Iberische Halbinsel 2009
Last Minute - wohin geht die Reise?
Noch nie stand ich derart ohne Bezug zu einer bevorstehenden Reise. Im Job läuft es suboptimal, privat ist es etwas anstrengend und die Zukunft kündigt sich mit mehr Fragen als Antworten an.
Verschiedene Sachzwänge diktieren mir ein Zeitfenster von etwa drei Wochen Anfang September. Na super, alleine das liebe ich ja schon. „Wohin geht die Reise ?“ ist derzeit die dominierende Frage, nicht nur in Sachen Motorradtour. Immerhin bin ich physisch fit und brauche daher keine lange Anreisedistanzen zu scheuen.
Nordskandinavien erscheint mir zu kalt, Schottland zu nass. Nordosteuropa ist nicht ohne Reiz, aber ich bin mir nicht sicher, ob meine Bella da wirklich hin will. Sicher ist nur, dass ich mich nach etwas Ruhe sehne. Genau in diesem Moment poppt der Gedanke an Gibraltar auf, wie eine Luftblase im Teich.
Ich weiß nicht genau was es ist, aber irgendwie gibt mir dieser Fixpunkt Halt. Je mehr Perspektiven ich zur Betrachtung wähle, desto intensiver verdichtet sich Gibraltar als Zielpunkt der bevorstehenden Reise.
Damit steht das Ziel auf festem Fundament. Da will ich hin. Also suche ich einen Weg auch dort hinzugelangen. Für die Grobplanung muss der gute alte Schulatlas herhalten. Mit dem Stechzirkel trage ich Schlag für Schlag die Kilometer ab. Dabei formiert sich die Idee, der spanischen Mittelmeerküste zügig zu folgen, um mit mehr Muße durch Portugal und Galizien sowie dem Baskenland retour zu fahren.
Klischeehafterweise verbinde ich Ruhe und Beschaulichkeit nicht gerade mit Spanien. Mit Portugal vielleicht schon eher. – Und schon habe ich eine spannende Frage, der ich auf dieser Reise nachzugehen versuche. Kann ich mich dem Sog eines Soziotopes von jährlich 59 Millionen Spanien-Urlauber entziehen ?
Die Zeit der Vorbereitung ist knapp. Großartig Informationen sammeln und mich schlau lesen kann ich nicht mehr. Somit nehme ich die Haltung des neugierig, interessierten, aber vom Allgemeinwissen abgesehen, uninformierten Reisenden ein. Vielleicht kann das ja durchaus eine interessante Erfahrung werden. Je länger ich darüber sinniere, desto besser gefällt mir der Gedanke.
Die erste, grobe Kilometrierung ergibt 3.100 km bis Gibraltar und insgesamt knapp 7.000 km bis zurück nach Kiel (letztendlich sind es 8.500 km geworden). Das passt schon. Meine Bella hat gerade die 40.000er Inspektion hinter sich und ein Satz neuer Reifen ist auch aufgezogen.
Und „Last Minute“ passt ja auch irgendwie zu Spanien… :)
Aktuelle Berichterstattung vor dem Start (Ende Juli / August 2009)
Das Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“, 31 / 2009, berichtet in dem Artikel „Zurück nach Galizien“ :
„In keinem anderen EU-Land liegt die Arbeitslosigkeit höher - Madrid erlebt die schlimmste Krise seit dem Bürgerkrieg. Knapp zwei Millionen Menschen haben in den vergangenen zwölf Monaten ihren Job verloren, die Arbeitslosigkeit hat 18,7 Prozent erreicht. Das ist ein Rekord unter den 27 Ländern der der Europäischen Union, selbst Lettland (16,3 Prozent) oder Estland (15,6 Prozent) sind besser dran. Über vier Millionen Spanier sind momentan ohne Beschäftigung – mehr als in Deutschland, das fast doppelt so viele Einwohner hat.
Spanien durchlebt die schlimmste Wirtschaftskrise seit dem Ende des Bürgerkrieges vor 70 Jahren. Dabei trifft es die Jungen besonders hart : Fast 37 Prozent der unter 25-jährigen sind ohne Job, mäßig besser sieht es für die Leute zwischen 25 und 30 aus, denn da ist jeder vierte arbeitslos. Die Soziologen nennen dieses Phänomen die „generacion ni-ni“, die Weder-noch-Generation. Das sind junge Menschen, die weder ein Lebensprojekt haben noch studieren oder arbeiten. Nach einer Umfrage zählen sich 54 Prozent der Spanier zwischen 18 und 34 Jahren dazu.
Dabei sind in Spanien über lange Zeit hinweg mehr Stellen geschaffen worden als in den Staaten der EU insgesamt. 14 Jahre wuchs die Wirtschaft ununterbrochen. Der Boom gründete vor allem auf Beton. Etwa 800.000 Wohnungen wurden pro Jahr gebaut, mehr als in Deutschland, Frankreich und Italien zusammen.
Rund 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erbrachte einst die Bauwirtschaft, andere Industrien kamen zusammen nur auf 17 Prozent. Im Bau, in den Zulieferbetrieben und im Tourismus entstanden auch die meisten Arbeitsplätze, nur erfordern sie meist keine besondere Qualifikation. Mindestens fünf Millionen Immigranten kamen ins Land für die Knochenjobs…“ - Auch für die Spanier scheint sich die Frage zu stellen, wohin die Reise wohl geht.
Zweifel
Leichte Zweifel bleiben bis zuletzt. Im Grunde bin ich bekennender Skandinavien Fan. Die herben, weiten und dünnbesiedelten Landschaften des Nordens und die Menschen dieser rauen Regionen begeistern mich. Kann die verlockende Sonne des Südens das kompensieren ? Aber immerhin wird mir die mediterrane Sonne wenigstens den Sommer etwas verlängern.
Die iberische Halbinsel
Die iberische Halbinsel lässt sich als der Teil Europas beschreiben, der südwestlich der Pyrenäen liegt. 6/7 der Fläche wird von Spanien eingenommen. Der Name lässt sich auf die Volks- oder Stammesgruppe der Iberer zurückführen, die dort in der Antike gelebt haben. Im Mittelalter gehörten große Teile der iberischen Halbinsel zur islamischen Welt. Der maurische Einfluss hat die hispanische Kultur auf nachhaltige Art geprägt. Auf rund 580.000 Quadratkilometern leben etwa 52 Millionen Menschen.
Die Route. Von der französisch-spanischen Grenze am Mittelmeer im Uhrzeigersinn.
Costa Brava I
Der Tag des Starts rückt rasch näher. Eines Morgens sitze ich dann auf meiner Griso, schlage Kurs Süd ein und erwische prompt einen Tag, der sich als Vorbote des Herbstes entpuppt. Der erste Halt erfolgt bereits nach 1,5 Km. Das Halstuch wird gegen die warme Halskrause getauscht. Nach 150 km müssen die gefütterten Handschuhe und ein kuscheliges Oberteil her. Nach 1.500 km umschmeicheln mich endlich milde, mediterrane Temperaturen.
Die Anreise erfolgt auf eigener Achse. Mir ist das nicht lästig. Im Gegenteil, ich nutze die Zeit zum Abstandgewinnen und nach den rund 1.750 km der letzten zwei Tage habe ich das Gefühl nicht nur „da“, sondern auch „angekommen“ zu sein, bereit mich auf das einzulassen, was vor mir liegt.
In Roses an der Costa Brava erreiche ich abends einen Campingplatz. La recepcion ist bereits geschlossen. Der Nachtwächter spricht kein Englisch und ich spreche kein Spanisch. Mit Händen und Füßen komme ich zum Ziel. Aber ehrlich gesagt ist es ist für mich eine völlig neue Erfahrung mal sprachlich komplett auf dem Schlauch zu stehen, komme ich doch sonst mit Englisch geschmeidig weiter. (In Portugal ist Englisch übrigens deutlich weiter verbreitet als in Spanien.)
Der Folgetag verspricht Gelassenheit. Ich fahre an der Promenade entlang und genieße die Tatsache am Mittelmeer zu sein. Sonne, Strand, Palmen und nette Bars (kleine Cafes) an der Promenade laden zum Müßiggang ein. Zum Frühstückskaffee lasse ich die eher touristischen Bars hinter mir und lande in einer Bar beim Fischereihafen.
Fischereihafen Roses
Als ich meine Bella neben die Motorroller der Fischer stelle, macht mich der Parkplatzwächter (er sitzt mit seinen Kumpels an einem der Tische vor der Bar) darauf aufmerksam, dass dort eigentlich Parkverbot sei. Aber als ich andeute nur einen Kaffee trinken zu wollen und dabei mein Moped mit dem Gepäck im Auge behalten möchte, stimmt er verständnisvoll zu. Wenig später haben sie mich in ihrer Runde aufgenommen und ich muss von meinen Reiseabsichten berichten. Ein schöner Auftakt.
Empuriabrava
Abgesehen davon, dass ich nach drei Wochen wieder arbeiten muss, gibt es für die gesamte Reise keinerlei detaillierte Planungen oder Vorgaben. Gemütlich folge ich der Küste nach Süden. Die Costa Brava ist alles andere als „brav“. Sie ist vielmehr eine wilde Küste (was wohl auch der korrekten Übersetzung entspricht). Der Küstenabschnitt von den Ausläufern der Pyrenäen bis zur Tordera Flussmündung bei Blanes macht seinem Namen alle Ehre. Die Vielfältigkeit der Küste versetzt mich in Erstaunen und Verzücken.
Empuriabrava pauschal
Empuriabrava individual
Von zerklüfteten Felsmassiven mit kleinen Buchten bis zu flachen, sumpfigen Ebenen ist alles zu finden. Neben den touristischen Bettenburgen gibt es auch wunderschöne Fischerdörfer und einsame Strandbuchten. Bereits jetzt kann ich sagen, dass es in Spanien, selbst hier in den touristischen Vorranggebieten, sehr wohl ruhige und romantische Nischen gibt. Und die Straßen sind ein Traum für Motorradfahrer.
Unerwartet wilde Küste
Kurvenswing...
...aber besser mit adäquater Fahrerbekleidung
Costa Dorada
Den Ballungsraum Barcelona umfahre ich großzügig. Ich habe schlichtweg momentan keine Lust auf Großstadt und denke, dass sich bestimmt mal eine andere Möglichkeit zum Erkunden der Stadt bietet.
Im Vergleich mit anderen spanischen Küstenabschnitten weist die Costa Dorada (goldene Küste) den größten Anteil von langen, feinkörnigen und sanft abfallenden Sandstränden auf, was vom Badetourismus entsprechend angenommen wird. Sie erstreckt sich bis zu dem beeindruckenden über 300 Quadratkilometer großen Ebro-Delta, das zu den größten Feuchtgebieten der Mittelmeerküste zählt und ideale Voraussetzungen für den Reisanbau bietet.
Costa Blanca (nördlicher Teil)
Strandleben
Strandsitzen
Fahrerisch interessant finde ich es erst wieder südlich von Valencia. Die felsige Halbinsel zum Cap de la Nau verwöhnt wieder mit Kurven und famosen Aussichten auf das Meer. Südlich des Caps beginnt die weiße Küste, die ihren Namen wohl wegen der traditionell weiß gestrichenen Häuser hat.
Hochhaus
Flachhaus
Altea vs Benidorm
Der pure Zufall lässt mich mein Nachtlager in Altea aufschlagen. Diesem von den Iberern oder Römern gegründeten Örtchen merkt man seine 21.000 Einwohner nicht wirklich an. Ich lande im südlichen Teil und finde ich es fast schon lauschig. Die Promenade ist übersichtlich und überhaupt nicht rummelig. Der Strand ist zwar steinig aber ganz nett in einer großen Bucht gelegen. In einem Restaurant gönne mir einen leckeren Salat, blicke aufs Meer und genieße das abendliche leichte Leben unter freiem Himmel.
Ruhiger Strand von Altea
Mit Wellenrauschen, dem ersten und zweiten holländischen Fernesehprogramm und diversen hölländischen Wohnwagenveranda-Gesprächsrunden finde ich (irgendwann) in den Schlaf. Nachdem die Ferienurlauber abgezogen sind, trudeln nun die Überwinterer ein und lassen sich für die nächsten Monate nieder. Es sind fast schon kleine, feste Gemeinschaften. Man kennt sich eben schon vom letzten Winter. Klingt spießig aber man muss anerkennen, dass sie immerhin trotz ihres fortgeschrittenen Alters noch eine erstaunliche Mobilität aufweisen. Und irgendwie sind sie eigentlich auch ganz nett.
Einen Hügel und wenige Kilometer weiter lauert am nächsten Morgen der Schock – Benidorm. Mein erster Gedanke ist, dass dort mehr Hochhäuser als in Frankfurt stehen. Später finde ich heraus, dass Benidorm in Relation zur Einwohnerzahl wohl eine der größten Hochhausdichten überhaupt aufweist. Es gibt 345 Gebäude mit mehr als 12 Etagen. Mit den Tagesgästen stocken sich die rund 100.000 Dauerbewohner auf bis zu 200.000 Menschen auf. Engländer stellen einen ähnlichen Schwerpunkt wie die Deutschen auf Mallorca.
Benidorm - enorm
Da muss ich hin, das will ich mir anschauen. Schließlich wurde durch so etwas mein Spanienklischee geprägt. So schnell wie ich gekommen bin, bin ich dann auch wieder weg. Schön, dass die spanische Küste nicht ausschließlich so aussieht. Die anschließende Küstenstraße ist versöhnlich. Als das Häusermeer von Alicante in Sicht kommt zieht es mich jedoch unweigerlich ins Landesinnere. Spanien ist ja schließlich nicht nur Küste.
Andalusien
Stetig steigt die Straße in die Gebirgslandschaft der Sistemas Beticos. Hochebenen sind eingerahmt von den Zweitausendern verschiedener Sierras im Norden und den noch höheren Bergen der Sierra Nevada im Süden. Ich betrete einen Landschaftsraum, dessen bloßer Anblick mir die Zunge am Gaumen festkleben lässt. Es herrscht eine unglaubliche Trockenheit. Unwillkürlich gehe ich im Kopf die an Bord befindlichen Wasservorräte durch. Aber ich fühle mich überhaupt nicht unwohl.
Weite Landschaften
Ganz im Gegenteil, befinde ich mich doch in einer diesen weiten Landschaften, die ich so liebe, nur eben heißer und trockener als ich es bisher gewöhnt bin. Die Gebirgszüge am Horizont vollenden das Bild mit einer gewissen Nuance an Dramatik. Der Naturraum scheint nahezu lebensfeindlich, ist aber (vielleicht auch gerade deswegen) nicht ohne Faszination. Wasser ist hier der Schlüssel zum Leben. Es ist erstaunlich genug, wie die strauchartige Vegetation Fuß fassen kann. Eine intensivere Nutzung setzt künstliche Bewässerung voraus.
Das Städtchen Guadix erscheint mir als märchenhafte, grüne Oase. Selbst jetzt im September beträgt die Temperatur über 34 Grad Celsius. Die Existenz von kühlen Wohnhöhlen scheint eine logische Konsequenz zu sein.
Die Straßen sind mal gerade, mal leicht geschwungen, in jedem Fall von guter Qualität. Das Fahren hat eine große Leichtigkeit, der Blick schwenkt durch die Weite der faszinierenden Landschaft. Easy Rider Feeling…
Granada
In Granada tausche ich für einen Tag den Biker Blickwinkel gegen die Perspektive des zivilisierten Zweibeiners. Die über 700 Meter hoch gelegene Stadt ist mit ihren 214.000 Einwohnern ein kulturelles Zentrum. Bereits 500 v.Chr. wird Granada erstmals erwähnt und erfreut sich großer Beliebtheit bei Iberern, Phöniziern, Römern (die sind irgendwie eh immer von der Partie), nordafrikanischen Vandalen und wird 711 von den Mauren erobert. Die Stadt scheint eine super interessante Geschichte zu haben.
Alhambra
Die Festungs- und Palastanlage wurde im 13. u 14. Jahrhundert als Residenz der maurischen Könige errichtet und ist fantastisch erhalten.
Alhambra
Granada
Zusammen mit dem maurischen Altstadtviertel Albaicin würde ich sie als absolutes Muss eines Granadabesuches bezeichnen. Ich habe Glück überhaupt ein Ticket zu ergattern, denn die Anzahl der Besucher ist streng kontingentiert. In der Hauptsaison ist es wohl unabdingbar Eintrittskarten vorzubestellen.
Gassen in Albacin
Sierra Nevada
Auf zwei Rädern geht es anschließend in die Sierra Nevada, was soviel wie „Schneebedecktes Gebirge“ heißt. Der höchste Berg der iberischen Halbinsel, der Mulhacien, ist 3482 Meter hoch. Im Winter gibt es regulären Alpinsportbetrieb und sogar die Skiweltmeisterschaften wurden hier schon ausgetragen. In Riesenslalom-Manier fahre ich dann auch hinauf. Die weit geschwungenen Kurven lassen eine schon fast unanständige Geschwindigkeit zu.
Diese Tatsache als auch die hohen Lufttemperaturen des Sommers sowie die enge räumliche Distanz von Meereshöhe und Gebirge ziehen alljährlich die Prototypentester der großen Automobil- und Motorradhersteller an. Die atmosphärischen Bedingungen sind ideal zum Testen von Motoreinstellungen und Emissionswerten.
Mit einem Motofahrzeug geht es nicht weiter.
Alternative Fortbewegung
In 2.500 Metern Höhe findet der Spaß sein Ende. Weiter ist die Straße für motorbetriebene Fahrzeuge nicht freigegeben. Ich verspüre große Lust mit dem Rucksack weiterzuziehen, erinnere mich aber daran, dass ich drei Wochen und nicht drei Monate Zeit habe. Alles geht eben nicht.
Allerdings nehme ich mir die Zeit, mich auf der Hoya de la Mora mit Rafael in ein längeres Gespräch einzulassen. Rafael lebt den Sommer über in seinem Wohnmobil auf 2.500 Metern Höhe. Er ist professioneller Fotograf und natürlich schwärmt er mir von den Lichtspielen zum Sonnenauf- und -untergang vor. Aber die eigentlichen Objekte seiner Fotobegierde sind die Prototypen. Er berichtet Spannendes aus seinem Arbeitsleben. Später finden sich zwei Kia Ingenieure mit einem neuen Modell ein. Das Fahrzeug ist fast bis zur Unkenntlichkeit mit Tape und Schaumstoffpolstern verunstaltet. Profis wie Rafael benutzen aber längst Grafiksoftware, mit der sich gestützt auf die Fotos, Karosserielinien nachempfinden lassen.
Als ich wieder starte, tauschen sie noch rasch ein paar informelle Tipps aus. Man kennt sich eben…
Teststrecken in der Sierra Nevada
Sierra Nevada
Artgerecht (bergab) genieße ich den zweiten Durchgang zum Riesentorlauf. Ja ich habe mich etwas verliebt in diese Landschaft. Anstatt zur Costa del Sol (mit einigen Bettenburgen und einigen mehr Plastikplanengewächshäusern) runter zu fahren, bleibe ich im Landesinneren und stecke den Kurs nach Ronda ab.
Weiße Dörfer Andalusiens
Die Temperaturen steigen bis auf 38 Grad. Den Gedanken, ob dies für meinen luftgekühlten Zweiventiler ein Problem sein könnte, verwerfe ich schnell wieder. Schließlich stammt mein Moped aus dem heißen Italien.
Ronda
Ronda ist die größte Ortschaft unter den weißen Dörfern Andalusiens und liegt ebenfalls über 700 Meter hoch. Die maurisch geprägte Altstadt befindet sich auf einem rundum steil abfallenden Felsplateau. Die wechselvolle Geschichte reicht von den Kelten bis hin zum republikanischen Widerstandsnest. Aus den Bergen der Umgebung leistete die Guerilla bis 1952 Widerstand gegen das Franco Regime. Während einer Pause beobachte ich das bunte Treiben des Stadtfestes in Ronda.
Mit einem PS zum Stadtfest
Nun ist es nicht mehr weit bis Gibraltar. Ich wähle eine Landstraßenverbindung und finde 97 Kilometer Kurven…
Ich weiß nicht wer wen mehr bewegt,
ich die Guzzi oder die Guzzi mein Gemüt ?
Es ist einfach berauschend.
Gibraltar
Mit zunehmender Annäherung verblasst der Glanz des vermeintlich großen Zieles der Reise und übrig bleibt ein steil aus dem Meer herausragender Kalksteinfelsen und westlich anschließend ein dicht bebautes, flaches Gebiet sowie Hafenanlagen mit dem Charme schmuddeliger Fährhäfen.
Affenfels
Kurz vor Erreichen des britischen Überseeterritoriums gerate ich in ein quirliges Durcheinander, als hätten die Menschen der Region noch immer Nachholbedarf wegen der von 1969 bis 1985 geschlossenen Grenze. Die Grenzkontrolle ist bar jeder Ernsthaftigkeit und ehrlich gesagt bin ich voll genervt von dem Trubel. So genervt, dass ich nicht einmal ein Foto mache, als ich den weltweit einzigen Flughafen, dessen Landebahn eine vierspurige Straße kreuzt, passiere.
Auf den knapp 6,5 Quadratkilometern drängen sich über 28.000 Menschen zusammen. Nach der Weite des spanischen Binnenlandes fühle ich mich bei einer Bevölkerungsdichte von etwa 4.400 Menschen pro Quadratkilometer schlichtweg unwohl. Gibraltar erwirtschaftet ein BIP von über 750 Mio US Dollar. Davon entfallen 25 % auf das Offshore Finanzwesen und 25 % auf Schiffbau und -reparatur.
Im Jahr 2005 liefen 6662 hochseetaugliche Schiffe den Hafen an. 90 % der Schiffe kamen zum Tanken und Gibraltar ist wohl weltweit einer der bedeutendsten, im Mittelmeer in jedem Fall der umsatzstärkste, Nachschubplätze für Schiffsdiesel.
Von stylischem britischen Empire ist weit und breit keine Spur (von einzelnen alkoholisierten Vertretern abgesehen) und als man versucht mich beim Tanken kräftig übers Ohr zu hauen (übrigens erfolglos) fällt die Entscheidung direkt nach Tarifa weiterzufahren nicht schwer. Der Kurvensurf über die Küstenstraße ist klasse und überhaupt ist ja eher Tarifa der südlichste Punkt Europas und nicht der Affenfelsen.
Der Abend am einsamen Strand westlich von Tarifa wird dann zu einem der stärksten Momente der Reise. Im Mondschein glitzert die Wasseroberfläche in der ruhigen Meerenge und ebenso fasziniert wie verzaubert schaue ich auf das gut erkennbare Küstengebirge des afrikanischen Kontinentes. Es sind nur 14 Kilometer bis Afrika….
Der Abend ist mehr Erzähl-, denn Schreibgeschichte. Auf dem Campingplatz hatte ich mein Zelt neben dem Zelt eines vermeintlich belgischen Motorradfahrers aufgeschlagen. Erst später realisiere ich, dass die rote Buchstaben- und Zahlenkombination nicht einem belgischen, sondern einem deutschen Überführungskennzeichen zuzuordnen sind. Und das sind ja Kurzzeitkennzeichen.
Die betagte Harley trug hinten eine Gepäckbrücke, die beladen das Kennzeichen quasi sorgfältig abschirmte. Der Fahrer war einer Organisation motorradfahrender Männer zugehörig, die so allerhand Aktivitäten verfolgen. Aus gewissen Umständen heraus mied er derzeit deutsches Territorium... Verständlicherweise gehe ich darauf nun nicht weiter ein und gibt keine Fotos :). - Aber ich kann versichern, dass wir wirklich einen großartigen Abend mit tiefschürfenden und äußerst interessanten Gesprächen verbrachten.
Afrika ist an diesem Abend viel stärker in mein Bewusstsein getreten. War es bisher irgendwie ganz weit weg, ein anderer Kontinent eben, so habe ich verinnerlicht, dass es faktisch nur ein paar Tagesetappen mit dem Moped und eine Fährpassage von siebeneinhalb Seemeilen weit entfernt ist. Und das ist nicht wirklich weit…
Über Kleinstraßen bummele ich entspannt an der Küste entlang und gelange nach Cadiz. Die Stadt liegt auf einer langen Landzunge. Zunächst passiere ich die Hochhäuser der Neustadt und bin enttäuscht. Aber dann taucht die in starkem Kontrast dazu stehende Altstadt auf. Das Stadtbild ist durch viele Plätze geprägt. Es lohnt sich einen Kaffee zu trinken und die Kulisse der reichen Geschichte eines blühenden Handelszentums auf sich wirken zu lassen. Weiter führt der Weg um das riesige Las Marismas Delta. Sevilla bleibt leider rechts liegen (mein drei Wochen Problem).
Portugal
Die portugiesische Grenze ist das nächste Ziel, welches dann auch zügig erreich ist.
In Villa Real, direkt am Grenzfluss Rio Guadiana, schlürfe ich einen Kaffee und studiere die nun frisch ausgepackte Portugalkarte. Ich wäge die Zeit ab überlege was noch in den restlichen Tag hineinpasst.
Just als ich gerade zu zahlen beabsichtige, spricht mich die Freundin von Andrea wegen des Kieler Kennzeichens an. Die beiden Hannoveranerinnen verbringen ihren Urlaub auf der spanischen Seite des Flusses und sind für einen Ausflug in Villa Real. Wir finden schnell zueinander, bestellen noch etwas zu trinken und es wird eine kurzweilige Gesprächsrunde in sehr angenehmer Gesellschaft. Andrea hat nach einer Handverletzung vom Motorrad auf einen Vespa Roller umgesattelt.
Viel zu spät, erst als ich wieder unterwegs bin, kommt mir der Gedanke, ihr unbedingt eine Probefahrt auf einer Aprilia Mana anzuraten. (Ich fand das Teil bei einer Fahrt jedenfalls verblüffend gut.) Also Andrea, falls Du das liest, meine Web Adresse hast Du ja, dann hole ich das hiermit nach. Und ich hoffe Ihr hattet noch einen angenehmen Urlaub.
Algarve
Einsame Buchten an der Algarve
Die Algarve kennt lange Sandstrände und Lagunenlandschaften (im Osten) ebenso wie zerklüftete 20-60 m hohe Steilküsten mit malerischen Formationen aus gelben und rötlich braunen Kalk- und Sandsteinfelsen mit kleinen Buchten (im Westen). Alleine für die Algarve würde ich mir drei Wochen Zeit wünschen.
...noch mehr Algarve
Lagos und Umgebung
Beinahe hätte ich diese Zeit gebraucht, nur um aus Lagos wieder herauszufinden. So kam es mir jedenfalls vor. Einmal in den engen, steilen und kopfsteinbepflasterten Einbahngassen gefangen, komme ich mir vor wie in einem antiken Labyrinth. Ich komme garantiert dreimal an derselben Stelle vorbei ohne das Zauberwort oder den Weg zum Hafen runter zu finden. Dafür, dass die Altstadt so klein ist, gibt es verdammt viele Möglichkeiten den falschen Weg zu nehmen. Das ist die einzige Situation der Reise, in der ich mich tatsächlich derart verfahre, dass ich an meinen navigatorischen Fähigkeiten zweifele.
Und das passiert mir ausgerechnet in der Stadt, von der aus Heinrich der Seefahrer seine Kapitäne zu den großen portugiesischen Entdeckungsfahrten aufbrechen ließ.
Lagos
1394 als vierter Sprössling des Königs Joaos I. geboren, stand seine Thronfolgerkarriere unter keinem aussichtsreichen Stern. Heinrich (Henrique) wandte sich der Seefahrt zu. Er unternahm zwar selbst nur eine Seereise, eroberte dabei aber immerhin Ceuta von den Mauren zurück. 1420 wurde er Großmeister des Christusritterordens und erbte damit ein immenses Vermögen. Dieses steckte er vollständig in die Entwicklung neuer Schiffe, Erforschung von Gezeiten, Sammlung von Reiseberichten und in die Verbesserung von Navigationsgeräten. Die unter seiner Ägide entwickelten Karavellen trugen weiße Segel mit dem roten Kreuz des Christusritter-Ordens. Während in Lagos die Werften betrieben wurden, war in Sagres die legendäre Seefahrtsschule mit den führenden Köpfen der Zeit beheimatet. Das Ziel war die Erbringung des Beweises, dass die Erde keine Scheibe ist und, dass man sie umsegeln kann. Nachdem 1587 der englische Freibeuter Francis Drake vorbeigeschaut hat, ist leider nichts von der nautischen Schule bzw Henriques Palast erhalten geblieben.
Nachdem Mitte des 13. Jahrhundert die Mauren vertrieben wurden avancierte Lagos zum bedeutendsten Hafen der von Henrique vorangetriebenen Entdeckungsfahrten. Hier landeten die Karavellen die reiche Beute aus den Kolonien an. Einen weiteren Aufschwung gab es ab 1454. Papst Nikolaus V. legalisierte den Sklavenhandel und Ende des 15. Jahrhunderts wurden bereits 1000 Sklaven pro Jahr auf dem Markt von Lagos verkauft. Ja, ja die liebe Kirche…
In dem Zusammenhang zieht es mich unwiderstehlich zum Cabo de Sao Vicente. Dieser sechzig Meter hohe Fels an der südwestlichen Ecke Europas ist das letzte und das erste, was die mutigen Seefahrer ihrer Zeit sahen. Das Cabo de Sao Vicente ist quasi das Cape Canaveral des Mittelalters. Dort zu stehen und die Luft der weiten See zu atmen hat für mich eine besondere Faszination. Noch heute spricht der Volksmund vom o fin do mundo, vom Ende der Welt.
Cabo de Sao Vicente
Gemütlich lasse ich mich nach Norden treiben und pausiere in Vasco da Gamas Heimatstadt Sines. Parallel zur Küstenlinie folge ich einem 90 Kilometer langen Sandstrandabschnitt. Gesäumt von Pinien, Kiefern und Eukalyptus lege ich die letzten knapp 20 Kilometer auf der Troia-Landzunge zurück und fühle mich etwas wie auf einer Mini-Bahia-California, links der Atlantik, rechts die Lagunen des Rio Sado und dazwischen jede Menge weißer, feiner Sand.
Troia Landzunge
Lissabon
Die Fähre bringt mich über den Fluss nach Setubal, etwa 30 Kilometer südöstlich von Lissabon. Auf dem Landweg von Süden anreisend ist es eine sehr spannende Angelegenheit über die Brücke des 25. April (Golden Gate en Miniatur) zu fahren. Einerseits ist die Aussicht auf die Stadt aus siebzig Metern Höhe beeindruckend und andererseits ist es hochgradig spannend, wenn aus sechzehn Kassenhäuschen-Fahrspuren (Mautpflicht) Fahrzeuge preschen, um sich einen Platz auf einer der drei Brückenfahrspuren zu ergattern, vor allem wenn am Sonntagnachmittag die genervten Städter von ihren Strandausflügen zurückkehren.
Brücke des 25. April
Über Lissabon könnte ich im Prinzip eine Menge schreiben, mache ich aber nicht. Lissabon das ist der einzige Ort der iberischen Halbinsel, den ich bereits kenne. Aber das ist eine ganz andere Geschichte. Auf dieser Reise suche ich nur ganz wenige ausgewählte Punkte auf. Dazu zählt das Denkmal Padrao dos Descobrimentos im Ortsteil Belem, direkt am Tejo.
Padrao dos Descobrimentos
1960 unter dem Salazar Regime 500 Jahre nach dem Tode von Heinrich dem Seefahrer errichtet, diente es dem Regime um die alten Zeiten der Seefahrernation Portugal zu glorifizieren.
Torre de Belem
Der Torre de Belem, 1515 bis 1521 von Francisco de Arruda errichtet, wurde auch vom Salazar Regime genutzt, nämlich als Gefängnis. Dennoch strahlt der ehemalige Hafenwachturm mit seiner manuelinischen Gotik die Größe seiner Zeit aus. Ich genieße den Ausblick und diese speziellen überaus leckeren Blätterteigtörtchen…
Ich setze meinen Weg in Richtung Cascais fort und gelange nur deshalb vor Einbruch der Dunkelheit zum Campingplatz, weil mich ein junger Honda Fahrer von einer Tankstelle aus dorthin lotst. Obrigado ! Für die Gegend nordwestlich von Lissabon bis Peniche nehme ich mir dann richtig Zeit.
Cabo da Roca
Auf dem Weg zum westlichsten Punkt des europäischen Kontinentes fühlt sich zunächst irgendetwas anders an ohne, dass es mir sofort bewusst wird, was es ist. Bäume, es sind Bäume und auch sonst viel Grünes. Nach einigen tausend Kilometern durch trockene Landschaft, befinde ich mich nun an der niederschlagsreicheren und gebirgigen Westseite der iberischen Halbinsel.
Nächster Halt - Amerika
Landschaftswechsel
Der Artenreichtum kommt mir üppig vor. Manchmal stehen über drei Meter hohe sumpfgrasartige Pflanzen längs der Straße. Ich komme mir vor wie im tropischen Regenwald. Eine schmale Straße führt mich zu dem westlichsten Punkt Europas. Der Felsen ragt 140 Meter hoch aus dem Meer. Von hier aus sind es nach Kiel fast 20 Längengrade ostwärts. (Und von Tarifa waren es etwa 15 Breitengrade nordwärts.) Eine faszinierende Vorstellung.
Cabo da Roca
Cafe Ocidente, eines der urigsten Cafés der Reise
Sintra
Die magisch und märchenhaft wirkende Kleinstadt (25 Kilometer nordwestlich von Lissabon) wurde schon im 11. Jahrhundert von dem arabischen Geographen Al-Bacr beschrieben. Oberhalb der Stadt war von den Mauren vor dieser Zeit bereits das Castelo dos Mouros errichtet worden.
Sintra
Porto
Porto ist die zweitgrößte Stadt des Landes und liegt am Douro, der in den Atlantik mündet. Das historische Zentrum am Douro ist seit 1996 auf der UNESCO-Liste für Weltkulturerbe. Heute ist Porto eine wichtige Industrie- und Handelsstadt sowie Verkehrszentrum. Porto sieht sich seit langem als heimliche Hauptstadt des Landes (auch Namensgeberin des Landes). In Porto sagt man, dass hier das Geld verdient wird, das in Lissabon mit vollen Händen ausgegeben wird.
Erster Blick auf Porto
Ich logiere südlich von Porto auf dem Campingplatz in Espinho. Die etwa halbstündige Bahnfahrt ins Zentrum von Porto kostet 1,40 Euro. Die großräumigen Enden der Wagen ermöglichen nicht nur die Mitnahme von Rollstühlen und Kinderwagen, sondern sind auch für Surfer mit ihren Brettern geeignet, also für die richtigen Surfer (Wellenreiter), nicht die Stehbrettsegler.
Surfer freundlicher öffentlicher Nahverkehr
Die Bahnfahrt ermöglicht interessante Einblicke in die Vororte von Porto. Der von Mitteleuropäern als pittoresk bewunderte Verfall der Bausubstanz in Portos Zentrum (wie auch in anderen großen Städten) ist für die Bewohner sicherlich nicht von zivilisatorischem Vorteil. Bis vor nicht all zu langer Zeit sollen die Mieten quasi auf dem Stand von 1974 eingefroren gewesen sein, was im wahrsten Sinne des Wortes zu einer gewissen Schieflage führte.
Impressionen von Porto
Aber ich muss sagen, dass entgegen der typischen Reiseführerfotos, dies eben nicht typisch für Portugal ist. Das Durchschnittseinkommen ist zwar längst nicht so hoch wie in Spanien und innerhalb des Landes scheint es einen großen Abstand zwischen Durchschnitts- und Besserverdienenden zu geben.
Aber wo ich auch herumgekommen bin, kann ich sagen, dass außerhalb dieser speziellen Stadtproblematik sich jeder nach seinen finanziellen Möglichkeiten um seine Scholle mit Hingabe kümmert. Von Verfall ist da keine Spur, ganz im Gegenteil.
Alles in allem ist Porto eine wunderschöne und faszinierende Stadt.
Phänomen
An dieser Stelle kommt mir ein ganz anderes Phänomen in den Sinn. Das Phänomen „Kittel“ und in abgeschwächter Form die „Kittelschürze“. Der Kittel ist für mich ein Relikt aus der Kindheit. Tanten, Omas und Uromas haben den Kittel getragen wenn sie gekocht, geputzt, im Garten gearbeitet, mit der Nachbarin geschwatzt oder beim Metzger gegenüber eingekauft haben. Die Kittelschürze vermutlich am Sonntag beim Kochen oder Kaffee aufsetzen, so genau weiß ich das nicht mehr.
Dieses ja eigentlich überaus praktische Bekleidungsstück ist mir im Laufe der Jahre aus dem Bewusstsein entwichen. In Portugal werden somit Kindheitserinnerungen wach. Die Kitteldichte ist so hoch wie in keinem anderen bisher von mir bereisten Land.
Es ließe sich mühelos eine Geographie des Kittels nach Stadt-Land-Gefälle oder nach sozioökonomischen Unterschieden verschiedener Stadtvierteln aufbauen. Auch die Erscheinung des Kittels selbst, ist eine Betrachtung wert. Von fabrikgrau, über kolchosegrün bis zu psychedelischen siebziger Jahre Mustern ist allerhand vertreten. Nicht zuletzt die Tragart sagt möglicherweise einiges über die Kittelgängerin aus. Meine Verweildauer im Land ist allerdings zu kurz, um decodieren zu können, was dahintersteckt den oberen oder den unteren Knopf oder beide offen zu lassen oder den Kittel direkt oder über verschiedenen anderen Bekleidungen zu tragen.
Wenn man mit Muße durch ein Land reist hat man viel Zeit nachzudenken. Während ich einige Tage später lässig mit einer Hand auf dem Tankrucksack durch die üppige, grüne Landschaft gleite, kommt mir der Gedanke, ob der Wegfall des Kittels nicht vielleicht ein Zeichen für den Übergang in die postmoderne Gesellschaft ist. Ganz im Sinne von Hegel ist das Selbstbewusstsein des Geistes und die Emanzipation des Individuums dem vermeintlichen Fortschritt der großen gesellschaftlichen Utopien, wie dem Sozialismus (darin hat sich Portugal auch versucht), letztendlich überlegen.
Vielleicht gehören sogar Sozialismus und Kittel irgendwie zusammen. Einige kleine kittelfreie Nischen sind in Portugal jedenfalls bereits zu beobachten. Scheinbar gehen sie einher mit zunehmender Individualisierung und wirtschaftlicher Prosperität.
In Westeuropa ist derzeit Retro Design in allen möglichen und unmöglichen Varianten völlig angesagt. In meiner Phantasie male ich mir den Retro Kittel mit Che Guevara Konterfei (auch erhältlich in der Farbkombination braun-rosa) als Geschäftsmodell aus. It’s time for revolution. Vielleicht käme ich dann so doch noch auf meine drei Monate Reisezeit. Die nächste derbe Bodenwelle holt mich in die Realität zurück. Okay ich sollte mich wohl doch wieder mehr auf die Straße konzentrieren.
Super Bock
Abend am Atlantik
Nach einem fantastischen Sonnenuntergang am Strand von Espinho versuche ich meine fantastisch, fliegenden Gedanken wieder einzufangen und setze mich in die nächste (und einzige) Lokalität, um noch etwas Tagebuch zu schreiben. Das klappt nur mit Einschränkung. Ich lande in einem Laden, der eine Mischung aus Ruhrgebietstrinkhalle, Eckkneipe und sozialistischem Fußballvereinsheim ist und ausschließlich von Männern besucht wird.
Beim Lachen lachen die Zahnlücken mit. Jedes der gegerbten Gesichter erzählt lange Geschichten. Auf Plastikstühlen trinken wir an Blechtischen Super Bock Bier. Das letzte Licht der Dämmerung schwindet und aus den einfachen Boxen plärrt melancholische Musik. Hier gibt es keine Unterschiede, hier gibt es nur eine Welt. Wer da ist, ist dabei. Mit allen möglichen Mitteln, Eselsbrücken und vereinzelten Vokabeln in verschiedenen Sprachen erzählen wir uns unsere Geschichten.
Einige Biere später haben wir einen Zustand von Übereinstimmung in der Sicht der Dinge erreicht, der nicht viele Worte benötigt und den es vielleicht nur unter Männern gibt. Hier verabschiedet man sich noch mit einem Händedruck, der was zählt.
Galizien
Am nächsten Morgen besteige ich mein Eisenpferd und setzte den Weg nach Norden fort. Hinter der Grenze betrete ich gedankliches Niemandsland. Um ehrlich zu sein habe ich Überhaupt keine Vorstellung von Galizien.
Zunächst treffe ich auf mittelgebirgsartige Landschaften mit weitläufigen Wäldern. Besonders gefällt mir der nordwestlichste Zipfel. Ich bin total überrascht. Es ist ein bisschen wie in Skandinavien, nur 20 Grad wärmer.
Galizien
"Gestrandeter Wal"
Es gibt sandige Strandabschnitte, aber auch steile Kliffküsten mit schlauch- und trichterförmigen fjordähnlichen Flussmündungen, den sogenannten Rias.
Später lese ich, dass mehr als die Hälfte der Fläche Galiziens über 400 Meter hoch liegt und der höchste Berg 2127 Meter misst und, dass 30 % des spanischen Waldbestandes in Galizien zu finden sind. Die Hälfte der 1.600 Kilometer langen Küste ist Steilküste und das mächtigste Kliff befindet sich bei Ferrol und ist 620 Meter hoch.
Die Pilger
Man kann nicht in Galizien unterwegs sein und sich nicht über die Wanderer, Entschuldigung über die „Pilger“, so seine Gedanken machen. Also ich will hier nicht die Leistung der geistigen Erbauungsfußgänger schmälern, dazu wandele ich selbst viel zu gerne auf Schusters Rappen, aber gewisse Dinge sind mir einfach zu auffällig, als das ich sie unerwähnt lassen könnte.
Das Geschäft mit den Pilgern läuft in Santiago de Compostella auf allen Ebenen.
Schweben sie in Santiago de Compostella noch gut zwanzig Zentimeter über der Erdoberfläche und strafen alle Nicht-Wanderer mit diesem unauffällig, auffällig, missionierend beseelten „Ich fühle mich ja so gut - musst Du auch unbedingt mal probieren Blick“, scheint sie die Schwerkraft am Cabo Fisterra wieder einzuholen.
Pilgerdenkmal kurz vor Cabo Finisterra
Und mehr noch, welch einen Wert hätte ein Pilgerziel, das man gar leichtfüßig mit einem Lächeln auf den Lippen erreicht. Die Schwere der Erkenntnis, worüber auch immer, muss sich offenbar auch in physischem Leid ausdrücken. Erlangt derjenige eine tiefere Erkenntnis, der zwei anstatt eine Kniebandage trägt ? Adeln erst Blasen oder schmerzende Gelenke den hinkenden Selbsterfahrungswanderer ?
Pilger
Möglicherweise hatte ich bisher einfach den falschen Ansatz und bin einfach so aus Freude an der Sache gewandert. Wer so eine Wanderung körperlich nicht verträgt, sollte sich vielleicht einfach mal mit der entsprechend Vorbereitung beschäftigen.
Hilfe für Pilgerfüße und -gelenke
Wie treffend - ein Pilger-Schuh Denkmal
Wähnen sich die selbstgeschnitzten Wanderstockbewegten unbeobachtet, scheint die Opferbereitschaft nicht ganz so groß zu sein. Jedenfalls sind auch Zigarette rauchende Pilger (beim Wandern) zu sehen.
In Ayegui liegt eine Bodega direkt an dem historischen Jakobsweg. Bereits im 12. Jahrhundert findet dieser Teil des Weges, der durch die Region Navarra führt, im Kodex Calixtinus Erwähnung, als ein „Land des guten Brotes und hervorragenden Weines“.
Und die „Bodega Irache“ lässt sich nicht lumpen. Sie unterhält den Weinbrunnen „Fuente del Vino“ und jeder darf sich kostenlos an dem Brunnen laben. In der Wandersaison sollen pro Monat bis zu 2000 Liter Wein durch den Hahn fließen. Die Inschrift beim Brunnen deutet an :
„Wir laden Dich ein, an diesem Brunnen zu trinken, ohne zu saufen; um den Wein mitzunehmen, musst Du ihn jedoch kaufen.“
Fuento del Vino
Da stellt sich mir doch glatt die Frage nach der angeblich so geistigen Erbauung der Pilgererfahrung. Lüftet sich hier gar ein Geheimnis ? Pilger- oder Pichelreisen ? Aber die Wahrheit soll ja bekanntlich eh im Wein liegen. In jedem Fall finde ich Galizien derart reizvoll, dass ich mir vornehme nach der Rückkehr zu prüfen, ob man dort auch wandern, ohne zu pilgern, kann.
A Coruna
Städte, in denen ich mich nicht lange aufhalten will, von denen ich aber dennoch einen Eindruck bekommen möchte, schauen ich mir einfach vom Motorradsattel aus an. Durch die Peripherie bis ins Zentrum fahrend bekomme ich einen groben Querschnitt mit und im Zentrum kreuze ich ein wenig intuitiv umher. Ist die Stadt interessant und die Zeit ausreichend, kann ich immer noch bleiben. Einer der großen Vorteile des Motorrades ist in diesem Zusammenhang das problemlose spontane Finden von Parkmöglichkeiten.
Bezüglich A Coruna habe ich mich im Nachhinein etwas geärgert, ohne Vorbereitung gestartet zu sein. Dieser natürlich geschützte Hafen hat eine lange Geschichte, die auf Phönizier, Kelten und Römer zurückgeht. Letztere errichteten um 110 n.Chr. einen Leuchtturm, den Herkulesturm. Und den hätte ich mir zu gerne angesehen.
Die Blütezeit lag übrigens im 14. u 15. Jahrhundert als Zielhafen für englische Jakobspilger auf dem Weg nach Santiago de Compostella.
Costa Verde
Die grüne Küste am Golf von Biscaya im Norden Spaniens trägt ihren Namen zu Recht. In dieser regenreichen Region ist die Landschaft deutlich grüner als in anderen Teilen Spaniens. Das Cantabrische Gebirge verläuft direkt parallel zur Küste. Die Autovia del Cantrabico ermöglicht flottes Vorankommen mit maximalem Fahr- und Landschaftsspaß. Dagegen ist die A7 bei Kassel die reinste Flughafenlandebahn.
Santander strahlt die gepflegt geschäftige Atmosphäre einer modernen Hafen- und Dienstleistungsstadt aus, während in Bilbao neben dem Hafen die Industrie deutlich dominiert. Obwohl sich Bilbao in einem relativ engen Tal befindet, leben hier insgesamt 900.000 Menschen. Die Enge und die diesige, emissionsgeschwängerte Luft verursachen ein leicht klaustrophobisches Gefühl und die zweifelsohne dennoch vorhandenen Reize Bilbaos müssen ohne meine Bewunderung auskommen. Über aufgeständerte Schnellstraßentrassen fahre ich fast in Griffweite an Balkonen im fünften Stock der zahlreichen Hochhäuser vorbei.
Ich bin froh anschließend über das Küstengebirge wieder die Weite des Binnenlandes genießen zu können. Durch das Weinanbaugebiet Navarra nähere ich mich dem Fuße der Pyrenäen. Leider hängt in der Gebirgskette schlechtes Wetter mit reichlich Regen und Gewitter fest. Das vereitelt es mir in größere Höhen vorzustoßen.
Berdun
Aufziehende Gewitterwolken
Andorra
Andorra ist ein unabhängiger Zwergenstaat in den östlichen Pyrenäen, der 1278 gegründet wurde und heute hauptsächlich Bedeutung als Wintersport- und Steuerparadies hat.
Andorra
Ich lande nur deswegen in Andorra, weil mir Manu, der spanische Yamaha-Fahrer den Tipp gibt, dass es dort zollfrei Motorradzubehör und -Bekleidung zu kaufen gibt. Auf dem Weg dorthin erlebe ich den schlimmsten Regen (mit Gewitter) der ganzen Tour. Rechtzeitig kann ich mich an eine überdachte Tanke retten und in kurzer Zeit sind wir eine illustre Runde von Motorradfahrern mit den unterschiedlichsten Maschinen. So wird die Stunde Wartezeit wenigstens nicht langweilig.
Dach über dem Kopf
Sturzregen
Andorra nicht zu sehen ist, wie ich finde, kein so großer Verlust. Die Einkaufsmöglichkeiten sind dann auch nicht so wahnsinnig super günstig. Im Schnitt überschlage ich zwanzig Prozent (eben zollfrei). Bei der Bekleidung dominieren die Marken Spidi, Dainese, Revit, Arlen Ness und Bering. Zudem gibt es jede Menge No Name Label, die dann letztlich viel zu teuer verkauft werden. So richtig vom Hocker reißen kann mich dort nichts.
Striche und Kreuze
Mindestens so auffällig wie die vielen Kirchen und Kreuze in den Ortszentren, sind die zahlreichen „Clubs“ und Frauen an den Ortsrändern und entlang der Landstraßen. Wo Fernfahrer und Touristen (!) sind, lassen sie nicht lange auf sich warten. Wie „katholisch“ die Gesellschaft wirklich noch ist, kann ich nicht beurteilen. Vermutlich ist Spanien auch in dieser Hinsicht viel „moderner“ als man glaubt. In jedem Fall springt einem der scheinbare Gegensatz häufig ins Auge.
Bordelle und horizontal-gewerbliche Damen hat es schon immer gegeben. Der französische Mönch Aimeric Picaud zeigte sich seinerzeit von den Eindrücken am Jakobsweg entsetzt : „Die Dienstmägde der Wirtsleute am Wege nach Santiago, welche, aus Spaß an der Verführung und auch um Geld zu verdienen, nachts, auf Eingebung des Teufels, in die Betten der Pilger zu steigen pflegen, sind überaus tadelnswert.“ (Andreas Drouve, Kulturschock Spanien, Reise Know-How Verlag)
So so, die Pilger waren also auch nach Sonnenuntergang beschäftigt….
Religiöse Clubs
Weltliche Clubs
Striche...
...und Kreuze.
Heutzutage sind es wohl eher kriminelle Schieberbanden, die Frauen aus Lateinamerika und der Karibik nach Spanien schleusen und ausbeuten. Und wo sich Striche treffen, entstehen noch lange nicht zwangsläufig Kreuze.
(Daher einen ganz besonderen Dank an Maria für das Foto. (Ausgerechnet ‚Maria’, das lässt mich in dem Zusammenhang natürlich schmunzeln. Aber wahrscheinlich nennen sie sich fast alle Maria.)
Costa Brava II
Mit der Rückkehr nach Roses ist der Kreis um die iberische Halbinsel geschlossen. Die Entscheidung vor der Rückreise in den kühlen Norden noch einen Tag das Mittelmeer zu genießen fällt nicht schwer. Den Morgenkaffee trinke ich in der Bar am Fischereihafen. Ich treffe genau die selben Leute auf den selben Plätzen und der Parkplatzwächter begrüßt mich bereits. Wieder fühle ich mich angekommen.
Der Vormittag offeriert noch ein fantastisches Fahrvergnügen. Es geht über einen kleinen kurvenreichen Pass und in einer Linkskurve gelingt es an dem Porsche Boxster vorbeizukommen. Mein Grinsen könnte kaum breiter sein.
Cadaques empfängt mich mit einer wunderbar pittoresken Atmosphäre. Salvador Dali hat hier einen Teil seiner Kindheit verbracht und ließ sich nach seiner Rückkehr aus New York in Cadaques nieder.
Dali war da.
Cadaques
Um mir einen Überblick zu verschaffen lenke ich die Guzzi zunächst durch und um den Ort. Als ich mich entschließe zu den Bars am Strand zurückzukehren, bin ich ein wenig im Einbahnstraßengewirr gefangen. Zur Wahl steht geradeaus eine rumpelige Gasse, die wohl zu einer Art Ortsumgehung führt und die kleine, abschüssige Fußgängerzone links. Es ist noch relativ früh am Morgen und es sind kaum Leute unterwegs. Daher schwenke ich nach links, schalte den Motor aus, rolle stetig bremsend, vorsichtig in Richtung Wasser, um direkt in den Armen einer jungen Polizistin zu landen.
Die Härte des Gesetzes trifft mich voll. Ich nehme den Helm ab, entschuldige mich höflich auf Englisch und erhalte eine sehr ernste und couragierte Belehrung auf Spanisch. Ich bin fest davon überzeugt etliche Euro loszuwerden. Und letztendlich auch zu Recht. Ich bin nicht in Italien (wo Roller eh durch Fußgängerzonen fahren), sondern in Spanien. Und das ist ein wohl geordnetes und funktionierendes Land. Das ist auch gut so und es ist letztendlich auch einer der Gründe, warum ich mich als Gast dort so wohl fühle.
Soweit ich den Ausführungen folgen kann, muss ich der Gesetzeshüterin auch zustimmen, denn täglich kommen Touristen mit Pkw und Wohnmobilen und verstopfen die engen Gassen, weil sie Verkehrszeichen nicht richtig beachten (wollen). Meine Einsicht scheint sie glücklicherweise zu erreichen und ich komme mit einem blauen Auge davon.
Wieder in Roses
Nachmittags schlendere ich durch die Gassen und am Strand von Roses entlang und reflektiere genießerisch Erlebnisse, Erfahrungen und Emotionen der Reise.
Rückreise
Auf der Passhöhe an der Grenze zu Frankreich zwingen mich die Temperaturen bekleidungstechnisch wieder aufzurüsten. Fast vierhundert Kilometer gelingt es mir noch im Trockenen zu fahren, dann kommt die ungeliebte Regenpelle wieder zum Einsatz. Es regnet zwar nur über eine Distanz von rund zweihundert Kilometer, aber das Wetter bleibt zweifelhaft und die Regenkombi angezogen.
Das Bezahlen der Autobahnpassagen in Frankreich ist angesichts des Handschuh-Regenkombi-Ärmel-Problems wirklich keine spaßige Angelegenheit. Daher entschließe ich mich von vorneherein meine Tankgeldbörse in eine Regenkombitasche zu stauen und sie einfach mit der behandschuhten Hand zum Bezahlen rüberzureichen. Für das Personal in den Kassenhäuschen ist die Problematik offenbar bekannt. Mit einem wissenden Lächeln zeigen sie sich kooperativ und entnehmen einfach den erforderlichen Betrag, worüber ich wirklich dankbar bin.
Die ruhigen Rückfahrkilometer nutze ich dazu manches zu reflektieren. Von der Krise habe ich nichts mitbekommen. Aber dazu habe ich mangels Beherrschen der Sprache zu wenig intensiven Kontakt mit den Menschen gehabt. Wenn ein auswärtiger Reisender durch Deutschland fahren würde, ginge es ihm wohl ähnlich.
Die Landschaften haben mich sehr angenehm überrascht und ich werde ich mir die ein oder andere Gegend noch intensiver anschauen. Portugal, Galizien, die Pyrenäen und das Landesinnere stehen da ganz oben auf der Liste.
Verkehrswesen
Auch auf der iberischen Halbinsel versuchen die Zweiradfahrer die Wahrnehmung durch andere Verkehrsteilnehmer zu erhöhen. Sie geben ihr bestes, dies durch auffällige, knallige Bekleidung (T-Shirts, Tops, Strandkleidchen) zu erreichen…
Motorisierte Zweiräder haben vor allem in Städten eine wichtige Funktion im täglichen Individualverkehr. Die Fahrweise der Piloten, sagen wir mal, nutzt die Möglichkeiten der kompakten, einspurigen Fahrzeuge auf raumsparende Weise optimal aus. Sie mag manchmal sportlich erscheinen, ist aber längst nicht so halsbrecherisch wie in Italien.
Rolleraufkommen
Gemeinsam mit ihren italienischen Kollegen haben sie allerdings das ausgefeilte Gefühl für das richtige Timing beim Ampelstart. Was wäre eine Pole Position wert, wenn man mit dem Start bis zur Grünphase wartet ? Ein sauberer Start erfolgt etwa eine bis maximal eine halbe Sekunde vor dem Umspringen der Ampel auf grün...
Ampelstart
In Santander passiert mich eine junge Dame mit ihrem Roller rechts in einem Abstand, dass mich die Note ihres Parfüms umweht. Allerdings habe ich nicht herausfinden können, ob Jil Sander nun schneidiger fährt als Chanel No. 5.
Mit überaus beeindruckender Kreativität werden Motorroller auch für Schwer- und Gefahrgut-Transporte eingesetzt.
Alles was geht
Der Stand der Rollertechnik ist in Spanien, wie allgemein in Südeuropa, auf hohem Niveau. Leistungsstarke Motoren, 16 Zoll Räder und dynamische Verkleidungen machen es manchmal schwer, entgegenkommende Fahrzeuge der richtigen Zweiradgattung zuzuordnen. Im ländlichen Portugal überwiegen Mopeds, die meinem Jahrgang entsprechen könnten. Moderne Roller sind vorwiegend in den großen Städten anzutreffen.
Insgesamt war ich über die Verkehrsverhältnisse sehr angenehm überrascht. Die Straßenqualität ist in Portugal zwar deutlich schlechter als in Spanien, aber in Spanien oft besser als in Deutschland. Die Besiedlungsdichte im Binnenland ist gering und dementsprechend ist auf den Straßen wenig los. Im ländlichen Bereich sind die Autofahrer fast schon übervorsichtig zurückhaltend. Drängeln, schneiden, Gegenverkehr schneiden kommt im Grunde nicht vor.
Das absolute Gegenteil ist in Lissabon und Porto anzutreffen. Der Verkehr grenzt an Anarchie und erfordert ein gesundes Selbstbewusstsein um offensiv mitschwimmen zu können. Und wenn man glaubt es geht nichts weil der Verkehr völlig zum Erliegen gekommen ist, nähern sich futuristische Sirenen, die selbst Leutenant Uhura von Raumschiff Enterprise neidisch gemacht hätten. Jawohl „nähern“. Schwere Jungs in noch schwereren Geländewagen der Guardia Civil schaffen es unglaublicher Weise sich einen Weg zu bahnen.
Das "weißeste" Eisen in Granada :)
Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich mich auf den Straßen nie wirklich unwohl gefühlt habe. Und wer behauptet der Verkehr auf der iberischen Halbinsel sei gefährlich, dem empfehle ich eine Italienrundfahrt…
„Reisen ist tödlich für Vorurteile“, Mark Twain
Da ich wohl noch nie landeskundlich so schlecht vorbereitet zu einer Tour gestartet bin, teile ich diese Ansicht uneingeschränkt. Die Runde um die iberische Halbinsel hat meinen Horizont nach Süden deutlich erweitert und ich bin sehr froh um diese Erfahrung.
Neben der Vorstellung in ausgewählte Gegenden zurückzukehren, drängt sich mir noch ein ganz anderer Gedanke auf. Geografisch herausragende Ziele reizen mich außerordentlich. Diese Reise hat mich zu dem südlichsten und zu dem westlichsten Punkt Europas geführt. Den nördlichsten Punkt habe 1984 im Rahmen einer dreimonatigen Fahrradtour durch Skandinavien erreicht.
Wo liegt eigentlich des östlichste Punkt Europas?
Text und Fotos Andreas Thier 09/2009