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Bootstour  

Eine kleine Neueinsteiger Geschichte


Prolog - Die Rechtskurve

Die Rechtskurve naht. Ich peile den Scheitelpunkt an und leite wie gewohnt die Richtungsänderung ein. In der Folge des nach vorne bewegten rechten Lenkerendes erwarte ich intuitiv die Schräglage nach rechts und das saubere Abzirkeln der gedachten Linie.


Die Schräglage bleibt aus, der Scheitelpunkt verschwindet aus dem Blickfeld, von Richtungsänderung keine Spur. - Nichts ist wie gewohnt. Die gedachte Linie verschwindet, das Asphaltband geht zu Ende.


Zum Glück ist der Verlauf des Asphaltbandes auch nur gedacht und lediglich mit hochmobilen, kleinen Hütchen begrenzt. Wir schreiben das Jahr 2008 und ich nehme an einem Gespann-Kurs teil. Die Versuchsfläche ist großzügig genug, dass die Folge des Fehlers kein Schaden, sondern Erkenntnis ist. Erfahrung im ureigensten Sinne des Wortes.


Unvorbereitet

Mit zur Verfügung gestellten Gespannen, höchster Kompetenz und noch mehr geduldigem Einfühlungsvermögen, ermöglichen uns die Instrukteure diese wertvollen Erfahrungen. Mein eigenes neugieriges Interesse paart sich mit mangelnder Auseinandersetzung im Vorfeld des Kurses. Dass Fahrtechnik und -dynamik eine derart eigene Disziplin darstellen, erwischt mich unvorbereitet. Ich arbeitete mich dann dennoch konzentriert und tapfer durch den Kurs. Letztendlich gelingen mir alle Fahr- und Bremsübungen und ich bin den Instrukteuren wirklich dankbar für ihren Einsatz. Aber trotz aller Bemühungen will der Gespannfunke nicht so wirklich überspringen.

Gespannkurs  2008


Was bleibt

Ein Feuer wurde damals nicht entfacht. Es blieb jedoch irgendwo ein kleines Glutnest. Boten sich Berichte, Geschichten oder gar Gespräche mit Gespannfahrern, nutzte ich zwar die Gelegenheit, jedoch eher aus allgemeinem Interesse, jedenfalls bis 2019.
Im Juni 2019 nahm ich an der Rally ‚The Great Mile‘ des Labels Malle London teil. Von Lizard Point im äußersten Südwesten der britischen Insel ging es großenteils über ausgesuchte schmale Landstraßen in den Norden bis nach John O’Groats. Mit von der Partie unter rund einhundert Solomotorrädern, ein deutscher Teilnehmer mit seinem Triumph Gespann.

Da habe ich nichts hinzuzufügen...smile.


Ein absolut bezaubernder Gespannaufbau, wie ich fand. Und er konnte damit umgehen, wie verzaubert. Ich habe das Gespann täglich bestaunt und wann immer sich die Möglichkeit bot, unterwegs die beindruckende und souveräne Fahrweise studiert. Damit war ich dann selber irgendwie verzaubert.


Feuer gefangen

Aus der verbliebenden Glut von einst entwickelte sich ein ernstzunehmendes Feuer. Noch am Tag meiner Rückkehr kramte ich die spärlich, noch vorhandenen Gespannunterlagen zusammen. In der Folge wurde das Zusammentragen von Informationen zunehmend intensiver und konzentrierter. Von allgemeinem Interesse konnte nun keine Rede mehr sein. Alles lief darauf hinaus, wie ich mir mein zukünftiges Gespann vorstellen würde. Über persönliche Kontakte zu aktiven Gespannfahrern verfügte ich kaum, aber einen aus der Region schätze ich sehr. Und er ist ein richtig guter und zudem auf Rennstrecken schneller Gespannpilot. Der Austausch mit ihm war eine wertvolle Hilfe.


Irgendwann standen die Eckdaten fest: Kompakt, agil, flach, alltags- sowie tourentauglich und auch ohne Bootsbesatzung kurvenstabil. Bei der Wahl der Zugmaschine war ich im Grunde tolerant, solange es sich um eine Moto Guzzi handeln würde. Da ich zu den Alltags- und insgesamt eher zu den Vielfahrern gehöre, war mir aktueller Stand der Technik gepaart mit wenig Laufleistung wichtig, um einer möglichst langen Nutzungsdauer entgegensehen zu können.


Aufgrund der hohen Zufriedenheit mit meiner V7 850 Centenario war die Wahl ohne Umschweife getroffen. Der Dithmarscher Guzzi Händler meines Vertrauens organisierte mir dazu eine Vorführmaschine mit gerade mal 197 km Laufleistung. Und so sah meine Gespann-Idee aus:

Meine Gespann-Idee


Weitaus kniffeliger als die Erstellung eines Lastenheftes mit technischer Konfiguration und Fahreigenschaften, gestaltete sich die Wahl des Gespannbauers. Aus der engeren Wahl von drei sicherlich uneingeschränkt Geeigneten, ging Alois Löw hervor, der nebenbei bemerkt auch das phantastische Triumph Gespann gebaut hatte.


Ziel

Ziele sind Träume mit Termin. - Das Zitat der britischen Einhandseglerin Ellen MacArthur ist für mich ein echter Leitsatz. Somit galt es nun meinem Traum ‚Gespann‘, Termine zu hinterlegen. Basierend auf meinem Inbetriebnahmewunsch für Spätsommer 2023 und der Zusage von Alois Löw sieben bis acht Monate für den Umbau zu benötigen, erfolgte die vertragliche Festlegung. Die Übergabe der Zugmaschine war für April 2023 vorgesehen. Die Überführung wollte ich klassisch auf eigener Achse bewerkstelligen und meine Zugmaschine persönlich an Alois Löw übergeben, um ihn bei dieser Gelegenheit auch kennenzulernen.


Da ich vor dem Umbau in jedem Fall die 1.500 km Einfahrinspektion erledigt wissen wollte, wurde die Sache dann doch ziemlich eng, denn die zweite März- und die erste Aprilhälfte waren im Norden so richtig frisch. Das Einfahren, wie auch die Überführung erfolgte im Wesentlichen im Temperaturbereich unterhalb von 5°C. Um so warmherziger war der Empfang in der Gespannwerkstatt nach der rund 1.000 km langen Überführung. Meine Wahl schien die richtige zu sein. Mit dem Stand von rund 2.600 Kilometern übergab ich meine Guzzi vertrauensvoll in die Hände von Alois Löw.


Vorbereitet

Damit nimmt die Sache nun ihren Lauf und ich kann im Grunde nichts weiter tun. Nein, nicht ganz. Schließlich will ich ja nicht unvorbereitet auf mein Gespann stoßen.
Möglichkeiten zum Trainieren ohne eigenes Gespann erweisen sich als rar und erfordern vom nördlichen Schleswig-Holstein ausgehend, eine mehrere hundert Kilometer weite Anreise. Das erscheint mir unverhältnismäßig aufwändig in Relation zu den doch eher kurzen praktischen Fahrzeiten der Kurse. 2008 sind wir deutlich mehr gefahren. Ich verwerfe die Idee und beschließe mich einfach auf die damaligen Erfahrungen zu besinnen.


So kultiviere ich mir kleine Zeitfenster, in denen ich mich intensiv auf die Übungen des 2008er Kurses konzentriere. Vor allem auch auf die Übungen, die mir eher schwergefallen waren. Das mag nun etwas esoterisch klingen, aber ich habe einen gewissen Sporthintergrund, der mich derartige Vorbereitungen gelehrt hat.


Spannung

Dennoch steigt die Spannung. Ich bin mir sehr bewusst, dass sich meine Bezugsbasis letztendlich auf einen zweieinhalbtägigen Kurs beschränkt, der zudem Jahre zurück liegt. Reflexe, Automatismen und schlichtweg robustes Können werden natürlich viele Erfahrungskilometer erfordern.


Zwischenzeitlich versorgt mich Alois Löw mit Fotos zum Baufortschritt. Soweit auf den Fotos erkennbar, scheint mir alles handwerklich gekonnt. Aber wie wird sich das Gespann anfühlen? Wie wird es fahren? - Wie gesagt die Spannung steigt. Freudige Nervosität macht sich breit.

Vorbereitung Seitenwagenfahrwerk


Das Seitenwagenfahrwerk nimmt Form an


Schwinggabel mit 15" Vorderrad und Autobereifung


Hinter- und Vorderrad auf 15" Felgen umgespeicht und Autoreifen aufgezogen


Erlösung

Die erlösende Mitteilung erreicht mich in der zweiten Julihälfte. Mein Gespann ist für Mitte August zur Übergabe vorgesehen.


Mit Sack und Pack sitze ich dann im August im Zug in Richtung Passau. Als Basislager dient ein Campingplatz in der Nähe von Bad Füssing. Von dort ausgehend will ich mich zunächst drei Tage lang entspannt in der Region einfahren, bevor ich die Überführungsreise in Richtung Norden antrete. Doch zunächst geht es am folgenden Morgen in die wenige Kilometer entfernte Gespannbau-Werkstatt.


Die erste interessante Erfahrung als Gespannfahrer mache ich, ohne überhaupt auch nur einen Meter Gespann gefahren zu sein. Der Taxifahrer, der mich zur Werkstatt pilotiert, fährt selber Motorrad und spricht mich verwundert auf meine Motorradkluft an. Neugierig lauscht er meinen Ausführungen zu Zweck und Ziel der Fahrt. Ich bekomme eine erste Idee, welch ein Interesse Motorradgespanne auslösen.


Das Werkstatttor ist weit geöffnet. Die eindringenden Sonnenstrahlen lassen den Chrom bis nach draußen glitzern. Stolz präsentiert sich meine V7 mit ihrem neuen Anhang. Freudige Begrüßung mit Alois Löw und dem Werkstattspezialisten Thomas Gruber. Ich bin hin und weg. Er schiebt die V7 mit ihrem Boot vor die Werkstatt, wo sie sich in Gänze bewundern lässt. - Zum Niederknien schön, kommt es mir in den Sinn und ich lächle nicht nur innerlich. Tief, breit und mit symbiotischer Verschmelzung von Boot und Maschine. Meine Erwartungen sind übertroffen.


Zur Erinnerung - Die Gespann-Idee

 


Das Resultat - Ein Volltreffer (übrigens auch in Sachen Termin- und Budgettreue)

 

Alois schenkt mir einen Augenblick der Einkehr. Andächtig streiche ich mit der Hand über den Tank der Maschine und über das Boot. Wir drei werden uns nun auf den kommenden 2.000 Kilometern intensiv mit miteinander beschäftigen und hoffentlich gut miteinander auskommen. Anschließend schnacken wir noch eine Weile und beenden dann die Übergabe.


Die Stimmigkeit des Erscheinungsbildes ist zweifelslos gelungen. Noch offen ist die Frage, wie sich das Gespann nun fährt? Und wie ich das als Anfänger überhaupt beurteilen kann? Zwangsläufig denke ich an den britischen Sinnspruch: The proof of the pudding is in the eating. (Sinngemäß frei übersetzt: Die Bewährungsprobe einer Sache ist das Ausprobieren.)


Dann wird es ernst

…und der Spaß beginnt. - Der Überführungsplan startet mit einer Planänderung. In der Vorbereitung hatte ich ein paar Dörfer weiter eine riesige Volksfestfläche ausfindig gemacht, die ich als erstes ansteuern wollte, um dort Fahrübungen wie 2008 zu absolvieren. Allerdings laufen dort bereits Aufbauaktivitäten für das kommende Fest, so dass ich mir den Weg sparen kann. Es wird also nichts mit den geplanten Übungen.
Egal. Irgendwie muss es ja losgehen. Helm auf, Handschuhe an, den V2 Motor zum Leben erweckt und aufgesessen. Auf dem Werkstatthof drei Mal links und drei Mal rechts herum im Kreis und eine Handvoll Bremsversuche müssen für ein erstes Fahrgefühl ausreichen. Es lenkt sich leicht, verhält sich agil und bremst geradeaus. Zudem steigt rechts herum nicht gleich das Boot.


So starte ich zu meinen ersten Kilometern mit dem eigenen Gespann. Ich folge Wirtschaftswegen und kaum befahrenen Landstraßen. Ich fahre sehr konzentriert, vor allem wenn es in spitzwinkelige Rechtskurven geht. Eine gehörige Portion Respekt ist mit an Bord und natürlich läuft längst noch nicht alles rund. Hin und wieder hole ich auch mal tief Luft, bin aber keineswegs verkrampft. Dazu gibt es auch überhaupt keinen Grund, denn das Gespann liegt richtig gut in der Hand und auf der Straße. Das kann ich bereits klar sagen, auch als Anfänger.

Auf geschwungenen Wegen durch das Alpenvorland


Bereits am zweiten Tag dehne ich meine Runde deutlich aus und genieße wie auch am dritten Tag die Voralpenlandschaft mit den wunderbar dreidimensional geschwungenen Wegen und Landstraßen zwischen Bad Füssing, Chiemsee und dem Mattsee in Österreich. Selbst schmale Serpentinenwege bringen mich nicht aus der Ruhe. Mit etwas Konzentration bleibt alles unter Kontrolle und ich freue mich wie Bolle.

Unterwegs mit dem eigenen Gespann


Fast südländisches Flair


Pause am Chiemsee


Fazit nach rund 600 km Einfahrphase - fährt saugut.


Roadmovie

Die bevorstehende Überführungsreise erzeugt eine freudige Aufregung und ist von großer Gelassenheit und Leichtigkeit geprägt. Das Zeitfenster ist mehr als ausreichend, meine Zeltausrüstung macht ich mich frei und unabhängig, mit meiner Fahrpraxis traue ich mir die Reise zu, die Großwetterlage verspricht für mindestens eine Woche Sonnenschein und noch nie war das morgendliche Packen so einfach.
Ich folge keiner festen Route, sondern eher groben Richtungen, die mich über Landstraßen und Wirtschaftswege durch Gegenden Deutschlands führen, die mir bislang unbekannt waren. 

Den Bayrischen Wald durchfahre ich so weit östlich, dass ich eigentlich schon im Böhmerwald bin. Viel Wald, weite Mittelgebirgslandschaften, ländliche Räume und hin und wieder ein Dorf. Die V7 Zugmaschine verbraucht hier im Landstraßenbetrieb rund 4,7 Liter Benzin auf einhundert Kilometer und der Tank fasst 21 Liter. Auch bei einem dünnen Tankstellennetz kommen so schnell keine Sorgen auf. Mit dem Gespann fahre ich ohnehin irgendwie kommoder als mit einer Solomaschine. Ich fühle mich sicher genug, dass ich beim Fahren die Landschaft vollends genießen kann.


Im Fichtelgebirge stoße ich auf historische Zeugnisse bergbaulicher Aktivitäten. Als Kind des Ruhrgebietes mit familiären Wurzeln im Steinkohlenbergbau lässt mich das natürlich nicht kalt. Bereits seit dem frühen Mittelalter wurden hier Erze abgebaut. Mit vermeintlicher Ausbeutung der Lagerstätten nahmen die Aktivitäten ab. Der Universalgelehrte Alexander von Humboldt verhalf ab 1792 mit der Einführung moderner Abbaumethoden dem Bergbau zu neuem Schwung. Zudem gründete er Bergbauschulen und richtete eine Bergbau-Hilfskasse für verunglückte Bergleute ein. Zwischen 1984 und 1987 wurden übrigens 18.000 Tonnen uranhaltiges Erz abgebaut.

Wenig befahrene Straßen


Über wirklich schmale Wege gelange ich durch einen Zipfel Tschechien ins Erzgebirge und folge mehr oder weniger dem Kamm, mal auf der deutschen, mal auf der tschechischen Seite. Dabei habe ich durchaus die Gelegenheit die Unterschiede der Lebensverhältnisse wahrzunehmen. Das Erzgebirge im Speziellen und Sachsen im Allgemeinen nehmen mich schnell ein. Die Tradition von Bergbau und Technik sowie nicht zuletzt die Zweitaktzweiradkultur begeistern mich. Und auch die wanderbaren Landschaften fordern unbedingtes Wiederkommen. In einem Boot findet sich schließlich locker Platz für Wanderstiefel.

Unterwegs im Erzgebirge


Das alles wirkt wie die langsam vorbeiziehende Kulisse eines Roadmovies. Ganz besonders sind die Begegnungen. Zufallsbegegnungen. Begegnungen an einem beliebigen Punkt im Verlauf der Straße und der Reise. Urbane Hektik, dicht getaktete to-do-Listen, Hast zum Entspannungsyoga scheinen hier unbekannt.

Mitten im Erzgebirge


Fernab der großen Landstraßen unterwegs


So finde ich mich auf einer Gartenbank der Betreiberin einer Kleinst-Vorgartentankstelle wieder und sinniere mit ihr über dies und das. Sie serviert selbstgepressten Saft. Das süsse, künstliche Zeug, das sie in ihrer kleinen Tankstelle verkauft, solle man lieber nicht trinken, sagt sie. Und immer wieder wirft sie verzückt einen Blick auf dieses, wie sie betont, hübsche Gespann.


Noch bevor ich vor einer Gelatteria sitzend ein kühlendes Eis bestellen kann, setzt sich der Padre zu mir an den Tisch – nachdem er mindestens dreimal mit strengem Gutachterblick um das Gespann geschlichen ist. Isse gutt gemaacht! Anerkennend klopft er mir auf die Schulter und schon sind wir im Fachgespräch vertieft. Nebenbei zeigt er mir auf seinem Smartphone Fotos von seiner Sammlung italienischer Fahrzeuge. Die alte 125er Guzzi seines Vaters hat er von einem Fachmann restaurieren lassen. Auch diese Pause dauert viel länger als gedacht. Und das ist gut so. Beim Bezahlen habe ich keine Chance. Geht auf die Familie. Ich versuche mich wenigstens mit einem ordentlichen Trinkgeld bei der Bedienung, seine Tochter, zu revanchieren.


Ein Pausen-Marktplatz inmitten von Fachwerkhäusern. Vater und Tochter beim Eisessen. Er ist wohl schon in den Achtzigern. Sie ist selber lange Motorrad gefahren und saß als Kind beim Papa im Beiwagen. Er fuhr ein Dienst-MZ-Gespann. Ganz persönliche Geschichten kommen in Erinnerung.


Ein ähnlich alter Herr dreht, aufmerksam Details studierend, Runden um mein Gespann. Seine Tochter räumt Einkäufe ins nebenstehende Auto. Ich nehme meine Kaffeetasse vom Außenbereich des Cafés mit und wende mich ihm zu. Seine Tochter möchte ihn zu sich bugsieren, ist aber irgendwie nicht schnell genug. Wir sind bereits im Gespräch. Er bewertet das mit den Anschlagpunkten als sehr gut gemacht und erzählt von seinem BMW-Gespann in den 1960er Jahren. Seine Tochter steht gerührt daneben, wir tauschen einen verständigen Blick aus. Ihr Vater ist an Demenz erkrankt. Aber das vor langer Zeit erworbene technische Verständnis ist durchaus präsent und die Lebensfreude von früher ist spürbar. Eine wahrhaft berührende Begegnung.


Zufallsbegegnungen mit Lebensgeschichten, die nicht ohne Wirkung auf das eigene Leben bleiben. Auch das ist Reisen. Mir scheint, Gespanne allgemein und vielleicht ein klassisch erscheinendes im Besonderen sind nicht nur bei Menschen mit persönlichen Berührungspunkten sehr positiv besetzt. Auch Menschen ganz ohne eigene Motorradbezugspunkte kommen so mit mir ins Gespräch. Niemals hätte ich eine derartige Wirkung vermutet.


Es ergeben sich weitere Begegnungen. Eine sei noch erwähnt. – Vormittags an einer modernen Tankstelle in einer Kleinstadt im deutschen Teil des Erzgebirges. Ich bin der einzige Kunde und möchte eigentlich nur meine Tankfüllung bezahlen.
Was für ein schönes Motorrad! Was fährst Du alleine? Fragt mich die aus Tschechien stammende, wirklich nette Kassiererin mit einem Lächeln. Da musst Du jemand mitnehmen. Öhm, ich habe aber schon ein paar Sachen geladen, stammel ich wahrscheinlich, überrascht durch ihre Offensive. Macht nix. Lädst Du aus, kommst Du zurück. Um 12:00 habe ich Feierabend. Aber ich bin leider auf der Durchreise, versuche ich mich zu retten. Wenn sie jetzt geantwortet hätte, macht nix, ich wollte hier schon immer weg, dann wäre es wohl die perfekte Roadmovie Szene gewesen. – Wir lachen beide herzlich und plaudern noch eine Weile. Sie gibt einen Automatenkaffee aus. Ich bin noch immer der einzige Kunde. Wir plaudern unbeschwert weiter. Und irgendwie ist es dann doch Roadmovie...


Nicht nur landschaftlich ist dieser Teil der Reise kaum zu übertreffen. Im Anschluss einer Visite in Dresden folge ich mehr oder weniger der Elbe bis in den Norden.

Kurven vermissend gen Norden


Epilog – Die Rechtskurve

Die Rechtskurve naht. Ich peile den Scheitelpunkt an. Das Körpergewicht ist zum Kurveninneren verlagert. Die aktive und direkte Einlenkbewegung steuert das V7-Gespann exakt entlang der gewünschten Linie. Es ist eine rechtwinkelige Rechtskurve einer schmalen, schleswig-holsteinischen Landstraße. Ich fahre sie täglich auf dem Heimweg von der Arbeit. Der Knickbewuchs und die historische Kate im Kurveninneren erinnern an britische Kulissen. Ich lächle zufrieden - nicht nur in Erinnerung an The Great Mile, sondern vor allem wegen des intensiven Gespann-Kurvenspaßes. - Wer hätte das 2008 gedacht?


Und wie war das jetzt mit dem Pudding?

Während im November 2023 diese Zeilen entstehen, weist der Kilometerzähler einen Stand von über 14.000 km auf. Abzüglich der Solo-Kilometer und des Tachovorlaufs wegen der 15“ Räder ergeben sich rund 11.000 Gespannkilometer.


Mit dieser Fahrleistung traue ich mir eine gewisse Beurteilungsfähigkeit zu. Im Alltag und auf Tour zeigt sich, dass das Lastenheft mit optimalem Ergebnis abgearbeitet wurde. Die Konstruktion ist ausgereift. Die handwerkliche Ausführung weist eine wirklich hohe Qualität auf. Und die Fahreigenschaften sind ein Volltreffer. Auch ohne Bootsbesatzung liegt das Gespann satt auf der Straße und lädt mit dem niedrigen Schwerpunkt zum Kurvenräubern ein.


Also ich sag mal: Der Pudding ist gegessen - Und für richtig gut befunden.





Soweit die Ausführungen zur Bootstour 2023.

Weitere Bootstouren sind bereits in Planung...



Text und Fotos Andreas Thier, 11/2023