Italien 2008
Mit der Guzzi rund um den italienischen Stiefel
Der Impuls
Ein Winterwochentag im Norden - der letzte Frost liegt lange zurück und der Arbeitstag kann zum Glück mit der Anfahrt auf der Bella beginnen. Den schützenden Hausbereich verlassend schlägt mir der mit sieben Grad milde aber stürmische Südwestwind entgegen. Regen peitscht auf dem Weg zum Carport ins Gesicht. Zuverlässig springt die Griso an. Das sonorige Brummeln lässt doch gleich das Herz höher schlagen. Helm auf, Visier halb runter, auf geht’s. Die unmittelbare, wunderschöne Rechts-Links-Rechts-Kombination ist ein guter Start in den Tag. Auf der Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal, mehr als fünfzig Meter über der Wasseroberfläche, erfordert der Südwest eine deutliche Schräglage. Vom Aufgang ist die Sonne noch weit entfernt, das Licht der Autoscheinwerfer bricht sich in den Regentropfen auf dem Visier… All das lässt die Gedanken schon mal in mediterrane Regionen jenseits der Alpen schweifen.
Warum nicht einmal ins Mutterland der Guzzi reisen? Gleich im Frühjahr, sobald die Alpenpässe schneefrei sind. Der Rückweg von der Arbeit führt an einer gut sortierten Buchhandlung vorbei. Vielleicht lassen sich die Gedanken mit entsprechender Lektüre vertiefen. Einer Empfehlung folgend lese ich in den nächsten Tagen ‚Italien für Anfänger’ von Olaf Borkner-Delcarlo. Es sind wirklich ‚unglaubliche Begegnungen der wahren Art’. Anfangs lässt mich vieles schmunzeln, wenngleich ich nicht mit dem Autor hätte tauschen wollen. Spätestens bei der Schilderung über die Konfiszierung der beiden Harleys in Rom bin ich mir nicht mehr sicher, ob ein Guzzi-Fahrer wirklich unbedingt mal ins Heimatland des Maschinchens muss.
Der Auftakt
Der Motor meiner Bella läuft schön rund, der Fahrtwind rauscht am Helm vorbei. Mit 13° C ist es kühl aber die Sonne scheint wenigstens. Ich bin unterwegs. Die ersten zehn Kilometer liegen hinter mir. Viele Dinge gehen mir noch durch den Kopf. Immerhin habe ich es geschafft, von der Stadtautobahn nicht zur Arbeitsstätte abzubiegen sondern den Weg in Richtung Hamburg fortzusetzen…
Erst mit der Ausfahrt aus dem Elbtunnel und dem Abbiegen auf die A7 schleicht sich allmählich das Gefühl ein, wirklich unterwegs zu sein. Arbeit und Alltag verschwinden langsam am Horizont hinter mir. Es ist Freitag der 2. Mai, etwa 0930. Mit leichtem Erstaunen registriere ich, wie schön die Landschaft hier ist. Am Harz vorbei geht es weiter in Richtung Süden.
Ein lautes, knatterndes Röhren weckt die Aufmerksamkeit für einen Blick in den Rückspiegel. Und schon ist sie vorbeigezogen. Eine Dänin auf einer Harley mit Gepäck. Ihre blonden Haare wehen aus dem offenen Helm und sie macht mächtig Druck auf der linken Spur. Ich wechsele nach links und versuche mich dranzuhängen. Nach kurzer Zeit lasse ich mich jedoch nach rechts zurückfallen und schwimme einfach mit dem Verkehr mit. Die junge Dame ist mir etwas zu hektisch unterwegs. Schmunzelnd stelle ich mir ihr heimliches Grinsen vor. Immerhin staune ich nicht schlecht, dass eine Harley überhaupt dauerhaft so flott läuft und dass sich jemand mit seiner Harley so weit traut. Manchmal scheinen sie Langstrecken eher auf Trailern zurückzulegen.
Vor mir liegen noch so viele Kilometer und ich habe nun wirklich keinen Zeitdruck. Ohne feste Tagesplanung will ich mich einfach treiben lassen. Es geht zügig voran und es herrscht wenig Verkehr. Die Griso bietet für mich persönlich eine sehr gute Ergonomie. Nicht zu sportlich (zu viel Last auf den Handgelenken), nicht zu aufrecht (zu viel Winddruck). Nachmittags spiele ich noch etwas das ‚Sonnenbrillenspiel’. Kaum habe ich die Brille aufgesetzt, zieht es sich zu. Verstaue ich sie wieder im Tankrucksack, kommt prompt die Sonne wieder raus. Okay. Das Ding bleibt eingepackt, denn ich ziehe es vor, bei Sonnenschein zu fahren. Würzburg und Nürnberg bleiben rechts liegen und bei km 810 auf dem Münchener Ring erscheinen die Alpen mit den schneebedeckten Gipfeln vor mir. Ich bin verzückt. Ein schöner Anblick. Der Tag ist vorangeschritten und die Sonne steht bereits tief. Bei Irschenberg schaut man in die Ebene des Chiemsees. Eine wunderschöne Landschaft, die in dem besonderen Licht etwas an kitschige Heiligenbildchen erinnert (aber ich befinde mich ja auch in Bayern…).
Bei Rosenheim ist nach 900 km Schluss für heute. Ich habe etwas geschafft, ohne geschafft zu sein. Mit einem zufriedenen Gefühl, dem Ziel deutlich näher gekommen zu sein, lasse ich den Tag ausklingen.
Bella Italia
Am folgenden Tag steht die Alpenquerung an. Trotz Sonnenschein muss ich bei nur 12 ° C den Kragen hoch schlagen. An Salzburg vorbei führt die Route in Richtung Villach. Viele Alpenpässe scheinen noch nicht befahrbar zu sein. Am Katschbergtunnel wird deutlich, dass die letzten Schneefälle noch nicht so lange zurück liegen.
Alpenquerung
Ich genieße das Alpenpanorama und bin angenehm über das geringe Verkehrsaufkommen überrascht. Den ersten Kontakt mit Italien bekomme ich in den julischen Alpen, südlich von Tarvisio. Die Temperatur steigt auf 25 ° C und ich lege das warme Unterzeug ab. Es ist bemerkenswert, wie sich abrupt alles ändert. Die Straßen und die forsche Fahrweise fallen natürlich als erstes auf. Ausgetrocknete Flusstäler mit viel Geröll hinterlassen eine wage Vorstellung, wie es wohl zu Zeiten der Schneeschmelze aussehen könnte.
Nach nun 1310 km bekomme ich das Mittelmeer zu fassen und kann mich an der Lagunenlandschaft kaum satt sehen. Euphorisch genieße ich die letzten 14 km nach Grado. Es ist Samstag und der Ausflugsverkehr ist rege. In Grado steuere ich eine Bar (Café) an und beobachte die flanierenden Menschen unter der Sonne des Südens. Der Campingplatz ist vorzüglich. Überraschenderweise gibt es noch mehr Mücken als Österreicher hier. Vom Strand aus fällt der Blick mit der untergehenden Sonne auf Istrien.
Grado
Impressionen auf dem Weg nach Süden
Landstraßen-Cruisen pur durch die reiche Landwirtschaft der Region Veneto steht für den Folgetag auf dem Programm. Die Route sollte ungewöhnlicherweise seeseitig, also über die Lagunenhalbinsel, an Venedig vorbei führen. Ich wusste, dass eine entsprechende Autofähre dies ermöglicht. Was ich allerdings nicht wusste, sie ist nur montags und freitags im Einsatz. Und heute ist Sonntag. Punta Sabbioni ist ein regelrechter Touristenumschlagplatz. Also heißt es den Lido di Jesola wieder retour fahren und konventionell an Venedig vorbei gondeln. Die weitflächige Po Ebene in der Emilia Romana bietet offensichtlich beste Vorraussetzungen für die Landwirtschaft. Ich tingele an der Küste längs und pausiere in dem ein und anderen kleinen Ort. Entweder suche ich dazu die Piazza oder den Hafen auf. Dort ist man mittendrin im Leben.
Auf den Überlandstraßen wird deutlich, dass Italien ein dicht besiedeltes Land ist und die Menschen am Wochenende die Naherholungsziele aufsuchen. Es herrscht dichter Verkehr mit ausgesprochen ‚sportlicher’ Fahrweise. Ich beginne, mich der allgemeinen Dynamik anzupassen. Das Tankstellennetz ist in ganz Italien recht dicht. Sonntags ist allerdings größtenteils Self Service angesagt. Das heißt, man sollte sich vorher mit kleinen Banknoten für die geldscheinschluckenden Zapfsäulen eindecken.
Rimini, das große Urlaubsziel der sechziger Jahre, empfinde ich als sehr quirlige und etwas anstrengende Stadt. Der ‚Urlaubsteil’ der Stadt ist geprägt von eng abgesteckten Stränden und einer Promenade mit Bars an der stark frequentierten Uferstraße, die wiederum landseitig von hohen Hotelbauten flankiert ist.
Die Straßen in zweiter und dritter Reihe sind Touristennepp in Reinkultur. Laut, bunt, durcheinander und irgendwie billig. Der Himmel zeigt Anzeichen von aufkommendem Regen. Auf den Abstecher nach San Marino verzichte ich daher. Mein Zelt stelle ich auf einem komfortablen Campingplatz in Riccione auf.
Eine italienische Lösung
Am kommenden Morgen starte ich zunächst auf der Autostrada. Es hat gestern viel Zeit gekostet, sich durch Rimini zu wuseln und ich bin neugierig auf den Süden. Ancona und Civitanova bleiben daher links liegen. Die Landschaft ist nun durch den Appenino Umbro geprägt, dessen Ausläufer bis an die Küste reichen. Die Trasse der Autostrada verläuft in leichter Hanglage und ermöglicht wunderbare Einblicke in den Appenino und auf die kleinen Orte an der Küste. Panorama pur. Später wechsele ich auf die Küstenstraße und pausiere in Pescara am Hafen. Ich habe das Gefühl, mich bereits gut in den Verkehr zu integrieren und das Fahren mit all den schönen Ausblicken hat trotz des starken Verkehrs eine gewisse Leichtigkeit. Dennoch sehne ich mich nach etwas Ruhe und hoffe, diese auf dem ‚Fersensporn’ Promentorio del Gargano zu finden. Die Halbinsel zeichnet sich bereits am Horizont ab, ebenso wie die dunklen Regenwolken. Zudem weht schon den ganzen Tag Starkwind aus Südost. Ich beeile mich und hoffe, noch trocken zu einem Campingplatz an der landschaftlich schönen Küste zu gelangen.
Abseits der Hauptrouten geht es beschaulich zu.
Die verkehrsreiche Küstenstraße zu verlassen und auf einsamen Straßen in Richtung Vieste zu fahren ist nahezu berauschend. Wie herrlich es ist, mal kein Verkehrsgewusel um sich herum zu haben. Allerdings schaue ich immer öfter mit Skepsis gen Himmel. Der Regen setzt dann schlagartig ein und verpasst mir eine fette Breitseite. Auf die Regenpelle verzichte ich. Es ist ja nicht mehr weit. Die Straße wird schmaler und windet sich eng an den Hang geschmiegt der Küste entgegen Die ersten Abwärtsserpentinen tauchen auf. Ich suche meine Linie und schaue rechtzeitig nach der nächsten Kurve. Plötzlich ragt im Inneren einer Kurve auf Schulterhöhe etwas in den Fahrbahnbereich. Instinktiv versuche ich auszuweichen, öffne die Linie, bremse etwas an, um anschließend die Linie wieder enger zu zirkeln. Dazu komme ich allerdings gar nicht mehr. Das Vorderrad verliert den Grip und rutscht weg. Meine Bella legt sich mit der rechten Seite auf den Asphalt. Noch während des Rutschens springt mich der Gedanke an ‚…shit, irgendwann passiert es eben mal, aber muss es ausgerechnet JETZT auf der Tour sein….’?
Sturzschaden
Mir ist nix passiert, ich rappele mich auf und stelle fest, dass ich zum Glück ruhig und gefasst bin. Ein Bike am Boden ist immer ein trauriger Anblick. Ich richte meine Griso wieder auf und beginne mit dem Inspizieren. Der erste Eindruck macht Hoffnung. Kein Kraftstoff ausgelaufen. Handbremshebel und Spiegel ok. Lenker ok. Taschen und Träger ok. Rechter Zylinder in Ordnung, Sturzpad ordentlich verschrammt, na gut, dafür ist es ja da.
Aber was ist das ? Oh nein ! Die Befestigung des Hinterradbremshebels ist abgebrochen und der Bremshebel hängt schlapp herunter. Oh, oh…das ist Aluminiumguß. Denn mal weiter. Sitzbank runter, Batterie ist auch in Ordnung. Keine Säure ausgelaufen. Und nun der entscheidende Test. Springt sie an ? Erwartungsvoll drehe ich den Zündschlüssel und nach tiefem Luftholen betätige ich den Anlasser. Erleichterung macht sich breit. Okay. Sie läuft. Also wird es auch irgendwie weiter gehen, denke ich.
Die gesammelten Fakten liegen auf der Hand und ich beginne mögliche Optionen zu durchdenken. Noch bevor ich einen Gedanken fassen kann, hält ein Kleinwagen und eine junge Frau mit ihrem Sohn steigt aus. Mit meinen paar italienischen Vokabeln und viel Phantasie versuche ich ihr einen Überblick über die Lage zu geben. Vielsagend zückt sie ihr Handy. Der Versuch zu telefonieren scheitert allerdings. Durch die Topographie bedingt befinden wir uns in einem Funkloch. Na super! Kein Problem, sie schwingt sich ins Auto und fährt bergwärts. Nach ein paar Minuten kommt sie retour. Wenn ich sie richtig verstehe, kennt sie jemanden, der jemanden kennt, der Mechaniker ist und sich bereits auf dem Weg befindet. Es ist bereits fast 1800 Uhr. Sie verabschiedet sich, ich bedanke mich und bleibe mit einem angeschlagenen Motorrad zurück im strömenden Regen, in ‚the middle of nowhere‘ (so kommt es mir jedenfalls vor). Ist das jetzt das Ende meiner Tour, die ich mit so viel Elan begonnen habe ? Jetzt und hier, nach nur 2160 km soll alles zu Ende sein ? Ich ärgere mich über mich selbst. Denn ich bin letztendlich wegen einem Fahrfehler gestürzt und nicht wegen Fremdeinfluß oder so. Ich denke das Manöver an sich war okay. Linie öffnen und schließen habe ich oft geübt. Aber den bei Regen wirklich schmierseifenglatten Straßen habe ich nicht genügend Respekt gezollt. Und das ‚Hindernis’ war letztendlich nur ein ganz dünner Zweig. Da hätte ich auch einfach weiter fahren können. Das habe ich eben nicht schnell genug erkannt.
Entschlossen sage ich zu mir selbst NEIN. Das wird nicht das Ende sein. Meine Griso ist angeschlagen aber nicht völlig fahruntüchtig.
In dem Moment hält wieder ein Auto. Ein junger Mann steigt aus und kommt auf mich zu. Seine ölverschmierte Latzhose zeichnet ihn eindeutig als Mann vom Fach aus. Ich atme auf. Wir verständigen uns so gut es geht und er gibt sich zuversichtlich, dass sich da was machen ließe. Wir müssten eben nur zur Werkstatt seines Vaters kommen. Zum Glück liegt der Ort, in dem sich die Werkstatt befindet bergwärts. Er fährt vor und ich folge ihm in die Hinterhofwerkstatt in Vico del Gargano. Unnötig zu erwähnen, dass es im Verkehr des Ortes nicht wirklich witzig war, nur so mit der Vorderradbremse bei Regen. Die Werkstatt füllt sich schnell mit Männern unterschiedler Generationen. Ein lebhaftes Palaver bricht aus. Jeder erkundigt sich, ob es mir gut geht oder ob ich vielleicht verletzt sei. Noch ehe ich alle Fragen beantwortet habe, hat Guilamo die betroffene Rahmendeckplatte bereits demontiert.
In der rettenden Werkstatt
Das Bauteil mit der Bruchstelle zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Alle werfen einen Blick auf die Bruchstelle und geben Kommentare dazu ab. Guilamo nickt mir beruhigend zu, schwingt sich ins Auto und flitzt davon. Die Ansammlung löst sich langsam auf und jeder wünscht mir noch eine gute Reise. Gute Reise ist gut, denke ich. Derzeit steht noch ein gewisses Problem dazwischen. Zwanzig Minuten später braust Guilamo mit quietschenden Bremsen auf den Hof.
Meine Spannung steigt ins Unermessliche und ich versuche aus seinem Gesicht zu lesen. Er kommt lächelnd auf mich zu, ein gutes Zeichen…. Er kannte jemanden im Ort, der in Lage war, Aluminiumguß zu schweißen. Mir fällt ein Fels vom Herz. Das sieht richtig solide aus. Guilamo klopft auf das gute Stück und deutet mir an, dass das locker bis Deutschland hält. Schnell wird noch ein bisschen schwarze Farbe aufgesprüht und das gute Stück wird wieder montiert….und die Bremse funktioniert. Lediglich die Gewindeöse für den Bremslichtsensor hat gelitten. Macht nichts, fahre ich eben ohne Bremslicht. Das soll wirklich mein kleinstes Problem sein. Es ist sieben Uhr abends und meine Bella ist wieder startklar. Ich kann es kaum glauben. Ich könnte sie alle umarmen und knutschen. Der Lohn, den er verlangt ist derart bescheiden, dass ich ihn großzügig und völlig angemessen stark aufrunde.
Heilkunde
Es regnet noch immer in Strömen und ich steige im Hotel vor Ort ab. Was für ein Tag…! Diese engagierte und herzliche Hilfsbereitschaft mit vielen helfenden Händen, unkonventionellen Lösungen und einem Netzwerk von Leuten, die sich mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten ergänzen, haben mir die Lebensweise der Leute bestimmt einiges näher gebracht. Mein Problem wurde auf italienische Art gelöst.
Follow me
Der nächste Tag beginnt mit einem wolkenverhangenen Himmel und fetten Regenschauern. In dem Hotelzimmer konnte ich über Nacht meine gesamte Ausrüstung inklusive Zelt trocknen. Beim Start stelle ich fest, dass ich abends vergessen hatte, meine nassen Handschuhe aus dem Helm zu nehmen. Na gut, man kann nicht alles haben. Ein feuchtes Helmfutter werde ich nun auch noch überleben.
Von der Guzzi Hotline habe ich mir ein paar Adressen von autorisierten Werkstätten durchgeben lassen. Foggia ist nicht nur der nächste Stützpunkt, sondern es liegt sogar in meiner Richtung. Auf die Umfahrung der gesamten Gargano Halbinsel verzichte ich unter diesen Umständen. Aber immerhin ist mein Selbstbewusstsein groß genug, dass ich ohne Bedenken über Landstraßen und nicht über die Autostrada nach Foggia fahre. Es ist eindeutig festzustellen, dass die Landstraßen im Süden bei Regen äußerste Aufmerksamkeit erfordern. Staub, viel Staub aus der Landwirtschaft, Ölflecken, Abgase und eine glatte Oberfläche, die kaum Verzahnung mit Reifengummi ermöglicht, alles ist wie pure Schmierseife.
Foggia ist nicht gerade eine kleine Stadt. Am Rande des Zentrums angekommen, gebe ich mich nicht der Illusion hin, dass ich mich einfach zu der gesuchten Adresse durchfragen kann. Daher steuere ich, mit der Hoffnung einen Stadtplan in die Hände zu bekommen, die erste Tankstelle an. Es gibt natürlich keine Stadtpläne. Wer in Foggia ist, weiß offenbar wo er hin will. Ein Postbote mit Motorroller bekommt meine Fragerei mit und nach einem kurzen Telefonat erklärt er sich bereit, mich zu der Adresse zu leiten. ‚Follow me’ fordert er mich auf und schon geht es los. Die folgenden zehn Minuten sind die aufregendsten, die ich bisher in meinem Motorradfahrerdasein erlebt habe. Ich weiß bis heute nicht genau, wie es mir gelungen ist, mich nicht von dem Postscooter abhängen zu lassen. Anders hätte ich das Ziel aber niemals gefunden. Mit Sicherheit sind dafür einige graue Haare dazugekommen.
Der autorisierte Stützpunkt entpuppt sich letztendlich als Werkstatt des örtlichen Polizeifuhrparks. Na, wenn da bei der Hotline nicht jemand die Händler- mit der Kundendatei verwechselt hat. Jedenfalls ist es kein kommerzieller Stützpunkt und ich will den Polizeimonteuren nicht auf die Nase binden, dass mein Bremslicht nicht funktioniert. Sonst ziehen sie womöglich meine Guzzi aus dem Verkehr. Ich verabschiede mich schnell mit dem Hinweis, dass mein Problem nicht gar nicht so groß sei.
Auf dem Weg aus Foggia heraus entdecke ich zufällig ein größeres Motorradgeschäft mit Werkstatt. Spontan fahre ich auf den Hof. Einige Telefonate später erweist sich die Idee, eine neue Rahmendeckplatte von der Guzzizentrale an einen Guzzi Händler in Catania (Sizilien) zu senden als sehr vages Unterfangen. Das Ersatzteil ist zwar lagerhaltig aber der Versand und der Zeitpunkt des Eintreffens bleiben mehr als nebulös. Ich finde mich bereits damit ab, die Tour ohne Bremslicht fortzusetzen. Einer der Burschen aus der Werkstatt gibt sich damit nicht zufrieden und schwups ist die Deckplatte demontiert. Es gelingt ihm, die durchs Schweißen untauglich gewordene Gewindeöse für den Bremslichtsensor aufzubohren und ein neues Gewinde hinein zuschneiden. Zehn Minuten später steht meine Bella wieder völlig funktionstüchtig auf dem Hof. Das Gefühl ist schwer zu beschreiben. In jedem Fall bin ich dankbar und glücklich.
Capo S. Maria de Leuca
Sichtlich froh wieder unterwegs zu sein, benutze ich zunächst die Autostrada gen Süden. Der Wind weht immer noch sehr stark aus Südost. Sobald ich mich wieder der Küste nähere, sind Schaumkronen auf dem Wasser zu sehen. Bari und Brindisi erschlagen mich fast mit ihren Eindrücken. Flachdachbauweise mit Antennen auf den Dächern lassen mich einen Moment grübeln, ob dies nicht irgendwie schon der Übergang zum Orient ist. Die Peripherie ist geprägt von halbfertigen oder halbverfallenden Gewerbegebieten, Staub und vom Wind verwehter Müll. Prostituierte stehen in all dem an den Straßenrändern und hoffen auf ein Geschäft mit den zahlreichen Truckern. Die Transithäfen bieten Anbindungen an Griechenland und die Türkei. Es ist nicht viel Phantasie notwendig, um sich vorzustellen, dass es hier nicht nur die vom Zoll abgestempelten Warenströme gibt. Bettler, windige, fliegende Händler und Autoscheibenputzer bevölkern die großen Kreuzungen. Das Treiben und die Menschen wirken fremd aber auch aufregend auf mich. Übernachten will ich hier allerdings nirgendwo.
Der Tag schreitet bereits voran. Aber ich habe die Hoffnung, es noch bis in die Spitze des Stiefelabsatzes zu schaffen. Südlich von Lecce erblicke ich öfter Frauen mittleren Alters, die fast komplett in Schwarz gekleidet sind. Männer sitzen in den Dorfdurchfahrtsstraßen oder auf den Piazzas und schauen mich mit mir dunkel erscheinenden Augen an. Die Straßen in den Orten sind teilweise völlig desolat und ich stehe manchmal in den Fußrasten, um mir das Fahren erträglicher zu machen. An den Piazzas bestehen die Fahrbahnen manchmal aus gehauenen Steinen, glatt wie Marmor. An den Dorfrändern hetzen einem schon mal streunende Hunde hinterher.
Die letzten Kilometer ziehen sich ziemlich hin. Zudem fängt es wieder an zu regnen. Mit dem letzten Büchsenlicht erreiche ich Santa Maria di Leuca. Ein malerischer Ort mit Yachthafen. Einen geöffneten Campingplatz gibt es hier nicht, die Pensionen und Hotels haben noch längst nicht alle geöffnet. Es ist Vorsaison. Ich frage einen jungen Mann, der aus einer Bar kommt und zu seinem Wagen geht, nach einer möglichen Unterkunft. Er bietet mir an, ihm zu einem geöffneten Hotel zu folgen, was ich dankend annehme.
Was für ein aufregender Tag.
Ich gönne mir eine Dusche und ein wirklich gutes Essen im Restaurant des Hotels. Anschließend vertrete ich mir die Beine am Strand vor dem Hotel. Der Regen hat aufgehört. Der Lichtstrahl des Leuchtturms zieht gleichmäßig seine Bahn. Irgendwo hinter dem Horizont liegt Afrika. Fünf Tage bin ich nun unterwegs und meine tapfere 850er Griso hat mich 2618 Kilometer weit getragen. Der Alltag ist so weit entfernt, als sei ich bereits Wochen unterwegs. Mit einem Gefühl tiefer Zufriedenheit klettere ich anschließend ins Bett. Die Vorhänge habe ich nicht zugezogen. Der wiederkehrende Schein des Leuchtturms huscht an den Zimmerwänden entlang. Mit dem beruhigenden Lichtsignal schlafe ich ein.
Santa Maria di Leuca
Kalabrien
Die Sonne weckt mich und aktiviert die Lebensgeister. Nach einer kleinen Runde durch dieses schöne Örtchen gehe ich auf Kurs. Die folgenden sechshundert Kilometer folgen schlichtweg der Küstenstraße bis in die Stiefelspitze. Es ist ein sehr versöhnliches Reisen.
Historischer Signalturm, Golf von Taranto
Taranto, als Hafen und Standort für Petrochemie und Metallerzeugung, ist die einzige große Stadt auf diesem Weg und der Hauptverkehrsstrom fließt auf der Westseite des Stiefels entlang. Die Küstenstraße ist für italienische Verhältnisse nahezu einsam. Tourismus existiert hier nur in Form von Naherholungszielen. Ich tauche in die Küstenlandschaft Kalabriens ein.
Der südliche Süden ist wirklich anders. Die Sprache klingt für mein laienhaftes Ohr nicht mehr so richtig italienisch und die Menschen machen mir gegenüber einen verschlosseneren Eindruck. Die Ortsbilder sind oft geprägt durch Flachdachbauten und oberirdischer Verkabelung. Es ist Vorsaison und manche Orte erscheinen fast verlassen. Das Durchfahren der etwas größeren Orte kostet wegen des dichten Verkehrs innerorts oft viel Zeit. Staub und Schmutz sind meinem Empfinden nach allgegenwärtig. Müll tritt als organisatorische (Entsorgung) und individuelle (einfach was fallen lassen) Erscheinung auf und kann gelinde gesagt einfach nicht ignoriert werden. Immerhin scheinen die streunenden Hunde davon existieren zu können. Nächtliches Gejaule und Gebelle zeugt von Revierkämpfen. Ebenfalls unmöglich zu ignorieren sind die zahlreichen Bauruinen. Sie lassen sich in Orten jeder Größe finden und sind wohl groteske Zeugen krimineller Bauspekulation großen Stils.
Bauruinen
Der erste Blick auf die Straße von Messina mit dem bergigen Sizilien ist schwer beeindruckend. Durchgehende Großschiffe sehen aus der Vogelperspektive wie Spielzeugschiffe aus. Um dem quirligen Reggio di Calabria zu entgehen, peile ich den nordwärts gelegenen Fährhafen in Villa San Giovanni an.
Sizilien
Messina empfängt mich mit einem Verkehrsgetümmel, dass ständig versucht die Situation von Foggia zu toppen. Ich lasse mich aber nicht aus der Ruhe bringen. Jetzt nicht mehr. Die Autostrada führt mich rasch aus dem Einzugsgebiet der Stadt an die Nordküste Siziliens. Die Insel zieht mich in ihren Bann und ich lasse mich von der faszinierenden Szenerie tragen. Sonne, Berge, Meer, Vulkaninseln und Palmen, die die Straße säumen, fühlen sich einfach traumhaft an. In Falcone findet sich am Meer ein Platz für das Zelt. Mit Meeresrauschen schlummere ich später ein.
Die Flagge Siziliens hat eine Geschichte, die bis in das Jahr 1282 zurück reicht.
Cefalu
Gemütlich geht es am Folgetag weiter nach Cefalu. Dieses mediterrane Städtchen mit der normannischen Kirche versprüht einen ganz eigenen intensiven Charme. Ich möchte unbedingt hier etwas Lustwandeln, weiß aber noch nicht wohin mit der Guzzi. Wie so vieles auf dieser Reise findet sich auch hier der richtige Weg ohne, dass er planbar gewesen wäre. Ich fahre um die Altstadt, um mir einen Überblick zu verschaffen. Aus dem Augenwinkel nehme ich den Beginn der Fußgängerzone wahr. Höchst aufmerksam wacht eine blonde Polizistin darüber, wer als Anlieger den Bereich befahren darf oder eben nicht.
Cefalu
Spontan biege ich ab und fahre auf die Dame zu, halte knapp vor ihr und nehme den Helm ab. Sie hat die Ärmel ihrer Uniform hoch geschoben und läßt ihre Trillerpfeife lässig an der silbernen Kette kreisen. Sie schaut mich herausfordernd an, läßt mir aber das erste Wort. Wir beginnen eine lebhafte aber höfliche Diskussion… Lange Rede kurzer Schluss. Meine Guzzi darf im absoluten Halteverbot stehen und wird von der Staatsgewalt bewacht.
Klare Ansage
Ich wandele umher und lasse das Örtchen auf mich wirken, führe mein Tagebuch und überschlage den weiteren Reiseverlauf. Hinter mir liegen bereits mehr als 3400 km und ich habe viele intensive Eindrücke von Italien bekommen. Auf den Balearen regnet es heftig und das Wetter zieht gen Osten, in meine Richtung. Es stehen noch sieben verbleibende Reisetage zur Verfügung. Ich beschließe, die komplette Umrundung der Insel aufzugeben und auf eine kleine Runde zu beschränken. Das kulturhistorische Sizilien ist wahrhaft eine eigene Reise wert.
Impressionen aus Cefalu
Über die Autostrada quere ich die Insel in Richtung Catania und fahre eine ganze Weile mit Blick auf den Ätna.
In Mazzaro an der Ostküste findet sich ein Quartier an der felsigen Küste mit romantischen Buchten. Von dort verkehrt eine kleine Seilbahn nach Taormina, einem weiteren touristischen Höhepunkt der Insel. Insgesamt war ich angenehm überrascht wie gut Sizilien touristisch erschlossen ist.
Der nächste Tag ist ein Samstag und früh am Morgen schläft der Verkehr in Messina noch einigermaßen. Zum Glück. Fähre und Schiffspersonal erscheinen mir (als Küstenbewohner) nicht wirklich vertrauenswürdig. Entgegen der Sicherheits-Beschilderung bleibe ich schön bei meinem Moped, wie übrigens auch alle Autofahrer in ihren Fahrzeugen bleiben.
Kalabrien II
Als ich Sizilien an der Ostküste verlasse, regnet es bereits an der Westspitze. Die Autostrada führt mich nordwärts. Es handelt sich keineswegs um eine autobahnähnliche Strecke. Die Kurvenradien wären in Deutschland höchstens für Bundesstraßen zulässig. Aber genau das macht die Strecke interessant. Ich empfinde die Autostrada als prächtigen Panorama Highway. Stressfreies Fahren mit ganz viel Landschaft.
Strände Napoli - Rom
Die großen Städte haben ohne Zweifel ihre Reize. Aber sie sind nicht Thema meiner Reise. Neapel umfahre ich großzügig und gelange bei Minturno wieder an die Küste. Wunderbare Sandstrände und Dünen begleiten mich auf dem Weg nach Ostia bei Rom. Im Hochsommer ist hier bestimmt wahnsinnig viel los. Ich genieße den Blick aufs Meer und schwebe mit halboffener Jacke durch die Landschaft. Mit zunehmender Nähe zu Rom wird es immer erschlossener (in Form von Strandkiosken etc.) und damit nicht unbedingt attraktiver.
Scheinbar führen doch nicht alle Wege nach Rom...
Toscana
Die Toscana empfinde ich als liebliche und kultivierte Landschaft. Hier lohnt es sich mit Sicherheit einen separaten Urlaub zu verbringen. Aus dem ‚wilden Süden’ kommend, ist es mir hier aber momentan fast etwas zu geordnet.
Am Rande der Toskana
Am Nachmittag beobachte ich eine Weile eine dicke Gewitterwolke, die in den Hügeln des Hinterlandes festzuhängen scheint. Als ich mich wieder der Küste nähere, schiebt sich leider dieses Wolkengebilde ebenfalls auf die Küste zu. Die ersten Blitze zucken und vereinzelt fallen dicke Regentropfen. Gerade rechtzeitig kann ich mich in ein Örtchen retten und finde Unterschlupf in einer ‚Niederlassung‘ von ‚Euro Döner Worms’.
Auf den folgenden zehn Kilometern sehe ich mindestens vier Hinweisschilder auf die Campingplätze im nächsten Ort. Mit Passieren des Ortseinganges fällt leider die weitere Beschilderung aus. Mit einigem Nachfragen gelange ich endlich zu einem Campingplatz. Geschlossen. Na toll. Also retour und erneut das Publikum befragen. Und Treffer. Der Tag ist nun doch etwas länger geworden.
Da ich am nächsten Tag bis zum Lago di Como möchte, erkundige ich mich, wann die Pforte aufgeschlossen wird. 0900 Uhr ist die Auskunft. Ich gebe zu bedenken, dass ich eigentlich vorhabe früh zu starten. Eventuell, aber wirklich nur eventuell sei auch schon jemand um 0800 Uhr zugegen lautet die wage Auskunft.
Am nächsten Morgen werde ich relativ früh wach. Der Blick aus dem Zelt fällt auf die regenschwangeren Wolken im Südwesten. Da das Zelt noch trocken ist beschließe ich einen Frühstart. Mit der Auskunft von gestern wäre es faktisch sinnvoller, sich noch für eine Stunde umzudrehen. Aber ich bin in Italien und hier gibt es immer irgendeine Lösung. Ohne zu zögern stehe ich auf, packe meinen Kram zusammen und stehe um 0700 Uhr an der Pforte. Zehn Minuten später habe ich bezahlt und bin ‚on the road’. Ich glaube, so ganz allmählich dämmert es mir wie dieses Land funktioniert.
Ligurische Küste
Wider Erwarten bleibt es nicht nur trocken sondern die Sonne zeigt sich noch von ihrer besten Seite. An der ligurischen Küste spürt man, dass es schon früher eine Region reicher Kaufleute war. Über den Appennino Ligure geht es in die flache Po Ebene in Richtung Mailand.
Mandello
Die Umfahrung von Milano gelingt zum Glück ohne größere Staus und ich fahre gleich bis Mandello del Lario durch. Das Timing ist perfekt. Es ist noch Zeit für ein gemütliches Käffchen, dann geht es ins Guzzi-Museum. Natürlich nicht ohne vorher das obligatorische Foto vor dem Werkstor geschossen zu haben.
Pilgerstätte Mandello del Lario
Ich komme mit zwei Engländern ins Gespräch und wir schlendern zusammen durch die heiligen Hallen. Einer der beiden meint, dass er zu alt für seine Ducati sei, aber noch zu jung für eine BMW. Martin ist 62 Jahre alt. Daher soll es nun eine Guzzi werden. Im Museum bleiben wir lachend vor so einer Art Vertikulierer stehen und ich lasse die Bemerkung fallen, dass er nicht auf ‚eine Guzzi’ verzichten muss, wenn er mal zu alt für eine BMW sei.
Guzzi Kundschaft
Die Guzzi für die Zeit nach der BMW...
Auch wenn die Produktion mittlerweile an einen modernen Standort verlagert ist, weht auf dem alten Werksgelände ordentlich Benzin durch die Luft. Die historischen Guzzimodelle sind klasse. Die Platzhirsche sind unbestritten die Testfahrer, die immer wieder ausschwärmen. Und es funktioniert doch…..ein Wheelie mit ner Griso….
Lago, Lago, Lago
Kurven, Kurven, Kurven. Die oberitalienischen Seen sind wirklich Bikers Paradise. Es ist fast zwanzig Jahre her, dass ich das letzte mal hier war und ich habe das Gefühl, es ist noch schöner geworden. Der Weg führt zunächst zurück nach Lecco. Nach dem morgendlichen Cappu am See und einem Blick in den Ort ist nur noch Genuß-Cruisen angesagt.
Lago Maggiore
Die Szenerie der Berge und der Seen ist einfach fantastisch. Hinter jeder Kurve erscheint ein neues Panorama wie aus dem Bilderbuch. Zudem hält sich der Verkehr zu dieser Jahreszeit in Grenzen. Vorbei am Lago di Como, Lago Lugano geht es an den Lago Maggiore. In Cannobio finde ich ein schönes Café, genieße die Aussicht, schreibe mein Reisetagebuch und studiere die Karten für den Rückweg.
Stärkung
San Bernadino
Die Passhöhe ist gesperrt und der Verkehr wird durch den Tunnel geleitet. Aber die schön schwingende Passstraße ist einfach nur geil. Es gibt sicherlich Motorräder, die einfacher durch die Kurven zu führen sind. Die Griso erfordert schon Einsatz. Aber genau das zaubert eben das gewisse Grinsen ins Gesicht. Die Griso ist wirklich genau mein Moped. Die Tour hat mich noch wesentlich stärker mit der Bella verwachsen lassen. Am liebsten würde ich noch einmal runter und wieder rauf fahren….
San Bernadino
Elbtunnel
Zwei Etappenorte liegen nun noch vor mir. Mit einem Besuch bei einer guten Bekannten und meinen Eltern klingt die Tour allmählich aus. Im Sauerland versäume ich es nicht, noch einmal über ein paar Strecken von früher zu bügeln. Und fast wäre ich doch noch in Rom gelandet….Auf der letzten Strecke gibt es dann nur einen trockenen Abschnitt, den Elbtunnel. Satte 423 Kilometer bei fettem Dauerregen sind nicht wirklich ein krönender Abschluss. Nach der gelungenen Tour tangiert mich das aber auch nicht wirklich.
6.646 km liegen hinter mir und ich bereue nicht einen Meter. Gestartet mit dem Ziel, einen Überblick über Italien zu bekommen, kehre ich mit sehr vielen intensiven Eindrücken heim.
Über das Ein oder Andere werde ich sicherlich noch einige Zeit nachdenken, um es besser zu verstehen. In jedem Fall habe ich Erfahrungen gemacht und Erlebnisse gehabt, die man nicht vergisst und die den Blick dafür öffnen, Italien ein klein wenig besser zu verstehen.
Die Guzzi hat sich bestens bewährt und ich bin mehr als zufrieden mit ihr.(Und vielleicht war das Ganze zu einem gewissen Teil auch so etwas wie ein kleiner Test, um zu sehen, wie mir das Motorradreisen gefällt und was so machbar ist. Es gibt noch so viel zu entdecken…..)
Anhang
Die Tour, die Eindrücke und Erfahrungen sind natürlich völlig subjektiv und nur bedingt zur Verallgemeinerung geeignet. Dennoch sollen einige Punkte herausgestellt werden.
Ausrüstung
Weniger ist mehr. Treffender als Antoine de Saint-Exupery kann ich es nicht formulieren: "Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann."
Ich setze bei meinen Reisen auf alpine Leichtausrüstung und habe es nie bereut. Weniger Gepäck bedeutet höhere Mobilität und geringere Einschränkung. Die mitgeführten zwanzig Kilogramm Ausrüstung (inklusive Taschen) fallen fahrdynamisch nicht zu stark ins Gewicht.
Schlafsack und Zelt der italienischen Marke Ferrino (alpin Produktgruppe High-Lab) bieten ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis.
Das Foto verdeutlicht wie kompakt der zum Beispiel Bereich ‚Schlafen’ ausfallen kann. Zu sehen sind : Leichtluftmatratze, Schlafsack (Daune), Inlett (Seide), Schlafanzug (Seide).
Die rote Packtasche von Louis hat sich ohne Einschränkung bewährt (Kosten ca. 1/3 der Taschen von der Firma mit dem O.).
Der Guzzi-Tankrucksack hat ebenfalls keine Schwächen gezeigt. Er ist voluminös und passgenau. Die Reißverschlüsse sind okay. Die Regenhaube ist auch im Bereich des Klarsichtfensters zuverlässig verschweißt und entsprechend wasserfest.
Die Guzzi Seitentaschen (Softbags) gehen in Ordnung, wenn man das vergleichsweise geringe Volumen akzeptiert. Die Schlösser zum Sichern der Taschen an den Trägern sind nur vom Inneren zugänglich. Nimmt man die Taschen täglich ab, ist es etwas umständlich. Beim Zelten stand die Griso eh unmittelbar neben meinem Nomaden-Bungalow. Somit blieben die Taschen einfach montiert. Die Regenschutzhauben würde ich allerdings nur als Spritzwasserschutz bezeichnen. Nach der fünfstündigen Regenetappe musste ich feststellen, dass sich Wasser in dem Überzug sammelt. Es hing eine richtige Wasserblase unter den Taschen. Mit steigendem Wasserstand werden die Taschen dann allmählich geflutet. Ein wirksamer Nässeschutz kann nur erreicht werden, wenn die Sachen bereits in der Tasche wasserfest verpackt werden.
Straßenverkehr
Das ist ein besonders bemerkenswertes Thema. Hier gilt ebenfalls, dass das Geschriebene auf meinen persönlichen Erfahrungen und Einschätzungen beruht.
Das Thema lässt sich nach Straßenzustand und Fahrweise unterscheiden. Aus Deutschland nach Norditalien kommend dachte ich ‚Hoppla…aber okay. So ist es nun mal in Italien…’. Von Süditalien nach Norditalien kommend fühlte ich mich dagegen wie im Paradies. So ist das eben mit den Maßstäben.
Grundsätzlich werden auf Straßen ‚gemalte‘ Linien, Schilder und Verkehrsregeln eher als unverbindliche Empfehlung betrachtet. Und es wird schnell gefahren. Schnell in diesem Sinn bedeutet so schnell wie es eben geht. Distanz ist dabei verschenkter Raum. Abstände lassen sich meist eher in Dezimetern als in Metern messen. Die Absicht, nicht mit blitzenden Polizeikräften in Kontakt zu kommen und nahezu vorschriftsmäßig zu fahren, habe ich schnell aufgegeben. Es ist viel zu gefährlich. Die Gefahr von hinten überrannt zu werden ist einfach zu groß. Schließlich rechnet niemand damit, dass jemand derart durch die Gegend schleicht.
An einem Tag war ich mit achtzig Stundenkilometern in einem Abschnitt mit erlaubten sechzig unterwegs und bin von einem Fahrschulwagen (Schüler am Steuer, Fahrlehrer daneben) überholt worden….
Der Verkehr in den Städten des Südens funktioniert mit einer ganz eigenen Dynamik. Man muss den Mut aufbringen sich treiben zu lassen. Widerstand bringt überhaupt nichts. Es ließe sich sehr viel über unglaubliche Situationen schreiben.
Zusammenfassend würde ich sagen, dass es nahezu unmöglich ist, wirklich den Überblick zu behalten. Mit einer gewissen intuitiven Fahrweise kann man allerdings erfolgreich Teil des funktionierenden Systems werden. Hält man Abstand zu anderen Verkehrsteilnehmern, egal in welche Richtung, geht man am besten davon aus, dass diese Lücke innerhalb der nächsten Zehntelsekunde von einem Scooter gefüllt wird. Da braucht man sich dann nicht extra noch umschauen. Blinker werden, wenn überhaupt, bei der Geradeausfahrt beim Überholen eingesetzt. Mit einer Richtungsänderung wird dieses Instrument kaum in Verbindung gebracht.
Ich habe lange darüber nachgedacht, wie das überhaupt funktionieren kann. Die Schlussfolgerung ist, dass die Leute möglicherweise einfach fehlertoleranter sind. Jeder geht davon aus und akzeptiert, dass die anderen eben Fehler machen und verhält sich dementsprechend aufmerksam. Man regt sich kurz auf, mutiert aber nicht zum Verkehrserzieher. So bin ich zum Beispiel in Kalabrien nach mehr als 3000 km zum ersten mal direkt angehupt worden, weil ich in einem Stau die sich vor mir befindliche Lücke nicht unverzüglich schließen wollte. Es war ein Bahnübergang. Der Autofahrer hat ohne weiteren Aufstand überholt und sich auf die Gleise gestellt….
Sizilien - Die Ölflecken sind noch rutschiger als sie aussehen.
Mit abnehmender geografischer Breite lässt auch die Fahrbahnqualität deutlich nach. Schlecht beleuchtete Tunnel und Brückenkörper mit groben Widerlagerübergängen gehören absolut zum Standard. Brückenkörper, und es gibt erstaunlich viele Brücken in Italien, werden in der Regel nicht in einem Stück gebaut sondern aus vielen kleinen Teilstücken zusammengesetzt. Entsprechend steigt die Zahl der rumpeligen Übergänge. Staub, Öl und abgenutzte Verschleißdecken werden bei Regen zu Rutschbahnen.
Mit Fahrbahndeformationen und Schlaglöchern muss jederzeit gerechnet werden. Ortsdurchfahrten erfolgen zum Teil auf dürftig geflickten Straßendecken. Auf Sizilien wurde übrigens wenige Monate vor dem Tourstart ein Krankenhaus geschlossen, da die hygienischen Verhältnisse für Patienten und Angestellte nicht weiter zumutbar waren. Also VORSICHT beim Mopedfahren.
Bettler und fliegende Händler fallen an vielen größeren Kreuzungen auf.
Insgesamt sollte man über ein sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein und über ein nicht zu geringes Maß an fahrerischem Können verfügen, um nicht nur mit heiler Haut wieder nach Hause zu gelangen sondern auch die Freude am Fahren zu behalten.
Reiserhythmus
Ich habe versucht, mich dem Lebensrhythmus anzupassen. Der Tagesablauf sah meist wie folgt aus : Morgens wurden ohne viel Aufhebens die Sachen aufgeladen. Der erste Weg führte in die nächste Bar (Café). Dort habe ich inmitten der örtlichen Bevölkerung das Frühstück (Cappuchino und Cornetto) zu mir genommen. Das Leben spielt sich vorwiegend draußen ab. Mit der Guzzi vor der Bar ergaben sich auch meist Fragen nach dem Woher und Wohin und nette Gespräche. Zudem erhält man auf diesem Weg auch wertvolle Tipps für die Route des Tages. Und manchmal kann man auch einfach dasitzen, das Treiben beobachten und genießen.
Die zahlreichen fliegenden Händler mit ihren Obstständen waren die Lieferanten für die Tagesverpflegung. Erst abends habe ich die Hauptmahlzeit zu mir genommen. Spontane Pausen an landschaftlich schönen Stellen sind für einen Alleinreisenden natürlich ohne jegliche Abstimmungsprobleme möglich.
Obsthändler
Als Motorradreisender quasi an und auf der Straße zu leben, bedeutet in Italien direkt am Leben teilzuhaben. Die Dorfstraße und oder die Piazza ist meist der Kommunikationsbereich schlechthin. Mit dem Moto aus Germania nach Italien zu reisen, wird von den meisten Leuten mit einem gewissen Respekt betrachtet.
Alleinreisen
Allein zu reisen, heißt nicht zwangsläufig einsam zu sein. Ganz im Gegenteil. Selbst zu zweit ist man bereits eine kleine Gruppe mit einem Innen- und Außenverhältnis. Als Alleinreisender rückt das Außenverhältnis stärker in den Mittelpunkt. Man ist selber viel kontaktfreudiger und wird auch eher von anderen Menschen (Reisende, Landesbevölkerung) angesprochen.
Dennoch muss man diese spezielle Situation natürlich mögen. Die Freiheit in der Findung von spontanen Entscheidungen und in der Verfolgung des eigenen Rhythmus erkauft man sich mit der Situation, Erlebnisse (positive wie negative) nicht direkt teilen und sich in schwierigen Situationen nicht beraten zu können. Das Risiko, Probleme vor allem nach Unfällen zu bewältigen, ist natürlich auch höher. Dennoch hat das Alleinreisen durchaus seinen Reiz.
Die Navigation war im Grunde simpel. Im Nordosten beginnend, bin ich einfach der Küstenlinie gefolgt, so dass ich das Meer immer an der linken Seite halten musste...smile.
Danksagung
Mein ganz besonderer Dank gilt selbstverständlich Pierro Gatto und seinem Sohn Guilamo, die meine Bella in ihrer Officina Mechanica wieder fahrtüchtig gemacht haben. Ich werde Roberta, die Dozentin vom VHS-Kurs, kontakten, damit sie mir einen gesonderten Dankesbrief übersetzen mag...
Text und Fotos Andreas Thier 09/2008