die Vertreibung der Dänen, und er wird zum schwedischen König gewählt. Als Erinnerung an eine Episode dieser Geschehnisse findet heute alljährlich der Wasalauf statt.


Ich folge den wunderbar einsamen und geschwungenen Straßen in Richtung Röros. Mit dem Überschreiten der norwegischen Grenze komme ich der Frage nach den hiesigen Guzzi-Fahrern einen entscheidenden Schritt näher.

Einsame Straßen auf dem Weg nach Röros


Herrliche Ausblicke auf den Femund See laden zum Verweilen ein. Mich treibt es jedoch weiter in die alte Bergbaustadt. Die Kommune ist bekannt für ein raues Klima. Röros gilt mit einem Rekord von -50,4 °C im Jahre 1914 als einer der kältesten Orte Norwegens.
Und da, was sehe ich ? Jawohl ! Die ersten beiden Guzzis. Wir winken uns kurz zu und werden garantiert nachher noch das Vergnügen haben.


Röros mit seinen etwas über 5.000 Einwohnern hat eine lange Bergbautradition. Zwischen 1644 und 1977 wurde hier Kupfererz abgebaut. Die großteils noch erhaltene Bausubstanz hat Röros eine Eintragung in der World Heritage List der UNESCO eingebracht. Weil Norwegen keine eigene Bergbautradition hatte, wurden Bergleute aus ganz Europa nach Röros geholt. Die Volkszählung in Dänemark-Norwegen aus dem Jahr 1769 ergab, dass damals etwa 2.000 Menschen in Röros lebten. Mehr als die Hälfte davon waren Bergleute mit ihren Familien. Zu dem gab es Bauern, die sich im Kupferwerk ein Zubrot verdienten. In den Jahren 1779-1784 wurde die verhältnismäßig große Kirche, mit den Insignien ‚Schlägel und Eisen’ am Glockenturm, gebaut. Sie kann als Zeichen für die wirtschaftliche Blüte des Gruben- und Schmelzbetriebes im 18. Jahrhundert angesehen werden. Mit erstaunlichen 1.640 Sitzplätzen ist sie heute nach der Kirche von Kongsberg und dem Nidarosdom in Trondheim die drittgrößte Kirche in Norwegen.

Impressionen aus Röros



Am Fuße der Schlackenhalden schlendere ich durch die Gassen mit den flachen bis zu 250 Jahre alten Häuser der einfachen Bergleute. Die für Norwegen typisch rostrot oder gelb gestrichenen Gebäude für die Direktoren, Ingenieure und Beamten stehen weiter unten in der Stadt.




Nach dieser kleinen kulturhistorischen Exkursion will ich mich nun unbedingt wieder meiner ursprünglichen Fragestellung widmen. Wie sind hier die Guzzisti drauf ? – Freundlich, sehr freundlich, lautet die Antwort nach dem ersten Eindruck. (Und es gibt ja nie eine zweite Chance, einen ersten guten Eindruck zu hinterlassen…grins). Bevor ich ins Fjell zu dem Treffpunkt fahre, tanke ich noch einmal voll, um für die morgen geplante gemeinsame Ausfahrt gerüstet zu sein. Ich setze gerade den Helm auf, da höre ich den unverwechselbaren Sound zweier Guzzis aus der Ära mindestens 25 (Jahre) vor Euro 3. Man kann wirklich nicht sagen, dass heute alles besser ist als früher, geht es mir durch den Kopf. Und dann stehen Ingalill mit ihrer V65 Lario und Björn mit seiner Le Mans neben mir. Das Hallo ist offen, herzlich und entgegenkommend. Das lässt Guzzi-Fahrers Herz höher schlagen. Wir schnacken kurz und verabschieden uns. Bis gleich…
Das war ein klasse Auftakt, denke ich, während ich auf dem Riksveg 30 die vierunddreißig Kilometer nach Tolga zurücklege. In Tolga verlasse ich den Riksveg, überquere den Fluß Glomma und auf geht es ins Fjell.


Das Herbsttreffen des Norsk Moto Guzzi Klubb

Genüsslich cruise ich in Richtung Hodalen. Nach einer Weile entdecke ich den entscheidenden grün-weiß-roten Hinweis. Das ist es. Das Ziel ist so gut wie erreicht. Der Pfeil deutet nach links, wo das Asphaltband zu Ende ist und die Naturstraße hinter einer Biegung verschwindet. Ja ne, ist klar. Wie war das doch noch….? Und überhaupt. Wie sich das anhört. ‚Natur‘-straße. Ich schiebe die sich aufdrängenden komischen Gedanken beiseite und versuche mich so zu fühlen, als ob ich jeden Tag über Pisten zur Arbeit donnere. Das muss nun sein. Basta! Ich fahre doch nicht über 1.200 km um hier zu kneifen.

Landschaft wie gemalt


Nun ja, letztendlich ist kaum Schotter auf dem Weg und die festgefahrene, erdige Oberfläche ist kaum schlechter als vielen Straßen, die mir auf dieser Tour unter die Räder gekommen sind. Innerlich lache ich über mich selbst und fahre völlig locker weiter. Und plötzlich stehen sie vor mir. Die ersten Maschinen vom Herbsttreffen des Norsk Moto Guzzi Klubb. Jetzt kann ich mich vor Schmunzeln kaum halten. Das ‚Off Road Abenteuer‘ ging über die Atem beraubenden Distanz von einigen hundert Metern.



Italienische Maschinen im norwegischen Fjell



Ich stelle meine Griso neben den bereits eingetroffen Maschinen ab. Es sind etwa zehn Guzzis unterschiedlichster Art. Ein Grüppchen Guzzi Fahrer steht bereits zusammen und schaut natürlich zu dem Neuankömmling herüber. Ich geselle mich dazu und wir stellen uns vor. Arve, der Hauptorganisator, ist schnell ausgemacht. Wir hatten im Vorfeld bereits Kontakt per Email. Ich werde sofort in der Runde aufgenommen und es ist fast wie in einen Kreis alter Bekannter zurückzukommen. Eine wirklich schöne Atmosphäre.
Während wir zusammenstehen und schnacken, treffen laufend Fahrer ein. 

Die Maschinen sind ebenso individuell in Bauart und –jahr , wie ihre Eigentümer. Ein weiter Reigen aus der Guzzi Modellgeschichte läuft ein. Der Nachmittag wird bunt und interessant. Überall wird gefachsimpelt, geschaut und studiert. Es sind auch einige Fahrer aus Schweden angereist. Mit Jaen-Pascal, einem in Stockholm lebenden Franzosen, habe ich ein langes, interessantes Gespräch, nicht nur über Mopedfahren. Die Hodalen Fjellstue bietet Übernachtungs-möglichkeiten in Schlafsaal, Hütte sowie im eigenen Zelt. Zum späten Nachmittag servieren Arve und seine Crew Kaffee, Kuchen und später eine wohltuende Suppe. Das Geschehen verlagert sich in die gemütliche Fjellstue. Die Dunkelheit ist längst hereingebrochen und die Temperaturen dürften sich dem Nullpunkt nähern. Noch immer treffen vereinzelte Fahrer ein.



Der Norsk Moto Guzzi Club feiert dieses Jahr sein 25 jähriges Bestehen. Elin ist seit einundzwanzig Jahren Präsidentin des Clubs. Sie erzählt mir, dass der Club derzeit etwa sechshundert Mitglieder hat. Einmal vergebene Mitgliedsnummern werden nicht neu vergeben, sondern freigehalten. Mit einem Zwinkern verrät sie mir, dass Mitglieder, die kündigen, eh irgendwann wieder kommen. Und die Zurückkommenden freuen sich, wieder ihre alte Mitgliedsnummer zu erhalten. In der Tat spreche ich später mit dem ein oder anderen, der von dem Guzzi Virus nicht losgekommen ist. Hinter vorgehaltener Hand heißt es schon mal : ‚Den ganzen Kaufpreis habe ich meiner Frau nicht verraten…’ Also pssst, nicht weitersagen. Von den schätzungsweisen 1.600 in Norwegen zugelassenen Guzzis sind wohl mindestens 1.200 im Umlauf des Clubs. Das Phänomen der Zweit- oder Dritt-Guzzi ist also nicht nur eine deutsche Erscheinung. Manche Maschine verlässt dadurch kaum den Bereich des Clubs. Vorteilhaft dabei ist, dass man den Vorbesitzer und die Vita des betreffenden Mopeds bestens kennt. Ansonsten ist in Norwegen eine enorme Portion Enthusiasmus notwendig. Derzeit gibt es dort keinen Generalimporteur für unsere geliebte Motorradmarke und eine inländische Ersatzteilversorgung existiert schlichtweg nicht. Viel Kreativität, Eigeninitiative und Geduld ist notwendig, um Teile aus Dänemark, Holland oder Deutschland zu organisieren. Ebenfalls aus Deutschland angereist sind übrigens Frank (Quota) und Dirk (1000 S) aus Mecklenburg-Vorpommern...


Dirk auf seiner 1000 S


...sowie Thomas (Ex-Guzzisti und Gespannexperte) und Jana (Gespann : T5 mit Walter Boot ) aus Krefeld. Es wird ein langer Abend mit super interessanten Gesprächen, vielen Erfahrungswerten zum Austauschen und sicherlich auch neuen Inspirationen...


Also Janas Gespann finde ich ja schon sehr cool...  :)



Guzzi Camp

Nach klarer, frostiger Nacht treffen wir uns zum Frühstück wieder in der Fjellstue. Arves Frühstücksbuffet lädt zum Schlemmen ein. Neben Elch- und Rentieraufschnitt gibt es mit dem Geitost-Käse und sehr fruchtigen Marmeladen auch etwas für die süße Fraktion, der ich zweifelsohne angehöre. Für die gemeinsame Ausfahrt treffen wir uns mit den Maschinen vor der Fjellstue. 



Die älteren Maschinen mit der Vergasergemischaufbereitung sind hinsichtlich ihrer Kaltlaufeigenschaften wohl etwas sensibler als die modernen Einspritzer. (Nicht alles war früher besser.) Ein imposantes Donnergrollen geht durch das Fjell als die über fünfzig Maschinen der knapp siebzig Teilnehmer starten und warmlaufen. Die zweite 850er Griso des Meetings hat eine Termignoni-Anlage mit wirklich tollem Sound.  Echtes Gänsehautfeeling.


Ganz sooo kalt war es dann nun doch nicht. Aber es war definitiv unter 0°C.


Ein anderer Grund sorgt ebenfalls für Gänsehautfeeling. Bei etwa neun Grad Celsius gestartet, bewegen wir uns bei nunmehr vier Grad im Tal in Richtung Alvdal. Ohne lange Unterhose und dicken Pulli, ist das wirklich frisch….huuuua. Aber der Konvoi ist voll beeindruckend. Mehr als fünfzig Guzzis bollern über die Straßen. Da wird mir doch auch ein wenig warm ums Herz. Meine Griso ist die zweite Maschine hinter Janas Gespann (mit Thomas im Boot) und ich staune nicht schlecht, wie flott sie unterwegs ist. Respekt!
Berühmtester Sohn Alvdals ist der in Norwegen sehr geschätzte Humorist und Schriftseller Kjell Aukrust. Da Guzzi Fahrer ja keine Kulturbanausen sind, besuchen wir das hiesige Aukrust Museum. Die norwegischen Freunde übersetzen uns die Erläuterungen so gut es geht in Englisch.


Anschließend löst sich die große Gruppe auf. Individuell oder in geführten Kleingruppen geht es über verschiedene Zwischenziele retour nach Hodalen. Frank berichtet nachher begeistert von einem Naturstraßentrip auf einen der umliegenden Berge. Hoch hinaus geht es dann auch im Guzzi Camp. Im Bierkasten-Stapel-Kletterwettbewerb sind erstaunliche Leistungen mit über zwanzig Kästen zu bewundern.

Arve in Aktion. 
(Vier Jahre später treffe ich Arve zufällig in Nordschweden wieder.)


Elin bei der sportlichen Einlage


Den Abend starten wir mit einem unheimlich leckeren Abendessen (Elch). Großes Kompliment an die Crew von Arve und seiner Frau Aud Lillian . Viele Gespräche sind heute deutlich weniger techniklastig als gestern und wir schnacken auch über Gott und die Welt.

Ein Höhepunkt des Abends ist die Verleihung diverser Preise. Stellvertretend und mit entsprechendem Respekt seien genannt : Per Hammeraas, mit 66 Jahren der älteste Teilnehmer. Das finde ich wirklich klasse. Die weiteste Anreise innerhalb Norwegens legte Karl Inge Kristoffersen aus Haugesund an der Südwestküste zurück. Das müßten wohl so um 850 km sein. Die Auszeichnung für die längste Anreise aus dem Ausland geht an Frank. Er hat immerhin über 1.500 km zurückgelegt, um dabei zu sein. Auch er erhält einen sehr schönen hölzernen Wandteller. Es ist eine gelungene Interpretation aus traditioneller Maltechnik und Farbgebung mit einem modernen Motiv, dem Guzzi-Schriftzug. Wirklich eine sehr schöne Idee. Neben diesen eher klassischen Ehrungen wird es nun zunehmend amüsanter. 

Ein starker Applaus geht dann für Kari Paulen ein. Sie ist die Meisterin des Bierkasten-Stapel-Kletterwettbewerb. Dann verlassen mich etwas die Möglichkeiten sprachlich sauber mitzuschneiden. Aber der nächste Preis geht wohl an den ruhigsten Schläfer im Schlafsaal. Ich glaube, er ist aber für die zweite Nacht umgezogen, da das Schnarchen der Mitschläfer den Sound einer Lafranconi-Anlage annahm. Besonders heiter wird es bei dem letzten Preis, einem ganz besonderem Preis. Arve erläutert wohl, dass es sich die Jury bei dieser Vergabe wirklich nicht einfach gemacht hat. Es muss wohl eine Geschichte mit längerer Vorgeschichte sein. Einer der Teilnehmer bekommt jedenfalls unter großem Applaus und viel Gelächter einen Set neuer Mopedunterwäsche überreicht… Die Tischnachbarn haben vor Lachen Tränen in den Augen und somit fällt die Übersetzung etwas vage aus. In jedem Fall haben wir noch viel Spaß an dem Abend.

So individuell die Maschinen und ihre Eigner auch sind, und so unterschiedlich die Motivationen zum Mopedfahren seien mögen. Der Guzzi Geist eint uns Teilnehmer, unabhängig aus welchem Land wir kommen. Mehr als nur ein Hobby, teilen wir eine gemeinsame Leidenschaft. Und das ist ein richtig schönes Gefühl. Als Neuling zum Treffen des Norsk Moto Guzzi Klubb zu kommen, ist wirklich wie gute alte Bekannte wiederzutreffen. Vielen Dank an Arve, Elin und alle norwegischen Guzzi-Fahrer des Treffens.


Streiflichter vom Treffen

Moderner Klassiker


Der wahre Grund für Trittbretter an den Californias.


Classic trifft auf Moderne.







Wie es durchs Fjell nach Hause geht…

Der Morgen ist wieder klar und frostig. Wohl dem, der nachts nicht mehr zur Bier-Entsorgung aus dem Schlafsack musste. Motorräder und Zelte sind von einer Schicht aus Reif und Eis überzogen. Nur zaghaft vermag die Sonne die Luft zu erwärmen. Die Augen schweifen über das Fjell und erspähen in der Ferne die Oberseite von Wolkengebilden, die in den Tälern festliegen.


Bei diesen Bedingungen beeilt sich niemand um loszukommen. Das hervorragende Frühstück lädt eh zum Verweilen ein und wird ausgedehnt genossen. Gesprächesfäden vom Vorabend werden noch einmal aufgenommen. Erst nachdem die Sonne etwas höher gestiegen ist, löst sich die Runde allmählich auf. Nach herzlichen Verabschiedungen heißt es dann auch für mich, Sachen packen und aufsitzen.


Die Temperatur ist mittlerweile auf angenehme neun Grad gestiegen und die Sonne lacht, wenn auch nur mit bescheidener Kraft. Nach den ersten Kilometern im Fjell werden die Wolkengebilde in den Tälern immer deutlicher sichtbar. Sobald die Straße an Höhenmetern verliert sinkt augenblicklich die Lufttemperatur. Sieben Grad, fünf Grad, vier Grad und schon werde ich von den Wolken verschluckt. Noch ist die Sohle des Glomma Tals nicht erreicht. Die Temperatur sinkt weiter. Bei zwei Grad bleibt die Temperaturanzeige stehen. Ich bin froh heute auf wärmeres Unterzeug gesetzt zu haben.

2 Grad Celsius im Glomma Tal


Die Sichtweite beträgt bestimmt ein bis zweihundert Meter. Gefühlt sind es aber keine zehn Zentimeter. Das Visier beschlägt permanent und muss deutlich geöffnet werden, um überhaupt etwas Sicht zu ermöglichen. Der kalte Fahrtwind zerrt am Gesicht. Die Menschheit ist zwar bis zum Mars vorgedrungen, aber wirklich nobelpreisverdächtige Fortschritte wie tropffreie Kaffeekannen oder beschlagfreie Helmvisiere lassen auf sich warten, geht es mir durch den Kopf.


Etwas unsicher machen mich die mit Raureif bedeckten Straßenabschnitte. Ich reduziere mein Tempo. Vereinzelte norwegische Guzzisti überholen langsam. Wie Glühwürmchen in einer lauen Sommernacht, entschwinden sie mit ihren neongelben Warnwesten vor mir im wabernden Nebel.


War ich gestern noch unschlüssig über den Routenverlauf, liegt es nun auf der Hand, nicht dem Verlauf des Osterdalen zu folgen, sondern möglichst schnell wieder in die Höhen des Fjells, in die Sonne zu kommen. Nach etwa 30 km auf dem Riksvegen 30 schwenke ich nordwärts auf die ‚3’ und gewinne wieder an Höhe. Das Szenario der Abfahrt wiederholt in umgekehrter Reihenfolge und schon bald verlasse ich die Wolkenschicht. Die lächelnde Sonne empfängt mich. Ich freue mich wieder entspannter voran zu kommen und genieße die Aussicht der Fjell Landschaft. Öfter passiere ich pausierende Guzzi Piloten oder werde während kurzer Photostops überholt. Man lächelt und grüßt sich. Eine Atmosphäre von eingeschworener Gemeinschaft liegt in der Luft. Auf spezielle Weise sind dies vielleicht mit die schönsten Momente der Reise. Der Guzzi Geist eint die durchs Fjell cruisenden Motorradfahrer.


Etwa einhundert Kilometer südlich von Trondheim stoße ich auf die lebenswichtige Nord-Süd-Verkehrsader E6. Als wohnmobilbelagerter Nordkapzubringer ist sie zu Sommerzeiten berüchtigt. Aber heute, an einem Sonntagvormittag, Anfang September, ist es einfach nur bärenstark. Zunächst beschleicht mich allerdings fast ein schlechtes Gewissen. Die Strecke ist mir wohl vertraut. Beim Trondheim-Oslo-Radrennen über 542 km nonstop, ging hier zu Beginn der Steigung ins Fjell immer das große Taktieren los. Hier überzocken bedeutete große Schwierigkeiten die restlichen 442 km zu überleben. Erinnerungen flackern auf. Eine leichte Gänsehaut kommt auf. Ich schäme mich fast etwas, nun einfach so am Gasgriff drehen zu können… Letztendlich setzt sich aber das Gefühl des Genießenkönnens durch. In schön geschwungenen Kurven reite ich auf der Drehmomentwelle dem Scheitelpunkt des Dovrefjells entgegen.

Hof im Dovrefjell


Die Attraktion des gleichnamigen Nationalparks sind die vor siebzig Jahren aus Grönland eingeführten Moschusochsen. Sie können sich im Park frei bewegen und sind mit Vorsicht zu genießen. Ein Sicherheitsabstand von zweihundert Metern ist anzuraten. Moschusochsen sprinten schneller als Menschen und sind keineswegs harmlos.


Fjell Landschaft


Traumstraße

Über Dombas geht es nach Otta. Mittlerweile haben sich die Wolken aufgelöst und die Sonne erwärmt das Gudbrandsdalen auf fast schon sommerliche 17 Grad. In einer ausgedehnten Mittagspause brüte ich, über der Karte hockend, die weitere Route aus. Der heutige Tag war bisher ein echter Höhepunkt und ich macht unbedingt Lust auf mehr Norwegen.


Die Berge Jotunheimens, der Jostedalsbreen (größter europäischer Festlandsgletscher) und die Fjorde der Küste locken. Aber meine Zeit ist limitiert und reicht für eine große Runde bei weitem nicht aus. Die Entscheidung fällt zugunsten der ‚51’durch das westliche Oppland. Mit sonorigem Brummen klettert meine kleine Griso wieder tapfer ins Fjell. Die folgenden einhundertfünfundzwanzig (!) Kilometer sind schlichtweg der Hammer. Leute, was soll ich schreiben ? Vergesst die Route 66. Norwegen ist das ideale Biker Land. Es ist nicht leicht in Worte zu fassen. Wenn man nordische Landschaften mag, ist man hier jedenfalls genau richtig unterwegs. Die weite, karge Landschaft des Fjell mit den schneebedeckten Bergen ist für mich absolut faszinierend. Die Straße windet sich abwechselungsreich durch die baumlose Gebirgslandschaft bis auf 1389 m Höhe. Die Gegend ist fast menschenleer und mir begegnen nur wenige Autos. Ich treibe die Guzzi wie im Rausch.


Straße bei Bygdin


Erst am späten Nachmittag erreiche ich wieder eine richtige Siedlung. Beitostolen ist mit seinen dreihundert Einwohnern einer der beliebtesten Wintersportorte Norwegens. Alljährlich werden Langlauf- und Biathlon Weltcuprennen ausgetragen.


Ich beschließe den Tag in Fagernes ausklingen zu lassen. Bevor ich den Campingplatz ansteuere, will ich noch mein Eisenpferd füttern. An der Tankstelle spricht mich ein älterer Herr in einer noch älteren, dreiviertel langen Motorradlederjacke auf die Guzzi an. Er habe selber lange Zeit eine englische Matchless gehabt, aber seine Frau wollte irgendwann nicht mehr als Sozia mitfahren. Daraufhin haben sie sich ein wunderschönes Austin Cabrio zugelegt, mit dem sie jetzt auch unterwegs waren. Er sei zwar leicht anglophil (etwas untertrieben, Anmkg des Autors), Guzzis hätten ihn aber schon immer irgendwie fasziniert. Schade, dass es heute kaum mehr Guzzis in Norwegen gäbe. Na da kann ich ihn natürlich mit aktuellen Informationen versorgen. Und ich sollte mich doch sehr täuschen, wenn ich da nicht diesen gewissen Glanz in seinen Augen wahrnehme, als ich ihm berichte, dass ich just vom Herbsttreffen des Norsk Moto Guzzi Klubb komme. Der Guzzi Geist hat mich wieder eingeholt und flugs sind wir im tiefsten Benzingespräch. Ich gerate in meinen längsten norwegischen Tankstellenaufenthalt…
Das Zelt baue ich dann mit der einbrechenden Dämmerung auf. Aufgekratzt krieche ich in den Schlafsack, lasse die gemeinsame Zeit mit den anderen Guzzisti und den heutigen Fahrtag Revue passieren. Zufrieden schlafe ich irgendwann ein.


Der neue Tag begrüßt mich mit prasselndem Regen. Beim Einschlafen hört sich so etwas definitiv romantischer an, als beim Aufstehen. Der Regen ist derart intensiv, dass ich mich veranlasst sehe, noch im Zelt nicht nur die Lederkombi, sondern auch das Regenzeug anzulegen. Mein Biwakzelt verlangt mir dazu eine fast zirkusreife Schlangenmenschnummer ab. Ohne einer chiropraktischen Nachbehandlung zu bedürfen, gelange ich in meine Klamotten und aus dem Zelt. Mit spitzen Fingern, immerhin habe ich vor kurzem noch die wohlige Wärme des Schlafsacks um mich herum gehabt, raffe ich alles zusammen und lade auf. Bei aufmunternden zehn Grad fahre ich zur Tankstelle und gönne mir einen Kaffee. Neben der Straßenkarte studiere ich den Wetterbericht einer Tageszeitung  und entdecke nebenbei erstmals den Becherhalter meiner Griso. Guzzis sind eben perfekte Reisemaschinen.

Becherhalter


Es ist früh am Morgen. Die Tankenden sind auf dem Weg zur Arbeit und niemand verwickelt mich heute in ein Gespräch. Mangels Alternativen starte ich nach dem zweiten Kaffee.


Laut Zeitung soll sich das Wetter heute nicht ändern. Zum Trost besteht morgen Aussicht auf wechselhaftes Wetter. Wenigstens kein Dauerregen. Da ich mich eh mehr oder weniger direkt in den Regenwolken befinde, verzichte ich auf landschaftlich herausragende Strecken oder schmale Gebirgsstraßen. Ich will mich lediglich in eine möglichst günstige Ausgangsposition für den morgigen Tag fahren. Die Fähre verlässt Kristiansand am Nachmittag und bis dahin will ich noch möglichst viel sehen, ohne in Zeitdruck zu geraten. Es regnet wirklich aus vollen Kübeln und die Straßen sind anfangs ausgesprochen schlecht. Wie mancher Troll das Tageslicht, scheue ich den rechten Fahrbahnrand. Frost, Ausspülungen und schwere LKW führen zu Fahrbahnaufbrüchen, die sich nicht mal mehr mit Bitumen flicken lassen. Bei Rechtskurven bemühe ich mich, den Scheitelpunkt nicht zu nah an den Rand legen.


Die Sache mit dem Regenzeug

Nach etwa zwei Stunden mit Fahrbahnaufbrüchen, wassergefüllten Spurrinnen und ständigem Visierwischen steuere ich Honefoss an. Am Rande der Fußgängerzone pelle mich umständlich aus dem Regenzeug und versuche einen möglichst zivilisierten Eindruck zu machen, als ich in das gegenüberliegende Café gehe. Ich verwöhne mich mit einer heißen Schokolade. Als ein junges Päarchen das Café betritt, klappt mir unbewusst der Unterkiefer herunter. Die beiden scheinen direkt einem Lifestyle Modemagazin entschlüpft zu sein. Der Typ trägt eine Sonnenbrille, cool ins Haar gesteckt. Ich überlege, ob ich vielleicht den Wetterbericht falsch interpretiert habe. Ein Blick auf die Pfütze am Boden unter meinem Regenzeug gibt mir meine Selbstsicherheit zurück. Es muss wohl eher an der relativen Nähe zu Oslos Stadtkultur liegen. Bevor ich mich zu sehr wieder der Zivilisation nähere, beschließe ich in Richtung Telemark aufzubrechen.


Mit einem Prozedere, das sich mühelos mit dem Ankleiden eines NASA Astronauten messen ließe, mache ich mich startklar. Nicht minder ausgeklügelt ist mittlerweile mein System. Zunächst wird die zweiteilige Regengarnitur entklettet. Die Klettverschlüsse scheinen geradezu hungrig nach dem Netzinnenfutter zu sein. Einstiegsgerecht vorbereitet, steige ich zuerst in die Hose. Immerhin sind die Reißverschlüsse der Hosenbeine so hoch angesetzt, dass der Einstieg möglich ist, ohne die Stiefel ausziehen zu müssen (und einbeinig auf Socken im Nassen rumzuhüpfen ). Nach mindestens zweifachem Klemmen der nassen Finger in den Reißverschlüssen sind die Hosenbeine hermetisch versiegelt. 

Das Hochziehen der Hose bis über den unteren Saum der Lederjacke (sonst passt alles nicht zusammen) ist dagegen eine vergleichsweise einfache Übung. Nachdem die Lederjacke ganz geschlossen und der Kragen hochgeschlagen ist, schlüpfe ich in die Regenjacke. Sofern die Anti Flatter Kompressionsriemen an den Armen der Regenjacke vorher geöffnet wurden gelingt auch das. Mit einer raffinierten Torsionsdrehung gelangen die Hände an den Reißverschluss, der Regenjacke und –Hose fahrtwindtauglich miteinander koppelt. Das Schließen des Frontreißverschlusses und Zurechtlegen des Regenjackenkragens geht leicht von der Hand. Genau jetzt gilt es den Helm aufzusetzen. Solange die Hände noch von den Handschuhen befreit sind, besteht die Chance den Riemen zu schließen und die Halskrause so unter den Helm zu stopfen, dass der Hals warm bleibt. So kurz vor dem Start kommt die Prozedur zu ihrem zweifelsfreien Höhepunkt. Das Anlegen der Handschuhe. Meine Handschuhe sind so auf die Lederkombi abgestimmt, dass die Stulpen innerhalb der Ärmel getragen werden. Dazu ist nun das Kunststück notwendig, die scheinbar für zarte chinesische Ärmchen dimensionierten Regenjackenärmelbündchen soweit hochzuschieben, dass ich einen Handschuh anziehen, die Reißverschlüsse der Lederjackenärmel schließen und die Regenjackenbündchen darüber ziehen kann. 

Die Prozedur steigert sich in ihrer Komplexität erheblich, wenn es um den zweiten Ärmel geht, da nun beide Hände in den Handschuhen stecken, wodurch die Feinmotorik etwas leidet. Geschafft, endlich geschafft! Lohn der Anstrengung ist immerhin eine wasserfeste Abdichtung. Das Visier beginnt bereits zu beschlagen, obwohl es weit geöffnet ist. Nun nichts wie los.


Ich will den Zündschlüssel drehen…und stelle fest, da ist KEIN Schlüssel im Zündschloss. Aus Gewohnheit stecke ich den Zündschlüssel immer in die rechte Jackentasche. In die Lederjackentasche ! Mir gehen etwa die Gedanken durch den Kopf, die bei Hägar dem Schrecklichen mit Streitäxten und Totenköpfen in den Gedankenblasen dargestellt werden.


Einige Zeit später starte ich dann wirklich. Nein, nein. Lederbekleidung zum Motoradfahren finde ich wirklich toll. Aber auf der Weiterfahrt verspüre ich die starke Vorstellung, dass wer derartige Regenkombis entwirft, produziert und/oder in Umlauf bringt mit der Höchststrafe von nicht unter vier Wochen Schottland im Dauerregen bestraft  werden sollte. In Gedanken entwerfe ich mir meinen Traumregenkombi und die Stimmung wird bald besser. Und es klart allmählich auf.

Stabkirche in Heddal


Seljord, zweihundert Kilometer von Kristiansand entfernt, dient mir als Übernachtungsort. Das Wetter zeigt sich wieder von der trockenen Seite und der Campingplatz scheint höheren Standards zu sein. Ich freue mich auf die warme Dusche. Die Campingsaison ist längs zu Ende und die Platzwahl fällt auf den äußerst großzügigen Rasenflächen nicht schwer. Umso überraschter stelle ich nach dem Duschen fest, dass sich zwei Riesenwohnmobile so dicht an mein Zelt gestellt haben, dass sie mir fast über die Spannleinen gefahren sein müssen. Egal, denke ich, ich lasse mir den Tag nicht mehr vergraulen und schlüpfe in den Schlafsack. Trotz des kühlen Wetters sitzen sie noch lange draußen, schnacken und lachen laut. Spätestens gegen Mitternacht bereue ich, nicht diesen Termignoni Endtopf zu haben. In dem Fall hätte ich doch sogar noch gerne den Schalldämpfer vor dem frühmorgendlichen Start herausgenommen…


Der letzte Tag in Norge zeigt sich, wie erwartet, mit wechselhaftem Wetter. Dennoch ist es ein Tag wie aus dem Motorradbilderbuch. Die längste Gerade, die mich erwartet, ist das Fahrzeugdeck der Fähre. Es ist kaum zu glauben, aber ich bewege mich durch eine völlig geradenbefreite Landschaft.

Telemarksvegen


Mit einem sagenhaften Kurvenswing gelange ich über den Telemarksvegen in Richtung Kristiansand und bin überglücklich. Das ist Motorradfahren pur! Und Norwegen ist wahrhaftig ein ideales Revier für die Guzzi. Mit dem kernigen und charakterstarken V 2 macht es unendlich viel Spaß aus den Kurven heraus zu beschleunigen.


Das war’s…

Geschafft, grinse ich innerlich und stehe um 12:00 Uhr am Yachthafen in Kristiansand. Das war der Ausflug nach Norwegen. Ich blicke auf das Meer und genieße den Augenblick. Meine Gedanken schweifen auch zu Frank und Dirk. Ob sie es wohl geschafft haben ? Zum Polarkreis und wieder rechtzeitig retour ?


Ich seufze vor mich hin. Das war es dann wohl im nördlichen Guzzi-Land. - Oder ? 

Ich blicke auf die Uhr, dann auf die Straßenkarte. Kap Lindesnes, der südlichste Punkt Norwegens dürfte eigentlich nicht zu weit entfernt liegen. Und ich mag ja diese geografischen Ziele. Mir ist klar, dass ich mich von meiner Straßenkarte im Maßstab 1 : 1,25 Millionen nicht täuschen lassen darf. Klar, es sind schon noch ein paar Kilometer. Hmm…die Fähre läuft um 16:30 aus. Also habe ich noch fast viereinhalb Stunden Zeit. Ich veranschlage je eineinhalb Stunden für den Hin- und Rückweg, eine halbe Stunde am Leuchtturm und dann bleibt mir noch eine knappe Stunde für das Einchecken. Was gibt es da noch zu überlegen ? Schon habe ich den Helm auf und verlängere mir den fantastischen Kurvenswing…


Der Leuchtturm an dem rauen Kap stammt aus dem Jahr 1915. Seine Geschichte reicht aber bis in das Jahr 1656 zurück. Mein Timing geht nahezu exakt auf und es war ein kleines i-Tüpfelchen zum Ende des Norwegenaufenthaltes.


Impressionen vom Kap Lindesnes





An diesen Ort werde ich bestimmt noch einmal mit mehr Zeit und Muße zurück kommen. (In der Hauptreisezeit wird man bestimmt auch mehr Zeit für Anfahrt einplanen müssen. Aber die Griso lief wirklich gut….grins.)


Wegweiser oder Inspiration ?



Das war es dann aber wirklich…

Beim Boarding stoße ich auf einen sympathischen, jungen Duisburger mit einer gar nicht mehr so jungen 500er Suzuki. Er war das erste Mal in Norwegen und es ist schön, die Begeisterung teilen zu können. Wir fahren zwar nur mit einer Schnellfähre, aber die Zeit vergeht wie im Flug.


Die Route des folgenden Abschlusstages verläuft von Hirtshals nach Kiel. Dänemark ist auch sehr schön. Nach einem Norwegenaufenthalt fehlt aber die notwendige Sensibilität für die speziellen jütländischen Reize.

Route in Schweden und Norwegen



Und wie sind sie nun, die norwegischen Guzzi-Fahrer ?

Like gaerne som oss… – Genauso verrückt wie wir…


Text und Fotos Andreas Thier 09/2008


Und wer mehr über die inspirierende Wirkung des Wegweisers wissen will,
wird hier schlauer...