Oh man - Oman
Irgendwo bei 22,5° N und 59,7° E
...sitze ich auf einem staubigen Stein und schmiege mich mit dem Rücken an eine weiß getünchte Hauswand. Der Mittag ist vorbei, aber die Sonne steht gefühlt noch immer im Zenit. Der Schattenwurf ist sehr, sehr schmal. Nur mit angewinkelten Beinen ist es möglich der direkten Sonnenstrahlung zu entgehen. Die Temperatur beträgt fast vierzig Grad - im Schatten.
Nordwestlich erstrecken sich die über 2.000 Meter hohen Ausläufer des Al Hajar Gebirges. Etwa 50 Kilometer südwestlich von mir beginnt die Rimal Al Wahiba, die Wahiba Wüste. Und vor mir eröffnet sich die 180 Grad Sicht auf ein Meer. Der nächste große Hafen ist Karatschi in Pakistan, fast 1.000 Kilometer entfernt. Bis zur Südspitze Indiens sind es nahezu 3.000 Kilometer.
Hinter mir liegen über 900 Kilometer im Fahrradsattel. Über 900 Kilometer Gebirge, Weite, Wüste, unerbittliche Sonne, heißer Gegenwind, kühlende Oasen und unglaubliche Begegnungen mit Menschen, deren Gastfreundschaft mich noch immer tief beeindruckt. - Ich bin im Oman.
Unterwegs in der Weite des Oman
Die 172 km Etappe des Vortages ist vielleicht nicht ganz spurlos an mir vorüber gegangen. In jedem Fall genieße ich die Pause und den schmalen Streifen Schatten. In der Hoffnung auf irgendeinen kleinen Laden hatte ich die Landstraße verlassen und bin einer Schotterstraße in Richtung dieses Dorfes gefolgt. Aber heute ist Freitag, Yaum al-Dschum’a, der Wochentag der Zusammenkunft, des Gemeinschaftsgebetes. Da sind geöffnete Läden erwartungsgemäß eine Ausnahme. Wie überhaupt die Versorgungsmöglichkeiten für Radfahrer in einem Land mit geringer Besiedlungsdichte eher rar sind.
So sitze ich hier auf meinem Stein und mache mir Gedanken über die Einteilung der wenigen Reserven in meinen Gepäcktaschen. Noch bevor ich zu Ende denken kann, ertönt der Ruf des Muezzins. Das Ende des Freitagsgebetes. Schlagartig werde ich mir meiner Situation bewusst. Mindestens so staubig wir der Stein, sitze ich hier am „Sonntag“ in kurzen Hosen an der Außenmauer eines Privathauses. Nicht die beste Ausgangssituation um sich nicht unbeliebt zu machen. Ich bin hier definitiv der „Außerirdische“, der sich deutlich abhebende Fremde. Die lange Hose zum Drüberziehen in Pausen ist bereits am Ende des ersten Tages geopfert worden. Grundsätzlich verschafft man sich als Mann in islamischen Staaten mit Knie zeigenden kurzen Hosen nicht gerade Respekt. Zum Glück geht es im Oman recht liberal zu, unangenehm ist es mir dennoch. Vor allem in den eher ländlichen Gegenden. Aber mein Hosenopfer erschien mir als absolute Notwendigkeit. Denn aus den Hosenbeinen habe ich mir luftige Armlinge genäht, die mir als einzig wirksames Mittel erschienen, um die Arme beim Radeln vor der Sonne zu schützen.
Typische ländliche Siedlung
Die Moscheebesucher machen sich auf den Heimweg. Das ruhige Dorf erwacht zu Leben. Noch bevor ich über einen Wechsel an eine weniger exponierte Stelle nachdenken kann, biegt der Hausherr um die Ecke. Mitte Dreißig, sehr gepflegtes Äußeres, traditionelle knöchellange Dishdasha (Männergewand) und raffiniert bestickte Kummah (omanische Kappe). Und Haltung! Diese unglaubliche Haltung, die die Omani ausstrahlen können. Er bleibt vor mir stehen.
„Salam“ grüße ich, nachdem ich aufgestanden bin, dabei die Sonnenbrille abgesetzt habe und bemüht bin, soviel Haltung anzunehmen, wie es mein durchgeschwitztes und staubiges Radsportoutfit zulässt. Die rechte Hand zum Herzen geführt verbeuge ich mich leicht und setze ein freundliches Lächeln auf, das irgendwie auch um Entschuldigung bittet und auf Verständnis hofft.
Zum Glück wird einem als Radreisender meistens immerhin ein gewisses Maß an innerer Haltung unterstellt. „Wa-´alaikumu s-salam“ erwidert der Hausherr wirklich würdevoll und wechselt zu meiner Erleichterung übergangslos ins Englische. Er schaut überaus freundlich und sichtlich interessiert, angesichts meines ungewöhnlichen Reisegefährtes. Ich bin erleichtert und glaube, dass wir eine gute Basis haben. Er freut sich, dass ich sein Land bereise und ist sichtlich beeindruckt meiner zurückgelegten Strecke. Es entwickelt sich eine sehr angenehme Konversation, in dessen Verlauf der ein oder andere Vorbeikommende vorübergehend einbezogen wird. Ich werde wiederholt gefragt, wie es mir im Oman gefällt und ich berichte von meinen beeindruckenden Erfahrungen. Das löst große Freude aus und es sind durchweg gute Worte und Wünsche, die mir entgegengebracht werden.
Nach zehn oder fünfzehn Minuten verabschieden wir uns herzlich. Kurz nachdem er sich in sein Haus begab, kehrt er noch einmal zurück und beschenkt mich wohlwollend mit Wegzehrung. – Ja, ich bin im Oman.
Shukran! (Danke)
Wie kommt man in den Oman?
Oh man – Oman!? Das war die häufigste Reaktion als ich meine Reisepläne durchsickern ließ. In der Regel folgte die Frage, wie man denn in den Oman komme? Die Reaktionen auf die Antwort - „Auf eigener Achse, 6.200 km durch den Balkan, die Türkei und den Iran zum Hafen Bandar Abbas und von dort mit der Fähre über die Straße von Hormus nach Dubai. Und dann noch einmal 100 km über Land.“ – ließen leichte Irritationen erkennen. Vor allem bei jenen, die mich etwas länger kennen und dies nicht im Bereich des Unmöglichen verorteten.
So gerne ich das auf eigener Achse durchgezogen hätte, so sehr fehlte mir das Zeitkontingent dazu. Also ganz pragmatisch, rein in den Flieger und nach rund sieben Flugstunden in einem fernen Teil der Welt aussteigen.
Flugroute
(Spätestens bei der Anpassung der Flugroute an den irakischen Grenzverlauf (zur Vermeidung des Überfliegens irakischen Territoriums) und mit einem Blick auf erkennbare Städte wie Mossul, Erbil, Bagdad oder Basra, wird mir mal wieder bewusst, dass die Teile der Welt gar nicht so fern sind. Die Greul aller drei Golfkriege lagen immer nur wenige Flugstunden von unserem heimeligen Mitteleuropa entfernt.)
Natürlich traf meine Antwort nicht den eigentlichen Kern der Oman-Frage. Die Frage hinter der Frage war, wie ich auf die Idee kam, ausgerechnet in den Oman zu reisen.
Die Antwort ist im Grunde verblüffend einfach. Ich hatte keine Lust mehr auf Winter und wollte daher im März irgendwo in der Sonne radeln.
Nördliches Schleswig-Holstein, 01. März 2018
Neben der Sonne waren ‚kein Massentourismus‘ und ‚noch nicht da gewesen‘, die entscheidenden Kriterien. Ich fahre weder, um mich selbst, noch um den Sinn des Lebens zu entdecken. Es ist die pure Lust unterwegs zu sein und ein Stückchen der vielfältigen Welt zu entdecken. Neugierig und noch nicht dort gewesen zu sein, ist für mich Motivation genug, um irgendwo hin zu reisen.
Eher beiläufig hatte ich in der jüngeren Vergangenheit vereinzelte positive Radreiseerfahrungen aus dem Oman registriert. Zudem stieg aus der Tiefe meiner Reisesehnsüchte wieder die Neugier nach Wüsten auf. Sonne, Oman, Wüste – das lockte ungemein…
Aber ist es wirklich schlau in ein Land zu reisen, welches eine über 300 Kilometer lange, eher schwer zu überwachende Grenze mit dem Jemen hat? – Der folgende Fakten und Risiko Check lief zwar bewusst neutral und routiniert an, konnte aber die zunehmende Begeisterung kaum bändigen.
Klima: machbar (wenn man mit Hitze umgehen kann, was ich von mir denke)
Topographie und Distanzen (zwischen Siedlungen): sportlich
Straßenbeläge: scheinbar deutlich besser als in Schleswig-Holstein
Tageslichtphase (zur Überwindung der Distanzen): ausreichend
Wind: außer für den Küstenabschnitt nicht weiter recherchiert (kann so oder so oder anders wehen)
Impfschutz: vorhanden
Sicherheitslage: Abgesehen von möglicher Piraterie vor der Küste und der Lage in den Grenzgebieten im Dreiländereck Jemen/ Saudi Arabien/ Oman, kann der Oman wohl als eines der sichersten Länder auf unserem Planeten bezeichnet werden. So mein Eindruck nach wirklich intensiver Recherche.
Das Zusammenstellen der Ausrüstung folgt dem bewährten Muster. Zelt und Schlafsack bleiben zu Hause. Ich setze darauf, dass ich fit genug bin, die Distanzen zwischen den Siedlungen zu schaffen. Bei den zu erwartenden Temperaturen wäre ein improvisiertes Biwak zudem unkritisch.
Ausrüstung
Bei der abgebildeten Ausrüstung verhält es sich so, dass ich entweder Teile der linken (zivilen) oder der rechten (sportlichen) Bekleidung am Körper trage. Somit wäre eine Sattel- und Lenkertasche zum Transport des Restes ausreichend. Meine Wahl fällt dennoch auf zwei Gepäcktaschen. Diese sind somit nur halb mit Ausrüstung gefüllt, wodurch genug Kapazität für den Transport von Wasser und Futter bleibt.
Im Oman
Omanische Flagge
Weiß: Frieden und Wohlstand / Rot: Kraft und Stärke / Grün: Fruchtbarkeit des Landes
Mit einer örtlichen Ankunftszeit nach 20:00 erfolgt der Landeanflug in der Dunkelheit. Ich bin so was von gespannt, wie der Oman mich empfangen wird. Der Flughafen liegt mitten in der sich über etwa 60 Kilometer entlang der Küste erstreckenden Hauptstadtregion und etwa 25 Kilometer westlich vom historischen Muscat. Die Lichter der miteinander verbundenen Orte und des Straßennetzes stehen in starkem Kontrast zum dunklen Meer und zum gänzlich unbeleuchteten Hinterland.
In der Ankunftshalle des Flughafens geht es total tiefenentspannt zu. Scheinbar ist unsere Boing der einzige Flieger, der noch abzufertigen ist. Die Passagiere setzen sich aus Heimkehrern, Geschäftsleuten, Weiterfliegern (am nächsten Tag) sowie Individual- und Kleingruppentouristen aus Großbritannien und aus Deutschland zusammen. Dank des e-Visums, welches ich vorab via Internet bei der Royal Oman Police beantragt und erteilt bekam, ist die Einreise unkapriziöser als der Fahrkartenerwerb bei der Deutschen Bahn. Um ehrlich zu sein erwartete ich einen strengen arabischen uniformierten Grenzpolizisten, der womöglich noch Fragen nach dem Zweck der Einreise stellt. Aber das komplette Gegenteil ist der Fall. Der Beamte, mit Dishdasha und Kummah gekleidet, begrüßt jeden Einzelnen freundlich und erledigt die Formalitäten im Handumdrehen. Und schon bin ich mit formeller Absegnung im Oman.
In der Vorhalle des Flughafens ist es lebhafter, aber von stressigem Gewusel ist keine Spur. Ausgestattet mit den getauschten Rial, meiner Gepäcktasche und der Radtransporttasche auf Rollen verlasse ich das Flughafengebäude und augenblicklich erwischt mich der Hammer. Es herrschen wohl an die dreißig Grad, gepaart mit einer unglaublich klaustrophobischen Luftfeuchtigkeit. Willkommen im subtropischen Klima der omanischen Küste. (Die Klimatisierung des Flughafengebäudes funktionierte offensichtlich hervorragend.)
Auf dem Vorplatz ist es deutlich geschäftiger, aber irgendwie dennoch entspannt. Trotzdem fühle ich mich schlagartig in den Orient versetzt. Dominierte im Flughafengebäude noch die westlich orientierte Internationalität, hier herrscht das eigene Erscheinungsbild eines Landes auf der arabischen Halbinsel. Ein paar Minuten lasse ich die neue Umgebung auf mich wirken und beobachte, wie das Leben hier tickt und wie die Menschen miteinander umgehen. Dann begebe ich mich an den Taxistand. Der nächste freie Taxifahrer spricht zwar kein Englisch, aber er fährt ein ausreichend großes Auto, welches mein verpacktes Rad mühelos aufnimmt. Mit dem Ausdruck der Hotel Adresse (sowie der Route) kann er sofort etwas anfangen und die Fahrt geht los. Wir versuchen uns radebrechend auszutauschen, kommen aber nicht wirklich weiter. Ich glaube, Taxifahrer sind weltweit eine Sorte für sich und es gibt wohl mindestens ebenso viele Abzockergeschichten wie Taxifahrer.
Aber für mich fühlt sich die Fahrt mit dem freundlichen Fahrer angenehm an. Wir fahren auf Schnellstraßen durch die nächtliche Hauptstadtregion und ich bekomme einen ersten Eindruck einer wirklich modernen Agglomeration. Soweit ich das mit meinem Orientierungssinn beurteilen kann, verläuft die Fahrt ohne extra Schleifen direkt ins Hotel Al Madinah Holiday. Angekommen, geht der Taxifahrer noch sehr hilfsbereit und zuvorkommend beim Entladen des Rades zur Hand. Ich bin mit den Lebenshaltungskosten des Landes natürlich noch nicht vertraut, aber der Fahrpreis scheint ganz normal zu sein (was sich später bestätigt).
Das Al Madinah habe ich mir gewissermaßen gegönnt. Unterwegs auf Tour nehme ich was eben an Unterkünften kommt und wenn es ein Biwak ist, aber Start und Ziel dürfen gerne etwas angenehmer sein. Zudem ziele ich auf ein zuverlässiges Haus, da ich den Radtransportsack und meine Winterbekleidung für die Dauer der Tour zu deponieren beabsichtige. Für den Start habe ich zwei Nächte und für die Rücktour eine Nacht vorreserviert. Zwei Übernachtungen zu Beginn der Tour ermöglichen mir einen Tag zum entspannten Ankommen, Radmontage, Akklimatisierung, erstes Eingewöhnen in eine für mich neue Kultur und einfach noch mal Luft holen, bevor es richtig losgeht. Denn die nächste angepeilte Unterkunft liegt satte 155 km entfernt (und die heimischen Trainingsbedingungen waren aufgrund der Schneelage eher suboptimal). Natürlich montiere ich noch am Abend auf dem Zimmer mein Rad. Danach falle ich direkt ins Bett.
Shalumibf
Nach einer wohligen Nacht und dem langen Anreisetag sehe ich zu, zum Frühstück zu kommen. Allein das reichhaltige Buffet vermittelt bereits das Gefühl von tausend und einer Nacht. Obwohl ich ja erste eine Nacht hinter mir habe. Britisch, kontinental und eben ganz viel Arabisches wird angeboten. Allein die Früchte und Kuchen laden zum Verweilen ein. Insgeheim frage ich mich, wie die Omani es schaffen, dabei tendenziell eher schlank zu bleiben. Die Gäste scheinen sich überwiegend aus einheimischen Geschäftsleuten zusammenzusetzen. Die Mehrzahl trägt Dishdasha. Ferner gibt es noch asiatische Geschäftsleute und eine Handvoll internationaler Individualtouristen. So gerne ich hier noch meine Studien treiben möchte, so zieht es mich doch hinaus, um mich einzurollen und die ersten Eindrücke vom Fahrrad aus zu erhaschen.
Allerdings wird mein Start vereitelt. Gerade will ich mich in den Sattel schwingen, da kommt ein omanischer Hotelgast etwas aufgeregt auf mich zu und deutet mir an unbedingt zu warten. Ich bin nicht wirklich beunruhigt, aber dennoch gespannt, was sich da gerade entwickelt.
Überraschender Beginn eines netten Gespräches
Er habe mein Rad bereits in der Hotellobby bewundert und sich gefragt, was es damit wohl auf sich habe. Und bevor ich ihm nun entwische, bittet er um einen Moment meiner Zeit, stellt sich sehr höflich vor und ist hinsichtlich meines Fahrrades und meines Vorhabens sehr interessiert. So sehr mein tarngrünes Pure Bros Rad beim wilden Zelten oder beim Abstellen in irgendwelchen Geräteschuppen mit dem Hintergrund unsichtbar verschmilzt, so sehr scheint es doch besonders zu sein, so dass ich nicht selten darauf angesprochen werde. Sogar hier im Oman.
Begeistert folgt er den Ausführungen zu meinem Vorhaben und ist sichtlich stolz, dass ich sein Land bereise. Wir schnacken bestimmt eine Viertelstunde oder länger und er gibt mir viele Tipps für die Tour und meinen heutigen Tagesausflug. Nicht zuletzt gibt er mir ernst zu bedenken, dass es im Landesinneren sehr, sehr heiß werden kann.
Plötzlich bricht er in überschwengliche kindliche Freude aus, was mich zunächst doch etwas verwirrt. Ich meine, er ist ein gestandener Macho-Mann und offensichtlich im wahrsten Sinne gut betucht. Seine Schweizer Armbanduhr und der Stoff seiner Dishdasha stammen eindeutig aus dem oberen Luxussegment. Aber als er den Schlumpf an meinem Rad entdeckt, freut er sich wie ein Schneekönig. Natürlich sei der Schlumpf auch hier auf der arabischen Halbinsel bekannt – Shalumibf wird er genannt. Schlumpfi begleitet mich seit Mitte der Achtziger Jahre und war mit meinen Eltern auch schon in Neuseeland auf Radtour. In der Tat hat er mir viele interessante Kontakte verschafft, aber dieser ist doch irgendwie besonders.
Nun will ich aber endlich los.
Ich rolle von der Hotelauffahrt, biege rechts ab und bin arg verwundert. Die Wahrnehmungen während der abendlichen Fahrt mit dem Taxi und auch das Hotel an sich vermitteln mir den Eindruck einer modernen urbanen Umgebung. Und nun fahre ich über eine staubige Straße an einem Lkw-Friedhof vorbei, der sich beim zweiten Hingucken als riesige Freiluftwerkstatt entpuppt. Die Fahrzeuge sehen aus, als hätten sie sich nachdem sie in Europa ausgemustert wurden, die letzten zwanzig Jahre über den Pamir- und Karakorum Highway gekämpft. Ich fahre langsam, um das Ganze Ausmaß der Szene zu überblicken. Zwischen den Trucks herrscht ein emsiges und fleißiges Gewusel, wohl vom indischen Subkontinent stammender Schrauber, die hier am offenen Herzen der Dieselmotoren operieren. Ohne Zweifel wird ein Großteil der Trucks bald wieder auf Achse sein. Ich durchfahre ein größeres Gebiet ähnlicher handwerklicher Gewerbe. Zahlreiche Vulkanisierer, Karrosseriekosmetiker und Pkw Werkstätten arbeiten unter staubigen und derart einfachen Bedingungen, dass ich mich frage, wie ein moderner mit Elektronik vollgestopfter Pkw hier überhaupt repariert werden kann. Ich nehme mir vor, mal auf die Automarken zu achten, die hier so gefahren werden. Vielleicht sind die Dinger ja auch so robust und zuverlässig, dass sie einfach funktionieren.
Qaboos
Mit dem Queren einer Hauptverkehrsstraße ändert sich die Szenerie schlagartig. Durch eine weitflächige penibel gepflegte Grünanlage gelange ich zur Sultan Qaboos Grand Mosque und fühle mich wie in tausend und einer Nacht… Alleine deswegen hat sich die Reise bereits gelohnt, geht es mir durch den Kopf, suche mir ein schattiges Plätzchen und lasse die Umgebung auf mich wirken.
Tausend und eine Nacht
Sultan Qaboos ibn Said ist der absolutistische Herrscher des Oman. Die beeindruckende und überwältigende Grand Mosques ist die größte und sehenswerteste Moschee des Landes. Im Inneren finden über 6.000 Gläubige Raum zum Beten. Der Innenhof bietet Fläche für weitere 14.000 Betende. Das höchste Minarett ragt über 90 Meter gen Himmel. Im Inneren der Gebetshalle befindet sich ein persischer Teppich von 70 x 60 Metern, der nicht weniger als 1,7 Mrd. Knoten aufweist. Der Kristallleuchter galt zeitweise als größer der Welt. Gefertigt wurde er mit Swarowski Kristallen in Bayern. Die Moschee steht auch Nichtmuslimen offen.
Nicht minder beeindruckend und von Offenheit geprägt ist das Leben und die Person des Sultans selbst. Dies muss man vor allem vor dem Hintergrund betrachten, dass Mitte des 19. Jahrhunderts das gesamte Land für etwa einhundert Jahre in historischer Stille, wirtschaftlicher Stagnation und internationaler Isolation versank. 1929 gab es nur eine etwa zehn Kilometer lange Asphaltstraße im ganzen Land. Diese verband den Palast in Muscat mit dem Handelshafen in Mutrah.
1940 wurde Qaboos in Salalah, in der Südprovinz Dhofar, geboren. In direkter Linie ist er der achte Nachkomme der Al-Bu-Said-Dynastie, die 1744 von Imam Ahmed bin Said, der das Land nach vielen Jahren des Bürgerkrieges einigte, begründet wurde. Seine Kindheit verbrachte Quaboos in Salalah, wo er von einem alten arabischen Gelehrten unterrichtet wurde. Mit 16 Jahren schickte ihn sein Vater auf eine Privatschule in England. 1960 trat er als Kadett in die Königliche Militärakademie in Sandhurst ein. Im Rahmen der zweijährigen Ausbildung leistete er sechs Monate seines Dienstes bei der britischen Rheinarmee in Deutschland ab. Anschließend studierte er in England Verwaltungswesen. Nach einer dreimonatigen Weltreise kehrte er Mitte der 1960er Jahre in den Oman zurück. Auf Wunsch seines Vaters verbrachte er die nächsten Jahre in Salalah mit dem Studium des Islam sowie der kulturellen und historischen Vergangenheit seines Landes.
1970 sah er jedoch eine Chance zur Machtergreifung und verdrängte seinen Vater vom Thron. Sultan Qaboos oberstes Anliegen war die Öffnung und Modernisierung seines rückständigen, isolierten und völlig verarmten Landes, dass zudem in der Provinz Dhofar von einem Guerillakrieg geplagt wurde, der vom Südjemen angeheizt wurde. Nach der Abdankung seines Vaters zog Qaboos nach Muscat und übernahm die Regierungsgeschäfte. Von seinem Volk wurde er stürmisch begrüßt und umjubelt, als er sich mit dem folgenden Worten präsentierte: „Ich verspreche Euch, dass ich umgehend mit dem Aufbau einer modernen Regierung beginnen werde. Meine erste Maßnahme wird sein, mit sofortiger Wirkung alle unnötigen Bestimmungen, die Euer Handeln einschränken, aufzuheben. Mein Volk, ich werde so schnell wie möglich damit beginnen, Euch ein Leben und eine Zukunft in Wohlstand aufzubauen…“. – Wie gesagt, das war 1970. Ich will nun losziehen und mir einen Eindruck davon verschaffen.
Die Hauptstadtregion
All das habe ich im Hinterkopf, als ich mich wieder in den Sattel begebe und meine Erkundungsfahrt in Richtung Osten fortsetze. Zu mindestens rein Äußerlich scheint es mit der Modernisierung geklappt zu haben. Modernste Büro- und Geschäftsgebäude und Verwaltungs-, Regierungsgebäude flankieren die Hauptstraßenachsen. Die Straßen selber sind breit und von bester Qualität. Bei den Autos handelt es meistens aktuelle Modelle. Gepflegte Grünanlagen sorgen immer wieder für gestalterische Auflockerung.
Moderne Hauptstadtregion
Ich habe keinen festen Plan, lasse mich einfach treiben und folge meiner Neugier. Der Oman umfasst eine Fläche rund 309.500 km² (Deutschland etwa 357.000 km²). Das Relief des Landes ist relativ klar gegliedert. Im Norden und Süden erheben sich Gebirgszüge, denen schmale Küstenstreifen vorgelagert sind. Dazwischen nimmt eine riesige Ebene den größten Teil des Landes ein. Während sie im Osten bis an den indischen Ozean reicht, verliert sie sich im Westen in der Sandwüste Rub al-Khali, das „Leere Viertel“.
Von den rund 4,5 Mio Einwohnern Omans leben etwa 0,8 Mio in der Hauptstadtregion. Sie erstreckt sich mit einer Ausdehnung von 60 x 20 km vom Fischerort Al Bustan im Osten bis nach Seeb im Westen und ist ein Teil des nördlichen Küstenstreifens. Wenn von Muscat als Hauptstadt des Omans die Rede ist, meint dies immer die gesamte Capital Area. Das historische Muscat wäre auch viel zu klein für die komplette Administration. Zusammen mit dem an der Nachbarbucht gelegenen Mutrah und dem zugehörigen Handelshafen Mina Qaboos stellt es aber quasi das politische und wirtschaftliche Zentrum dar.
Gehobenes Wohnviertel
Ich radele entspannt durch Stadtteile, Wohn-, Geschäfts- und Regierungsviertel, immer wieder aufgelockert durch gepflegte Grünanlagen. Die Wohnquartiere der, wie ich vermute, gehobenen Mittelschicht deuten auf einen gewissen Wohlstand hin.
Stadtvilla
In der Mittagszeit kulminiert nicht nur die Sonne, sondern auch die Temperaturkurve. Gepaart mit subtropischer Luftfeuchtigkeit ist das unangenehm, selbst wenn man sich nicht bewegt. Auf dem Rad habe ich natürlich etwas Fahrtwind, aber es bleibt extrem. Hoffentlich ist es im Landesinneren weniger feucht, denke ich, als ich an einem großen voll verglasten Einkaufszentrum vorbei komme. Auf den Straßen sind eher weniger Menschen zu sehen. Hier an den Ein- und Ausgängen herrscht reges Treiben. Schnell entschlossen schließe ich mein Rad an und begebe mich ins Innere des Gebäudes, welches angenehm klimatisiert ist. Im Inneren ist das Gebäude noch edler als von außen. Das Angebot der einzelnen Geschäfte reicht von normalpreisig bis hin zu höchstwertigen Luxusartikeln. Entsprechend breit gefächert ist auch die Kundschaft. Ich schlendere über die zu regelrechten Flaniermeilen gestalteten Passagen und finde die Menschen natürlich noch viel spannender als das Warenangebot. Nicht wenige nutzen die Gelegenheit bei angenehmem Klima zu flanieren und bei einem Qahwa zu pausieren. Die frisch gemahlene Kaffee-Kardamom-Mischung mit einer Prise Safran ist unvergleichlich…
Erstmals in ein arabisches Land zu reisen ist, trotz umfangreicher Reise- und Kultur Lektüre, mit einer großen Spannung und einigen offenen Fragen versehen. Hier bekomme ich Antworten. Um es vorweg zu nehmen, vollverschleierte Frauen bekomme ich nicht nicht zu Gesicht. Das Erscheinungsbild von Frauen und Männern trifft ein breites Spektrum. Von traditionell bis modern ist alles vertreten. Männer tragen häufig Dishdasha und Kummah. Nicht alle Frauen tragen einen Hijab (Schleier). Und wenn er getragen wird, lässt die Art ihn zu tragen Raum für modernen Ausdruck. Die Abaya (Überkleid) ist im Oman ebenso farbfreudig wie der Hijab. Ich sehe aber auch Männer in T-Shirt und Dreiviertelhosen sowie Frauen in Jeans.
Fasziniert setze ich meinen Weg fort und pflüge mich auf meinem Rad durch die schwere schwüle Luft. Mutrah und Muscat hebe ich mir für die Rücktour auf. So viele bunte Eindrücke habe ich aufgesaugt, dass ich beschließe mir ein schattiges Plätzchen am Meer zu suchen und alles etwas sacken zu lassen. Im Arabischen scheint es wohl eine ausgeprägte Picknick Kultur zu geben. Und so nutzen Familien den schattigen Rasen- und Palmengürtel, der sich dem Sandstrand anschließt. Ich finde bei angenehmer Brise ein lauschiges Plätzchen, lasse mich nieder und schaue verträumt auf die Weite des Meeres.
Am Meer
Eine Palme weiter richtet sich kurze Zeit später eine große, drei Genrationen umfassende, Familie für ein Picknick ein. Nachdem alles hergerichtet ist und alle sitzen, ist das erste was passiert, dass man mir einen Orangensaft aus einer Kühltasche anbietet. Einfach so, weil wir ein Fleckchen Erde und den friedlichen Moment teilen.
Das Leben ist schön. Auf Englisch beantworte ich Fragen nach dem Woher und Wohin und bekomme Antworten über das Leben im Oman. Die Jüngeren fungieren dabei als Dolmetscher für die Älteren. Während wir so reden, beobachte ich mit Freude, dass Strandleben etwas Kulturübergreifendes haben kann. Großväter gehen mit Enkeln spazieren und erzählen Geschichten, Kinder planschen und schwimmen im Meer, die Großen lassen mit den Kleinen Drachen steigen, es wird Fußball gespielt. Und zwar unabhängig von Geschlecht und Alter. Auch junge Frauen in Abayas. Welch ein berührender Blick auf das Leben und die Welt.
Plötzliches Kindergeschrei signalisiert ein mindestens mittelgroßes Malheur. Die Schnur des Drachens ist gerissen und er ist mit dem Rest der gerissenen Schnur in der ordentlichen Brise schon uneinholbar den Strand entlang getrieben. Uneinholbar zu Fuß. Flugs schwinge ich mich auf mein Rad, düse den Promenadenweg entlang und schneide dem flüchtenden Ungeheuer den Weg ab. Ich bekomme ihn zu fassen und kann mich mit der Rettungsaktion für den Orangensaft bedanken. Und wenn es etwas wirklich kulturübergreifendes gibt, dann sind dies glückliche Kinderaugen.
Auf dem Weg ins Hotel folge ich so lange es geht dem Strand. Über immer schmaler werdende Fußpfade gelange ich unbewusst (fast jedenfalls) vorbei einem Polizei Checkpoint ins Botschaftsviertel. Ich tue so, als hätte ich nichts bemerkt und entschließe mich weiter zu fahren, falls es keinen Pfiff aus der Trillerpfeife gibt. So bekomme ich noch einmal einen gehörigen Schuss 1001 Nacht. Vor allem die palastähnlichen Botschaften arabischer und einiger südostasiatischer Länder sind wirklich märchenhaft. Das Fotografieren unterlasse ich lieber. Die Polizisten am anderen Ende der langen Straße grüße ich bei meiner Annäherung freundlich. Sie schauen etwas irritiert, denken sich aber wohl, wenn er rein gekommen ist, dann muss es seine Ordnung haben. Und so komme ich auch wieder raus.
Was für ein Tag! - geht es mir durch den Kopf, als ich lächelnd das Hotel erreiche. Beim Abendessen treffe ich den Schlumpf Experten wieder. Wir speisen zusammen und ich bekomme noch etwas Sprachunterricht für hilfreiche Alltagsphrasen. – Was für ein Tag!
Reiner Zufall
Mit Spannung und großer Neugier gehe ich an den Start. Es tag gut, einen Tag zum Einschwingen in einem für mich neuen Kulturraum zu haben. Als Hamad bin Said Ende des 18. Jahrhunderts den Regierungssitz nach Muscat verlegte, wuchs die Stadt zum Zentrum und zur Drehscheibe eines führenden Handelsimperiums heran. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war es der Oman, der weite Teile des Indischen Ozeans bis nach Ostafrika beherrschte. Diese Seehandelsbeziehungen haben den Oman und Muscat nachhaltig geprägt. Dadurch orientierte sich die Stadt immer eher seewärts als zur Arabischen Halbinsel. Internationalität und kosmopolitische Offenheit prägen bis heute die Wesenszüge, des Küstenabschnittes der heutigen Hauptstadtregion.
Genau davon habe ich gestern eine gute Prise mitbekommen. Doch wie wird es im Landesinneren, hinter den Bergen sein?
Zunächst folge ich der Küste nordwestwärts. Die Peripherie der Capital Area ist bereits deutlich weniger besiedelt und geschäftig. Moderne Stadtmenschen haben hier am Meer ihre zum Teil gehobenen Wohnquartiere. In einer zauberhaften lagunenartigen Wohnanlage kümmert sich ein Heer von indischen Gärtnern um die penibel gepflegten Gärten. Hier treffe ich verblüffender Weise verstärkt auf Fahrräder, dem Fortbewegungsmittel der ausländischen Arbeiter in dieser unteren Einkommensklasse. Das offensichtlich robuste Atals Rad scheint bei den Indern wohl State of the Art zu sein.
Indisches Atlas Rad
Noch verblüffter bin ich über einen exzellenten Radweg, direkt an der Küstenstraße. Massen von Radfahrern sichte ich zwar nicht, aber unter den hier wohnenden urbanen Zeitgeistmenschen entpuppt sich der ein oder andere doch als Mountainbiker. Sogar ein Päarchen auf Mountain Bikes begegnet mir.
Traumhafter Radweg nach Seeb
Je weiter ich in Richtung Seeb gelange, desto mehr ändert sich das Bild. Fischerboote lagern am Strand, es wird lebhafter, die Moderne weicht dem Gewachsenen. Aus der Hauptstadtregion kommend fühle ich mich schon fast in eine andere Zeit versetzt. Im alten Ortskern von Seeb gibt es einen noch sehr ursprünglichen Markt. In Relation zum Ort ist der Souq recht groß. Zwischen den indischen Stoffläden, Schneiderstuben, Haushaltswaren-, Lebensmittel- und zahlreichen anderen Läden herrscht ein buntes Gewusel.
Kurz vor Seeb
Für mich geht es nun ins Innere des Landes. Dabei streife ich die Küsteneben Batinah nur ganz leicht. Die weitausladenden Wadis des westlichen Hajar Gebirges bescheren der Region fruchtbaren Boden und einen beständigen Grundwasserspiegel. Die Batinah ist der bedeutendste Agrarraum des Sultanats.
Meine Route führt am Fuße des Hajar entlang. Aus der Peripherie der Hauptstadtregion kann ich mich nur über die Autobahn befreien. Das mag sich nun spektakulär anhören, ist es aber nicht. Wenn man auch außerhalb Mitteleuropas mit dem Rad reist, verliert man ohnehin die Scheu davor. Wie auch hier, gibt es manchmal schlichtweg keine Alternative. Außerdem gibt es so wenig Verkehr, dass von Verkehrsdichte überhaupt keine Rede sein kann. Zweimal muss ich über riesige geisterhafte Autobahnkreuze die Richtung ändern, was sich dann doch etwas befremdlich anfühlt. Nach vielleicht zehn oder fünfzehn Kilometern ist der Spuk vorbei und ich bin froh, meinen Weg auf einer Landstraße fortsetzen zu können.
Am Horizont erhebt sich das mächtige Hajar Gebirge. Die Straße ist von bester Qualität und weist in der Regel einen ausreichend bis großzügigen Seitenstreifen auf, was das Fahren entspannt, falls doch mal ein Auto überholt. Um mich herum ist es steinig, unwirtlich, absolut trocken. Und heiß! Der Garmin Navigator zeigt bis zu 40 °C an. Das größere Problem scheint mir aber die Sonneneinstrahlung zu sein. Noch nie habe ich eine derart intensive Strahlung erlebt. Ich habe das Gefühl, dass die Sonne die Haut von den Knochen brennt. Die Arme sind dabei besonders exponiert, da sie der Sonne geradezu präsentiert werden. Trotz Creme mit Lichtschutzfaktor 30 ist mir die Sache zu heikel. Das letzte was ich gebrauchen kann, ist ein Sonnenbrand. Daher ziehe ich mir meine Armlinge über. (Das sind die Armstulpen, mit denen man aus einem Kurz- ein Langarmtrikot machen kann.) Das Material nennt sich Thermo Roubaix… Zum Trost sind die Dinger wenigstens weiß. Nacken, Ohren, Kinn, Lippen und Nase schütze ich ohnehin schon mit einem ultraleichten speziellen Tuch. Die Beine creme ich alle eineinhalb Stunden dick ein.
Derart bewehrt setze ich meine Fahrt fort. Hin und wieder passiere ich kleine Dörfer abseits der Straße. Die weißen Häuser leuchten von weit her. Und dann sind da die Kamel Hinweisschilder. Das fühlt sich sehr orientalisch an. Natürlich fotografiere ich gleich das erste Schild, welches ich sichte. Kaum ist die Kamera verstaut und ich bin noch gar nicht weit gefahren, steht es da – mein erstes Kamel. Dieses Mal freue ich mich wie ein Schneekönig. Das ist schon wirklich kurios, aus dem Fahrradsattel heraus Kamele beobachten zu können.
Ländliche Siedlung (weiße Dächer) zwischen den Hügeln
Häufigstes Verkehrsschild im Oman
Es war schon lange ein Traum, vom Fahrrad aus, Kamele zu sehen.
Nachdem es auf den ersten 50 Kilometern flach war, verspüre ich seit etwa 20 Kilometern eine deutliche Steigung. 5 km weiter entsteht eine kleine neue Siedlung. Die Moschee, der Cold Store und eine Handvoll Häuser sind bereits errichtet. Da meine Straßenkarte einen Maßstab von 1:850.000 aufweist, sind nicht alle Dörfer und Siedlungen verzeichnet. Somit weiß ich auch nicht genau, wann ich auf die nächste Verpflegungsmöglichkeit stoße. Hier muss man nehmen, was man kriegen kann – sage ich mir und verlasse die Landstraße in Richtung Neubausiedlung. Die meisten Cold Stores werden von Indern, Bangladeschi, Nepalesi oder Inhabern aus anderen Ländern dieser Ecke der Welt betrieben. Nomen est Omen – sie bieten kühle Getränke an. Daneben gibt es je nach Größe des Ladens ein Sortiment von Naschereien bis hin zu den wesentlichen Grundnahrungsmitteln und einfachen Haushaltsdingen. Für mich werden sie zu wichtigen Depots.
Neubausiedlung
Ich decke mich mit etwas Futter und vor allem mit Getränken ein. Frisch gebunkert habe ich übrigens mindestens 3,5 Liter Wasser an Bord (Trinkflaschen 2 x 0,75l, PE Flasche Gepäckträger 1,5 l, eiserne Reserve Satteltaschen 1 bis 3 x 0,5 l).
Hier suche ich mir zunächst ein schattiges Plätzchen auf der Ostseite der Moschee. Zum Glück stehen bei der Mauer ein paar Bäume, so dass der Schattenbereich ein klein wenig großzügiger ausfällt. Schatten scheint mir fast so kostbar wie Wasser. Unterwegs auf dem Rad gibt es keinen Schatten, nicht vormittags, nicht nachmittags, nicht zwischendurch. Radfahren heißt hier, gegrillt zu werden. Es ist 12:00 und ich habe 75 km zurückgelegt, womit ich zufrieden bin. Allerdings ist mir auch klar, dass ich erst weniger als ein Drittel der Höhenmeter hinter mir habe. Ein Grund mehr für eine anständige Pause. Zu mir gesellt sich ein indischer Bauarbeiter, der ebenfalls eine Pause einlegt. Schattenplätze sind Treffpunkte.
Verständigen können wir uns leider nur mit Händen und Füßen. Aber wir kommen klar. Als er mir von seinen Brotfladen anbietet, bin ich etwas beschämt, da ich denke, er hat es nötiger als ich. Er besteht aber darauf, es sei eine gute Stärkung zum Radfahren. Dankend nehme ich das Angebot an und biete meinerseits Früchte und gesalzene Nüsse an, was er jedoch dankend ablehnt. Als er wieder seiner Arbeit nachgeht, studiere ich noch die Straßenkarte, als plötzlich eine noble Limousine neben mir anhält. Ein Omani in Dishdasha und Kummah steigt aus und kommt mit einer Art Edelstahlbrotdose auf mich zu. Er begrüßt mich und lädt mich ein, mich aus dem nun geöffneten Behältnis zu bedienen. Es sind Datteln. Die großartigsten Datteln, die ich in meinem bisherigen Leben zu mir genommen. Ich bedanke mich inständig, wir tauschen noch ein paar Worte aus und er fährt seines Weges. Wie auch ich.
Noch viele Kilometer sinniere ich über diese so unterschiedlichen und doch gleichermaßen großartigen Begegnungen. Meine angenehmen Gedanken können aber nicht über das unangenehme Streckenprofil hinweg täuschen. Bei km 100 habe ich etwa die Hälfte der Tages-Höhenmeter geschafft. Da es keineswegs kontinuierlich bergauf geht, sondern auf zwischenzeitlichen Abfahrten wertvolle Höhenmeter verloren gehen, wird die Angelegenheit ziemlich zäh. Aus etwa 475 Hm werden somit am Ende des Tages über 720 Hm. Zudem wird, je näher ich dem Scheitelpunkt komme, der Wind von vorn immer stärker. Willkommene Abwechselung sind die schattigen Oasen mit ihrem angenehmen Mikroklima, die sich an einigen wenigen Wadis befinden.
Streckenprofil erster Tag
Wadi und Oase in den Bergen
Ungefähr bei km 125 bin dann über‘n Berg und heilfroh. Der Gegenwind bremst die Abfahrt zwar merklich, ist aber nicht zu ändern. Bei Gegensteigungen merke ich jedoch deutlich, was hinter mir liegt. Endlich in Rustaq, rolle ich noch durch kleine verwinkelte Gassen und an der Festung vorbei. Mein Hauptaugenmerk gilt jedoch dem Hotel. Es ist nicht nur das einzige in Rustaq, sondern weit und breit. Erst nach trickreicher Recherche im www bin ich auf einen Hinweis gestoßen und konnte die Mobiltelefonnummer des Betreibers ausfindig machen. Da ich nicht unbedingt zum Beginn der Tour in eine Biwak Situation geraten wollte, habe ich über Whats App quasi eine Reservierung ausgesprochen – unsicher, ob das wirklich klappt. Nun, ich werde es gleich sehen…
Festung in Rustaq
Jegliche Zweifel, dass an diesem Tag noch irgendetwas schiefgehen könnte, werden jedoch durch die Begegnung mit Carmen beseitigt. Carmen ist in Toulouse lebende Deutsche und radelt seit drei Wochen solo durch den Oman. Und just an der Hotelzufahrt stoßen wir aufeinander. So richtig klassisch, aus der einen und der anderen Richtung.
Noch großartiger als unsere Freude darüber, ist die Verwirrung an der Reception. Man findet meine Reservierung (!), verstehe nun aber nicht, warum es denn zwei Zimmer sein sollen. Es kostet uns etwas Überzeugungsarbeit klar zu machen, dass unser Zusammentreffen reiner Zufall ist und wir natürlich zwei Zimmer wollen. Als es ihm klar wird, muss er auch lachen und heißt uns herzlich willkommen.
Wir gehen zusammen essen und tauschen mit Straßenkarten auf dem Tisch Erfahrungen aus. Praktischerweise verfolgen wir fast die gleiche Route – auf Gegenkurs. Daher bin ich ganz Ohr, was Carmen zu berichten hat. Ein wirklich außergewöhnlicher Abend.
Zwei Tage bin ich nun im Oman und einen auf Tour. Gefühlt bin ich so weit weg vom Alltag, als wäre ich bereits Wochen unterwegs. Wie wunderbar, nehme ich noch meinen Gedanken wahr, als ich irgendwann auf dem Bett liege. Dann falle ich in einen tiefen Schlaf.
Blick über Rustaq
Rustaq hat rund 105.000 Einwohner und ist die größte Stadt der Region. Strategisch günstig ist die Lage nicht all zu weit von der Küste und von den Zugangwadis des Jebel Akhdar entfernt. Die Perser, die im 7. Jahrhundert weite Teile des Nordoman beherrschten, errichteten hier eine Sicherungsanlage, auf deren Fundamenten die heutige Festung steht. Der Name Rustaq stammt ebenfalls aus dieser Zeit. Aus dem Persischen abgeleitet bedeutet er ‚Grenzgebiet‘. Damals lag der Ort am Rand des persisch besetzten Gebietes. Im 17. Und 18. Jahrhundert war Rustaq das religiöse und geistige Zentrum des Landes und lange Zeit Sitz der herrschenden Imame.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verlegte Hamad bin Said den Regierungssitz nach Muscat. Der Einfluss des Herrschers über Inner-Oman schwand zusehends. In der Folge zerfiel das Land in ein Sultanat an der Küste und ein Imamat im Landesinneren. Inner-Oman und Rustaq blieben lange Zeit selbständig. Erst in den 1950er Jahren gelang es dem Sultan in Muscat die Kontrolle über die Stadt zu gewinnen.
Auch wenn sich Geschichte bekanntlich nicht wiederholen mag, sind dies Zusammenhänge die man für die politische Zukunft des Landes nicht außer Acht lassen darf. Sollte Sultan Qaboos mal schwächeln, wird es eine Frage sein, wie moderat sich die zwei Hauptclans des Landes verhalten. An der Küste ist die kosmopolitische Moderne und Agrarwirtschaft, während es im Inner-Oman Öl und Gas gibt.
Fünfundzwanzig
Ich bin keine Fünfundzwanzig mehr, ist mein erster Gedanke, als ich am nächsten Morgen erwache. Mein Körper meldet mir ziemlich genau das, was ich am Vortag getan habe. Nicht zu vergessen, es ist Anfang März (und nicht Mitten in der Radsaison mit tausenden Kilometern in den Beinen). Das Frühstücksangebot ist bescheiden, aber Carmen und ich machen das Beste daraus. Nach einer herzlichen Verabschiedung und besten Wünschen für die jeweils weitere Tour, sitze ich wieder im Sattel. Also Radfahren geht definitiv besser als alle anderen Bewegungen, schmunzel ich in mich hinein. An einer Schneiderstube lege ich noch einen spontanen Stopp ein. Gestern hatte ich meine lange Pausen-Überziehhose in Sonnenschutz-Armlinge verwandelt. Hier lasse ich die Konstruktion solide nachnähen, damit sie auch hält.
Schneiderstuben
Im Nachhinein betrachtet, wäre es schlauer gewesen die Hose nicht zu opfern, sondern in einer solche Stube einfach Ärmel anfertigen zu lassen. Aber ich wusste zum Zeitpunkt des chirugischen Eingriffs in die Hosenbeine noch nicht, dass es in größeren Orten zahlreiche Schneiderstuben gibt. So gesehen geht die Entscheidung schon klar. Immerhin habe ich ja noch meine zivile lange Hose für morgens und abends.
Relativ zügig bin aus der Stadt raus und wieder auf der Landstraße unterwegs. Dank Carmen bin ich ganz gut im Bilde was mich erwartet. Dennoch ich hätte nicht gedacht, dass es so hart wird. Das Streckenprofil gliedert den Tag klar in zwei Abschnitte. Etwas über 60 km bis zur Passhöhe und noch einmal die gleiche Distanz bis Ibri, meinem Tagesziel.
Streckenprofil zweiter Tag
Das topografische Profil an sich ist trügerisch genug. Aus vermeintlichen rund 600 zu erklimmmenden Höhenmeter werden am Ende des Tages 990 Höhenmeter, da es beim Anstieg zwischendurch immer wieder richtig steil bergab geht, um direkt im Anschluss an einer steilen Rampe erneut bergan zu führen. Das wirklich Zermürbende ist jedoch der unsichtbare Gegner von vorne - der Wind. Starkwind von vorn – beim bergan Fahren. Dachte ich gestern, es sei anstrengend, kommt heute dauerhaft starker Gegenwind dazu. Das muss man hier schon wirklich ganz stark wollen, grinse ich vor mich, während ich trotzdem die Landschaft außerordentlich genieße. Das ist definitiv meins. Hier bin ich richtig.
Steigungsstrecke
Die Berge sind mal majestätisch, mal bizarr – in jedem Fall immer aufregend wild. Und glühend heiß. Die klaustrophobische Schwüle der Küste ist mittlerweile der trockenen Hitze des Inlandes gewichen, worüber ich ganz froh bin. Denn damit komme ich deutlich besser zurecht.
Die Berge im Oman sind noch aus einem anderen Grund aufregend. Meines Wissens gibt es kein anderes Land auf diesem Planeten, wo die hochdramatischen Geschehnisse der Erdgeschichte derart zu Tage treten. Auf dem Jebel Akhdar befindet man sich auf einer 90 Millionen Jahre alten Gesteinsschicht und kann in einen Canyon schauen, dessen Gesteine 600 Millionen Jahre alt sind. Steigt man hinab, steht man auf dem oberen Erdmantel! Ich glaube, das ist tatsächlich einmalig. Der Metamorphosen in diesem geologischen Paradies verdankt der Oman edle Metalle, wertvolle Mineralien und seltene Edelsteine. Die anderen geologischen Prozessen entstammenden Ölvorkommen befinden sich weiter im Süden des Landes.
Kleine Siedlungen in den Bergen
Die fachliche Begeisterung ist großartig, trägt mich aber nicht die Berge hinauf. Das müssen schon die Beine besorgen. Zum Glück weiß ich um die etwas bessere Versorgungslage, als es die Straßenkarte befürchten lässt (demnach sehr rar). – Carmen sei Dank.
Ich fahre hin und wieder an kleinen Siedlungen vorbei und mit etwas Glück kann ich bei einem Cold Store eine Pause einlegen. Als ich einmal wieder für Getränkenachschub sorge, werde ich von dem Inhaber noch großzügig mit salzigen Nüsschen bedacht. – Shukran! Die tun jetzt sehr gut. Viel trinken ist ohnehin angesagt. Mit den Erfahrungen des Vortages scheint sich der Flüssigkeitsbedarf bei neun bis zehn Litern einzupendeln.
Cold Store Stop
Nun bin ich ja in meinem Leben schon den ein oder anderen Gebirgspass mit dem Fahrrad hinauf gefahren. Obwohl gar nicht mal so hoch, zählt dieser Pass zu den zäheren. Mit dem Gegenwind kommt mir das bergauf Fahren fast wie eine Fata Morgana vor. Die mit dem Auge wahrnehmbaren Steigungen entsprechen einfach nicht dem, was die Beine spüren. So oft ich auch hinter mich blicke - da ist kein Gummiband, welches mit zunehmender Spannung an meinem Rad zerrt. Es hat wirklich etwas Surreales. Der Wind macht den Pass steiler als er ist.
Die Landschaft wird zunehmend karger und trockener. Und zunehmend einsamer. Etwa zehn Kilometer vor der Passhöhe stoße ich rechts der Straße auf einen weißen Gebäudekomplex, dessen Funktion sich mir zunächst nicht erschließt. Es gibt ein größeres zweistöckiges Hauptgebäude, Anbauten und Nebengebäude mit Flachdach sowie die obligatorische zwei bis drei Meter hohe Mauer, die alles einfriedet und vor allem Ziegen von grünen Gärten fernhält.
Die fragliche Funktion der Anlage ist mir zunächst egal. Mauer bedeutet Schatten. Und Schatten bedeutet Erholung. Kaum habe ich mich niedergelassen, kommt ein älterer Herr aus der Anlange auf mich zu. Er begrüßt mich freundlich auf Englisch und erkundigt sich nach dem Woher und Wohin. Förmlich deutet er mir an, ich möge ihm in die Anlage folgen, was ich dann auch tue. Wieder bin ich verblüfft, wie angenehm sich das Mikroklima im Zusammenspiel von Schatten, saftigem Rasen, Blumen, Büschen und Bäumen verändert. Auch atmosphärisch zeigt sich das Klima angenehm. Ich bin in einer Schule gelandet und finde mich zwischen meist älteren Männern in Dishdasha in einer Art Lehrerpausenraum wieder. Dieser ist mit orientalischen Maueröffnungen gestaltet und zu einer Seite komplett offen. Es gibt zahlreiche Kissen, Wasser und wieder diesen unglaublich leckeren Qahwa, das Paradesymbol arabischer Gastfreundschaft.
Der Legende nach soll ein Ziegenhirte in Äthopien entdeckt haben, dass seine Tiere nicht mehr schlafen konnten, nachdem sie die Blätter und Früchte eines seltsamen wild wachsenden Busches gefressen haben. Er probierte die Früchte und stellte fest, dass sie ihm Energie gaben und er nicht müde wurde. Er sammelte von den Früchten und setzte seinen Weg fort. Als diese nach einigen Tagen hart wurden, entdeckte er bei dem Versuch sie weich zu kochen den Kaffee. Vor 400 Jahren wurde die Kaffeepflanze dann nach Arabien importiert. Und der Rest ist wirklich Geschichte.
Die alten Männer faszinieren mich. Sie sind interessiert, sichtlich beindruckt von meinem Vorhaben und ich glaube auch etwas stolz, dass ich ihr Land bereise. Diese Haltung soll mir noch oft begegnen. Sie umsorgen mich unaufdringlich und geben mir wertvolle Ratschläge für die weitere Reise. Zu all dem strahlen sie irgendwie eine unglaubliche natürliche Würde aus. Das ist einer dieser 1001 Nacht Momente.
10 Kilometer vor der Passhöhe
In vielerlei Hinsicht gestärkt setze ich meine Fahrt fort. Die 10 Kilometer bis zum Scheitelpunkt nehme ich gar nicht so ganz wahr. Kreisen meine Gedanken doch noch so sehr um die omanische Männerrunde und die Schule an diesem entlegenen Ort? Oder liegt es an dem Qahwa?
Den Standort der erstaunlich großen erdfarbigen Militäreinrichtung kurz vor der Passhöhe, lässt sich dagegen einfach erklären. Die strategische Kontrolle eines Weges durch die Berge, einer der wenigen Verbindung zwischen Küste und Inner-Oman, dürfte den Ausschlag gegeben haben. Das ist heute nicht anders als vor ein paar hundert Jahren.
Bei der Abfahrt ist es dann wieder da. – Das Gummiband. Ich muss ordentlich pedalieren, um überhaupt voran zu kommen. Auf einer Abfahrt von über 600 Höhenmetern!
Nun gelange ich in das Innere des Oman. Von den Ausläufern des Al Hadjar blicke ich nach Westen in die Weite der Region Al-Dhahirah. Am Horizont lauern die baum- und strauchlosen Wüstenebenen der Rub al-Khali und der Hamra al-Duru. Ab jetzt wird es richtig trocken, denke ich, während ich automatisch mit einem Griff nach hinten den sicheren Sitz der eineinhalb Liter Wasserflasche auf dem Gepäckträger überprüfe. In 50 Kilometern werde ich auf eine Straße stoßen, von der aus es südlich keine Straßen und Ortschaften mehr gibt. Einige Beduinensiedlungen und sandige Pisten zu den Ölfeldern sind alles.
Die Sonne steht nur noch knapp über dem Horizont, als ich mein Tagesziel erreiche. Ibra gehört zu den zwei wichtigsten Marktorten der Region Al-Dhahira. Viele Beduinen reisten in der Vergangenheit in die mit 50.000 Dattelbäumen zweitgrößte Oase Omans. Anders als in vielen anderen Orten im Oman ist der Souq nicht separiert und von einer hohen Mauer mit Toren umgeben, sondern integriert inmitten eines Wohngebietes. Ich radel durch die alten Gassen mit einstöckigen Lehmhäusern, zahlreichen Straßengeschäften und fühle mich wahrhaftig im Orient.
So strategisch wie das Militär, wähle ich meine Bleibe für heute, damit ich morgen durchstarten kann. Der typische Übernachtungsgast in der Herberge stammt vom subindischen Kontinent oder aus Südostasien und geht hier irgendeiner Arbeit nach. Obwohl ich auch gut die Beine hochlegen könnte, zieht es mich nach Sonnenuntergang noch in die belebten Straßen.
Ein Laden erregt meine besondere Aufmerksamkeit. Zu Hause erstehe ich meine Lieblingsnascherei bei einem persischen Ehepaar. Die Wahl zwischen Pistazie oder Walnuss ist schwer genug. Aber hier stehe ich vor einer langen Auslage endloser Auswahl von Halwa. Die Basismasse besteht zwar fast immer aus Butter, karamelisiertem Zucker, Eiern, Gewürzen und Nüssen, aber weiteren Feinheiten machen den Unterschied.
Noch bevor ich meine Wahl treffen kann, spricht mich ein Omani von vielleicht dreißig Jahren an. Vielleicht sehe ich etwas überfordert oder erschlagen aus. Jedenfalls erteilt er mir Nachhilfeunterricht in Sachen Halwa und erläutert die diversen Geschmacksrichtungen und Vorzüge, bis er mich dann nach meiner Wahl fragt. Diese gibt er dann an den Inhaber hinter der Auslage weiter und ergänzt sie mit der gleichen Menge seiner Favoriten und rundet das Sortiment noch mit Royal-Halwa ab. Diese Sorte enthalte nur die allerbesten Zutaten wie unter anderen omanischen Rohrzucker und Jebl-Akhdar Rosenwasser. Damit sei ich bestens gerüstet für meine Tour. Zwischenzeitlich hatten wir uns bereits etwas ausgetauscht. Und natürlich sei ich zu den Spezialitäten seines Landes eingeladen, wendet er sich an mich, bezahlt und überreicht mir freudig die kostbaren omanischen Schätze. Ich bin völlig platt und bedanke mich mit 1001 Shukran. Was für ein Land! Was für Menschen!
Vor dem Laden stehen ein paar Tische und Stühle. Er führt mich noch an einen Tisch, an dem drei Freunde von ihm sitzen und stellt mich Ihnen vor. Natürlich bestehen sie darauf, dass ich mich zu ihnen geselle, was ich auch gerne tue. Ich habe keine Chance mich mit Getränken oder so zu revanchieren (was mir etwas unangenehm ist), sondern bin ihr Gast. Sie haben zum Teil in Großbritannien studiert und wir führen ein äußerst vielseitiges Gespräch und philosophieren über das Leben und ein wenig über die Welt. Die Themen wechseln zwischen Tradition und Moderne. Aber so richtig an inneromanische Themen über die gegenwärtige Gesellschaft komme ich nicht heran. Natürlich interessiert es mich, wie sich das Alltagsleben von innen betrachtet gestaltet. Vermutlich braucht es dazu längeren Kontakt. Ich habe zudem den Eindruck, dass sie einer Gesellschaftsschicht zugehörig sind, die für ihre Versorgung nicht einer täglichen Arbeit nachzugehen braucht. Sie tragen Dishdashas der feineren Machart und ich bin ganz froh, immerhin eine zivile, nicht nach Outdoor aussehende, Garnitur zu tragen. Aber der Abend ist in jedem Fall super interessant und wird natürlich etwas länger.
Als uns mein Hawla Gastgeber noch alle zum Essen nach Hause einlädt, muss ich leider passen. Wenngleich ich unglaubliche Lust dazu habe. Er würde mich auch anschließend wieder in die Stadt fahren. Ich denke noch einmal nach, aber wenn ich den Zeitaufwand mit Fahren und Essen und bestimmt noch viel Reden überschlage, käme ich garantiert nicht vor 0200 ins Bett. Das kann ich mir leider bei dem anstrengenden Tagwerk nicht leisten. Wie sehr wünsche ich mir mehr Zeit für die Reise, um Situationen wie diesen mehr Raum geben zu können. Es bahnt sich bereits der gute Gedanke an, wiederzukommen, in dieses wunderbare Land.
Ein total kontrastreicher Tag. Wilde Berge, weite wüstenhafte Ebenen, einsame Landstriche und dann diese atmosphärisch dichten Begegnungen mit den Menschen, geht es mir durch den Kopf als ich irgendwann auf dem Bett liege. Dem kommenden Tag sehe ich mit einer gewissen, vielleicht leicht nervösen, Spannung entgegen. Nichts beängstigendes, eher so der richtige Hab-Acht-Modus für unklare Situationen. Der Blick in die Karte eröffnet mir nämlich die Erkenntnis, auf den nächsten 100 Kilometern nicht unbedingt mit einer Versorgungsmöglichkeit rechnen zu können. Aber gerade auch das mag ich am Reisen, dem Ungewissen zu begegnen und mit einer Mischung von Fügung und Fähigkeit zu bestehen. Und ein bisschen ist es dann doch so aufregend, wie mit fünfundzwanzig.
Zeitreise und Weitreise
Gewissermaßen begebe ich mich nun auf den zweiten Abschnitt der Reise. Dieser wird durch den Landschaftstypus des Inner-Oman geprägt. Vor mir liegen 500 Kilometer Trockenheit, bevor ich an der Ostküste des Oman den Indischen Ozean erreiche. Anfangs werde ich es noch mit Ausläufern des Hadjar Gebirges zu tun bekommen, dann wird es eben sein. Auf dem Weg liegen zwar auch bedeutende Städte wie Nizwa, deren Geschichte bis ins 6. Jahrhundert zurückreicht, ansonsten ist eher mit kleinen Orten oder Siedlungen zu rechnen. Und zwischen diesen Punkten spannen sich schon mal 50 bis 70 Kilometer, auf denen die Karte keinen anderen Eintrag aufweist, als die Linie der Straße. An der ein oder anderen Stelle ist der Karteninhalt um hilfreiche Handeinträge ergänzt. Die wichtigsten Tipps stammen von Carmen.
Neben all den Vorteilen elektronischer Navigatoren behalten analoge Papierstraßenkarten für mich eine große Bedeutung. Egal ob bei der Vorbereitung zu Hause oder zur Orientierung unterwegs, ich brauche das Gesamtbild, um daraus Zwischenziele und eine tragende Strategie zu entwickeln. Ich nehme das Kartenbild auf und verinnerliche es quasi als mind map. Dadurch bin ich immer orientiert und verliere mich nicht, egal wie weit die Landschaft oder die Strecke auch ist. Das hat jedenfalls bisher immer gut geklappt.
Paper map and mind map
Die Frage ist, ob es auch hier funktioniert. Die äußeren Bedingungen sind eben doch etwas speziell. Hin und wieder nehme ich schleichende Veränderungen an mir wahr. Zunächst ist da die Trittfrequenz, die um gut fünf bis sechs Kurbelumdrehungen pro Minute geringer liegt. Dann sind da Tätigkeiten und Bewegungen (!), die sich reduzieren. Gefühlt unterlasse ich alles, was nicht direkt der Fortbewegung oder Ernährung dient. Unterwegs erfordert selbst das Fotografieren eine echte Überwindung. Selbst die Gedanken fließen nicht wie gewohnt. Schätze ich ansonsten die kontemplative Wirkung langer Strecken, fokussieren sich die Hirnströme total auf das Hier und Jetzt und nichts anderes. Wahrscheinlich ist das eine Art spezieller Anpassungsprozess, der Körper, Geist und Seele für genau diese Aufgabe justiert.
Orientierungshilfe
Sonnenschutz
Vielleicht gibt es doch so etwas wie eine somatische Intelligenz, die hier zum Tragen kommt. Auf Sonne, Temperatur und Einsamkeit stellt sich mein Körper jedenfalls schnell ein. Was aber pure Willenskraft erfordert, ist Wind von vorn – mit Backofentemperatur. Dabei fühle ich regelrecht, wie der Wind danach trachtet mich auszutrocknen, mich regelrecht zu mumifizieren. Das kann Potenzial zum Verzweifeln haben. So wird der Wind der wahre kritische Begleiter auf dem Weg zum Indischen Ozean. Dabei greift er tief in seine Trickkiste. Für mich bleibt er eine unberechenbare Größe, die hinter jede Planung für den nächsten Tag ein großes Fragezeichen setzt. Letztendlich bleibt mir nichts anderes, als es zu nehmen wie es kommt.
Windwarnung
Dabei entwickle ich folgende Strategie: Nicht verausgaben (ruhig bleiben/fahren), wenn er stark von vorn kommt – zügig fahren, wenn er neutral oder schwach ist – ‚Kette rechts‘ bei Rückenwind. In der Folge fahre ich mal unter 20 km/h, aber eben auch mal über fast zwei Stunden zwischen 30 und 37 km/h (big fat smile). Und ich überlebe, neben dem Kalkül auch mit einer Mischung aus Stoizismus und Trotz, 50 Kilometer Gegenwind am Ende einer 172 Km Etappe, wodurch ich es fünfzehn Minuten vor dem Dunkelwerden (und auf 22 ° Breite fällt die Sonne regelrecht hinter den Horizont) zum Ziel geschafft habe.
Am Rande der Wahiba Wüste
Kurz vor dem Indischen Ozean
Besondere Bewunderung zolle ich dem Wind allerdings, wenn er sich um sich selbst dreht und in Form von Windhosen beachtliche sausende Sandsäulen über das Land schickt. Zum Glück liege ich nie in einer Zugbahn, denn manche Sandhosen schätze ich auf 100 bis 150 Meter Höhe. Um die Sache nicht in falsches Licht zu stellen. Ich empfinde das Radeln hier als sportlich fordernd und keineswegs als Quälerei.
Je weiter ich in diesen Naturraum eindringe, desto größer wird die Faszination für die traditionelle nomadische Lebensform und die Arten des Wirtschaftens, die mehr als ein Überleben ermöglichte. Das sind beispielsweise Gedanken, die mir dann doch mal kommen, zumal ich nun immer öfter Kamele sehe, die nun mal wesentlich für den Warenaustausch waren. (Ja - genau genommen sind es einhöckrige Dromedare. Aber die gehören eben auch zur Familie der Kamele. Und selbst gut Englisch sprechende Omani reden vom Camel, nicht vom Dromedary.)
Mein Lieblingsfoto
Der Anblick fesselt mich jedes Mal. Die eigenartige Silhouette, plump und elegant zugleich. Der Gesichtsausdruck gelangweilt, hochnäsig, liebenswert und doch arrogant. Kamele sind ideal an die klimatischen Verhältnisse der Wüste angepasst. Selbst bei Temperaturen von über 50 Grad benötigt ein Kamel, je nach Nahrungsangebot und körperlicher Anstrengung nur alle vier bis vierzehn Tage Wasser. Dann können Kamele allerdings bis zu 150 Liter Wasser aufnehmen. Zur Not halten sie es auch bis zu 25 Tage ohne Wasser aus und können salziges Wasser zu sich nehmen. Die Körpertemperatur kann schadlos auf bis zu 42 Grad ansteigen. Dadurch schwitzen die Tiere weniger und sparen Wasser.
In der Regel fressen die Kamele ruhig weiter, wenn ich sie passiere. Manchmal gucken sie etwas neugierig. Wahrscheinlich ist es die pedalierende Beinbewegung, die sie aufmerksam macht. Als ich an einer verstreuten Herde vorbeifahre, fixiert mich ein Kamelbulle und setzt sich mit beeindruckendem Gebrüll in Bewegung. Instinktiv schalte ich auf das große Kettenblatt. Aber zum Glück kommt er mir nicht zu nahe, sondern läuft brüllend im Abstand von vielleicht fünfundzwanzig Metern neben mir her. (Gut trainierte Rennkamele können bis zu 60 km/h schnell laufen.) Nach hundert Metern ist der Wüstenspuk vorbei und die Drohgebärden werden eingestellt. Die Brunftzeit fällt in den Zeitraum Dezember bis März, wie ich später erfahre.
Kamele wurden vor rund 3.500 Jahren domestiziert und wirken noch immer störrisch und eigenwillig. Letztlich machen sie aber doch das, was ihre Besitzer fordern. Erst die Domestizierung des Kamels ermöglichte es dem Menschen in der Wüste zu überleben und eine nomadische Lebensform zu entwickeln. Als Last- und Reittier ermöglichte es Mobilität für lange Wanderungen, Handelskarawanen und Raubzüge. Kamelmilch und Datteln waren für die Beduinen wichtige Nahrungsmittel. Der Dung diente als Brennmaterial und die Wolle wurde zu strapazierfähigen Stoffen verarbeitet. Als Fleischlieferant diente es nur zu höchsten Anlässen. Ansonsten mussten die Ziegen herhalten.
In mancher Hinsicht war das Kamel das Maß der Dinge. Der Besitz von möglichst viele Tieren brachte dem Eigentümer hohes Ansehen. Der Tag gliederte sich in Melkzeiten, als Gewichtseinheit diente die Kamellast und Entfernungen wurde in Kamel-Reisetagen gemessen.
In der Kultur der Beduinen wurde dem Kamel immer viel Beachtung und Zuneigung entgegengebracht. Es wurde quasi als Kamerad angesehen. Das Wohl der Kamele hatte bei den Beduinen stets Vorrang vor dem eigenen. Neben unendlich vielen Redensarten, Weisheiten und Gleichnissen, gibt es im Arabischen 160 Bezeichnungen für das Kamel. „Al-jamal“, die gebräuchlichste wird auch für „Zuneigung“, „Bewunderung“ oder „Verehrung“ verwendet.
Das Kamel – O-man‘s best friend, wie Peter Franzisky und Kirstin Kabasci in ihrem hervorragenden Reiseführer ‚Oman‘ schreiben.
Die Wahiba Wüste hebt sich am Horizont ab.
Am Rande der Wahiba Wüste. Sie gilt als eine der kleineren Wüsten und hat mit rund 15.000 km² eine Ausdehnung wie Schleswig-Holstein (15.763 km²).
Selbsterklärend
Der Sand ist derart fein und bodenlos, dass selbst nur 20 cm tiefe Sandränder von Verwehungen nicht (mit 32 mm Reifen) befahrbar sind.
Bariya shalumibf - Wüstenschlumpf
Die Bedeutung Oase brennt sich mir regelrecht ein. Für alle Zukunft verbinde ich damit sehr konkrete Erfahrungen und Empfindungen.
Oase
Oasen basieren natürlich auf der Verfügbarkeit von Wasser. Dieses kann mit Hilfe einer Jahrhunderte alten Technik über unterirdische Kanäle (falaj) herangeführt werden oder es lässt sich aufgrund von Wadi erschließen. Die omanischen falaj Anlagen werden im 6. Jahrhundert v.Chr. erstmals in historischen Quellen erwähnt. Ihren Ursprung hat die Technik im persischen Hochland.
Wadi basierte Oasen sind die weitaus häufigere Variante. Für mich bedeutet dies so manches Mal, dass ich herrlich abwärts zur Pause in eine kühle Oase sause, um nachher direkt als erstes in der sengenden Hitze bergan ackern zu müssen. Ich muss mich ehrlich immer wieder disziplinieren, um dieser Gewissheit keine Macht über die Pausenlänge zu geben und frage mich, ob früher nicht auch der ein oder andere Karawanenreisende in einer Oase hängengeblieben sein mag.
Oasenwirtschaft
Die Oasenbewirtschaftung scheint in einem System von drei Ebenen zu erfolgen. Ich sehe Boden-, Strauch- und Baumkulturen. Bei den Bäumen handelt es sich um Palmen und von besonderem Interesse sind die Dattelpalmen. Ausgrabungen lassen den Schluss zu, dass Datteln bereits vor 8.000 Jahren eine wichtige Nahrung darstellten. Griechische Aufzeichnungen belegen, dass von dem Gebiet des heutigen Oman bereits 80 n.Chr. Datteln nach Indien exportiert wurden. In den Jahrhunderten der Blüte des omanischen Seehandels, stellten sie die wichtigste Handelsware dar. Und die Frachtkapazität einer Dhau wurde in Dattelsäcken bemessen. Neben der Dattelfrucht fanden auch Holz (Baumaterial), Palmwedel (Seile, Matten, Säcke),und die Dattelkerne (Öl, Tierfutter) Verwendung.
Zeitlos ist der Nährwert der Dattel. Getrocknet gut haltbar, sind sie eiweiß- und kohlehydrathaltig sowie reich an Vitaminen und Mineralien. Hundert Gramm getrockneter Datteln enthalten rund 270 Kilokalorien und nahezu den gesamten Tagesbedarf eines Erwachsenen an einem Großteil wichtiger Mineralien. Der Oman gilt wohl im gesamten arabischen Raum als erste Adresse für hochwertige Datteln. Hier wachsen 157 Sorten von Dattelpalmen und im Wadi Quriat gibt es einen staatlichen Zuchtbetrieb, der alle 157 Sorten umfasst und eine wichtige genetischen Samenbank betreibt.
Die Sorte „khalas“ soll die Premium Dattel sein. Ich habe immer Datteln in der Satteltasche und auch für mich sind sie ideale Energiespender für unterwegs, abgesehen davon, dass mein Hawla Vorrat aus Ibra noch für Tage reicht. (Seit dem Dattel Genuß im Oman gebe ich mich keiner Illusion mehr hin, welcher Qualität die Datteln sein mögen, die man in Deutschland kaufen kann, egal wie viel man dafür ausgibt.)
Faszinierende Landschaft
Diese körperliche und seelische Erfahrung, nach langen Distanzen in der Weite des Landes in eine Oase zu kommen, bringt mich als Radreisenden vielleicht den Beduinen etwas näher. Wie hat sich das wohl früher angefühlt, nach langen Karawanenreisen eine Oase zu erreichen? Weite und Distanzen können bei einem schwierigen Reiseverlauf schnell zu einer kritischen Größe werden. So gesehen erlebe ich hier auch eine Zeitreise und Weitreise.
Andere Pausenplätze
Natürlich verbringe ich meine Pausen nicht nur in verträumten Oasen. Grob gesagt nutze ich alles, was sich innerhalb meines Fahrrhythmus bietet. Im Zweifelsfall lege ich eine kurze Pause auch eher ein, wenn im weiteren Verlauf für lange Zeit nichts zu erwarten ist. So sitze ich an Bushaltestellen, Shai Shops, Tankstellen, in Betonröhren von Straßenbaustellen oder bei meist asiatischen Schnellküchen in den handwerklichen Gewerbegebieten, die es bei jedem größeren Ort gibt.
Shahi Shop
Beton-Straßenbauelemente - Hauptsache Schatten
De Luxe - mit Tisch und Stuhl
Oasengassen
Stilvoller Schattenplatz
Wie lang können fünf Kilometer sein?
Allen Plätzen und Lokationen ist gemein, ich bleibe nie lange allein. Shops und Werkstätten werden meistens von Indern, Pakistani oder Belutschi betrieben. Männer und junge Burschen sind immer irgendwie interessiert und zumeist finden wir wenigstens ein paar englische Begriffe, mit denen wir uns verständigen können. Sie alle erzählen auch ganz stolz von ihren Heimatländern und beschwören mich geradezu, auch ihr Land einmal zu bereisen. Sie klingen zwar immer sehr begeistert, aber irgendwie hat es ja auch etwas trauriges, wenn man dem eigenen Land des Geldes wegen den Rücken kehren muss. Hier im, Oman sind sie ganz am Ende der Nahrungskette. Aber was am Ende des Monats übrig bleibt, ist wohl noch immer viel mehr als im Heimatland. Bei wenig frequentierten Pausenpunkten halten hin und wieder Autos und man erkundigt sich und bietet mir frische Früchte, getrocknete Datteln und/oder Wasser an.
Einmal stoße ich nach einer längeren Passage auf ein brandneues Shell Schild, welches in 5 km Entfernung Quality Fuels anpreist. Noch nie habe ich mich derart auf eine Tankstelle gefreut. Letztendlich gibt es auch tatsächlich nur fuels im Angebot. Die Tankstelle ist so neu, dass der Shop noch nicht errichtet ist. Lediglich Benzin lässt sich via Credit Card aus der Säule zapfen.
Entäuscht beschließe ich wenigstens eine Pause im Schatten einzulegen, als zwei SUV auf das Gelände fahren. Durch die abgedunkelten Scheiben kann ich nicht so richtig erkennen, wer in den Fahrzeugen sitzt. Als sich die Türen öffnen kommen drei europäisch wirkende Paare und eine einzelne Frau zum Vorschein. Es sind Italiener und flugs bin ich im Mittelpunkt des Geschehens. Die Männer nehmen fachkundig mein Rad unter die Lupe und die Damen versorgen mich mit Wasser und Früchten. Grazie! – Es sind Freunde, die mit Mietwagen das Land bereisen. Die einzelne Dame lebt seit vielen Jahren in Salalah und kann natürlich Interessantes berichten.
Nicht nur Tradition – auch Moderne
Die größeren Orte und Städte auf diesem Abschnitt sind durch das Wachstum in der Moderne gekennzeichnet. Ausgehend von einem historischen Oasen- oder Festungskern entwickeln sich die Orte in die Fläche. Die Infrastruktur ist durchaus zeitgenössisch. Die Wohnquartiere sind nicht nobel, wie in der Hauptstadtregion, aber sie zeugen von einem mittelständischen Dasein, welches durchaus einen gewissen Wohlstand zeigt.
Aus einer Oase entstandene mittelgroße Stadt.
Kleinstadt
Gewerbegebiet vor der Stadt
Trinkwasserlieferant
Die vielen kleinen quirligen Handwerksbetriebe in der Peripherie scheinen dagegen etwas hinterher zu hinken. Es herrscht ein intensiveres Treiben als es die Hitze vermuten lassen würde. Meist werden die kleinen Werkstätten von Ausländern betrieben und irgendwie wird überall sehr geschäftig gehämmert, gebohrt und geschraubt.
In diesem Landstrich zwischen dem Hajar Gebirge und den Wüsten liegen durchaus auch geschichtsträchtige Städte.
Nizwa blickt auf eine Geschichte bis ins 6. Jahrhundert zurück und soll zu den sehenswertesten Städten des Oman gehören.
Ibra ist mit 35.000 Einwohnern eine der größten und zugleich ältesten Städte der Sharqiyah. Der Reichtum resultierte aus dem Handel und den Beziehungen mit Ostafrika und Sansibar. Eher untypisch, findet sich keine zentrale Festung. Die Stadt ist eher eine lang gezogene Oase mit großen Palmengärten und getrennten Stadtteilen. Zwei verfeindete Stämme hatten die Stadt derart aufgeteilt, dass es sich im Grunde um zwei autonome Städte mit eigenen Bewässerungskanälen und eigenen Souqs handelte. Bis zum Jahr 1977 durften deren Geschäfte nur nachmittags öffnen. Diese Regelung schloss ein, dass sich die beiden Stämme zu dieser Zeit nicht beschießen durften.
Die traditionellen Lebensformen haben es überhaupt erst möglich gemacht, diese Landstriche zu besiedeln. Und die Moderne bringt den Menschen Sicherheit und angenehmen Wohlstand. Dennoch oder vielleicht auch gerade deshalb bleiben die Orte und Städte Inseln in einem Meer aus Sand.
Arabian Sea
Mittlerweile befinde ich mich auf den letzten Kilometern der erwähnten 172 km Etappe an den Indischen Ozean oder an die Arabian Sea, wie das Randmeer hier genannt wird. Es bleibt sportlich spannend bis zum Schluss. Mit der unbekannten Variabel des Windes konnte ich am Morgen beim Start nicht sicher sein, mein Tagesziel zu erreichen. Das allein wäre auch kein Problem gewesen. Ich hätte nicht einmal biwakieren müssen. Eine Handvoll Unterkünfte sind entlang der Strecke verteilt. Was kneift, ist mein Zeitkontingent. (Ich fahre gegen den Uhrzeigersinn auf Carmens Strecke – mit einem Drittel ihres Zeitkontingentes.)
Richtig fest geplant habe ich ohnehin nur die erste Hälfte der Route, um flexibel zu sein und den weiteren Verlauf davon abhängig zu machen, wie es läuft. Nun läuft es zwar gut, aber ich würde mir dennoch mehr Zeit wünschen. Zudem bin ich ohne Ruhetag unter den fordernden klimatischen Bedingungen unterwegs. Defensiv agierend hätte ich gestern oder spätestens heute in Richtung Norden abbiegen müssen, um die Berge zu überqueren, die Küste und dann wieder Muscat zu erreichen.
Aber insgeheim habe ich mir bereits in der Planungsphase Ziele gesetzt, die ich ungern aufgeben würde. Die Wahiba Wüste, das Arabian Sea Motel, die anschließende Fahrt an der Küste entlang, wo die Sandwüste auf die Wasserwüste trifft und die Hafenstadt Sur. Also gehe ich die Sache progressiv an und wähle genau diese Route. Allerdings exponiere ich mich damit erheblich. Von Sur sind es über 220 km bis Muscat, alles Autobahn, durch die wilden Nordausläufer des Hajar Gebirges, keine feste Übernachtungsmöglichkeit und eine sehr, sehr dünne (bis nicht vorhandene) Versorgungssituation. Und der Flieger nach Deutschland wird nicht auf mich warten.
Ich weiß noch nicht wie ich das löse, aber ich weiß, dass ich meine Ziele nicht aufgeben will. Und ich habe die Zuversicht, dass ich es irgendwie löse. Je näher ich nun der Küste komme, desto mehr nimmt mich die feuchtheiße Schwüle wieder in den Klammergriff. Und ehrlich gesagt, es machen sich leichte Zweifel angesichts meiner Entscheidung breit. So gut es geht, verdränge ich diese bad vibrations und konzentriere mich auf das Pedalieren. Seit rund vierzig Kilometern knabbert der Wind von vorne wieder and den Körnern. Aber angesichts des nahen Ziels kann ich wohl noch mal ein paar extra Körner mobilisieren und erreiche just zum Sonnenuntergang das Hinweisschild des Arabian Sea Motels. Die letzten vielleicht drei Kilometer führen über eine Schotter- und Sandpiste. Kurz nachdem ich die direkt am Strand gelegene Unterkunft erreiche, ist es stockdunkel. Und ich bin richtig glücklich…
Der (wahrscheinlich aus China stammende) Betreiber und sein subindisches Personal ist überaus freundlich und sehr um das Wohl der wenigen Gäste bemüht. Das tut nach dem langen Tag im Sattel sehr gut. Zum Dinner auf der Terrasse gibt es ein romantisches Lagerfeuer. Später sitze ich noch eine Weile am Strand, schaue auf das dunkle Meer und in die Sterne, während kleine Wellen auf den Strand rollen. In Gedanken stelle ich mir die legendären omanischen Handelssegler der Vergangenheit vor. Arabian Sea – genau hier wollte ich hin.
Arabian Sea Motel, Innenhof
Frühstück am Meer
Traumküste
Gewissermaßen an der Nahtstelle zweier grundverschiedener Wüsten bewege ich mich nordwärts. Das fasziniert und beeindruckt mich zutiefst. Zwei Lebensräume, in denen der Mensch ohne weiteres nicht lebensfähig ist, gepaart mit klimatischen Bedingungen, unter denen jede Bewegung zu viel erscheint. Ich bin vielleicht zwei Stunden unterwegs und die Temperatur liegt bei fast vierzig Grad. Solche Temperaturwerte hatte ich auch in den letzten Tagen, aber eben ohne diese klaustrophobische Schwüle. Es sind zum Glück nur 100 Kilometer bis Sur, so dass ich es ohne Eile angehen kann. Nach dem gestrigen Ritt will ich mich auch etwas schonen, um fit für alle Optionen des Folgetages zu sein. Denn ich habe noch keinen Plan, wie ich nach Muscat gelange.
Sandwüste trifft auf Wasserwüste
Küstensiedlung
Die Menschen leben hier unter bedeutend einfacheren Bedingungen als in den Oasenstädten. Von der Hauptstadtregion ganz zu schweigen. Die Fischerei scheint zu mindestens vor Ort die Haupterwerbsmöglichkeit zu sein. Der Oman besitzt eine 1.700 km lange Küste und den Reichtum von über 150 Fisch- und Schalentierarten. Die Fischerei zählt seit je her zu den wichtigen Wirtschaftszweigen. Vor 1970 gab es weder Kühlhäuser noch eine Transportlogistik im großen Stil. Die Küstenbewohner fischten zur Eigenversorgung und im bescheidenen Ausmaß zum Tausch gegen Datteln. Getrockneter Fisch und getrocknete Datteln wurden dabei mit Kamelkarawanen transportiert.
Mit Beginn der Ölförderung Ende der 1960er Jahre wanderten Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft und der Fischerei ab. Mit gezielten Programmen versucht der Staat diese Bereiche zu fördern. Viele Omani sind im Agrar- und Fischereisektor tätig und erwirtschaften 50% des Landesbedarfes. Langfristig zielt der Oman auf die komplette Eigenversorgung des Landes. Während die Al-Batina Ebene von moderner Intensivlandwirtschaft geprägt ist und einen entsprechenden Wohlstand ermöglicht, geht es hier sehr viel einfacher zu, was sich an den Häusern und den allgemeinen Lebensbedingungen zeigt.
Bei den Booten handelt es sich um offene GFK Boote, welche bei Nichtgebrauch auf den Strand gezogen werden. Mit günstigen Krediten für Boote, Außenborder und Ausrüstung werden die Fischer unterstützt. Die Motorenwartung übernehmen staatliche Werkstätten. Fischereilizenzen werden übrigens ausschließlich an Omani vergeben.
Den Landtransport übernehmen die Fischer mit ihren Toyota Landcruiser 4x4 Pickups – dem Standardfahrzeug für Nicht-Büroarbeiter im Oman. Auf die Ladefläche passt (in diesem Fall) eine gigantische Kühltruhe oder alternativ eine kleine Ziegenherde oder die Großfamilie oder die halbe Familie und die halbe Ziegenherde oder zwei Kamele (kein Scherz!). Diese liegen auf der Ladefläche und gucken in Fahrtrichtung über die Fahrerkabine hinweg. Und sie gucken sehr cool. Gesehen habe ich das häufig, ein Foto ist mir jedoch vergönnt geblieben.
Neugierig auf die technischen Daten, geling es mir einen Omani zu befragen. Die sehr geländegängigen Fahrzeuge verfügen über V6 Benzinmotoren (Diesel sieht man hier nicht, wahrscheinlich gibt es schon zu viel Feinstaub aus der Wüste) mit 4,0 Litern Hubraum, 228 PS, 370 Nm Drehmoment und 2 (zwei!) 90 Liter Kraftstofftanks. DAS sind definitiv die modernen Kamele des Oman.
Toyota Pickup mit Kühltruhe (links), hier an einem anderen Küstenabschnitt
Familien- und Mehrzwecktransporter
Ungelöst bleibt für mich die Frage nach dem Eis für die Kühltruhen. Die Lösung erscheint irgendwann in Form einer kleinen Eisfabrik am Strand. Das Ganze ist mir ein Foto wert. Erst recht, als ich das Logo der Eisfabrik entdecke – ein richtig schöner Schneemann, klassisch mit drei Kugeln, Knopfaugen, roter Nase und Hut. Das zaubert mir bei fast 40 Grad ein Lächeln. Da die Sonne oberhalb hinter der Fabrikhalle steht, ist das Fotografieren nicht ganz einfach, sodass ich mich der offenen Einfahrt nähere, um bessere Belichtungsverhältnisse zu erlangen. Plötzlich kommt ein äußerst aggressiver Hund um die Ecke und fletscht mir die Zähen entgegen. Ich erschrecke mich fast zu Tode, verliere schlagartig die Lust am Foto und trete gaaaanz vorsichtig den Rückzug an, ohne die Töle aus den Augen zu lassen. Als er von mir ablässt und ich wieder im Sattel sitze, um meinen Weg fortzusetzen, muss ich dennoch schmunzeln. – Ich weiß nicht, was es für eine Rasse war, aber der Hund war so weiß wie der Schneemann. – Oder steigt mir allmählich die Hitze zu Kopf? Nein, ehrlich. Er war schneeweiß!
Ländliche Siedlung
Ansonsten geht es hier irgendwie wilder zu. Die Siedlungen wirken etwas runtergekommen, die Häuser sind sehr viel einfacher und zum Teil stark improvisiert, Frauen, in der Öffentlichkeit ländlicher Räume ohnehin eher rar, sind gar nicht zu sehen und die Männer sind im Erscheinungsbild irgendwie arabischer. Keine gepflegte omanische Dishdasha mit Kummah, sondern kombinierte Sachen mit Palästinenser Tüchern um den Kopf. In der zweiten Siedlung fahre ich sehr langsam, da ich um ein paar Ziegen herum manövrieren muss. Und schon habe ich barfüßige kleine Kinder an den Satteltaschen hängen, die um Geld betteln. Ich frage mich, ob ich vielleicht irgendwo falsch abgebogen und schon im Jemen bin. Die Männer sind zwar freundlich, aber auf eine andere Art. Nicht so würdevoll zurückhaltend, sondern, ich will mal sagen, etwas aufdringlich freundlich aggressiv. Gestenreich lehnt man sich aus vorbeifahrenden Autos heraus und spricht Einladungen und sicherlich gut gemeinte Aufmunterungen aus. Aber es hat so eine Art, bei der sich mein siebter Sinn meldet und zur Achtung mahnt. Auch wenn ich so manches Mal innerlich grinsen muss, wenn mich wieder ein Captain Jack Sparrow aus einem langsam fahrenden Toyota Pickup anlacht und mich zu sich nach Hause einlädt.
Für fünfundzwanzig oder dreißig Kilometer verlässt de Straße die Küstenlinie und ehrlich gesagt genieße ich wieder die ruhige menschenleere Weite.
Wieder menschenleere Weite
Irgendwann biege ich auf der Suche nach einem Pausenplatz in die Siedlung ab, in der sich die Eingangsszene ereignet. Vielleicht ist nun meine leichte Anspannung besser nachvollziehbar. Jedenfalls bin ich froh, dort wieder auf die Omani zu treffen, die mich so freundlich durch ihr Land begleitet haben. Dieser östliche Küstenabschnitt mit den Wüstenfischern in der Dschanub ist irgendwie anders und zeigt, dass es auch im Wohlfahrtsstaat Oman große gesellschaftliche Unterschiede zwischen den Bewohnern gibt. Dennoch bleibt es für mich eine Traumküste, der ich gerne mal in Gegenrichtung bis nach Salalah folgen würde. Die Lust auf’s Reisen und dabei auch etwas von den Feinheiten der Länder zu erfahren, ist eben das, wovon ich so oft träume.
w‘smurfette
Auf den verbleibenden 25 km in Richtung Sur rolle ich daher mit einem zufriedenen Gefühl und guten Gedanken dahin. Ich fühle mich erfüllt und frei und könnte noch Wochen weiterradeln. Die Realität beendet die Träumerei und fängt mich wieder ein. Von einer Landzunge erhasche ich einen ersten Blick auf die Hafenstadt. Freude und Ernüchterung ringen miteinander. Der Anblick der Stadt vor dem Hintergrund der Berge ist bezaubernd, macht aber auch unmissverständlich klar, woher der Weg nach Muscat verläuft. Eben durch diese Berge. Und ich habe noch immer keinen fixen Plan.
Aber es ist ja noch relativ früh am Tag. Somit verschiebe ich das Pläneschmieden und genieße zunächst die Hafenstadt.
Erster Blick auf Sur
Sur ist mit rund 90.000 Einwohnern das Zentrum der nördlichen Sharqiyah und der Hauptfischerort der Region. Ehemals eine Hochburg des Dhau-Baus, schaut Sur auf eine ruhmreiche Vergangenheit als Seehandelsstadt zurück. Überliefert sind Handelsbeziehungen nach Ostafrika, die bereits in vorislamischer Zeit gepflegt wurden. Als mit der portugiesischen Invasion das 25 Kilometer nördlich gelegene Qalhat zerstört wurde, übernahm Sur die Rolle des führenden Handelszentrums südöstlich von Muscat. Die eigentliche Blütezeit erlebte Sur jedoch nach der Vertreibung der Portugiesen vom 17. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts.
Der Hafen hat in der Gegenwart für den Handel kaum noch Bedeutung. Nachdem auf den beiden Werften über Jahrhunderte Dhaus gebaut wurden, gibt es seit Beginn der 2000er Jahre quasi keine Neubauten mehr. Selbst der Reparaturbetrieb bringt wenig Auslastung. Um die traditionellen omanischen Arbeitsweisen und die Stilelemente nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, hat die Regierung eine Werkstatt eingerichtet, in der mit den Originalmethoden und nach den alten Techniken alle Dhautypen in verkleinertem Maßstab nachgebaut werden. Diese Boote werden an hohe Staatsbesucher verschenkt und dienen in Vorhallen von Ministerien und Museen als Anschauungsobjekte.
Traditionelle Dhaus
Sur ist übersichtlich strukturiert. Der Stadtkern liegt auf einer Halbinsel inmitten einer Lagune. Über eine Brücke gelange ich von Osten auf die Halbinsel und folge der Uferstraße, die rings um die Stadt führt. Die moderne Stadt hat sich jenseits der Lagune ausgeweitet. Hier im alten Kern mischen sich Dhau Werften, alte Wohngebiete, flache Häuser mit Innenhof, Fischmarkt, ein überschaubares nicht unmodernes Geschäftszentrum und Handwerkergassen. Auf der Nordseite befindet sich der Strand. Leider ist heute ja Freitag, so dass es eher ruhig ist und ich den Alltagsrhythmus nur erahnen kann. Für mich hat Sur sehr viel Charme. Facettenreich farbig, ohne kunterbunt zu sein. Zudem scheint hier Tradition und Moderne gefühlvoll ineinander über zu gehen.
Auf der gegenüberliegenden Seite am östlichen Ende der Lagune befindet sich der Ortsteil Al-Ayjah. Ein Fort, eine kleine Werft und verwinkelte Gassen mit alten Häusern prägen den Ort. In Al-Ayjah leben Angehörige des Stammes der Bani Bu Ali, dessen Hauptsitz im Inneren der Sharqiyah, in Ja’alan Bani Bu Ali liegt. Die Bani Bu Ali gehören der wahabitischen Glaubensrichtung an, deren Ursprung in Saudi-Arabien liegt. Nach Streitigkeiten mit dem Sultan versuchten sie sich 1923 für unabhängig zu erklären und hissten fünf Jahre später sogar die Flagge Saudi-Arabiens. Das Verhältnis zur Regierung entspannte sich erst wieder unter der Herrschaft von Sultan Qaboos.
Blick über die Hafeneinfahrt nach Al-Ayah
Der Strand am Hafen von Sur hat für mich unter vielen besuchten und gefunden Plätzen definitiv Lieblingsplatz Potenzial. So mache ich es mir im Schatten bequem und lausche zunächst dem Ruf des Muezzins, besser gesagt der Muezzine, denn es sind zeitgleich mehrere in Aktion. Ich nasche einige Datteln und studiere die Straßenkarte. Egal wie herum ich sie drehe. Die Strecke nach Muscat wird nicht kürzer. Und egal wie lange ich sie betrachte, die Anzahl der Optionen wird nicht größer.
Lage: Die Strecke ist lang (220 km), langweilig (Autobahn) und dünn besiedelt (verhungern oder verdursten wird man aber sicher nicht).
Ziel: rechtzeitig am Flugzeug sein für die Rückreise
Da es nicht viele Möglichkeiten gibt, gibt es auch nicht viel zu überleben. Die Möglichkeiten sind a) Marathonetappe (Augen auf und durch, bis 22:00 könnte ich ein Hotel am Südrand von Muscat zu fassen bekommen) b) Augen auf und dreiviertel durch (nach Einbruch der Dunkelheit (ca 18:15) biwakieren und mit dem ersten Licht den Rest radeln) c) auf fremder Achse (Pickup, Bus, Taxi…) nach Muscat (an sich tiefenentspannend, wäre aber noch zu organisieren - heute am Freitag, also am muslimischen Sonntag.)
Sur hat für mich etwas von Lieblingsplatz
Unter sportlichen Aspekten reizt es mich natürlich sehr, die Strecke auf eigener Achse zurückzulegen. Dabei hätte ich allerdings nahezu ausschließlich mit mir selbst zu tun. Würde ich auf eine fremde Achse zurückgreifen, hätte ich noch die Gelegenheit Muscat zu erkunden und noch viele Impressionen von Menschen aus tausendundeiner Nacht aufzunehmen.
Da ich mich ja schon kenne und Muscat für den Rest des Jahres nicht gerade um die Ecke liegt, entscheide ich mich für die Fremdachse. Und nebenbei bemerkt - es ist ja Mitte März, ich habe in einer Woche fast 1.000 Kilometer zurückgelegt und es ist hier an der Küste unsagbar schwül. Eine Pause wäre mal angebracht. Wenn auch mit Wehmut (wohl auch über das Ende der Reise), akzeptiere ich die Entscheidung dennoch auch innerlich.
Ich beziehe ein nettes Hotel mit angenehm luftiger Terrasse, Blick auf die Lagune und mit einer super freundlichen und ausgesprochen hilfsbereiten philippinischen Dame an der Rezeption. Sie hätte einen guten Bekannten, der Taxi fährt und den sie bestimmt von 25 auf 20 omanische Rial herunter handeln könne. Ich fasse noch einmal nach, um mich zu vergewissern, dass kein Irrtum vorliegt und sie bestätigt mir den Preis (20 Rial entsprechen etwa 45 EUR – für 220 km!). Ehrlich gesagt hatte ich mit einem Fahrpreis gerechnet, der mich meine Entscheidung hätte bereuen lassen. Aber das erfreut mich nun derart, dass ich sowohl ihr, als auch dem Taxifahrer (nach der Fahrt) 5 Rial Trinkgeld für den exzellenten Service zukommen lasse.
Obwohl ich ihr mehrfach versichere, dass es nicht notwendig sei, besteht der Fahrer darauf, am Abend noch vorbei zu kommen, um zu sehen, ob das Fahrrad auch wirklich ins Auto passt. Ich wollte ihn natürlich nicht an seinem Sonntag stören, aber er wollte absolut sicher sein, dass er seine Zusage, mich nach Muscat zu fahren, auch halten kann. Als er dann sieht, dass das Rad relativ leicht zu demontieren und klein zu machen ist (im Gegensatz zu einem indischen Atlas Rad), zeigt er sich sichtbar erleichtert und wir verabschieden uns für den nächsten Morgen.
Nach dem Dinner auf der Terrasse lasse ich die letzte Woche Revue passieren und es breitet sich ein gutes Gefühl aus, die Tour quasi in Sur zu beenden. Meine Gedanken kreisen um 1.000 Kilometer und 1001 Nacht. Die Tour ist definitiv eine der faszinierendsten, die ich gefahren bin.
Anschließend liege ich noch lange wach bevor ich einschlafen kann und ich schaue mir ein Foto auf der Digicam an, welches ich zwischen Duschen und Dinner geschossen habe, als ich noch etwas mit ausgestreckten Beinen auf dem Bett lag und durch das TV Programm zappte…
Shalumibf und W'smurfette
Mit den wohligen Gedanken, dass es nun auch Zeit sei heimzukehren, schlumpfe ich mit einem Lächeln in einen tiefen Schlaf.
Auftrag in Muscat
Der Taxifahrer ist für arabische Verhältnisse überpünktlich und das Rad ist schnell auf der Rückbank verstaut. Abgesehen davon, dass meine Beine noch dankbarer als ich über den Transfer sind, freue ich mich darauf, Muscat in aller Ruhe mit dem Rad erkunden zu können. Außerdem habe ich in Muscat noch einen Auftrag aufzuführen.
Im Grunde als pragmatisches Mittel zum Zweck gedacht, zeigt sich die Taxifahrt als wahrer Segen. Schnell entwickeln der Fahrer und ich bei der Autobahnfahrt durch das Küstengebirge einen Draht zu einander, zumal wir auch noch feststellen, dass wir hauptberuflich quasi in derselben Branche tätig sind. Das Taxi betreibt er nebenbei, um seine Einkünfte noch aufzubessern.
Mit dem Taxi nach Muscat.
Über zwei Stunden führen wir ein lebhaftes, interessiertes und äußerst informatives Gespräch. Unterbrochen lediglich von einer Shai-Pause zu der er mich einlädt sowie einem kleinen Ausflug zu einer beeindruckenden Natursehenswürdigkeit. Mir wird eine Offenheit zuteil, die bei Kurzzeitbekanntschaften eben nicht möglich ist. So habe ich die wertvolle Möglichkeit, Erlesenes und Erlebtes miteinander zu verweben, Fragen zu stellen und zuzuhören. Die Antworten lassen mich mit ein wenig mehr Tiefe in den Oman und seine Gesellschaft blicken.
Im Inneren des Oman, habe ich immer wieder kleine geländegängige Busse gesehen, mit denen die Kinder nach der Schule nach Hause gefahren wurden. Oft hat mich ein Bus zigfach überholt, da er immer wieder abbog, um entlegene Häuser anzusteuern. Beim erneuten Überholen wurde freudig gehupt und die Kinder klebten an den Scheiben und winkten mir lustig aufgeregt zu, unabhängig davon, ob es ein Jungen- oder Mädchenbus war. – Heutzutage besuchen über 90% der Kinder eine Grundschule. Das Verhältnis Jungen/Mädchen liegt bei 50%, was dem Bevölkerungsteil entspricht. Beide Zahlen sind bei weitem nicht selbstverständlich für arabische Länder. 1970 gab über Koranschulen hinaus, je eine Schule in Muscat, Mutrah und Salalah mit insgesamt 900 Jungs und 30 Lehrern. Stand 2015: 1.530 Schulen, rund 700.000 Schüler, 50.000 Lehrkräfte. Die Nutzung des gesamten staatlichen Bildungssystems ist kostenlos. Fast ein Viertel des Staatshaushaltes wird für Bildung aufgewendet.
An der 1986 gegründeten Sultan Qaboos University waren von Anfang an Studentinnen zugelassen. Noch heute an der Universität gelebte konservative Verhaltens- und Kleidervorschriften mögen wir Westler als Einschränkung auffassen. Tatsächlich bedeuten sie jedoch Freiheit. Denn mit dieser Gewissheit, lassen Familien aus konservativen ländlichen Landesteilen ihre Töchter studieren, was sie ansonsten verweigern würden. Wenngleich es hinsichtlich der Präsenz von Frauen im öffentlichen Bereich ein deutliches Gefälle zwischen Hauptstadtregion/ Städten und ländlichen Räumen gibt, sind Frauen im Oman keineswegs aus dem öffentlichen Leben „verbannt“. Sie arbeiten selbstbewusst in vielerlei Berufen, auch bei der Polizei und in leitenden Positionen. Und es ist völlig selbstverständlich, dass Frauen Auto fahren. Der Oman ist nicht Saudi-Arabien.
Carmen übernachtete auf der Westseite des Hajar-Gebirges bei einer jungen Frau, die über das Warm Showers Portal eine private Übernachtungsmöglichkeit für Radreisende anbietet und selbst leidenschaftlich Mountain Bike fährt.
Beschäftigt man sich etwas mit dem Islam, erschließt sich auch der gesellschaftliche Kontext seiner Entstehungszeit. Vor diesem Hintergrund betrachtet ist zu erkennen, dass er auch eine sozialreformerische Bewegung war, in der die Position und Rechte der Frauen erheblich verbessert wurde (Erb-, Eherecht). Wie in anderen Religionen auch, ging es aber natürlich auch/vordergründig um Einfluss, Macht und Reichtum. Auch wie in anderen Religionen - kam es in der Entwicklung zu Streitigkeiten und Aufspaltungen. Die beiden großen Glaubensrichtungen der Sunniten (80% aller Muslime weltweit) und Schiiten sind weithin bekannt. Aber es gibt auch weniger bekannte Richtungen, wie die der Ibaditen, die sich, von den Sunniten verfolgt, u.a. in die omanischen Berge geflüchtet haben.
Der überwiegende Teil der omanischen Bevölkerung bekennt sich heute zur ibaditischen Lehre. Diese ist basiert auf einer liberalen Grundeinstellung, puritanischen Ansätzen, demokratischen Strukturen (der Führer (Imam) wird von der Gemeinschaft (Umma) gewählt – bei mangelndem Geschick wieder abgewählt) und dem wichtigen Glaubensgrundsatz, dass die Ansätze des Islam immer wieder überdacht und angepasst werden müssen, da nur in der Aktualität der Islam seine Kraft behalten könne. Davon abgesehen, dass der katholischen Kirche derartige Ansätze auch nicht schlecht stehen würden, muss man diese Hintergründe kennen, wenn man den Oman verstehen und seine Position in der islamischen und arabischen Welt begreifen will.
Sultan Qaboos ist offensichtlich ein weiser, wissender und weitsichtiger Mann. Auf seiner jährlichen vierwöchigen ‚meet the people Tour‘ bereist er das Land, übernachtet auch in Camps und sucht die Nähe zum Volk, indem er eine Art Audienz anbietet. 1996 überraschte er sein Volk mit dem Erlass eines Grundgesetzes. Die omanische Verfassung betont u.a. die nationale Einheit, Gleichheit aller Omanis vor dem Gesetz, Rechte des Individuums, Rechtssicherheit und eine Nachfolgeregelung für den kinderlosen Sultan. Im Laufe der Zeit wurden zunehmend parlamentsähnliche Strukturen geschaffen, die langfristig in eine konstitutionelle Monarchie nach britischem Vorbild überführt werden sollen. Die Wirtschaft wird konsequent auf eine Zeit nach dem Öl vorbereitet und mit der voranschreitenden Omanisierung soll der Ausländeranteil von derzeit rund 45% (Vereinigte Arabische Emirate 85%) auf 15% verringert werden, um der Bevölkerungspyramide eine möglichst volle Beschäftigung zu ermöglichen.
Sultan Qaboos erreicht allmählich ein Alter und einen Gesundheitszustand, der früher oder später dazu führen wird, dass er durch Allah abberufen wird. Für die Menschen des Oman und die Stabilität in der Region kann man nur hoffen, dass der Übergang der Regierungsgeschäfte nach den festgelegten Regularien erfolgt und es nicht zu Machtgelüsten von alten Clans oder gar zu Begehrlichkeiten von Anrainerstaaten kommt.
Der Taxifahrer ist sich all dessen bewusst, auch wenn er etwas nörgelt, dass er in seinem ersten Job zu wenig verdient, strahlt er dennoch die Gelassenheit und Zufriedenheit aus, die ich bei den Menschen auf meiner Reise angetroffen habe. Im Oman gibt es keine protzige Dekadenz wie in anderen arabischen Ölstaaten. Es scheint durchaus eine differenzierte gesellschaftliche Schichtung zu geben, aber es scheint niemand wirklich durch das Netz zu fallen. Es gibt Sozialhilfe, sozialen Wohnungsbau, kostenlose Krankenversorgung, kostenlose Bildung und staatliche Förderprogramme für Landwirtschaft, Fischerei, Handwerk und andere Privatunternehmen. Die Welle des ‚Arabischen Frühlings‘ 2011 führte zwar zu Streiks und Demonstrationen für bessere Lebensverhältnisse, verlief jedoch bis auf eine Ausnahme in Sohar friedlich. Qaboos reagierte mit der Stärkung des Parlamentes, der Anhebung des Mindestlohnes, verbesserter Absicherung gegen Arbeitslosigkeit und anderen finanziellen Zuwendungen, Reformen, die möglicherweise ohnehin in der Pipeline waren.
Wie ich es sehe, scheint Sultan Qaboos alles richtig zu machen. Aber ich habe auch die mächtigen Polizei- und Militäreinrichtungen gesehen. An den strategischen Pass-Straßen und im Grunde unweit einer jeden großen Stadt – ausgestattet mit schweren Geländewagen, deren Scheiben vergittert und deren Front mit mächtigen Rammbügeln bestückt sind. Es sind nur Beobachtungen und ich bin kein Insider für politische Verhältnisse und Stabilität auf der arabischen Halbinsel, aber es hat für mich den Eindruck einer Rückfalloption, falls irgendetwas aus dem Ruder laufen sollte.
Ich bin sehr dankbar für den offenen Austausch und es tut gut, sich mit einem Bewohner des Landes über Beobachtungen und Eindrücke austauschen zu können. Wir verabschieden uns fast wie Freunde.
Bevor ich mit dem Rad Mutrah, Muscat und Umgebung ein wenig erkunde (letztendlich werden es 50 km), habe ich jedoch noch meinen Auftrag auszuführen. Dazu steuere ich den Souq in Mutrah an. Verglichen mit den Souqs, die ich kennengelernt habe, ist dieser etwas enttäuschend. Hier kaufen eher weniger Omani Alltagsdinge, als Touristen China Schnickschnack. (Im Hafen liegt ein deutsches Kreuzfahrtschiff.) Dennoch versuche ich mein Glück, schiebe mein Rad durch den Souq und versuche mir ein Überblick über das Angebot zu machen, was per se schon mal für erhöhte Aufmerksamkeit sorgt. Auf dem Rückweg bleibe ich am Geschäft zweier Omani stehen. Nach einem bisschen Smalltalk frage ich sie nach dem besten Weihrauch den sie anbieten können. Der Jüngere greift in die Auslage und bietet von seinem ‚besten Weihrauch‘ an. Ja und dann wird es richtig orientalisch theatralisch. Die ersten Touristen bleiben stehen.
Mit aufgesetzter Erbostheit werfe ich ihm vor, mich zu vereimern. Ein guter Freund (eigentlich meine Nachbarin) passe zu Hause auf mein Haus auf und ich möchte mich mit der Erfüllung seines Wunsches nach gutem omanischen Weihrauch bedanken. Aber dieser Weihrauch stelle eine Beleidigung meines Freundes dar. Mittlerweile kommen die Verkäufer der Nachbarstände und noch mehr Touristen dazu und verfolgen das Schauspiel. Nach einigem weiteren Hin und Her bekräftige ich den Zweck des Weihrauches. Er solle nicht verbrannt werden, sondern medizinischen Zwecken dienen. Dann begibt sich der Ältere in den hinteren Bereich seines Geschäftes und schließt hoch wichtig einen Schrank auf. Nach einigem Kramen und Sortieren kommt er mit sehr ernster Miene auf mich zu und versichert mir, dies sei sein bester Weihrauch – weißer Weihrauch. Ich versichere ihm mit ebenso ernster Miene, dies sei die Qualität, die ich suche und ich bräuchte die doppelte Menge. Ein leichtes Raunen geht durch die uns umringenden Zuschauer des Spektakels. Ich schmunzele innerlich über den großen Einkaufsspaß. – Und dann kommt noch die Preisverhandlung… Am Ende sind wir beide zufrieden. Er hat mit Sicherheit noch einen guten Schnitt gemacht, ich aber auch. In Deutschland ist Weihrauch dieser Qualität fünffach teurer.
Um den Weihrauch, der Tränen der Götter, ranken sich viele sagenhafte Geschichten und Legenden. Schon in Tutenchamuns Grab befanden sich Weihrauchstücke. Die Blütezeit des Weihrauchhandels lag zwischen dem 5. Jahrhundert v.Chr. und dem 1. Jahrhundert nach Christus. Die alte Weihrauchstraße führte vom Oman über den Jemen, Saudi-Arabien, Petra in Jordanien, Gaza bis nach Alexandria. Weihrauch wurde mit Gold aufgewogen und das wohlriechende Harz verschaffte Königen Macht und Reichtum.
Mit großer Freude über die Episode und der Zufriedenheit, den Auftrag ausgeführt zu haben, lasse ich mich noch entspannt durch die Umgebung von Mutrah und Muscat treiben und bereue die Entscheidung für den Transfer nach Muscat in keiner Weise. (Im Übrigen erfahre ich in der Nachbereitung der Reise, dass es bei Oman Radreisenden durchaus üblich ist, diese Autobahn Passage derart zu überbrücken.)
Fischereihafen Al-Bustan
Corniche zwischen Muscat und Mutrah
Promenade in Mutrah
Die Original Dhau 'Sohar' vor dem Palasthotel Al-Bustan.
Zum zehnten omanischen Nationalfeiertag (23.11.1980) startete der Ire Timothy Severin mit zwanzig Mann Besatzung auf der Sohar zu einer Reise entlang der alten Seehandelsrouten und erreichte siebeneinhalb Monate später, nach fast 6.000 Seemeilen, Kanton in China.
Für den Bau der Sohar waren 140 Tonnen Holz (aus Indien) erforderlich und sie wurde mit 640.000 m Kokosfäden (von 50.000 Kokosnüssen) vernäht. Sie ist das letzte Schiff, welches in dieser traditionellen Bauweise gefertigt wurde. Danach wurde nur noch geschraubt und genagelt.
Palastviertel in Muscat
Alte Pass Straße
Blick auf Mutrah von der alten Pass Straße.
Die alte Pass-Straße zwischen Muscat und Mutrah stellt für mich ein Muss dar. Obwohl es keinen Schatten gibt, verweile ich lange auf der Passhöhe. Für mich ist der Ort irgendwie magisch. In der einen Richtung ist der Hafen von Mutrah zu sehen und in der anderen fällt der Blick auf das alte Muscat, mitsamt der alten Festung. Dies ist die Straße, die früher als einzige asphaltiert war. Von Muscat aus hat Sultan Qaboos das Land in die Moderne geführt, ohne die Tradition aus den Augen zu verlieren. Die längste Zeit war dies der wichtigste Weg, die wegweisenden Ideen aus dem Palast des Sultans in die Weite des Landes zu bringen und umzusetzen.
Der Oman und seine Menschen haben mich tief beeindruckt. Sie haben mich gut durch ihr Land getragen. Ich bin in einen für mich unbekannten Kulturraum vorgedrungen und äußerst positiv überrascht. Irgendwo habe ich während der Vorbereitung gelesen, der Oman sei Arabien für Anfänger. Das ist wahrscheinlich sehr treffend. Der Oman ist eben der Oman. Und er steht keineswegs stellvertretend für den gesamten arabischen Kulturraum.
Was bleibt?
Unvergessliche Eindrücke und Erfahrungen (und sicherlich eine Rückkehr).
Vielleicht der Wunsch nach mehr Arabien. Die Anfänger-Lektion habe ich ja erfolgreich absolviert.
Vielleicht der Wunsch nach Persien. Über die Historie des Handels gibt es zahlreiche Anknüpfungspunkte. In der Blütezeit muss Persien eine unglaubliche Strahlkraft besessen haben. (Das Kopftuch hat sich im Übrigen unter den Frauen in einer Zeit weit vor dem Islam ausgebreitet. Es war der letzte Schrei, der gutbetuchten Damen in Persien….)
Ganz sicher aber der Wunsch nach mehr Wüste….smile.
Epilog
Seit ein paar Tagen bin ich wieder in der Heimat und mühe mich ab, mit der Kälte und dem starren Alltagsrhythmus zurecht zu kommen. Bei einer ländlich gelegenen Tankstelle auf meinem Arbeitsweg, betrete ich nach dem Tanken den Shop, um zu bezahlen. Zwei Männer mit schwarzen Haaren und dunklem Teint verlassen kopfschüttelnd den Shop und murmeln noch etwas von la fattura. An der Kasse angekommen schüttet mir die ältere Dame und Inhaberin der Tankstelle aufgeregt ihr Herz aus. Ich bin total perplex und verstehe überhaupt nicht, worauf sie hinaus will. Na dieses ganze Fremdländische und was diese Menschen überhaupt alle bei uns wollten, echauffiert sie sich.
Noch immer irritiert blicke ich aus dem Schaufenster und lasse den Blick über die Zapfsäulen und das Tankstellengelände gleiten. Scheinbar habe ich hier etwas verpasst. Ich entdecke nichts und frage, was sie denn meine. Na diese beiden Typen. Das waren Italiener, die nach der Tankquittung gefragt haben, beruhige ich Dame, während sie mich ungläubig ansieht. Italien ist Gründungsmitglied der Europäischen Union höre ich mich noch sagen, bevor ich bezahle und meinen Weg fortsetze.
Ich folge in der Dunkelheit dem Lichtkegel der Scheinwerfer. Die Scheibenwischer versuchen der dicken Schneeregentropfen Herr zu werden. In Gedanken sitze ich gerade als Fremder in dem schmalen Schatten einer Häuserwand….
Übersicht
Der Norden des Oman.
Text und Fotos Andreas Thier 09/2018