Oman 2020
Salalah - rechts ab
Die Sonne zerrt mich auf. Ich spüre regelrecht, wie die Sonnenstrahlen durch das Radtrikot dringen und meinen Körper auslaugen. Wenigstens habe ich heute keinen Gegenwind.
Links von mir erhebt sich das mächtige Hajar Gebirge mit dem 2.980 m hohen Jabal Shams. Auf der rechten Seite geht das leicht abfallende Vorgebirge in die Weite der wüstenhaften Landschaft der Vorboten der Rub al Khali über. Kamele rechts und links der Straße.
Nachdem ich gestern bei starkem Gegenwind das Hajar Gebirge überquert und dabei ordentlich Körner gelassen habe, bin ich froh, dass die Bedingungen heute moderater sind. Meine Richtung ist nun Südost. Auf den vor mir liegenden 450 km bis zur Arabischen See an der Ostküste des Oman, ist zu mindestens nicht mit wesentlichen Steigungen zu rechnen.
Ich schwinge mich zunehmend auf diese Bedingungen ein. Fasziniert von der weiten und wüstenhaften Landschaft strebe ich pedalierend in Richtung Südost. Nach vier oder fünf Stunden weckt eines der raren Straßenschilder mein besonderes Interesse. – Pfeil nach rechts, darüber: Salalah. Der Pfeil weist auf eine einsame Straße, die direkt nach Süden in die Weite der Ad Dachiliyya führt.
Obwohl ich hier unterwegs längst alles unterlasse, was nicht dem direkten Fortkommen, Trinken oder Datteln essen dient, halte ich bei knapp 40°C an und krame meine Straßenkarte hervor. – Salalah. Welch orientalischer Klang! Neugier steigert den Reiz des exotisch Unbekannten. Ich entfalte die Straßenkarte und folge von meinem Standort aus dem Verlauf einer Route. Sie führt buchstäblich mitten durch den Oman in Richtung Süden. Fernab der Küste durch die Al Wusta und die Ausläufer der Rub al Khali. Im Dhofar trifft die Straße dann auf die Küstenstadt Salalah. Kilometer: überschlagsweise 1.000; Ortschaften: eine.
Das war im März 2018. Ich setzte meine Fahrt geradeaus, auf der geplanten Route fort. Aber unterbewusst war mir in diesem Moment klar, irgendwann werde ich mal dort rechts abbiegen.
Reiseroute 2018, gegen den Uhrzeigersinn
Januar 2020
Ein letzter Blick auf das türkisfarbene Wasser des Meeres und noch einmal einen tiefen Zug frischer Seeluft einatmen. Dann geht ins trockene Gebirge. Auf einer mir bisher unbekannten Route arbeite ich mich im Hajar Gebirge empor. Die Lufttemperatur beträgt angenehme 26°C und die Sonne verheißt einen guten Tag. Mit beschwingter Leichtigkeit geht es von Kurve zu Kurve aufwärts. Das liegt nicht etwa an meinem hervorragenden Trainingszustand, sondern an der Tatsache, dass ich anstelle meiner dauerhaft nutzbaren Pedalierleistung von vielleicht 0,25 kW, auf die rund 70 kW einer zweizylindrischen Verbrennungshubkolbenmaschine zurückgreife.
Nach einer eineinhalbjährigen Phase hoher beruflicher Anspannung bedarf die physische Konstitution ohnehin erst eines gründlichen Neuaufbaus. Um so hilfreicher und angenehmer ist so eine Hubkolbenmaschine. Mögen sich aus der Ferne betrachtet gewisse Ähnlichkeiten in der Art des Reisens abzeichnen, so ist es im Kern der Sache doch grundverschieden, mit einem Fahrrad oder einem Motorrad unterwegs zu sein. Zum Glück kann ich beides auf die jeweilige Art genießen.
Gerade bei einem eher eng begrenzten Kontingent an Zeit ist der größere Aktionsradius eines Motorrades natürlich klar von Vorteil. Genau das genieße ich momentan. Ohne Bedenken haben zu müssen, das Tagesziel nicht vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen und in einer wüstenhaften Gegend biwakieren zu müssen, ist das Unterwegssein ungleich entspannter. Zudem bin ich aktuell mit mehr Zeitpuffer unterwegs, als es bei der Radreise der Fall war. Damals hätte ich mir gut drei bis vier Tage mehr gewünscht.
Bereits auf der Rückreise 2018 kreisten meine Gedanken um Möglichkeiten in den Oman zurückzukehren und mehr des Landes kennen zu lernen. Sobald sich das berufliche Projekt auf ein wahrscheinliches Abnahmedatum hin entwickelte, lief meine finale Recherche an. Über Umwege und Empfehlungen landete ich bei Brett Hart, einem in Dubai ansässigen australischen Luftfahrtingenieur. Nebenher betreibt er eine kleine Firma für geführte Motorradreisen auf der arabischen Halbinsel. In diesem Rahmen verfügt er über eine eigene kleine Flotte an Enduro-Maschinen. Unser Kontakt verläuft, basierend auf Sympathie und Vertrauen, von Anfang an gut. Zwischen zwei geführten Touren im Oman sagt mir Brett eine individuell nutzbare Maschine ab/an Muscat zu.
Der englischsprachige Vertag erscheint mir fair, ist aber auch nichts für Angsthasen, die lieber all inclusive mit Pickup Service bei Pannen buchen. Ohne ein derartiges Auffangnetz muss man im Zweifelsfall eben selber Lösungen finden. Da der Zahlungsverkehr dem Risiko unglaublich hoher Bankgebühren ausgesetzt ist, einigen wir uns ohne große Umstände, Leihgebühr und Kaution vor Ort in bar und Euro abzuwickeln.
Wochen später bei Fahrzeugübergabe beim Placa…Hotel in Muscat haben wir dann erstmals persönlich Kontakt miteinander. Der bisherige sympatische Eindruck via www bestätigt sich. Die Sache läuft mehr wie die Übergabe eines Mopeds an einen guten Freund ab. Sehr, sehr angenehm. Brett ist ein feiner Kerl und ich halte ihn für absolut integer. Das Motorrad wartet auf dem Parkplatz und der Zündschlüssle steckt bereits, während wir im Hotel noch einen Kaffee trinken und etwas plaudern. Bei der eigentlichen Übergabe des Mopeds frage ich Brett dann noch nach einem zweiten Zündschlüssel. (Gängige Praxis bei Motorradfahrern auf Tour, falls ein Schlüssel abhanden kommt.) Lächelnd erwidert Brett, dass ich den Schlüssel einfach immer stecken lassen solle. Dann könne er auch nicht verloren gehen. – Welcome im Oman! Das kann man hier tatsächlich so machen.
Die ersten Kilometer
Spannend entspannter Start
So sitze ich also im Januar 2020 auf einer BMW Reise-Enduro vom Typ F 850 GS, schwinge mich mühelos in die Höhen des Hajar Gebirges hinauf und grinse im Kreis. Die Maschine und ich sind schnell per Du. Mit 5.765 km auf dem Tacho ist sie quasi neuwertig. Fahrwerk, Motor und Handling erfüllen die Anforderungen, die ich von dieser Art Motorrad erwarte. Zwanzig Kilo weniger Gewicht (von 229 kg vollgetankt) würden die Maschine dabei noch attraktiver machen. Aber Alles in Allem erscheint mir die GS nahezu perfekt. Gewöhnungsbedürftig ist allerdings die Höhe der Sitzbank (extra hohe Ausführung). Für mich ist sie fast eine Nummer zu hoch. Beim Fahren ist das zwar völlig egal, aber beim Anhalten auf schwierigem Untergrund ist etwas Aufmerksamkeit gefragt. Da ich insgesamt aber durchaus ein Moped zu bedienen weiß, gestaltet sich das nicht wirklich problematisch.
Für die ersten beide Tage habe ich mir easy going verschrieben. Auf dem Weg zu meinem ersten Tagesziel streife ich mit der BMW durch Wadis und kleine Ortschaften, die auch mal etwas abseits der Route liegen. (Mit dem Fahrrad unterwegs, überlegt man sich das dreimal, wenn die Tagesetappe ohnehin bereits ambitioniert lang ist.) Die traditionellen Grundrisse der Orte weisen sehr enge und verwinkelte Gassen auf. Und sollte man überhaupt noch auf Asphalt unterwegs sein, ist ohnehin hinter jeder Ecke mit Schotter oder losem Sand zu rechnen. Das übt für den ersten Tag schon mal ganz gut. Vor allem das Anhalten.
Oasen rechts und links des Weges
Nach den Zwängen und der Anspannung der letzten eineinhalb Jahre genieße ich es unglaublich intensiv, frei und offen für Neues unterwegs zu sein. Das angenehme Klima, die landschaftlichen Gegensätze von Trockenheit und grüner Üppigkeit in den Wadis und die stolze, aber sehr freundliche Haltung der Omani weisen mir den Weg durch eine Wohlfühloase.
Südlich von Nizwa finde ich Quartier in einer Art Ferien-Hüttendorf und checke gleich für zwei Nächte ein. Einerseits habe ich hier das Motorrad direkt vor dem Fenster stehen (noch ganz deutsch gedacht), aber vor allem ist die Ausgangslage ideal. Sowohl für die Erkundungstour des nächsten Tages, als auch für das Fortsetzen der Tour in Richtung Süden. Das wiederkehrende Gefühl des Unterwegsseins verdrängt Job orientierte Alltagsroutine und gibt mir die Gelassenheit, die Welt mit offenen Augen zu erleben. Fast erscheint es mir, als sei die Reise mit dem Motorrad (im Vergleich zum Fahrrad) zu einfach, vielleicht zu wenig herausfordernd. Aber der Gedanke verflüchtigt sich wieder. Zufrieden schlafe ich ein. Der mit Spannung erwartete Start entwickelt sich zum entspannten Ankommen im Wieder-Unterwegssein.
Souq – mission impossible
Am Morgen steige ich mit dem Weckruf des Muhezins aus dem Bett. Auf die heutige Erkundungstour freue ich mich riesig. Hatte ich doch 2018 in dieser Region definitiv das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben. Nun geht es im Morgengrauen nach Nizwa. Es ist Freitag. Und somit Souq Tag. In den frühen Morgenstunden findet der legendäre Viehmarkt statt. Da will ich hin.
Das Morgengrauen macht dem Namen alle Ehre. Der Himmel ist wolkenverhangen. Die Wolken sehen nach Regen aus. Und kühl ist es auch. Während der Fahrt schlage ich den Kragen meiner Hemdjacke hoch und freue mich auf einen omanischen Kaffee auf dem Souq.
Ich schwenke auf den Parkplatz und augenblicklich nimmt mich das quirlige Treiben auf. Übergangslos werde ich irgendwie Bestandteil der ganzen Veranstaltung. Noch bevor ich einen Platz für das Motorrad erspähen kann, sprechen mich die ersten Burschen auf 125ern an. Große Motorräder sind für sie mindestens so exotisch, wie für mich die Umgebung eines arabischen Marktfleckens. Mopeds jeglicher Art und Zustandes sowie Maschinen der Achtelliterklasse sind hier echte Alltagsmulis. Vereinzelt finden sich auch richtig cool aufgemachte Honda Cubs (das meistverkaufte Motorrad und Motorfahrzeug der Welt, seit 1958 > 100 Millionen Stück). Eine gut geschneiderte Kumma, die traditionelle Kopfbedeckung der Männer, verliert im Übrigen auch bei 70 km/h weder die Form, noch den Halt auf dem Kopf des Fahrers.
Während es in Südeuropa mitunter angebracht ist, Motorradabstellplätze mit Bedacht zu wählen, so dass beispielsweise kein Pickup daneben halten kann (Verladungsdauer Motorrad < 30 sec), wähle ich hier einfach einen freien Platz. Fertig. Zwar nehme ich den Zündschlüssel dann doch an mich, aber weder schließe ich die Maschine zusätzlich ab, noch nehme ich den Tankrucksack (mit meinem Regenzeug und anderem Kram) mit.
Ein Teil des Parkplatzes für den Viehmarkt in Nizwa
Bevor ich überhaupt auf den eigentlichen Souq komme, muss ich noch einige Fragen von Jungs und Männern beantworten. Dabei geht es, und das sei ausdrücklich erwähnt, niemals aufdringlich zu. Es ist irgendwie immer höflich. Mir ist diese omanische Haltung äußerst sympathisch. Meine Erfahrungen zeugen fast immer von einem sich respektvoll Begegnen. Während ich den ein oder anderen kleinen Jungen mit leuchtenden Augen in den Sattel hebe, wird mir, wie häufig im Verlauf der Reise, die Frage gestellt, was so ein Motorrad kostet. Im Gegensatz zu anderen Ländern der arabischen Halbinsel, müssen die Omani durchaus für ihren Lebensunterhalt arbeiten und/oder handeln und leben keineswegs in der Dekadenz anderer Länder der arabischen Halbinsel. Daher beantworte ich die Frage mit dem Kunstgriff, dass man für einen neuen Toyota Land Cruiser Pickup drei dieser Motorräder kaufen könne. Das ist eine greifbare Größe (dieser Pickup ist hier Standard) und relativiert meinen Exotenstatus deutlich. Die scheinbare Distanz wird genommen und ich rücke näher an die Leute, was den Gesprächen dienlich ist.
Dann lasse ich mich durch den Souq treiben. Auf dem Viehmarkt wird vorgeführt, taxiert, taktiert und gefeilscht. Väter und Großväter lehren die Jungen, worauf es beim Viehkauf ankommt. Verweilt man etwas länger und beobachtet etwas feiner, kann man entdecken, wie der ein oder andere Mann vor dem Abschluss eines Handels seine sich eher am Rande des Geschehens befindliche Frau aufsucht, um sich die finanzielle Freigabe erteilen zu lassen. Wie schön, die Zeit zu haben, sich treiben lassen zu können. Touristen sichte ich (in dieser Jahreszeit) nur vereinzelt
Viehmarkt Nizwa
Der Souq ist klar gegliedert nach Warenangebot und Dienstleistungen. Im Grunde gibt es nichts, was hier in den engen Gassen nicht gibt. Verschlossen bleibt mir allerdings die Antwort auf die Frage, ob es sich bei der konzentrierten Ansammlung von beispielsweise zwanzig Schneidern, für wirklich farbenfrohe und elegante Damenkleider, um die ideale Konkurrenz oder um ein ideales Kartell handelt. Aber in jedem Fall scheint es ja seit Jahrhunderten gut zu funktionieren.
Neben Luxus für die Seele, Genussvollem für den Körper, wird im Ostteil des Souqs auch Praktisches für den Alltag angeboten. Was man(n) eben so für ein Leben zwischen Bergen und Wüste so braucht. Spaten, Kettenzüge, Drahtseilwinden, allerlei Werkzeug und so weiter. Darüber bin ich auch wirklich froh. Denn auf der morgendlichen Fahrt nach Nizwa bin ich angesichts der Regenwolken im Geiste meine Ausrüstung durchgegangen. Die Stiefel halten Regen stand und für den Rest habe ich immerhin eine leichte Regenjacke- und Hose dabei. Aber bei den Handschuhen sieht es schlecht aus. Die leichten Sommerhandschuhe sind alles andere als regenfest. Daher betrat ich mit der Absicht, übergroße Gummihandschuhe zu kaufen, einen arabischen Souq. Ein bisschen kam mir das wie mission impossible vor. Aber dank des fantastischen und praktischen Warenangebotes ist das sogar ohne missverständliche oder peinliche Verkaufsgespräche möglich – eben nichts, was es nicht gibt.
Neben der Einkaufsmöglichkeit ist der Souq traditionell auch eine Begegnungsstätte für soziale Kontakte. Handel und Begegnung scheinen dabei übergangslos in einander überzugehen. Fasziniert verfolge ich das Palaver alter Männer unter einem noch älteren Baum. Man tauscht sich aus, handelt Messer und Gewehre. Die offenen Pappschachteln mit der Munition stehen zwischen den Männern herum. Jüngere Männer kommen hinzu. Läufe, Verschlüsse und Visiereinrichtungen werden kritisch beäugt. Ich bin erstaunt, angesichts des offenen Handels mit Waffen – in einem Land, welches alleinherrschaftlich durch Sultan Quaboos regiert wird und in welchem, konkurrierende arabische Stämme bis in die 1970er Jahre im Umgang miteinander durchaus auch Gebrauch von diesen Werkzeugen machten.
Neugierig geworden versuche ich mit der Runde in Kontakt zu kommen. Dabei bin ich äußerst behutsam. Scheint mir diese Art von Handel doch eine eher intime Angelegenheit zu sein. Die Motorradstiefel, der Helm am Arm und die an sich eher nicht touristische Aufmachung tragen vielleicht ein wenig dazu bei, als Mann akzeptiert zu werden. Wie die meisten Omani, sind auch diese Herren stolz, dass ich ihr Land bereise. Die Tatsache bereits zum zweiten Mal im Oman zu sein verschafft mir zudem noch extra Pluspunkte. Angesichts der Absicht mit dem Motorrad bis nach Salalah zu fahren, habe ich dann endgültig gewonnen. Man versorgt mich mit guten Ratschlägen und Tipps. Die Jüngeren versuchen so gut es geht zu übersetzen, da die Alten ausschließlich arabisch sprechen. Nebenher erfahre ich etwas über die Enfield und Remington Gewehre, die nicht nur den Eindruck erwecken, als wären sie bereits in den 1960/70er Jahren im Dhofar Krieg im Einsatz gewesen. Heutzutage würden sie nur für die Jagd eingesetzt versichert man mir. Ich glaube, vor allem sind es auch Statussymbole. Aber man weiß ja nie.
Über die Handwerkergassen komme ich in den Obst- und Gemüsebereich und gönne mir frisches Obst, welches hier wirklich regional vermarket wird. Und unglaublich köstlich ist.
Souq Nizwa
Erkundungsrunde
Der Viehmarkt und der Souq in Nizwa sind authentische Erfahrungen omanischen Lebens. Spannender kann der Tag in Sachen Alltagskultur nicht mehr werden. Daher entschließe ich mich zu einer kleinen landschaftsorientierten Rundtour. Insgeheim peile ich eine Bergpiste zum Jabal Shams an. Aufziehender Regen lassen mich jedoch frühzeitig nach Al-Hamra umkehren. Bei Kaffee und Datteln lasse ich das Wetter durchziehen und führe nette Gespräche mit jungen, modernen Omani. Da hatte ich den richtigen Riecher für die Location. Auf dem Rückweg schaue ich mir noch verfallene (Tanuf) und imponierende intakte Festungen (Bahla) an.
In der vielfältigen, und weit zurück reichende Geschichte des Oman ging es wie andernorts auch, um Macht, Einfluss und Kontrolle von Handelswegen und Häfen. Genau davon zeugen die zahlreichen Forts, die zum Teil auf die Zeit der Besatzung durch die Perser (600/800 n.Chr.) zurückgehen.
Bereits 2018 fiel mir auf, dass offensichtlich auch in der Gegenwart Forts eine wichtige Rolle spielen. An allen strategisch wichtigen Pass- oder Zufahrtsstraßen befinden sich große Kasernen von Polizei und Militär. Wenngleich die Präsenz in der Öffentlichkeit nicht größer ist als in Deutschland, bleibt der klare Eindruck, dass sich das Land im Falle des Falles schnell unter Kontrolle bringen ließe.
Mich beeindrucken die alten Gemäuer und ich bin immer wieder über die verzweigten historischen Zusammenhänge und weitreichenden Handelsbeziehungen des Oman fasziniert.
Mit dem heutigen Tag bin ich definitiv wieder ‚on the road‘ zu Hause. Das Fremde weckt meine Neugier und mein Interesse. Und da es mir aufgrund der ersten Reise gar nicht mehr so fremd ist, merke ich, dass es mir gelingt viel genauer hinzuschauen und feinere Eindrücke aufzunehmen. Eine gute Voraussetzung, schließlich will ich morgen rechts abbiegen, in für mich unbekanntes Terrain.
Auf der Rückfahrt zum Quartier verinnerliche ich die Eindrücke, der sich vor mir nach Süden öffnenden Landschaft. Sicherlich ein bisschen verzaubert, entgehen mir fast die bedrohlichen stahlgrauen Wolken, die über den Kamm des Hajar Gebirges zu quellen drohen. Als ich sie überraschend im Rückspiegel entdecke, stoppe ich und schaue mir die Erscheinung genauer an. Das ist definitiv kein gewöhnlicher Wolkenzug. Das ist ein Naturspektakel. Und zwar auf der vollen Erstreckung des mächtigen Hajar Gebirges.
Auf den letzten Kilometern zu meiner Hütte ergreifen mich demütige Gedanken. Man sollte sich auf Tour nie von einer situativen Leichtigkeit einlullen lassen und immer wachsam bleiben. Vor mir liegen immerhin rund 900 km Wüste. Und ein Asphaltband ist eben nur ein Asphaltband. Es hilft bestenfalls beim Vorankommen, macht aber den Lebensraum nicht einen Deut weniger lebensfeindlich. 385 km sind es bis Haima, einem kleinen Örtchen mitten im Nirgendwo. Längst überlege ich, wie ich mir am besten ein Lagebild verschaffen kann. An meiner Hütte angekommen, habe ich eine to do Liste im Kopf, die nun abzuarbeiten ist. Es gibt heute noch einiges zu tun…
Angespannte Weiterfahrt
Dies ist wohl auch der Übergang vom urlaubshaften easy going zum ernsthaften Reisemodus. Für mich besteht grundsätzlich eine Differenzierung zwischen Urlaub (sorglos) und Reise. Bei einer Reise betrachte ich es als natürlichen Bestandteil, Wege durch unerwartete Schwierigkeiten zu finden.
Bei dieser Reise traten vermeintlich die größten Schwierigkeiten bereits vor der Reise auf. Meinen Flug nach Muscat, hatte ich für den 08. Januar gebucht. Am 03. Januar lässt Herr T. aus Amerika Herrn S. im Zweistromland wegbomben. Die Lunte des regionalen Pulverfasses ist damit angezündet. Nicht weniger als die Welt steht in Alarmbereitschaft. Die Verkehrsfliegerei wird eingeschränkt. Auf der Beisetzung von Herrn S. am 07. Januar wird schwere Vergeltung angekündigt. Frau K.K. zieht ihre bundesdeutschen Mitarbeiter aus dem Zweistromland ab und in der Nacht zum 08. Januar werden Stützpunkte von Herrn T.‘s Mitarbeiter im Zweistromland mit Raketen des östlichen Nachbarn angegriffen.
Ich befinde mich am 08. Januar seit dem frühen Morgen in der Luft. – Warum ich trotz der geopolitischen Umstände gestartet bin? Extrem komprimiert auf den Punkt gebracht: Der nächtliche Vergeltungsschlag wurde vorangekündigt. Der für seine erratische Handlungsweise bekannte Herr T. gibt zu erkennen, dass er nicht zurückschlagen werde (ok-nicht das verlässlichste Argument). Aber ich halte den Oman für innenpolitisch äußerst stabil. Sultan Quaboos führt sein Land mit vorausschauender Weisheit. Im Oman fühle ich mich sicher. Außenpolitisch unterhält Oman zu seinen mittelbaren und unmittelbaren Nachbarn gute Kontakte. Es sind keine territorialen Begehrlichkeiten der Nachbarn (an omanischem Gebiet) erkennbar. Und ich fliege mit Oman Air. Der Oman spielt hinter der Weltbühne der Politik eine wichtige Mittlerrolle für Staatsführer, die offiziell nicht miteinander reden können. Daher setze ich darauf, dass omanische Flieger nicht amtlich attackiert werden. Dabei ist mir natürlich, durchaus bewusst, dass es nicht viel braucht, um einen Verkehrsflieger vom Himmel zu holen, und dass die entsprechenden Gerätschaften in Händen sein können, die sich nicht viel um Staatsräson scheren. – Hätte ich mich gedanklich auf eine schwarzmalerische Ereigniskaskade eingelassen, wäre ich nie zu dieser Reise gestartet…
Während des Fluges verfolge ich auf einem Monitor interessiert die Flugdaten. Die Flughöhe liegt rund 2.000 m höher als normal und die Flugroute verläuft deutlich nördlicher als üblich. Sie streift fast die Hauptstadt des östlichen Nachbarn des Zweistromlandes. (Keine Fluggesellschaft fliegt freiwillig höher als üblich. Der Treibstoffbedarf nimmt nämlich deutlich zu.) An eben diesem 08.Januar stürzt ein ukrainisches Verkehrsflugzeug nahe dieser Hauptstadt ab. Vermutete (und später bestätigte) Ursache: Abschuss.
(Leser mögen die verklausulierte Ausdrucksweise entschuldigen. Da ich weiterhin beabsichtige die Region zu bereisen, möchte ich nicht unbedingt über die üblichen Schlüsselworte durch Behörden scanbar sein und enthalte mich auch einer Bewertung.)
Vielleicht machen diese Umstände des Reiseauftaktes das easy going Bedürfnis und den Genuss der letzten beiden Tage verständlich.
Aber nun wird gereist. – Das Wetter! Es gilt ja noch die to do Liste abzuarbeiten. Dank smartphone und www ackere ich mich durch englischsprachige Nachrichten, Wetterdienste und die Seite des staatlichen omanischen Wetterdienstes. Die Lage stellt sich wie folgt dar: eine ungewöhnliche Großwetterlage führt zu unwetterartigen Phänomenen von der Türkei bis Afghanistan. Sturm, Starkregen und Schnee bringen zahlreiche Menschen in Not. Die omanische Küste am Golf von Oman ist davon betroffen. Auf der Südseite des Hajar Gebirges profitiere ich zwar von der Lee Lage, befinde mich aber dennoch im Bereich von Ausläufern. Für morgen sind hier Sturmböen und Starkregen prognostiziert. Nach zwei oder drei Stunden Fahrt müsste ich dann jedoch aus dem Gröbsten raus sein, da das Wetter im Süden besser zu sein scheint. Zum Glück habe ich ja meine Gummihandschuhe.
Ich versuche mich zur Ruhe zu betten und die angespannten Gedanken an die Wetter- und Fahrbedingungen des nächsten Tages so gut es geht zu verdrängen. Regen, Sturm und Gewitter in einer Wüste hatte ich noch nicht.
Endlich rechts abbiegen
Ich werde wach und höre - NICHTS. Das ist ein gutes Zeichen, denn es bedeutet, dass es in jedem Fall schon mal nicht stark regnet. Freudig überrascht trete ich umgehend vor die Tür und peile die Lage. Es ist trocken und der Wind ist eher schwach. Im Nordwesten versuchen sich dunkle Wolken am Hajar vorbei zu mogeln. Die Temperatur liegt bei 20°C.
Zum Glück hatte ich mit dem Gastgeber vereinbart, er möge mir für ein Frühstück vor der üblichen Zeit, einfach Frühstücksutensilien bereitstellen bzw. mir zeigen, wo ich was finde, was dann auch zuverlässig klappt. Meine sieben Sachen sind anschließend schnell gepackt und verzurrt. Die beim Radreisen entwickelte Eigenschaft, mit sehr wenig Gepäck auszukommen, ist auch beim Motorradreisen ein hervorragender Vorteil. Da Brett in erster Linie geführte Touren anbietet, bei denen das Gepäck auf einem Pickup transportiert wird, verfügen seine Motorräder nicht über Seitenkoffer. Immerhin gibt es einen Tankrucksack. Für mich spielt das keine große Rolle, da ich das gesamte Equipment inklusive Zelt, Schlafsack und Schlafmatte in den Malle Rally Duffle Bag Nr. 95 von 2019 unterbringe, der sich solide auf der BMW befestigen lässt. Darüber schnalle ich noch einen 3 Liter Wassersack und fertig. Der Tankrucksack nimmt die Tagesverpflegung, eine 0,5 Liter Wasserflasche und Kleinkram auf.
Ich starte die Maschine und mit einem für eine BMW beachtlich sonorig angenehmen Brabbeln fahre ich über die Schotterpiste zurück zur Straße. Das schmale 21 Zoll Vorderrad führt dabei richtig gut.
Schwarz: Reiseroute 2020, gegen der Uhrzeigersinn.
Im Landesinneren geht es bis nach Salalah, ganz im Süden.
Nach wenigen Kilometern erreiche ich die „31“, welche mich nun bis Salalah führen soll. Den Regenwolken scheint es nicht so recht zu gelingen, sich über das nordwestlich auslaufende Vorgebirge zu mogeln, wodurch ich mir einen ausreichenden Vorsprung erhoffe.
Das Wetter im Auge behalten
On the road. Ich bin nach Süden abgebogen. Von einem Örtchen in knapp dreißig Kilometern Entfernung abgesehen, liegt nun fast eine Distanz von der Nord-Süd-Erstreckung Deutschlands vor mir. Etwa bei Kilometer 400 bietet die Siedlung Haima die einzige Übernachtungsmöglichkeit mit einem festen Dach über dem Kopf. Um unabhängig zu sein zu oder in entsprechenden Situationen biwakieren zu können, führe ich ein Zelt und spezielle Sandheringe mit mir.
Einen zusätzlichen 5 Liter Benzinkanister hatte ich ursprünglich in Erwägung gezogen. Nach einer gründlichen Recherche über die Tankstellen entlang meiner Route habe ich das verworfen. Die ermittelten Tankstellen habe ich in die Straßenkarte übertragen und finde die Distanzen dazwischen unkritisch. Der 15 Liter Tank der BMW reicht in Abhängigkeit von Untergrund, Gegenwind und Fahrweise 300 bis 420 km weit. Sollte sich meine Ansicht ändern, würde ich eben einen Kanister nachrüsten (was nicht erforderlich war).
Mit dem Blick nach Süden nehme ich eine entspannte Sitzposition ein, streiche mit der linken Hand sanft über die Seite des Tanks und rede meiner Gefährtin gut zu, dass sie mich zuverlässig durch die Wüste bringen möge. (Reisemotorradfahrer haben bisweilen ein für Außenstehende merkwürdig sentimentales Verhältnis zu ihrer Maschine.) Der Motor läuft rund und im Cruising Speed lasse ich die immer weiter werdende Landschaft des flach auslaufenden und wüstenhafter werdenden Vorgebirges auf mich wirken.
Die Reise geht weiter
Über den Rückspiegel behalte ich das Wetter an der Nordflanke des Hajars im Auge. Es sieht nicht wirklich doll aus, aber andererseits auch nicht so dramatisch wie gestern. So lange es ortsfest bleibt ist alles gut. Mein Plan scheint aufzugehen. - Ganz plötzlich, nach nicht einmal fünfzig Kilometern, flutscht mir das Wetter quasi aus dem rechten Rückspiegel direkt ins Gesichtsfeld. Was da aus NNW auf mich zu rauscht, entzieht sich gänzlich meiner bisherigen Wettererfahrung.
Es wird diesig, Sandpartikel reichern die Luft an. Der stark zunehmende Wind treibt diese Mischung vor sich her und hat zudem die dunklen Wolken mit im Gepäck. Ich reduziere das Tempo um die harten seitlichen Böen besser ausgleichen zu können und versuche Zugrichtung und -geschwindigkeit der Wettererscheinung abzuschätzen. Voraus zeichnen sich schemenhaft die Umrisse eines Gebäudes ab. Eine Tankstelle - welch ein Geschenk. Tanken lohnt sich zwar noch nicht, aber ich bugsiere die Maschine in den Windschatten des kleinen Gebäudes und peile die Lage.
Die Hauptfrage besteht darin, ob es sich um eine durchlaufende Front (mit anschließender Besserung) handelt oder um eine flächenhaft anhaltende Witterung. Immer wieder luge ich mit zusammengekniffenen Augen aus dem Windschatten des Tankstellenhäschens hervor, um mir ein Bild zu machen. Wie lange mag das Wetter wohl dauern? Bis Haima sind es noch rund 340 Kilometer. Unter diesen Bedingungen sehr, sehr lange 340 km.
Zwei mit Dischdascha und Kumma traditionell gekleidet Omani interessieren sich für mein Woher und Wohin und sprechen mich an. Sie entpuppen sich als Ingenieure einer Telekommunikationsgesellschaft und verfügen über Erfahrung mit den örtlichen Gegebenheiten. Auf meine Bitte um ihre Einschätzung der Wetterentwicklung machen sie mir Mut. Wir befänden uns auf 400 bis 500 m Höhe im südlichen Vorland des Hajars. Am Rande meiner Route lägen noch kleinere Erhebungen zwischen 600 und 1000 m Höhe. Sobald ich diese nach rund 30 Kilometern passiert hätte, könne ich in der unter 200 m hohen Ebene der Ad-Dachiliyya und Al-Wusta mit stabilem guten Wetter und etwas Wind rechnen.
Ich halte die beiden für kompetent und die Erklärung scheint für mich nachvollziehbar. Ich denke, ohne Regen und Gewitter werde ich dann mit etwas Wind schon klarkommen, hake aber wegen der Windgeschwindigkeit noch einmal nach. Nein, mit dauerhaftem Sturm sei dort heute nicht zu rechnen, aber eben mit etwas Wind. Erstaunt und beruhigt zugleich muss ich sagen, dass ich selten auf Reisen derart kompetent erteilte Wetterauskünfte erhalten habe.
Allerdings kommt schlagartig eine neue Beunruhigung auf. Besorgt erkundigen sie sich, ob ich mitbekommen hätte, was dem Land widerfahren sei. Ich verneine Frage die mit dem Hinweis, dass ich seit gestern spät nachmittags quasi mit niemandem gesprochen hätte. Mit tiefer Traurigkeit teilen sie mir mit, Sultan Quaboos sei (gestern Abend) verstorben. Da wir bisher eine gute Gesprächsebene hatten, spreche ich ihnen, trotz der Unsicherheit in wie weit man sich als Ausländer einlassen darf, meine persönliche Anteilnahme aus. Die Unsicherheit schwindet umgehend, da die beiden meine Anteilnahme ehrlich wertschätzen.
Innerlich bin ich dabei jedoch geradezu alarmiert. Obwohl ich einigermaßen belesen und durch die erste Reise etwas erfahren bin, hatte ich nach meiner Rückkehr 2018 geäußert, dass ich den Oman innenpolitisch für stabil halte, mich aber keinesfalls im Lande befinden möchte, wenn der Sultan aus dem irdischen Leben scheidet. Zu unklar ist die eigene Einschätzung, ob das Land stabil bliebe oder Versuche der Machtergreifung durch arabische Familiengruppierungen bevorstünden.
Ich lobe gegenüber meinen Gesprächspartnern die wirklich bemerkenswerten Leistungen von Sultan Quaboos und versuche vorsichtig auszuloten, wie sich die Situation im Land darstellt. Man braucht Hintergrund- und Reiseerfahrung im Oman, um zu begreifen, wie sehr Sultan Quaboos von der Bevölkerung als Landesvater verehrt wurde. Ferner war er ein anerkannter Friedensvermittler in heikler geografischer Lage (mit Saudi Arabien und Jemen als direkten Nachbarn und an der Straße von Hormus mit Iran auf der anderen Seite Golfs). Meine beiden Reisebekanntschaften schätzen meinen Informationsstand und es entwickelt sich noch ein sehr intensives Gespräch über die zukünftige Führung und Entwicklung des Landes.
Sultan Quaboos blieb kinderlos, wodurch sich keine direkte Erbfolge ergab. Vorausschauend hat er vor Längerem in die Verfassung aufnehmen lassen, dass im Falle seines Ablebens die Familie seines Onkels Tariq bin Taimur drei Tage Zeit erhalten solle, um aus ihren Reihen einen Nachfolger zu küren. Sollte dies nicht gelingen, sei sein Testament zu öffnen, in dem er seinen Nachfolger posthum bestimmen wolle. Nach der Ansicht meiner Gesprächspartner sei die Lage im Lande sicher und Bestrebungen machthungriger Interessen nicht erkennbar. Was jedoch nicht heißt, dass es sie vielleicht nicht gibt. Man darf eben nicht vergessen, dass die starke paternalistische Herrschaft und der von großen Teilen der Bevölkerung getragene Personenkult, Konflikte unter Oberfläche halten konnte, die nun vielleicht ausbrechen könnten.
Als wir uns nach einer halben Stunde verabschieden, wünsche ich den beiden und den Menschen des Oman von ganzem Herzen eine gute Zukunft. Ich schwinge mich wieder in den Sattel, schlage den Kragen hoch und ziehe das Tuch über die Nase, um mich vor dem Sand zu schützen und starte die GS. Ich starte am Tag eins der Sultan Nachfolgerwahl bei unwirtlichen Wetterbedingungen in die Wüste. Von easy going kann keine Rede mehr sein. Ich befinde mich auf einer echten Reise. Und die geht nun weiter.
Begegnungen
Die GS pflügt tapfer durch das Sand Dunst Gemisch. Wenn der Seitenwind phasenweise zulegt, muss ich in den fünften, manchmal in den vierten Gang runterschalten, damit die Fuhre bei angemessener Drehzahl beherrschbar bleibt. Von hinten betrachtet sieht die Schräglage bei gerade Straße sicherlich kurios aus. Ich arrangiere mich mit den Bedingungen und komme klar. Nach etwa 30 Kilometern überwinde ich die letzten Vorgebirgsausläufer und erreiche die Ad-Dachiliyya. Tatsächlich bessert sich das Wetter schlagartig. Mit der Sonne verschwindet die düstere endzeitliche Wolkenstimmung. Der Wind nimmt leicht ab, fordert aber nach wie vor Konzentration. Eine Kaffeefahrt ist das hier definitiv nicht. Mit der lachenden Sonne stellt sich die Angelegenheit aber schon viel freundlicher dar.
Sand macht Wind sichtbar
Unterwegs
Die Begegnung mit den beiden Ingenieuren hat gut getan und meine Verbundenheit zum Land erhöht. Ich werde das aktuelle Geschehen im Land aufmerksam verfolgen, bin jedoch nicht in ernster Sorge. Eine kurzfristig zu realisierende Exit-Strategie existiert für mich ohnehin nicht. Der nächste internationale Airport ist zwei Tagesreisen entfernt und ich entferne mich gerade mit jedem Meter mehr. Ich werde mich also, so oder so, arrangieren müssen, mit dem was kommt.
Und das taucht dann prompt in der sandigen Luft vor mir am Horizont auf. Ich nähere mich zunächst mit unvermindertem Tempo, leiste aber den mit Sandsäcken (was sonst) beschwerten Schildern Folge. – Slow! No Fotos! – Gang für Gang schalte ich runter und nutze die Motorbremse. Es zeichnen sich große Geländewagen mit schweren Maschinengewehren auf der Ladefläche und bewaffnete Personen ab, die irgendwie die Straße zu kontrollieren scheinen. Und zwar mitten im Nirgendwo. (Hatte ich auch noch nicht.)
Interessanterweise (auch im Nachhinein betrachtet) verspüre ich weder Angst, noch Panik. Es ist vielmehr das nüchterne Kalkül – Miliz oder Militär? Die Wahrnehmung und die Sinne sind maximal geschärft. Vor allem auch der siebte Sinn. Während ich mich mit langsamer Fahrt der Straßensperre nähere, registriere ich folgende Beobachtungen: Anordnung der bewaffneten Fahrzeuge und der Straßensperre planvoll, geordnet und effektiv. Personen alle im gleichen Wüstenflecktarn. Bei weiterer Annäherung: Personen führen alle die gleiche Waffe, M16 Sturmgewehr Derivat, keine Kalaschnikow – tendenziell alles eher gute Zeichen. Beim Anhalten: Personen tragen die Hoheitszeichen des Sultans. – Große Erleichterung! Aber auch große Vorsicht. Ich unterlasse vor allem missverständliche Bewegungen und Aktionen.
Auf den letzten Metern habe ich bereits mein Tuch nach unten gestreift und die Brille nach oben auf den offenen Jet-Helm geschoben. Mein Gesicht ist somit klar zu erkennen. Ich halte an wie angewiesen. Der Soldat und ich stehen uns in Angesicht zu Angesicht gegenüber. Ich grüße mit ‚Salam‘ und warte ansonsten seine Order ab. ‚Passport ! Registration !‘. Ich deute auf meine Umhängetasche hinter meinem Rücken, nehme sie vorsichtig nach vorne und öffne sie so, dass er den Vorgang gut einsehen kann und händige ihm meinen Reisepass und den Fahrzeugschein aus. Er verschwindet damit in eine Art Transporter und ich hoffe, dass es jetzt nicht irgendwie kompliziert wird, weil mein Motorrad in Dubai, in den Vereinigten Arabischen Emiraten zugelassen ist.
Wird es aber nicht. Er kommt nach vier oder fünf Minuten zurück, händigt mir meine Papiere aus und entlässt mich mit ‚good journey‘. - Ne mein Lieber, so kommst Du mir nicht davon, denke ich. Dafür, dass ich mich so tapfer in dieser für mich doch etwas bizarren Situation geschlagen habe, möchte ich nun auch ein paar Informationen haben. Ich spreche mein Beileid über das Ableben des Sultans aus, was er ein wenig erstaunt, aber freundlich annimmt. Sein Englisch ist nicht so fließend, so dass er einen Kameraden herbeiwinkt, der unterstützt.
Natürlich will ich wissen, ob es eine konkrete Gefährdungslage gibt oder ob es eher um staatliche Präsenz aufgrund des Todes des Sultans geht. Wahrscheinlich würden sie mir ersteres ohnehin nicht offen mitteilen, aber die Art, wie sie mir bedeuten, dass ich mir absolut keine Sorgen um meine Sicherheit machen müsse und ich willkommen im Oman sei, überzeugt mich dann doch irgendwie. Ich bedanke mich für die warmen Worte und wünsche dem Land und seinen Menschen eine gute Zukunft. Dann bin ich wieder allein auf der Straße in Richtung Süden. Diese Begegnung schwingt noch lange nach.
Im Nichts
Es kommt mir zwar so vor, als sei ich mitten im Nichts, aber das ist natürlich Unsinn. Um mich herum ist quasi Alles. Nämlich im Sinne des bislang wichtigsten Rohstoffs des Landes. Auch wenn ich die Riggs nicht sehen kann, so weiß ich doch, dass sie irgendwo da draußen in der Wüste stehen. Die Pisten dorthin zweigen von der „31“ ab, auf der ich mich bewege. Da würde ich auch gut aufpassen, wer sich da in den bewegenden Zeiten sonst noch so bewegt.
Unterwegs nach Süden
Der Verkehr ist so dünn, dass ich nicht wirklich von Verkehr sprechen kann. Nur sehr vereinzelte SUV und Trucks begegnen mir. Zum Teil sind es sehr abenteuerliche Trucks, die den Eindruck vermitteln, als hätten sie ihr erstes Leben auf dem Pamir Highway verbracht, was einige wahrscheinlich sogar getan haben. Oft winken oder hupen die Fahrer zum Gruß, egal ob sie in Gegenrichtung unterwegs sind oder ob ich sie überhole. So eine wenig befahrene Überlandstraße erzeugt ihre eigene Gemeinde.
Die Soldaten der Checkpoints sind von nun an quasi meine regelmäßigen Begleiter. Zwei bis dreimal am Tag passiere ich Kontrollpunkte. Ein wenig staune ich selbst, wie schnell ich mich auf derart besondere und ungewohnte Umgebungsbedingungen einstelle. Aber ich muss auch konstatieren, dass ich ausnahmslos sehr freundlich behandelt werde und mir stets gute Wünsche mit auf den Weg gegeben werden. Meistens werde ich an den folgenden Checkpoints durchgewunken oder es kommt zu einem kurzen Schnack über die Reise. Meine Papiere muss ich nur ein weiteres Mal vorzeigen. Da Trucks ausgiebig inspiziert werden, stauen sich manchmal trotz des geringen Verkehrs, ein paar Trucks und SUV vor den Checkpoints, wodurch eine gewisse Wartezeit entsteht. Ich stelle mich zwar immer brav hinten an, werde aber ausnahmslos immer sofort nach vorne und durchgewunken. Vermutlich bin ich schon als ‚der Motorradfahrer‘ bekannt (und wurde möglicherweise per Funk angekündigt).
Zurück zur Wüste
Seit zweieinhalb Tagen sitze ich nun im Sattel der GS. Angesichts der Ereignis- und Erlebnisdichte kommt es mir fast so vor, als sei ich auf eigener Achse angereist. Jetzt, da ich das schlechte Wetter hinter mir gelassen habe und mich trotz des Umbruchs im Land in Sicherheit wähne, wende ich mich wieder entspannt der Wüste zu. Ich genieße es durch diese unglaublich weite Landschaft zu fahren. Wieder und wieder schweift mein Blick im 180 Grad Winkel über den Horizont. Wunderbar kontemplativ.
Zum Glück gibt es auch Hinweise mit lateinischen Buchstaben.
Nordwestlich von mir erstreckt sich die gewaltige Rub al Khali. Der Wind treibt ihren Sand durch die Luft. Insgesamt hat der Wind etwas nachgelassen. Gelegentlich verstärkt er sich für einige Minuten fast stürmisch. Dann ist Konzentration gefragt. Ansonsten ist es aber ganz in Ordnung. Hohe Feinstaubwerte bei Verkehrsdichte knapp über Null, dürfte bei manch einem selbsternannten bundesdeutschen Umweltbeauftragten größte Irritation hervorrufen. Der Gedanke lässt mich schmunzeln. Insgeheim frage ich mich, wie lange das der Serienluftfilter meiner GS wohl mitmacht. Angesichts der Laufleistung der GS und der geplanten Länge meiner Tour mache ich mir jedoch nicht wirklich Sorgen, da die Maschine hauptsächlich im Norden und im Hajar eingesetzt wurde, wo es weniger feinstaubig ist.
Die Temperatur klettert auf 32°C. Auch wenn ich nicht so einen Durst wie bei der Tour mit dem Rad verspüre, trinke ich regelmäßig. Wassersack und Trinkschlauch sind von einer isolierenden Hülle umgeben und ich staune über den angenehmen Effekt. Die Wahl der Bekleidung erweist sich als ideal. Ich trage eine Motorradjeans sowie eine Hemdjacke von John Doe. Beides ist komplett mit einem abriebfesten Kevlar-Aramid haltigen Innenleben und Level 2 Protektoren ausgestattet. Angenehm luftig und dennoch sicher.
So cruise ich dahin und lasse zwischenzeitlich die Gedanken fliegen… Am Nachmittag erreiche ich Haima, die einzige Häuseransammlung weit und breit, die man getrost als kleinen Ort bezeichnen kann. Auf ein paar hundert Metern verlaufen zwei Ortsstraßen parallel zur „31“. Die sandige Fläche zwischen der „31“ und der ersten Straße fungiert als Truck Park-/Übernachtungsplatz. Auf der anderen Seite der Ortsstraße befindet sich eine Reihe Gebäude mit wichtiger Infrastruktur. Supermarkt, Imbiss, eine Art Restaurant, Handwerksbetriebe, Werkstätten, Vulkanisierer und ein Hotel mit dem vielsagenden Namen ‚Arabian Sands‘.
Vor dem Arabian Sands stehend...
...Blick nach links (vom Arabian Sands)
...und der Blick nach rechts. Das war's mit Haima.
In der dahinter liegenden Parallelstraße befinden sich noch andere Einrichtungen, vor allem jedoch niedrige Wohngebäude. – Das war’s, könnte man einerseits geringschätzig sagen. Aber anderseits ist das viel, viel mehr, als man es mitten in der Wüste erwarten könnte. In Anbetracht der Isoliertheit erscheint das Hotel irrwitzig groß. Bewohnt scheinen jedoch nur wenige Zimmer zu sein. Frühstück und andere Bewirtung gibt es nicht, aber es findet sich ja alles ein kleines Stück die Straße entlang. Direkt nebenan betreibt ein Bangladeschi einen Coffee Shop. Dort genieße nach dem Duschen einen omanischen Kaffee und lasse den ereignisreichen Tag Revue passieren.
Während ich die zweite oder dritte Dattel vernasche, entfacht urplötzlich ein strammer Sandsturm. Die Sicht geht auf vielleicht 25 m herunter. Sämtliche Konturen verwischen, Horizont und Bezugslinien verschwinden. Selbst der Café Betreiber ist beeindruckt und tritt an die Fensterfront. Ich kann versichern noch viel beeindruckter zu sein. Denn ich könnte statt im Café auch ebenso gut noch unterwegs sein. Und morgen liegen über 500 Kilometer vor mir.
Froh, das Ziel bereits erreicht zu haben. Die nur schemenhaft erkennbare Straße, ist die Straße vor dem Arabian Sands. Siehe ein Bild vorher.
Zwei Kaffee später ist der Zauber vorbei. Ich nutze die Gelegenheit und verproviantiere mich im Supermarkt für den Abend, das Frühstück und für den nächsten Fahrtag. Bei meiner Rückkehr stoße ich auf eine Handvoll omanischer Ingenieure, die von den Ölförderanlagen kommen und im Hotel übernachten. Das ist vermutlich auch das Geschäftsmodell des Hauses. Einer interessiert sich für das Motorrad, so dass wir noch einmal hinaus gehen und ein gutes Gespräch führen. Über Motorräder, Reisen und den Oman. Diese Haltung, stolz darauf zu sein, dass jemand das eigene Land kennenlernen will und im Oman auf Reisen geht, beineindruckt mich immer wieder.
Wie mir der Ingenieur berichtet, folgt des Sultans Cousin dem Vermächtnis des verstorbenen Sultans und übernimmt die Regierungsgeschäfte. Sultan Hattham diente dem Land zuvor als Kulturminister. Er will zunächst auf Kontinuität und Stabilität setzen. Möge er gute und weise Entscheidungen fällen. Das ist sicherlich eine schwere Aufgabe. Einerseits Kontinuität zu verfolgen und sich andererseits ein eigenes Profil zu verschaffen und das Land in eine Zukunft zu führen, die andere Bedingungen und Aufgaben verlangt als die Vergangenheit. Sultan Hattham wird dabei, so unfair es im Grunde ist, wahrscheinlich immer wieder dem Vergleich mit seinem Cousin standhalten müssen.
Und natürlich reden wir auch über das Wetter. Für den nächsten Tag gäbe es keine Hazards und der Wind sei mäßig, erreiche die größte Stärke um die Zeit nach dem Mittag. Das klingt gut, denn morgen werde ich auf dem Weg nach Süden, weiterhin in der Wüste sein.
Weiter geht’s
Der mäßige NW Wind weht unvermindert durch die Nacht. Das abendliche Klappern der Zwangsentlüftung im Bad veranlasst mich nicht zum Arretieren der blechernen Lüftungsschlitze. Ich bin einfach zu müde und schlafe wie ein Murmeltier. Morgens im Bad treffe ich dann beim Zähneputzen auf eine feine Lage Sand, aus der Saudi Arabischen Rub al Khali Wüste. Das Hotel trägt den Namen zu Recht. Man geht hier eben einfach gelassen mit dem Sand um. Alles andere wäre auch völlig zwecklos.
Es ist früher Morgen und draußen ist es diesig, dämmrig, 18°C kühl und der Wind weht mit 5 bis 6 Beaufort. Nicht unbedingt einladend, aber ohne Weiteres fahrbar. Immerhin liegen etwas über 500 Kilometer vor mir. Ich kalkuliere, dass es selbst bei einer gewissen Verschlechterung fahrbar bleibt. Sollte es dann noch schlechter werden, würde ich versuchen im Windschatten eines Trucks durch die unsichtige Situation zu kommen. Und im Extremfall hätte ich die Option die Straße zu verlassen und im Zelt zu biwakieren. Also dann mal los.
Irgendwann löst die Sonne den Dunst auf und erhellt die sagenhafte Landschaft. Die Temperatur steigt auf Mitte zwanzig Grad. Nach zwei Stunden Fahrzeit kommt der Wind achterlicher als querab, was das Fahren deutlich angenehmer macht. Die Optionen bleiben Optionen und es entwickelt sich ein absoluter Traumtag.
Augen auf und aufgepasst
Kommt schon mal vor
Vereinzelt ziehen Windhosen geisterhaft getrieben über das Land. Die großen haben eine Vertikalausdehnung von schätzungsweise einhundert Metern. Da sie gut erkennbar sind, stellen sie kein Problem dar. Entweder fahre ich mit ihnen um die Wette, um vor ihnen den Punkt zu erreichen, an dem sie die Straße queren oder ich verlangsame mein Tempo und lasse sie durchziehen.
Die Straße ist von guter Qualität und ermöglicht sorgloses Fahren. Erhöhte Aufmerksamkeit ist lediglich bei Sandverwehungen erforderlich. Dann aber richtig. Großflächige Verwehungen sind gut erkennbar. Tückisch sind jedoch die kurzen Abschnitte. Manchmal reicht ein Schilderpfahl oder kleines Fundament eines Straßenschildes, dass sich Leewirbel bilden. Wo erst einmal drei Sandkörner zusammenliegen, wächst schnell eine kleine Miniatur Wanderdüne. Die erfolgreiche Bewältigung von zwei mal drei Meter Sand mit einer Mächtigkeit von 30 bis 40 Zentimetern ist dann auch von der Fahrgeschwindigkeit abhängig.
Das klingt trivial. Ist es auch. Jedenfalls im Prinzip. Gepaart mit den mehrere Minuten anhaltenden Starkwindböen, erreicht die Sache allerdings einen höheren Level. Der Wind treibt den Sand derart, dass die Sicht erheblich reduziert wird. Der Horizont verschwindet, alles wird konturlos. Der Sand treibt so dicht über der Straßenoberfläche, dass diese eher zu erahnen, als zu sehen ist. Es ist kaum zu differenzieren, ob sich unter dem Flugsand Asphalt oder eben kleine Wanderdünen befinden (in die man dann mit vielleicht 80 km/h donnert…).
Besonders fatal sind, eigentliche der Sicherheit dienende, Leitplanken. Hin und wieder verläuft die Straße auf kurzen Abschnitten leicht erhöht und weist einen Durchlass für den Abfluss von Starkregen auf. Damit niemand den zwei oder drei Meter hohen Straßendamm hinunterstürzen kann, sind auf vielleicht fünfzig Meter Länge Leitplanken errichtet. Wer immer diese Straße gebaut hat, war frei von Kenntnis über Wüsten und Flugsand. In Lee der Leitplanken bilden sich kleine Sandmeere – auf der Straße. Jede zweite Leitplanke ist daher demoliert und weist deutliche Autolackreste auf. Manchmal verrotten die Wracks neben der Straße. Etliche Leitplanken sind daher wohl bereits demontiert. Aber selbst die verbliebenen Stützen der Leitplanken reichen noch für Leesandablagerungen.
Das soll aber nicht dramatisiert werden. Es gehört eben einfach dazu. Angesichts der Streckenlänge dieses fantastischen Fahrtages fällt das ohnehin nicht wirklich ins Gewicht. Ich genieße die Weite, die Horizontsicht und irgendwie auch die Freiheit.
Mir kommen die Worte von Todd Blubaugh in den Sinn.
„Mit dem Motorrad zu reisen ist eine zutiefst spirituelle Erfahrung – Die einzige Unterhaltung, die du führst, führst du mit dir selbst, der Straße und der Maschine, und es gab eine Menge zu bereden.“
Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Zeit und Raum werden irgendwie dimensionslos. Ich halte die Maschine in einem Drehzahlbereich, der den goldenen Schnitt von Vorankommen, Verbrauch und entspanntem Fahren darstellt. Ich gleite dahin, genieße die tiefe Zufriedenheit, das tun zu können, was ich gerade tue und folge inneren Monologen.
Ich nähere mich dem Ziel
Hier sind nicht nur Wanderdünen, sondern auch Wanderkamele unterwegs.
Auf dem Weg nach Salalah
Hinter Ad-Dawkah geht die Sand- in eine Kieslandschaft über. Das ist nicht mehr ganz so spektakulär. Dafür wird aber deutlich weniger Sand verweht. Auf den folgenden 150 km steigt das Gelände von 200 m auf 500 m Höhe an. Das Dhofar Küstengebirge wird allmählich sichtbar.
Der Dhofar, das legendäre Land des Weihrauchs, unterscheidet sich durch Abgeschiedenheit, klimatische Besonderheiten, Naturraum und durch die traditionelle Wirtschaftsform völlig vom Norden des Oman. Die sagenumwobene Berühmtheit geht bis in die Antike zurück. Zusammen mit dem Hadramaut im Jemen galt der Dhofar als „Arabia Felix“ („Glückliches Arabien“). Das Harz brachte der Region eine lange Phase großen Wohlstands. Bis in das 7. Jahrhundert stand die Region immer wieder unter der Herrschaft der antiken südarabischen Reiche, deren Hauptstädte im Süden des heutigen Jemen lagen.
Ich lasse die Weite hinter mir und folge der ansteigenden Straße zum Hauptkamm des Dhofar Gebirges. Es ist fast ungewohnt, mal wieder durch Kurven zu fahren. Auf der Passhöhe in vielleicht 900 m Höhe gelange ich an einen massiven dauerhaft ausgebauten Check Point. Auch Salalah ist strategisch klug gesichert.
Die Abfahrt ist atemberaubend. Am Horizont schimmert das arabische Meer türkisblau. Das üppige Grün tropischer Plantagen in der fruchtbaren Ebene erscheint nach dem dominierenden Dauer-Beige der letzten 900 Kilometer fast unwirklich. Ich lasse den Blick schweifen, aber die Straße verlangt Aufmerksamkeit. Sie ist zweispurig ausgelegt, dennoch schmal. Zudem windet sie sich, in vergleichsweise engen Kurven die Hänge des Küstengebirges herunter. Das Gefälle ist enorm und überfordert fast die bergan fahrenden Trucks. Sie quälen sich im ersten Gang im Schritttempo aufwärts. Auch talwärts kommt die Technik mancher Trucks an ihre Grenzen. Ich sinniere noch über zwei Wracks, die über die Straße hinausgeschossen sind und unrettbar an den steilen Hängen verrotten, als ich am Ausgang einer uneinsehbaren Rechtskurve ein riesiges Kiesfeld vor mir auf der Fahrbahn entdecke. Mein Tempo ist zum Glück der Unübersichtlichkeit angepasst, so dass mich die Sache nicht ins Straucheln bringt. Die Ursache liegt in einem havarierten Kiessattelschlepper, der talwärts fahrend außer Kontrolle geraten sein muss und vermutlich bereits auf der Seite liegend durch die Absperrung auf die Gegenfahrbahn geschossen ist. Die Zugmaschine ist vollends ausgebrannt. Es qualmt und stinkt noch. Die Polizei ist mit der Absperrung der Fahrbahn beschäftigt. Ich frage mich ernsthaft, ob sich der Fahrer wohl retten konnte.
Mit den auslaufenden Berghängen fahre ich durch Flächen intensiver Rinderhaltung und nähere mich Salalah.
Der Brite Wilfried Thesiger beschreibt seine Ankunft 1945 wie folgt: „..Salalah ist eine kleine Stadt, kaum größer als ein Dorf….Der Palast des Sultans, strahlend weiß in der grellen Sonne, war das auffallendste Gebäude. Er überragte den kleinen Suk oder Markt, eine Anzahl flachgedeckter Lehmhütten und ein Labyrinth aus Binsenmatten, Zäunen und engen Gassen. Der Markt bestand aus einem Dutzend Buden, war aber der größte Umschlagplatz zwischen Sur und Hadramaut, also in einem Umkreis von 1.280 Kilometern. “ (Wilfred Thesinger, die Brunnen der Wüste, Piper 1997)
Ich treffe auf eine freundliche, moderne Stadt, die trotz ihrer fast 300.000 Einwohner eine große Gelassenheit ausstrahlt. Heutzutage ist die Sultan Quaboos Moschee das überragende Bauwerk. Die Temperatur liegt bei 28°C, ist jedoch durch den starken Wind sehr erträglich. Durch Alleen mit wedelnden Palmen fahrend, sammle ich erste bunte Eindrücke und gelange zu meiner Unterkunft östlich des Zentrums. Ein sehr gepflegtes Resort mit zweistöckigen Flachdachhäuschen, Haupthaus mit Restaurant, Grünanlagen, Pool und einem Strandabschnitt. Welch ein angenehmer Luxus und Kontrast zu den heutigen 521 staubigen Kilometern.
Obwohl luxuriös, ist es erstaunlich erschwinglich. Außer mir befinden sich nur wenige Gäste in der Anlage. Hochsaison herrscht hier zur Monsunzeit, etwa von Mitte Juni bis September. Der Niederschlag fällt nicht in Form von stürmischem Starkregen, sondern als Nieselregen oder Dunst. Die Böden können die Feuchtigkeit dadurch besser aufnehmen und die fruchtbare Ebene verwandelt sich in eine paradiesische Landschaft üppigsten Grüns. Touristen der gesamten arabischen Halbinsel lieben das dann herrschende angenehme Klima und das erfrischende Grün. Die Preise des Resorts liegen dann sehr fern von erschwinglich und es dürfte zu dieser Zeit ohnehin unmöglich sein, spontan in Salalah ein freies Bett zu finden.
Luxuriöses Resort
Jetzt im Januar genieße ich die Ruhe und lasse den Tag mit einem Strandspaziergang am arabischen Meer ausklingen. Ich halte inne und schaue auf das Meer. Die Wasseroberfläche reflektiert den funkelnden Sternenhimmel und ermöglicht die Sicht auf den Horizont.
Mich faszinieren weite Landschaften, Horizonte. Das Meer mit seiner zeitlosen Weite ist die Kulmination dieser Faszination. Würde Sindbad auf einer Dhau auf mich zu segeln, wäre das in diesem Augenblick nicht weiter verwunderlich. Mit Salalah habe ich mein Traumziel erreicht. Den Blick auf das Meer gerichtet, sinniere ich über meine Position und den weiteren Verlauf meiner Tour. Indien ist etwa halb so weit entfernt wie mein Zuhause. Bangladesch und Durban, Südafrika liegen innerhalb des Zirkelschlages der Distanz nach Hause. Ich erwische mich bei der Vorstellung, wie es wohl wäre, einfach weiterzufahren oder doch zumindest auf eigener Achse nach Hause zu reisen…
Mich faszinieren diese Distanzen auch, weil sie in früheren Zeiten von Händlern mit ihren Waren überwunden wurden. Und Salalah war dabei nicht von geringer Bedeutung.
Salalah
Ich werde wach und erblicke vom Bett aus, das arabische Meer. Blauer Himmel, Sonnenschein, Temperaturen um 25 Grad Celsius und angenehmer Wind. Mehr geht eigentlich nicht. Damit meine Reise nicht zur Durchreise wird, habe ich mich für drei Nächte in diesem Resort einquartiert.
Obwohl ich mit relativ wenig Gepäck reise, ist es noch einmal ein deutlicher Unterschied, gänzlich ohne Gepäck unterwegs zu sein. Die GS gerät dadurch deutlich handlicher, was ich auszukosten weiß. Um mir einen Überblich zu verschaffen, lasse ich mich durch die verschiedenen Stadtviertel und die Umgebung treiben. Wieselflink folge ich dabei spontanen Eingebungen.
Shopping
Salalah ist eine ausgesprochen moderne Stadt und hat rein gar nichts mehr mit dem Erscheinungsbild des 1945 von Thesingers vorgefundenem Örtchen zu tun. Historische Gebäude gibt es leider keine mehr. Tropische Plantagen mit ihren Verkaufsständen stehen im Stadtgebiet in interessantem Kontrast zu moderner Architektur. Lediglich im Südwesten, im Stadtteil Al-Hafah, lässt sich um den Weihrauch-Souq etwas Vergangenheit erahnen. Noch etwas weiter westlich befindet sich die Ausgrabungsstätte Al-Baleed. Die Siedlungsreste und der Weihrauchhafen sind der älteste Teil Salalas. Die Ursprünge des Hafens gehen bis auf 700 v.Chr. zurück. Seine Hochphase erlebte er zur Blütezeit des Weihrauchhandels. Die Weltreisenden Marco Polo (1254-1377) und Ibn Battula (1304-1377) berichten in ihren Schriften von dem außerordentlichen Reichtum und dem prachtvollen Erscheinungsbild von Al-Baleed. Ferner war Al-Baleed ein Hauptort für den Export einer weiteren sehr wichtigen Handelsware des mittelalterlichen Omans, edle Pferde.
Das zugehörige Museum und der archäologische Park sind aufgrund der Staatstrauer um Sultan Qaboos geschlossen. Aus gleichem Anlass sind die Besuchsmöglichkeiten der, ansonsten zugänglichen, großen Moschee für Nicht-Muslime zeitlich sehr eingeschränkt, wie mir der Moschee-Wächter formell, aber nicht abweisend zu verstehen gibt. Ich verwerfe den Plan meines Besuches, da ich die trauernden Omani in keiner Weise stören möchte.
Große Sultan Qaboos Moschee in Salalah
Wider Erwarten entwickelt sich noch ein sehr freundliches Gespräch mit dem Moschee-Wächter. Wie überhaupt heute ein kommunikativer Tag ist. Ich genieße, eben nicht auf der Durchreise zu sein und mir Zeit nehmen zu können. Bei den kleinen Händlern treffe ich zumeist auf junge Burschen aus dem Bereich des indischen Subkontinentes. Oft stammen sie aus Bangladesch oder Pakistan. (Der Oman herrschte ab 1783 über die Stadt Gwadar, bevor sie 1958 an das heutige Pakistan verkauft wurde.) Ihre Lebensgeschichten berühren mich. Die Möglichkeit auf einen (aus mitteleuropäischer Sicht sehr) bescheidenden Verdienst treibt sie auf Zeit in den Oman.
Dabei bleiben sie eng mit ihren Familien zu Hause verbunden und sehnen die Zeit der Rückkehr herbei. Auch wenn diese nur vorübergehend ist, da sie, sobald es die Bestimmungen zulassen, wieder zum Arbeiten in den Oman reisen. Gerne zeigen sie mir Fotos von ihrer Familie und ihrem Zuhause. Und oft fragen sie, ob wir zusammen vor dem Motorrad für ein Foto posieren wollen. Natürlich! – Das wird dann auch umgehend via Smartphone und sozialer Medien nach Hause gepostet. Ich habe den Eindruck, dass sie es schätzen, dass ihnen jemand interessiert zuhört. Denn, ehrlich gesagt, behandeln viele Omani ihre Gastarbeiter nicht wirklich wertschätzend.
Nahezu unabhängig von der Gegend, in der ich mich gerade aufhalte, ist das Motorrad quasi der Türöffner für Kontakte. In den Vierteln und an den Treffpunkten einkommensstärkerer Omani, sind es die jungen studierten Männer, die sich für das Motorrad und meine Reise interessieren. Einer lädt mich zum Qahwa ein und ist ganz wissbegierig, wie schwer es sei Motorradfahren zu erlernen. Er nennt ein BMW Coupé sowie ein 68er Mustang Cabrio sein eigen, träumt und schwärmt aber vom Motorradfahren… Er lebt damit deutlich über dem Durchschnitt, denn im Oman geht es eher bodenständig und nicht so dekadent wie in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu. Im Gegensatz zum Oman sind dort beispielsweise alle großen Motorradmarken vertreten.
Am Strand entlang und niemanden stört es...
Am späten Nachmittag fahre ich noch kilometerlang auf einer Schotter-Sandpiste an einem einsamen Strand entlang... Dem Tipp eines Freundes folgend, will ich für abends noch eine Art Seemannskneipe im Hafen ausfindig machen. Damit scheitere ich allerdings auf ganzer Linie. Der gewachsene Hafen ist vollends verschwunden. Das moderne Pendant verfügt über, hier bizarr wirkende Container Kräne und ist von einer großflächig eingezäunten Freihandelszone umgeben. In einem Zeitraum von zwanzig Jahren passiert im Oman eben eine Menge, jedenfalls in der Gegenwart. Das nicht immer so.
Moderner Hafen von Salalah
Dadurch kann ich dann noch in Ruhe Kartenstudium und eine kleine Reparatur für den nächsten Tag leisten. Heute bin ich ausschließlich mit einer Sonnenbrille gefahren. Aber auf sandigen Überlandstrecken geht natürlich nichts ohne eine dicht sitzende Motorradbrille. Und genau von dieser wichtigen Eigenschaft hat sich meine Brille vorgestern kurz vor Salalah verabschiedet. Ein Stück Schaumstoffdichtung wollte wohl noch mehr von der Welt sehen und hat sich ohne große Verabschiedung auf den Weg gemacht. Bei einem Krämerladen erstehe ich einen Scotch Brite 3M Spülschwamm und schnitze mir am Abend einen passenden Ersatz. Sicherheitshalber fertige ich zwei weitere Schaumkeile an, damit ich bei erneutem Verlust schnell Ersatz zur Hand habe. (Hätte ich mir jedoch sparen können, hält bis heute…smile.)
Erfolgreich improvisiert
Dhofar
Mit einer Tagestour an der Südküste des Dhofar stoße ich zwangsläufig auf Berührungspunkte einer großen, mich faszinierenden, Vergangenheit.
Weihrauch war nicht nur wertvoll, sondern in manchen Kulturen und Religionen heilig. Die Blütezeit des Weihrauchhandels lag zwischen dem 5. Jahrhundert v.Chr. und dem 1. Jahrhundert n.Chr., wobei Salalah ja keine kleine Rolle spielte. Die Geschichte des Weihrauchhandels reicht jedoch viel weiter zurück.
Bereits im fünften vorchristlichen Jahrtausend wurde Weihrauch in Ägypten und in Mesopotamien verwendet. Der Transport ist bis heute ein unerforschtes Rätsel. Das Kamel wurde erst Mitte des 2. vorchristlichen Jahrtausends domestiziert. Es revolutionierte die Möglichkeiten des Transportes durch wüstenhafte Landschaften und stellte das Rückgrat des Handels über die arabische Halbinsel dar. Römische Historiker und das Alte Testament der Bibel verorten den ersten geschichtlich überlieferten Transport von Weihrauch, wahrscheinlich auf der Weihrauchstraße, auf das 10. Jahrhundert vor Christus. Mit großem organisatorischen und händlerischen Geschick vermochten die Araber auch andere Warenströme an die Weihrauchstraße zu binden. Gepaart mit nautischen Kenntnissen, seetüchtigen Dhaus und Passatwinden führte dies zu einem internationalen Seehandel bis nach Indien, Asien und Ostafrika. Der Landtransport über die unwirtliche Arabische Halbinsel war die wichtige Achse zwischen dem Indischen Ozean und dem Mittelmeer. So formierten sich die großen südarabischen Reiche nicht im Bereich der fruchtbaren Böden, sondern entlang der unwirtlichen Weihrauchstraße. Das Hadramaut, zu dem der Dhofar gehörte, war eines dieser Reiche mit einem Handelsnetzwerk über den gesamten Indischen Ozean.
Macht und Reichtum waren natürlich die Triebfedern dieser Handelsmechanik. Dennoch beindrucken mich die Warenbewegungen und logistischen Abläufe.
Vor diesem Hintergrund rücke ich morgens die Motorradbrille zurecht und mache mich auf. Auf den Weg der dhofarischen Küste in Richtung Hadramaut zu folgen. – Aber nur in die Richtung. Denn die heutige Region Hadramaut befindet sich, angrenzend an den Oman, im Jemen.
Die fruchtbare, grüne Ebene Salalahs ist schnell verlassen und es geht steil hinauf in die Berge. Es ist jedoch nur ein kleiner Vorgeschmack. Nach etwa 33 Kilometern bin ich wieder auf Meereshöhe, erreiche die Bucht von Mughsayl. 6 Kilometer Strand, im Hintergrund das Jebel al-Qamar Gebirge. Ich kann mich kaum satt sehen. Am Hang einige staatliche Einheitshäuser für örtliche Fischer.
Traumstrände
Während ich den Blick schweifen lasse, hält hinter mir ein Personenwagen. Drei junge Männer steigen aus und kommen augenblicklich auf mich zu. Sie begrüßen mich freudig und fragen nach meinem Woher und Wohin. Sie arbeiten bei einer Handelsgesellschaft in Salala und haben sich einen Tag frei genommen, um gemeinsam einen Ausflug zu unternehmen. Schnell finden wir in einem Austausch zueinander. Vier Männer, vier Nationen. Indien, Pakistan, Jemen, Deutschland. Das mag ich am Reisen.
Reisebekanntschaften
Im Gesprächsverlauf denke ich, alle drei besitzen einen akademischen Hintergrund und üben adäquate Tätigkeiten in der Handelsgesellschaft aus. Sie haben hauptsächlich mit dem Hafen zu tun und so versorgen sie mich mit interessanten Informationen über das Hafengeschäft.
Die Hafenanlagen sind für die größten Containerschiffe geeignet. Es handelt sich auf der Arabischen Halbinsel, außerhalb des Persischen Golfes, um die einzige Anlandemöglichkeit für schweres Spezialgerät der Erdölindustrie und für große landwirtschaftliche Geräte. Das Ziel ist, zu einer der wichtigsten Umschlagstationen für die gesamte Arabische Halbinsel zu werden. „…centrally located at the crossroads between Asia and Europe.“ Schiffe der Ostasienroute sparen etwa drei Tage Fahrzeit gegenüber der Ansteuerung von Dubai. Zudem entfällt die Passage durch die geopolitisch exponierte Straße von Hormus. Seewärtig werden Waren auf größere Küstenschiffe und Dhaus umgeladen, die die ostafrikanische Küste versorgen. Anteilseigner sind der Oman und eine niederländische Container Terminal Gesellschaft, hinter der aber letztendlich die dänische Maersk steckt. – Man könnte sagen, ein Land besinnt sich seiner Geschichte, um sich für die Zukunft (die Zeit nach dem Öl) aufzustellen. – So offen, freundlich wie wir uns begrüßt haben verabschieden wir uns nach einer Weile.
Am südlichen Ende der Bucht erreiche ich die Siedlung Al-Mughsayl. Von hier aus sind es etwa 120 Kilometer bis zur jemenitischen Grenze. Die letzte Tankstelle vor der jemenitischen Grenze gibt es genau hier. Für die weitere Planung sollte man neben dem Bordcomputer des Motorrades also vor allem seinen eigenen Kopf einsetzen.
Nun geht es definitiv ins Gebirge. Jebel al-Qamar. Nach den ersten Anstiegen weist ein groß dimensioniertes Straßenschild auf die besonderen Anforderungen der Strecke hin. Ich komme zu dem Schluss, dass die Zielgruppe eher die der Wüstengeradeausfahrer sein dürfte und setze, mich dieser Gruppe nicht zugehörig fühlend, meinen Weg fort. In engen Serpentinen schwinge ich mich auf den folgenden 5 Kilometern einen fast senkrechten Hang hinauf.
Der Hinweis klingt schlimmer, als es letztendlich ist.
Sehr coole Bergstraßen
Also Kurven sollte man natürlich schon können und grundsätzlich ist mit losen Steinen und Kamelen zu rechnen, aber eine Straße mit einer derart guten Asphaltqualität muss man in Schleswig-Holstein erst einmal finden. Mit dem kräftigen Drehmoment der GS ist es eine wahre Wonne hier hinauf zu wedeln. Ich bin, zweifelsohne auf einer der spektakulärsten Bergstrecken des Oman unterwegs.
Auf etwa 500 Metern Höhe erreiche ich eine Hochebene. Der Blick auf das blaue Meer ist beeindruckend. Der Naturraum ist ein völlig anderer als in der Ebene von Salalah – eher eine dürre Strauchsteppe. Die Ziegen und verblüffend zahlreichen Rinder sehen nicht gerade fett aus und ich frage mich, wie sie hier überhaupt ohne Zufütterung existieren können. Der Zustand der wenigen Häuser und Autos lassen ahnen, dass dieser Gebirgspass auch einen Übergang in eine andere Gruppe der omanischen Gesellschaft darstellt. Menschen sehe ich wenige. Sie sind eher zurückhaltend und wirtschaftlich prosperierend ist es hier nicht gerade. Ist das hier noch Oman? Diese direkte Straßenanbindung existiert erst seit 1989. Vorher war diese Region nur per Boot, zu Fuß oder über eine weit im Landesinneren verlaufende Piste erreichbar. Eine bessere Zukunft scheint mir hier dennoch weiter entfernt zu sein, als die reinen Straßenkilometer nach Salalah.
Mehr oder weniger parallel zur Küste verlaufend steigt die Straße weiter an. In etwa 1.100 Metern Höhe gelange ich auf den Scheitelpunkt und stehe vor einem fest eingerichteten, massiven Check-Point. Hier geht es weitaus strenger und gründlicher zu als in der Wüste. Vor allem aus dem Süden kommende Fahrzeuge werden gründlich gefilzt, auch Personenwagen. Meist sind sie voll besetzt und ihre Insassen sehen noch abenteuerlicher aus, als ihre an sich schon abenteuerlichen fahrbaren Untersätze. Die Soldaten wirken hier deutlich angespannter als an den anderen Kontrollen, die ich passiert habe. An die Präsenz der Waffen habe ich mich ja mittlerweile irgendwie gewöhnt. Als mein Blick aber an einem Magazin aus transparentem Kunststoff mit der 45 mm NATO Munition hängen bleibt, empfinde ich das doch etwas gruselig. Wahrscheinlich hängt es mit der allgemeinen Anspannung hier zusammen. Meine Papiere werden sehr gründlich geprüft und gescannt.
Leichte Zweifel kommen auf, ob ich überhaupt weiterfahren soll. Als ich meine Papiere zurückerhalte, erkundige ich mich daher bei dem Soldaten, ob ich jenseits des Check Points in eine Art Niemandsland zwischen den Grenzen gerate und ob es überhaupt ratsam sei weiterzufahren. Er schenkt mir ein Lächeln, wie ich es mir in dieser Situation nicht freundlicher und wärmer vorstellen kann. Er versichert mir, dass es sich nicht um Niemandsland handelt und ich absolut sicher sei, solange ich auf omanischem Territorium bleibe. Und er ist sichtlich stolz auf sein sicheres Land. Ich solle aber ‚never ever‘ in den Jemen fahren. – Das habe ich auch garantiert nicht vor.
Erleichtert bedanke mich für seinen Lagebericht und mache mich zur Abfahrt bereit, während er zurücktritt und mir förmlich den Weg freigibt. Bevor ich starten kann, kommt er allerdings noch einmal rasch auf mich zu und gibt mir mit einem Augenzwinkern eher informell den Tipp, dass ich mir besser kein Kath andrehen lassen solle. Besitz und Konsum seien im Oman zwar nicht strafbar, sehr wohl aber der Handel. Für Omani gäbe es ein 24 Stunden gültiges, sogenanntes „Kath Visum“, mit dem sie zum Kath shoppen in den Jemen fahren könnten. Ich bedanke mich auch für diesen Tipp. Kath zu kaufen käme mir nun wirklich überhaupt nicht in den Sinn.
Jemen - 80 Kilometer
Um es vorweg zu nehmen – nein, ich habe nicht vor bis zum Jemen zu fahren. Aber ich möchte den Hauch dieser historischen Handelsregion atmen, die seit dem 5. Jahrtausend v.Chr. für ihren Weihrauch berühmt ist, die mit und im Windschatten des Weihrauchs weitreichende Handelsbeziehungen gepflegt hat.
So treibe ich die GS durch die Höhen des Jabal al-Qamar und entferne mich von der Küste. Es gibt wenig Grünes, meist knorrige Sträucher, wenig Bäume. Häufig sind Kamele, Ziegen und erstaunlich viele Rinder zu sehen. Das Letzte, was hier verwunderlich wäre, sind natürlich Kamele. Und Ziegen sind offenbar robuste Naturen. Wie aber die Rinder in dieser kargen Region mit der extensiven Weidewirtschaft klarkommen, ist und bleibt mir ein Rätsel. Sicher, die Tiere werden von ihren Besitzern in traditioneller Art der Nomaden wechselweise zu verschiedenen Weideflächen geführt, aber die Bezeichnung ‚Weide‘ scheinen sie mir kaum zu verdienen.
Karge Landschaft
Die Vorstellung, dass die Tiere damit überleben können, gelingt mir nicht. Erst recht nicht die Vorstellung, wie sie die Existenz ganzer Familien sichern sollen. Irgendwie funktioniert es wohl. Aber eben auch nur irgendwie. Ich passiere einzelne Häuser sehr variierenden Zustandes und fahre durch kleine Ortschaften, an denen der Aufschwung vorbei geschwungen ist. Ich lege extra viele Pausen ein, um zu versuchen mit den Bewohnern in Kontakt zu kommen. Es gelingt mir nicht wirklich. Das hier ist mit Abstand die ärmste Region des Oman. Die Menschen geben sich zurückhaltend und ich kann ihre Blicke und Mimik nicht wirklich deuten. Auch wenn wir eine dicke Schicht Straßenstaub in Kleidung und Gesicht teilen, bin ich mit dem großen Motorrad der dekadente Fremdling. Das Nummernschild der Vereinigten Arabischen Emirate ist dabei vielleicht auch nicht hilfreich. Angesichts derartiger Lebensbedingungen empfinde ich große Demut. Die eigenen Lebensumstände und die damit verbundenen Freiheiten erscheinen mir umso schätzenswerter.
Unterschiede gab es bereits früher. Während an der Küste um Salalah sesshafte Araber siedelten, lebten im Bergland die nomadisierenden nichtarabischen Stämme der Jebalis. Je nach Jahreszeit zogen sie zwischen der Küste und den Bergen umher. Die Wirtschaftsformen ergänzten sich über Zeiträume historischer Dimension.
1879 geriet der Dhofar unter die Kontrolle des Sultans von Muscat. 1958 verlegte Sultan Said seine Residenz von Muscat nach Salala. Das Land regierte er per Telefonverbindung nach Muscat. Sein Vermögen mehrte er jedoch im Dhofar. Denn der Dhofar zählte nicht zu Oman, er war Privatbesitz des Sultans. Sämtliche Einnahmen aus Steuern und Zöllen flossen in die Schatulle des Sultans. Besonders hart traf dies die Jebalis. Durch die Abriegelung Salalahs wurde ihre traditionelle Lebensweise und Wirtschaftsform zerstört.
Mit aller Macht hielt Sultan Said Entwicklungen auf und ließ besonders im Dhofar die Zeit stillstehen. 1964 begann ein Aufbegehren der Bergbewohner aus dem Hinterland Salalahs, der Jebalis. Mit dem Ziel den Dhofar aus den nahezu mittelalterlichen Zuständen herauszuführen, formierte sich eine Rebellion, die in einen jahrelangen Guerilla-Krieg führte. Als sich 1967 die Briten aus dem benachbarten Südjemen zurückzogen, befeuerte der dortige Sieg der sozialistischen Bewegung den Kampf im Dhofar. Im Sommer 1970 kontrollierte Sultan Said im Dhofar nur noch das Stadtgebiet von Salalah.
1970 verdrängte Sultan Qaboos seinen Vater und übernahm die Macht im Oman. Er nahm den Dhofar in das Staatsgebiet des Oman auf und bot allen Oppositionellen eine Amnestie an, um den Konflikt unblutig zu beenden. Die Befreiungsbewegung lehnte dies ab und es kam zu weiteren Kämpfen. 1972 erlitt sie in der Schlacht um Mirbat die entscheidende Niederlage. Aber erst 1976 mit der Einnahme des Fischerortes Rakhyut, dem letzten Rückzugsort, kam es zum Waffenstillstand.
Sultan Qaboos forcierte nach dem Krieg den infrastrukturellen Aufbau des Dhofars deutlich stärker als andere Landesteile. Dhofaris wurden stark an der Regierung beteiligt und die ehemaligen Widerstandskämpfer wurden in eine Sicherheits- und Friedenstruppe aufgenommen.
Dies sind auch die Hintergründe für die enormen Anstrengungen des Baus der atemberaubenden Straße in den Jabal al-Qamar, um die Region besser an Salalah anzubinden. Und dies sind die Gründe für den Bau staatlicher Häuser und infrastruktureller Einrichtungen zur Versorgung mit Strom und Wasser. Auch wenn in den Bergen noch einiges zu entwickeln ist, war Sultan Qaboos ein großartiger und weitsichtiger Staatsmann, den das Volk zu Recht als Landesvater verehrt.
Irgendwann habe ich das Gefühl bei den Menschen nicht weiter vordringen zu können und keine neuen Landschaftseindrücke mehr aufzunehmen. Nach einer letzten Pause kehre ich um. Auf dem Rückweg kreisen meine Gedanken um das Gesehene und auch um das Nicht-Gesehene. Die Menschen des Dhofar, vor allem die Jebalis, und die Menschen des östlichen Jemen verbindet eine gemeinsame Geschichte, ein vergleichbarer Naturraum und die darauf basierende traditionelle Wirtschaftsweise. Während sich der Oman um seine Menschen bemüht und kümmert, versinken die Menschen im Jemen im Chaos. Dort gab es in den siebziger Jahren keinen Bruch zum Guten. Ein andauernder Bürgerkrieg und permanente politische sowie gesellschaftliche Verwerfungen bedingen sich gegenseitig. Ein zusammenhängendes, souveränes Staatsgebilde ist nicht existent. (Zudem ist der Krieg im Jemen längst zum Stellvertreterkrieg zwischen dem größten Staat auf der arabischen Halbinsel und dem größten nördlichen Anrainerstaat des Persischen Golfes geworden. Mehrfach höre ich die Vermutung, dass Ersterer ein Auge auf den jemenitischen Hafen Nishtun hat, um möglicherweise zukünftig von dort Öl verschiffen zu können, ohne dass die Tankschiffe die ungeliebte Straße von Hormus passieren müssen.)
Der Kath Anbau ist übrigens derart lukrativ, dass er im Jemen den Kaffee- und Gemüseanbau verdrängt hat.
Der Oman behandelt, im Gegensatz zu den meisten arabischen Ländern, kranke und kriegsverletzte Zivilisten aus dem Jemen. In Salalah hörte ich von privaten Initiativen, in denen Omani auf privater Basis Patenschaften für Jemeniten und damit die Behandlungskosten übernehmen. Es gibt also im Dhofar eine Verbundenheit, die über Grenzen hinaus geht.
All das und mehr geht mir auf dem Rückweg durch den Kopf. Einmal mehr wird mir bewusst, dass die Welt im Grunde nicht wahnsinnig groß ist und scheinbar ferne Konflikte, weder wirklich fern, noch abstrakt sind. Natürlich wäre es naiv zu denken, dass der historische Handel von ehrenrührigen Kaufleuten betrieben wurde. Neben dem Weihrauch war die Region auch für ihre Piraterie berühmt. Dennoch finde ich es nachdenkenswert, wie ehemals erfolgreiche Regionen derart abstürzen können, dass sie kaum mehr auf die Beine kommen.
Aus den Bergen zurück, am langen Strand von Al-Mughsayl schaue ich bei omanischem Qahwa, noch immer nachdenklich, auf das Meer. Auf das Meer zu schauen gibt mir meistens Orientierung und innere Ruhe.
Gedankenversunken bekomme ich gar nicht richtig mit, wie sich zwei touristisch, adrett aufgemachte Italienerinnen meines Alters, ganz dicht neben mir am Nachbartisch platzieren. Und ‚unauffällig‘ auf sich aufmerksam machen. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob die beiden mit mir flirten wollen oder ob sie vielleicht einfach nur einen Lagerkoller haben, weil sie schon zwei Wochen miteinander im Mietwagen aushalten müssen oder so. Grundsätzlich glaube ich ein durchaus kommunikatives Wesen zu sein, aber das ist mir jetzt ein bisschen ‚too much‘. (Im Nachhinein hoffe ich, nicht zu unfreundlich gewesen zu sein, als ich mich kommunikationsmäßig etwas minimalistisch gab.)
Mit meinen Gedanken bin ich noch immer auf der Straße. Und obwohl ich nicht wirklich weit weg war, kommt es mir vor, als käme ich aus einer anderen Welt zurück..
Nordwärts
Nach den intensiven Eindrücken in der südlichsten Region des Oman, soll mich die GS wieder in den Norden bringen. Genau genommen in den äußersten Nordosten. Dazu werde ich zunächst rund 1.000 Kilometer lang dem Küstenverlauf folgen. Was genau mich erwarten wird, weiß ich nicht. Im Vergleich zur Inlandroute nach Salalah zeigt die Straßenkarte immerhin ein paar kleine Punkte mit Namen. Und ein paar kleine Punkte sind eben deutlich mehr als keine Punkte - denke ich mir.
Dass die Punkte wirklich klein sind, und dass es auf der ersten Hälfte (der 1.000 Kilometer) auch wirklich nur eine Handvoll sind, sorgt mich nicht so sehr, was letztendlich zu einer Unterschätzung führt. Denn ob zu beiden Seiten des Wegs Sandwüste liegt oder zu einer Seite Sand- und zur anderen Wasserwüste herrscht, macht unter Umständen nur einen graduellen Unterschied aus.
Wohl aufgrund des süßen Müßiggangs der Tage in Salalah komme ich erst eine Stunde später los als geplant. Einer inneren Unruhe folgend, verzichte ich nach rund 70 Kilometern schweren Herzens auf einen intensiveren Rundgang durch Mirbat. Den großen, nahezu leeren Kartenausschnitt vor dem inneren Auge, hat sich doch etwas Respekt vor der heutigen Etappe aufgebaut.
Zu Recht, wie sich schnell zeigt. Hinter Mirbat schwenkt die Straße von der Küste für etwa 60 Kilometer ins Binnenland. In den Bergen und vor allem auf den Hochplateaus ist es derart seitenwindig, dass ich nicht selten in den dritten Gang herunterschalten muss und mit Mühe 50 bis 60 km/h erreiche. Als Küstenbewohner bin ich ja einiges gewöhnt, aber hier sind die Böen extrem hart. Multipliziert mit der Anzahl der Reststunden bis zum Sonnenuntergang wird schnell klar, dass das Ergebnis keineswegs ausreichend ist, um den angepeilten Kartenausschnitt zu durchfahren. Mangels wirklicher Alternative fahre ich einfach weiter. Das entscheidende ist, die Fuhre unter Kontrolle zu behalten. Alles andere wird sich ergeben.
Die Belohnung ist eine für mich nicht Worten zu beschreibende Panorama Straße entlang der Küste. Der vielleicht 170 Kilometer lange Abschnitt zwischen Sadah und Ash-Shuwaymiyah ist wahrscheinlich in der Welt kaum bekannt. Aber ich bin sicher, dass er mühelos zu den drei schönsten und aufregendsten Küstengebirgsstrecken der Welt zu zählen sein dürfte. Felsformationen vor denen man niederknieen möchte, Achterbahnfahren par excellence, mal auf Meereshöhe (dort relativ windgeschützt), mal in mehreren hundert Metern Höhe mit Weitsicht auf die Arabische See. Und das Ganze gespickt mit unzähligen Kamelen. Mein persönlicher Kurven- und Kameltag.
Kamel und Kurventag
Wie gesagt....smile
Impressionen
Nach rund 330 Kilometern fülle ich in dem kleinen Dorf Shalim wieder den Tank. Der Wind weht noch ordentlich, jedoch nicht mehr ganz so stark und eher stetig als böig. Zudem kommt er nun etwas achterlicher als querab, was einen wesentlichen Unterschied bedeutet.
Dennoch will bei der Weiterfahrt keine rechte Euphorie aufkommen. Kein Wunder bei der hinter mir liegenden Strecke, denn aktuelle Strecke ist vergleichsweise öde. Keine echten perspektivischen Höhepunkte und eine trostlose Landschaft aus Steinen, Sand und ein paar Büschen. Es darf eben nicht außer Acht gelassen werden, dass ich mich auch hier in einer der am wenigsten besiedelten Region des Oman bewege. Und das noch für viele hundert Kilometer. Die Punkte meiner Straßenkarte sind sehr kleine Fischersiedlungen, die allerdings auch nur über bis zu 25 Kilometer lange Stichstraßen zu erreichen sind. Es sind drei – auf den nächsten 330 Kilometern.
Zu gerne würde ich mir diese Siedlungen anschauen. Aber das gibt mein Reisezeitbudget leider nicht her, da ich noch plane, mir andere Gegenden genauer anzuschauen. Da muss ich wohl noch einmal wieder kommen, denke ich mir trotz allem vergnügt.
Die Verkehrsdichte ist hier eher gespenstisch. Dabei dachte ich schon auf der Strecke nach Salalah wäre wenig Verkehr gewesen. Da ich in den nächsten Tagen etwas Zeit am Nordrand der Wahiba Wüste verbringen will, beschließe ich den restlichen Tag als Verbindungsetappe zu betrachten und einfach so lange zu fahren wie es geht. Und es geht ja mehr oder weniger nur geradeaus. So lange es hell ist, sind die Kamele auf oder an der Straße einigermaßen gut erkennbar. Lediglich bei Wadi Überfahrten ist hohe Vorsicht und Voraussicht gefordert.
Man mag es sich nicht vorstellen, aber Starkregen in versickerungsarmen nahezu ebenen Landschaften ohne sammelnde Flusstäler verwandeln sich rasch in äußerst gefährliches und zerstörerisches Terrain. Um größere Abschwemmungen von Fahrbahnabschnitten zu vermeiden, wird versucht das Wasser der Wadis kanalisiert unter der Straße hindurchzuführen. Diese Überbrückungen haben konstruktiv einen anderen Unterbau als die Straßentrassen. In der Folge sind fast alle Übergänge irgendwie erodiert, so dass es zu einer Schlaglochbildung unterschiedlichster Ausprägung kommt. (Einige wenige sind tatsächlich in erster Linie – Loch.) Sind die Straßen des Oman insgesamt in hervorragendem Zustand, so ist dies die Archillesferse. Auch mit einem 21“ Vorderrad möchte man da in Marschfahrt nicht einfach hindurchrumpeln. Aber man sieht es ja und kann vorbeifahren. – Solange man noch etwas sieht…
So spule ich die Kilometer ab, um wieder in den Norden des Landes zu kommen. Mal mit dem Blick in der Weite, um vielleicht doch noch überraschend etwas Interessantes zu erhaschen. Und mal direkt voraus fokussiert, auf die Kamele am Straßenrand und die Schlaglöcher der Wadi Querungen.
Auf diesen Breitengraden ist die Dämmerung typischerweise kurz und die Nacht fällt wie eine Klappe. Nicht so heute. Und das liegt nicht an einer aus den Fugen geratenen Ekliptik, sondern an der besonderen Witterung. Am frühen Nachmittag wird die Luft immer trüber und diesiger. Vermengt mit dem vom Wind getragenen Feinstaub, vermengt sich das Ganze zu einem schwer zu durchdringenden Beige-Grau. Die Farbe entspricht exakt der, der durch die Gegend ziehenden Kamele.
Konzentriert fahre ich durch diese unwirkliche Dystopie. Man könnte meinen, die Sonne habe sich längst auf unbestimmte Zeit verabschiedet. Meine brav brabbelnde BMW wird so zum Fixpunkt meines Universums. Sie bringt mich zuverlässig Kilometer für Kilometer voran. Ich bin noch Stunden von der nächsten Ortschaft entfernt. Als die Sonne dann tatsächlich untergeht, mache ich die Erfahrung, dass die Steigerung von Beige-Grau, Nacht-Grau ist. Und Kamele können offensichtlich ihre Farbe wie Chamäleons anpassen. Die BMW verfügt zwar über einen modernen wirklich hellen Scheinwerfer, aber irgendwie macht es keinen Unterschied. Auch das Fernlicht bringt nicht mehr Sicht. Das Dunst-Sand-Gemisch ist undurchdringlich. Ich reduziere das Tempo und fahre weiter. Und weiter.
Dabei beginne ich so gut es geht, Ausschau nach einem Platz für mein Zelt zu halten. Der Vorteil ist natürlich, dass es hier zehntausende von Quadratkilometer ungestörte Plätze gibt. Wonach ich hauptsächlich versuche zu schauen, sind Hinweise auf tragfähiges Terrain, damit ich etwas von Straße wegkomme, ohne bis zu den Achsen im leichten Sand zu versinken.
Während ich bei der Fahrt das Straßenumfeld sondiere, rauschen von hinten zwei Scheinwerferpunkte heran. Das erste Fahrzeug überhaupt, seit ein oder zwei Stunden.
Der Abstand wird geringer, das Fahrzeug überholt und entpuppt sich als kleiner Kühl-Lkw von vielleicht 5 Tonnen, der eine dünne Spur aus Tropfwasser hinter sich herzieht. Ein Kühl Lkw in der Wüste mag bizarr klingen, ist aber Realität. Augenblicklich lasse ich von der Zeltplatzsuche ab, beschleunige und klemme mich hinter den Laster. Mir ist nämlich eine Idee gekommen.
In seinem Kühlaufbau dürfte er wohl die Fänge der Küstenfischer aus den kleinen Siedlungen transportieren. Diese sind aller Wahrscheinlichkeit für den einzigen größeren Ort weit und breit bestimmt. Und dieser Ort ist auch mein ursprünglich angepeiltes Tagesziel.
Die Wahl zwischen Biwak und Bett ist schnell gefällt. Wenn ich mich im Windschatten des Lkw halte, habe ich einen effektiven Kamelabweiser vor mir. Nur bei den Wadi Querungen muss ich noch mehr aufpassen, da mir die Sicht nach vorne genommen ist. Für mich ist das ein guter Plan.
Ich setzte zum Überholen an und halte mich gleichauf zur Fahrerkabine. Der Fahrer schaut verblüfft, aber interessiert zu mir herüber. Mit der linken Hand (für Nicht-Motorradfahrer: die Rechte brauche ich für’s Gasgeben) versuche ich ihm per Zeichensprache meinen Plan anzudeuten, dass ich hinter ihm fahren werde. Er nickt. Ich lasse mich zurückfallen, schere hinter ihm ein und folge meinem Kamelabweiser durch die Nacht.
Das war eine der faszinierendsten Kommunikationen meines Lebens. Die nächste Wadi Querung zeigt er mir per Bremslichtflackern so früh an, wie es die Sicht zulässt. Ja, wir haben uns verstanden.
Rund zwei Stunden sind wir als Gespann unterwegs und er leitet mich so tatsächlich nach Duqum. Auf halbem Weg stoppen wir an einer Tankstelle mitten im Nirgendwo. Außer der Tankstelle und ein paar umliegenden Gebäude von Händlern für Allerlei gibt es wirklich nichts. Obwohl auf der Straße so gut wie keine Fahrzeuge unterwegs sind, herrscht hier ein buntes Treiben. Sternförmig erscheinen und verschwinden, die Toyota Pickups über Pisten in der wüsten Landschaft.
Wir tanken und Rashid gibt noch einen Chai aus. Er hat mir keine Chance gelassen den Chai zu übernehmen. Es ist ihm eine Ehre, den Reisenden in seinem Land zu unterstützen. Auch wenn wir keine Worte einer gemeinsamen Sprache teilen, herrscht zwischen uns großes Einvernehmen. Natürlich will er etwas über meine Reise erfahren. Hier kommt wieder einmal der Vorteil der guten alten Papierkarte zum Vorschein, auf der ich den Verlauf erläutern kann. Zum Ende unsere Chai Pause skizziert er im Sand noch die Stelle in Duqum, an der er rechts abbiegen wird, während mein Weg weiter geradeaus führt. Eine ganz besondere Begegnung. Shukran Rashid!
Nach 697 Kilometern stehe ich dann in Duqum vor einer Unterkunft mit einem freien Bett. Die ursprüngliche Fischersiedlung soll mit einem Investitionsvolumen von über 20 Mrd. US-Dollar zu einem neuen Zentrum der Ostküste ausgebaut werden. Flughafen, Ölhafen, Werft mit Trockendock und Tourismus werden forciert. Der Werftbau ist in vollem Gange.
Während die Mannschaften in riesigen Container Dörfern leben, teile ich mir am Morgen das Frühstücksbuffet mit mindestens einhundert in die Sache involvierten Ingenieuren. Bemerkenswert erscheint mir, dass darunter höchstens zwei Briten und zwei Skandinavier sind. Alle anderen stammen aus Asien. Das alte Europa mag in mancherlei Hinsicht ein Auslaufmodell sein, geht es mir durch den Kopf. Aber andererseits sind die omanischen Dhaus ja auch schon nach China gesegelt, als die Europäer noch befürchteten von der Erdscheibe zu fallen.
Nach der Marathonetappe
Die gestrige Marathonetappe verschafft mir Freiheitsgrade für den letzten Teil der Reise, so dass ich es entspannt angehen lasse. Die ersten 80 Kilometer sind ein berauschender Kurvenswing durch eine sandige Hügellandschaft mit saftig grünen Büschen. Im weiteren Verlauf habe ich die Wahiba Wüste zur Linken und die Arabische See zur Rechten. Wirklich ein Traum. Auf manchen Abschnitten liegen die Fischerorte höchstens 20 Kilometer voneinander entfernt. Hier lässt sich omanisches Alltagsküstenleben erleben. Das Motorrad ist immer wieder ein Türöffner für interessante Gespräche, mit Omani oder den zahlreichen aus Asien stammenden Burschen, die sich hier verdingen und einen Großteil ihres Lohnes nach Hause zu ihren Familien überstellen.
Impressionen
Rund 20 Kilometer südlich von Al-Ashkhara miete ich für zwei Nächte ein Bungalow in einem Beach Resort, fühle mich wie im Paradies und freue mich bei einem langen Strandspaziergang schon sehr auf den nächsten Tag. Ich will Orte und Siedlungen am Nordrand der Wahiba Wüste erkunden, wozu ich bei der Radreise 2018 nicht genügend Zeit hatte.
Nach dem Meerblickfrühstück lege ich zunächst die 20 Kilometer nach Al-Alashkhara zurück. Die Hafenstadt wirkt auf mich so richtig orientalisch. Dutzende Dhaus liegen im Hafen an Moorings. Der kleine Ort ist wuselig wie ein Bienenschwarm. Händler, Handwerker, Fischer und Lastendhau Betreiber prägen das Geschehen. Eine trocken gefallene Dhau schaue ich mir aus der Nähe an. Der Eigner und Kapitän beaufsichtigt die Arbeit an der Ruderanlage und erwidert mein Interesse mit freundlichen Auskünften und Schilderungen aus der Küstenschifffahrt. Die gewerblich genutzten Dhaus werden aus GFK gefertigt und sind schnittige, imposante Erscheinungen.
Den weiteren Tag lasse ich mich mit der BMW einfach durch Oasen, Siedlungen, alte Festungen und Ausläufer der Wüste treiben. Voll mit Impressionen des Alltagslebens kehre ich abends zum Beach Resort zurück. Sofort springt mir die KTM Enduro ins Auge. Hubraumstärkere Motorräder gibt es hier schließlich so gut wie nicht. Die Maschine gehört dem Amerikaner Brandon. Er ist Mitte Dreißig, arbeitet in Muscat und plant im kommenden Jahr bis nach Singapur zu fahren. Ich äußere vorsichtig, dass er für manche Länder auf der Route, nicht unbedingt den idealen Reisepass hätte. Er grinst und weist darauf hin, dass seine Mutter Irin sei, wodurch er über einen zweiten Reisepass verfüge. Na, das passt dann ja. Es wird ein langer Abend am Meer.
Impressionen vom Rande der Wahiba Wüste
Man sollte stets einen adäquaten Wasservorrat an Bord haben. Und auch trinken.
Die Küstenroute bis nach Sur kenne ich von der Radtour 2018. So folge ich dankbar Brandons Rat hinsichtlich einiger interessanter Pisten als Alternative zur Straße, was dann auch ein großer Fahrspaß ist. Als ich an einer Stelle einen Stopp einlege, um ein paar Fotos aufzunehmen, kommt prompt von einem umliegenden Hügel ein Pickup auf mich zu. Es handelt sich um einen Vater mit seinem Sohn, die befürchteten ich hätte vielleicht eine Panne. In den entlegenen Gebieten achtet man eben gut aufeinander.
Pistenbekanntschaften
Die insgesamt rund 180 Kilometer nach Sur sind relativ rasch zurückgelegt, so dass ich noch viel Zeit zum Spazieren und erkunden habe. Ich checke in die Unterkunft ein und die nepalesische Rezeptionistin schaut mich etwas länger und intensiver an, als es das Einchecken erfordern würde. Ich erwidere ihren Blick und äußere, dass ich schon einmal als Gast im Hause war. Sie lächelt – ja, sie sind der mit Fahrrad. Wie wunderbar.
Sur hat für mich Lieblingsplatz Potenzial. Irgendwie ist es nicht zu groß, nicht zu klein. Es ist modern, ohne die Tradition zu verleugnen. Im 6. Jahrhundert war Sur ein bedeutendes Zentrum für den Handel mit Ostafrika. Heute ist es ein Zentrum für den Bau traditioneller hölzerner Dhaus. Aber vor allem beeindruckt mich Sur zum späten Nachmittag, wenn die Sonne flacher steht und die Temperaturen milder werden. Die Strände werden zu Fußballfeldern, es wird viel gelacht, die Promenaden füllen sich mit flanierenden Menschen, junge Paare gehen Hand in Hand. Die Welt braucht vielleicht auch mehr solcher Leichtigkeit, denke ich noch lange.
Reisemobile Flotillen Fahrt. Leider habe ich niemanden angetroffen.
Aufkleber der Reisemobile. - Auch spannend.
Am folgenden Tag nehme ich die Strecke in die Hauptstadtregion Muscat ins Visier. Das ist für mich insofern besonders interessant, da mir auf der Radtour 2018 zum Ende die Zeit weglief und ich die gebirgige, autobahnartige 200 Kilometer lange Strecke per Autotransfer zurückgelegt habe, dafür aber noch etwas Zeit für die Hauptstadt hatte. Andernfalls hätte ich bei der hohen Luftfeuchtigkeit und Temperatur von 36°C sicherlich eineinviertel Tage für die nicht wirklich Radfahrer kompatible Strecke benötigt und hätte quasi direkt mit dem Rad in den Flieger fahren müssen.
Was mit dem Fahrrad eine beinharte Sache ist, lässt sich mit einem Motorrad natürlich locker bewältigen. Das tue ich dann auch. Die autobahnartige Strecke verlangt nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit, so dass die Aussicht auf die Weite des Meeres wirklich genießbar ist. Im Cruising Modus geht es durch das Küstengebirge.
Heute lockt mich die Hauptstadtregion nicht mehr. Sie ist mir zu groß und vor allem zu Kreuzfahrtschiff touristisch. Ich drifte weiter an der Küste entlang nach Nordwesten, wo ich ein nettes Resort finde. Der Betreiber ist Brite, seit über dreißig Jahren im Land und hat viel interessantes aus dieser Zeit zu berichten.
Der letzte Tag der Reise bricht an.
Anstatt dem Müßiggang zu fröhnen, zieht es mich noch einmal in das Hajar Gebirge. Viele, viele Kurven später erreiche ich zutiefst zufrieden gegen 1630 ein schwer angesagtes Café an einem bekannten Strandabschnitt. Hier cruisen und flirten die omanischen Yuppies auf ihre Art. PS-Boliden gehobener Art spielen dabei keine geringe Rolle. Auch das ist eine Facette des Oman, aber eine eher kleine.
Das Hotel zur Übergabe des Motorrades liegt nur zwei Fahrminuten entfernt. Pünktlich um 1800 erscheint Brett und bei einem Kaffee wickeln wir eher nebenbei, die völlig unkomplizierte Rückgabe des Motorrades ab. Er ist erfreut, dass ich eine gute Reise hatte und wir teilen noch ein paar Oman Erfahrungen. Anschließend bringt mich ein Taxi zum Flughafen. Um Mitternacht hebt der Flieger ab…..
Was bleibt?
Die Erfahrungs- und Erlebnisdichte habe ich persönlich als sehr intensiv empfunden. Die Menschen im Oman sind mir sehr sympathisch. Das gilt für die Omani ebenso wie für die vielen Arbeitskräften aus der Ferne. Der Oman ist in meinen Augen ein wichtiger Mittler und ein großes Vorbild, wie Tradition und Moderne miteinander verknüpft und für die Zukunft gestaltet werden können. Möge der neue Sultan die Weisheit, die erforderlichen Kräfte und die Herzen des omanischen Volkes auf seiner Seite haben.
Neben den Erlebnissen bleibt auch der Wunsch zu mindestens einer weiteren Reise in den Oman. Eine Gravelradtour durch das Hajar Gebirge kann ich mir ebenso gut vorstellen, wie eine weitere Motorradreise. In beiden Fällen würde ich jedoch eine größere Transportkapazität vorsehen, um bei Übernachtungen unabhängiger unterwegs sein zu können. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten zu campieren. Und es ist auch erlaubt. Wenn das nicht in nicht auf Biwak-Niveau stattfindet, sondern durch das Mitführen entsprechender Wasser- und Lebensmittelvorräte flankiert wird, dürfte das ziemlich großartig sein.
Die Königsdisziplin wäre natürlich die An- und Abreise auf eigener Achse. Egal ob Fahrrad oder Motorrad. Dazu müssten jedoch Irak und Iran mit vertretbaren Risiken zu bereisen sein. Die Menschen dieser Länder haben ja derzeit ganz andere Probleme und setzen sich zum Teil mit ihrem Leben für die Erlangung ihrer eigentlich ureigensten Rechte ein - Menschenrechte. Aber vielleicht dreht sich die Welt ja doch irgendwann noch einmal in die richtige Richtung.
Wer in dem Bericht etwas mehr Landeskunde über den Oman vermisst hat, darf gerne einen Blick in den Radreisebericht 2018 werfen.
Fotos und Text Andreas Thier 01/2020 (ff)